Essen Nofretete für Kaiser Wilhelm

(RP). Das Essener Ruhr-Museum auf Zeche Zollverein zeigt in seiner faszinierenden Sonderschau "Das große Spiel" Geschichte und Abenteuer der Archäologie. Über 800 Ausstellungsstücke wurden dafür zusammengetragen – darunter die erste Zeichnung der ägyptischen Königin Nofretete.

(RP). Das Essener Ruhr-Museum auf Zeche Zollverein zeigt in seiner faszinierenden Sonderschau "Das große Spiel" Geschichte und Abenteuer der Archäologie. Über 800 Ausstellungsstücke wurden dafür zusammengetragen — darunter die erste Zeichnung der ägyptischen Königin Nofretete.

Mehr Platz war am unteren Blattrand nicht. Und so wird das erste Bild der Nofretete eine mickrige Bleistiftzeichnung im Tagebuch des deutschen Ägyptologen Ludwig Borchardt: Arg gedrungen ist die Hübsche, sehr schematisch und bloß drei Zentimeter hoch. Wahrlich kein Meisterwerk, und dennoch ist es eine Liebeserklärung, denn Nofretete wird der einzige Fund an diesem 6. Dezember 1912 bleiben, den Borchardt zeichnet.

Der Porträtversuch ist unter den 800 Ausstellungsstücken in der neuen Schau des Ruhr-Museums eins der kleinsten, aber eins der rührendsten. Weil hinter diesem Fund nicht nur die Faszination des Schönen steht, sondern auch der Streit um den rechtmäßigen Besitzer, der noch heute ausgefochten wird und schon zu Beginn der 1930er Jahre hohe Wellen schlug: Eine Karikatur aus dieser Zeit zeigt den ägyptischen König Fuad, wie er um die hübsche Berlinerin buhlt, worauf diese zur Antwort gibt: "Ausgeschlossen, Fuadchen, lieber in Berlin im Glaskasten als in Kairo Scheinkönigin von Englands Gnaden!"

Allein schon diese Episode umfasst das Thema der grandiosen Schau auf Zeche Zollverein, die unter dem Titel "Das große Spiel" die Träume der Archäologie an die Träume der Herrscher knüpft. Denn das Wettrennen um antike Funde in Ägypten, Mesopotamien, Nordafrika und entlang der Seidenstraße ist Ende des 19. Jahrhunderts nichts anderes als die Fortsetzung der Kolonialpolitik mit anderen Mitteln; Franzosen und Engländer, Italiener und Deutsche blasen zur Jagd auf die Schätze der Kultur. Den europäischen Mächten geht es dabei auch um die Eroberung einer imposanten Geschichte und den Antritt eines bedeutenden Erbes.

Bisweilen ließ sich diese Faszination auch in den Dienst aktueller Politik stellen. Die Karten, die der legendäre Lawrence von Arabien (1888—1935) zeichnete, leisteten im Ersten Weltkrieg ebenso gute Dienste wie die Luftbildaufnahmen italienischer Archäologen in Libyen. Im Ruhr-Museum steht man bei diesem Thema auf Gitterrosten und sieht scheinbar weit unter sich die Umrisse einer römischen Festung.

Die Archäologie war immer schon politisch. Doch während bei den Forschungen heutzutage vor allem gilt, die kulturellen Codes des jeweiligen Landes und dessen Identität zu wahren, ging es damals neben der wissenschaftlichen Erkenntnis um Wettkampf und Prestige, um Machtinteressen und Beute, die daheim wie nach einem glorreichen Siegeszug präsentiert wurde. Besonders in ihren Anfängen war die Archäologie auch Abenteuer, betrieben von wagemutigen Menschen. Einer von ihnen: der Priester Alois Musil (1868—1944), ein Großcousin Robert Musils, der sich auf seinen Reisen zu den biblischen Stätten im Nahen Osten mehr und mehr zum Beduinen wandelte. Sein Priestergewand ist im Ruhr-Museum zu sehen und daneben ein Ölbild, das ihn als wild vermummtem Nomaden zeigt. Zudem hätte sein reich verzierter Ledersattel mit großen Hörnern jedem Karl-May-Filmausstatter zur Ehre gereicht. Dass der Fürst an-Nuri Ibn Shalan ihn 1909 zum Oberhäuptling des Beduinenstamms der Rwala ernannte, zeigt, wie heimisch Musil in der Fremde geworden war.

So viele Fundstücke werden zur Schau gestellt (manche sind über 6000 Jahre alt), so viele große und kleine Geschichten erzählt und Schicksale geboten, dass der Betrachter im abgedunkelten Ruhr-Museum wie von selbst bescheiden wird. Man fühlt sich klein im Schatten solcher Vergangenheit.

Aber das waren auch schon die vermeintlich großen Herrscher. So hatte sich Kaiser Wilhelm II. derart in Nofretete verguckt, dass er eine Kopie anfertigen ließ und diese 1918 ins niederländische Exil mitnahm. Des Kaisers Nachbildung steht jetzt im Essener Ruhr-Museum — und weist einen unverzeihlichen Fehler auf: Wilhelm ließ ein zweites Auge einsetzen und zerstörte auch damit jene Aura, mit der das Original jeden verzaubert. Wilhelm hatte nicht begriffen, dass die Unvollkommenheit zeitlose Schönheit gebiert.

Nofretetes Entdecker, Ludwig Borchardt — dessen halbe Expeditionsausrüstung samt obligatem Tropenhelm und zivilisatorisch einwandfreier Reisetoilette aus Porzellan gezeigt wird — hat die Büste zwar lausig gezeichnet, aber er fand für sie in seinem Tagebuch 1912 zumindest angemessene Worte: "Farben wie eben aufgelegt. Arbeit ganz hervorragend. Beschreibung nützt nicht, ansehen."

(RP)
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