"Das ist ja das Gute in meinem Fall: Keiner kann mir dazwischenquatschen", sprach der ältere Herr mit der Zigarre, und die beiden Reporter des "Spiegel" schrieben mit. In ihrer Titelstory las es sich später so, als hätte Carl F. W. Borgward den Überblick verloren. Querdenker wie er hatten es schwer im Deutschland der Adenauer-Ära. Selbst dann, wenn sie ihre Konkurrenz vor sich hertrieben. Keiner redete rein, deshalb konnte Alleinfabrikant Borgward die fortschrittlichsten Autos der Republik bauen: als Erster mit Pontonkarosserie und Blinkanlage (1949), mit Automatik (1951), elektrischen Fensterhebern (1952) und Luftfederung (1960). Als anderswo noch die Aufsichtsräte tagten, fuhren Borgwards Ideen schon im Prototyp.

Klassiker der Moderne: Isabella, Borgwards Traumfrau

Borgward P100
Rarität: Zwischen 1959 und 1970 wurden nicht einmal 5000 Borgward P 100 gebaut. Heute gibt es nur noch 50 Exemplare.
Bild: Markus Heimbach
So viel zur Frage, was aufregend ist an diesem Sechszylinder im typischen Glamourstil der frühen 60er. Man sieht es dem Borgward P 100 nicht unbedingt an, aber für eine kurze Zeit war er ein Traumwagen der Männer, die später in einen NSU Ro 80 oder BMW 2800 stiegen. Der P 100 hätte eine deutsche Größe werden können, aber nach nur 13 Monaten kam Borgwards Ende dazwischen. Denn auch von den Banken ließ sich der Boss nicht dazwischenquatschen. Das Gespür für Marktnischen aber hatte er: Der P 100 war die Wahl der fortschrittlichen Chefs, denen ein Mercedes 220 zu steif und ein Opel Kapitän zu weich war. Die Luftfederung – bei Borgward Airswing genannt und konstruktiv von genialer Einfachheit – macht das Bremer Topmodell nicht zur Schaukel.

Die Borgward-Tragödie: Sind die noch zu retten?

"Wie bei einem Sportwagen bessert sich die Federung, je schneller man fährt", staunte ein Tester. Nicht Komfort war das höchste Ziel, sondern Fahrsicherheit, wenig Karosseriebewegung, perfekter Geradeauslauf. Und Borgwards Reihensechszylinder ist kein Säusler, sondern ein kerniger Typ mit 100 PS und der Kondition für 200.000 entspannte Kilometer – penible Wartung vorausgesetzt. Er stammt von der Isabella ab, Borgward hatte ihn zuvor schon in den Hansa-2400-Limousinen verbaut, aber auf die linke Spur schaffte er es erst im leichteren P 100. Tempo 160 und 16,9 Sekunden von null auf 100, das klingt erst heute sanft. Vor 50 Jahren brauchte es schon einen Mercedes 220 SE, um Borgward-Fahrern dazwischenzuquatschen.
Bis heute ist der P 100 ein Fall für Fans, die Querdenker-Autos lieber mögen als einen Mercedes. Nur etwa 50 große Borgward haben seit 1959 überlebt, einige davon in Mexiko, wo es das Topmodell von 1967–70 noch einmal zur Kleinserie brachte. Das ändert nichts daran, dass die Restaurierung eines maladen P 100 eine Art Psychothriller ist und die Suche nach Ersatzteilen ein ausfüllender Nebenjob. Es ist nicht notwendig, als P-100-Fahrer so eigensinnig zu sein wie Carl F. W. Borgward. Aber es hilft.

Historie

September 1959: erster P-100-Prototyp auf der IAA in Frankfurt. Januar 1960: Präsentation des Serienmodells mit Luftfederung auf dem Brüsseler Salon. Juli 1960: Serienbeginn, offizielle Bezeichnung: "Der große Borgward". Januar/Februar 1961: Borgward gerät in Finanznot, wird vom Bremer Senat übernommen, Carl F. W. Borgward muss sein Unternehmen verlassen. Juli 1961: offizielles Ende der Borgward-Produktion. 11. September 1961: Beginn des Konkursverfahrens. 1963: Verkauf der Produktionsanlagen nach Mexiko, Carl F. W. Borgward stirbt. August 1967: In Monterrey (Mexiko) laufen die ersten P 100 als Borgward 230/230 GL vom Band. Herbst 1970: Produktionseinstellung. Bilanz: 2587 deutsche, 2267 mexikanische P 100.

Technische Daten

Borgward P 100
Reihensechszylinder, vorn längs, seitliche Nockenwelle, über Stirnräder angetrieben, hängende Ventile, betätigt über Stoßstangen und Kipphebel • Hubraum 2240 ccm • Leistung 100 PS bei 5000/min • max. Drehmoment 158 Nm bei 2200/min • Hinterradantrieb • Viergangschaltgetriebe (a. W. Vierstufenautomatik) • vorn Einzelradaufhängung an Trapezquerlenkern, hinten Pendelachse, vier Luftfederbälge, drei Regelventile, Kompressor und Luft-Sammelbehälter • Trommelbremsen v/h • Radstand 2650 mm • L/B/H 4715/1738/1420 mm • Leergewicht 1275 kg • Verbrauch ca. 13 Liter Super/100 km • Spitze 160 km/h • 0–100 km/h 16,9 s • Neupreis 1960: 13.150 D-Mark

Plus/Minus

Kaum ein deutsches Auto der frühen 60er-Jahre fühlt sich so modern an wie der Borgward P 100, und kein deutscher Sechszylinder ist so selten wie dieser. Im Grunde ist der P 100 kein problematisches Auto. Motoren und Getriebe halten ewig, bei der Luftfederung altern jedoch Federbälge und Regelventile – Ersatz ist sehr teuer. Frühe P 100 leiden unter ihren nicht sehr steifen Karosserien, es kommt zu Vibrationsrissen im Dach. Dafür ist der große Borgward – gemessen am Standard seiner Zeit – kein gemeiner Roster. Trotzdem einen kritischen Blick wert: Schwellerspitzen, Endspitzen, hintere Radläufe, vorderer Motorhauben-Abschluss und die hintere Quertraverse zwischen Schwellern und Kardantunnel.

Marktlage

Mini-Angebot trifft kleine Nachfrage: Das Auto ist eine Rarität, aber wer P 100 fahren will und etwas Zeit in seine Suche investiert, kommt ans Ziel. Ein sehr gutes Exemplar kostet circa 25.000 Euro, Mittelmaß etwas mehr als die Hälfte. Kernschrott starb meist schon in den 80er-Jahren, um den Fortbestand solider Stücke zu sichern, die sich damals schon in festen Händen befanden.

Ersatzteile

Die dunkle Seite des großen Wagens: Bis auf einige nachgefertigte Verschleißteile – z. B. Auspuffanlage und Federbälge – gibt es nur Gebrauchtteile zum Aufarbeiten. Es ist zwar erstaunlich, was in Borgward-Kreisen noch alles auftaucht, aber nicht gegen Geld gehandelt wird, sondern nur als Tauschware. Gute (Klub-)Kontakte sind hier mehr wert als ein dickes Konto.

Empfehlung

Die Vollrestaurierung eines großen Borgward kann sich finanziell niemals lohnen. Trotzdem gibt es Borgward-Fans, die diese Aufgabe schultern – und sich dann doch von ihrem Auto trennen. Wer einen solchen P 100 kaufen kann, sollte zuschlagen. Wichtig für Borgward-Einsteiger: Tut es für den Anfang nicht auch eine Isabella? Die ist weniger selten, dafür aber deutlich einfacher am Laufen zu halten und daher noch alltagstauglicher als ein P 100.