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Was Merkel und Hollande trennt

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Kanzlerin Angela Merkel im Gespräch mit Frankreichs Präsident Francois Hollande.
Kanzlerin Angela Merkel im Gespräch mit Frankreichs Präsident Francois Hollande. © dapd

Im Streit über die Euro-Krise hakt es zwischen Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Hollande. Hollande sucht das Süd-Bündnis mit Italien und Spanien. Steckt hinter dem Streit um deutsche Marktliberalität und französischem Dirigismus ein tieferer kultureller Konflikt?

Im Streit über die Euro-Krise hakt es zwischen Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Hollande. Hollande sucht das Süd-Bündnis mit Italien und Spanien. Steckt hinter dem Streit um deutsche Marktliberalität und französischem Dirigismus ein tieferer kultureller Konflikt?

In den Stunden höchster Not ist der Mittelweg der Tod. Diese alte europäische Erfahrung aus dem Dreißigjährigen Krieg haben Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande in der Debatte um die Euro-Rettung wieder einmal berücksichtigt. „Deutschland und Frankreich „sind entschlossen, alles zu tun, um die Euro-Zone zu schützen“, haben die beiden jetzt erklärt.

Beide Staaten können in dieser alles entscheidenden Alles-Für-den-Euro-Phase also doch noch zusammenarbeiten. Das zeigt zumindest der erste Teil der Erklärung. Im zweiten Teil treten die Differenzen zutage. Die Mitgliedstaaten wie auch die Europäische Zentralbank (EZB) „müssen ihren Verpflichtungen nachkommen“, heißt es dort. In all der deutsch-französischen Harmonie ist in der Aufforderung an die Euro-Staaten Merkels Dringen auf Strukturreformen und Sparpolitik zu erkennen, in der Ermahnung an die EZB ist Hollandes Ruf nach einem Eingreifen der Notenbank für das kriselnde Italien und Spanien zu hören.

Süden gegen Norden?

Ein europäischer Röstigraben tut sich auf in der Debatte über die Euro-Rettung. Der Rösti-Graben, das ist jene Schweizer Kulturgrenze, die den deutschsprachigen vom frankophonen Landesteil trennt. Der BBC-Historiker Chris Bowlby will im Streit über Austerität oder auf kreditfinanzierte Wachstumspolitik gar ein altes europäisches Schisma wiedererkennen, eine kulturelle Verwerfungslinie zwischen katholischem Süden und calvinistischem Norden.

Die holländische Europaabgeordnete Sophie in’t Veld erinnert an Max Weber, die calvinistische Ethik und den Geist des Kapitalismus. Trennt die protestantische Pastorentochter Merkel und den einstigen katholischen Klosterschüler Hollande also mehr als nur die Parteifamilie? Liegt hinter dem Streit um deutsche Marktliberalität und französischem Dirigismus ein tieferer kultureller Konflikt? Ist das Bündnis von Italiens Premier Mario Monti, Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy und Hollande gegen Merkel auf dem jüngsten EU-Gipfel also im Kern ein romanisches Triumvirat?

Ulrike Guérot von der Forschungsgruppe European Council on Foreign Relations (ECFR) spricht mit Blick auf die deutsch-französischen Beziehungen und Hollandes außen- und wirtschaftspolitischem Ansatz von einer „Versuchung des Südens“. Die engere Zusammenarbeit mit Spanien und Italien sei vertretbar, solange „diese „Phalanxbildung nicht zu einer dauerhaften Isolierung Merkels und Deutschlands führt“, so Guérot. Sie warnt aber: „Hollande muss in dieser Frage besser choreografieren.“

Überhaupt sieht Guérot die größeren Herausforderungen für Hollande in der Heimat. Konzerne wie Peugeot und Alcatel haben Massenentlassungen angekündigt. Auch hier lockt die zarte Versuchung des Südens mit staatlichen Wirtschaftsprogrammen. „Hollande muss sehen, wie er seine Anti-Austeritäts-Rhetorik zusammenbringt mit der dringend erforderlichen Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der französischen Industrie“, sagt Guérot. „Doch bleiben Hollande für Reformen nur ein Jahr Zeit. Und das unter weltwirtschaftlich schwierigeren Umständen.“

Olivier Breton, Chef des deutsch-französischen Magazins ParisBerlin spricht gar von einer „Illusion“, die Hollandes Vorgänger Nicolas Sarkozy dem Land vorgegaukelt habe. „Frankreich stehe vor einer Krise ungekannten Ausmaßes“, sagt Breton. „Hollande verpasst dem Land nun einen Realitätsschock.“ Auch er sieht in der Europapolitik „das Gravitätszentrum Richtung Frankreich verschoben“. Er erwartet aber im Zuge des 50. Jahrestags des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags bis zum Januar neue europäische Impulse.

Positive Streitkultur

Frankreichs Außenpolitik hat stets auf ein Europa der Vaterländer gesetzt, sprich den Vorrang der nationalen Regierung vor der Gemeinschaftsmethode der Union. Angesichts der Diskussion über Etatunion und Politischer Union und dem Streit über das Mitspracherecht der Abgeordneten sieht Guérot aber längst ein neues Konfliktfeld: „Die Debatte über die künftige Verfasstheit von Europa verläuft entlang der Frage: Vorrang der Exekutive oder des Parlaments?“

Frankreich tendiert in dieser Frage zur Exekutive. So stellt sich die Frage: Bricht sich in der nördlichen Empörung gegen Euro-Rettung und für eine stärkere Beteiligung des Parlaments der alte Drang zur individuellen Freiheit des zum Steuerbürger verweltlichten Christen-Menschen Bahn?

Italiens Premier Monti sagte unlängst: „In Deutschland sind Wirtschaftswissenschaften Teil der Moralphilosophie.“ Eine sehr südliche Anklage. Man kann es aber auch so sehen. In dringlichen Zeiten und der Frage um Anleihenkauf durch die EZB sieht die Protestantin Merkel die Pflicht zum pragmatischen Handeln.

Und Hollande? Er stammt eigentlich von einer calvinistischen Einwanderfamilie aus den Niederlanden ab, haben Historiker nun erklärt. Die beiden eint also kulturell mehr als vermutet. Ulrike Guérot sieht deshalb Positives in der deutsch-französischen Streitkultur: „Politischer Streit zwischen Deutschland und Frankreich hatte immer etwas Gutes: Am Ende steht ein Kompromiss, den ganz Europa mittragen kann.“

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