Ein Stern, rasch aufsteigend

Einen neuen Mozart gelte es nicht gerade anzukünden, schreibt Andrew Porter in einem der CD-Booklets, von einem neuen Britten könne aber sehr wohl die Rede sein. Thomas Adès, der 1971 in London geborene Komponist, Pianist und Dirigent, hat es in

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Einen neuen Mozart gelte es nicht gerade anzukünden, schreibt Andrew Porter in einem der CD-Booklets, von einem neuen Britten könne aber sehr wohl die Rede sein. Thomas Adès, der 1971 in London geborene Komponist, Pianist und Dirigent, hat es in kurzer Zeit zu höchstem Renommee gebracht. Dirigenten wie Simon Rattle, der mit «Asyla» das erste grosse Orchesterwerk von Adès auf eine Tournee des City of Birmingham Symphony Orchestra mitgenommen und 1997 auch in der Schweiz vorgestellt hat, und Kent Nagano, der dem Komponisten eine Residenz beim Hallé Orchestra Manchester verschafft hat, lassen ihm ihre Förderung angedeihen, während bei EMI Classics bereits nicht weniger als vier CD-Editionen mit Werken aus seiner Feder erschienen sind. Mit 26 sah sich der Schüler von Alexander Goehr und Robin Holloway auf einen Lehrstuhl für Komposition an der Royal Academy of Music in London berufen, ein Jahr später übernahm er die künstlerische Leitung des Aldeburgh Festival. Und «Powder her face», sein erster Beitrag fürs Musiktheater, stiess nach der Uraufführung 1995 beim Cheltenham Festival auf weltweite Resonanz; eben erst ist die knapp zweistündige Oper fast zeitgleich an zwei deutschen Bühnen herausgekommen.

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Man könnte an den kometenhaften Aufstieg des jungen Wolfgang Rihm denken, führte der Vergleich nicht so gründlich in die Irre. Mit Rihm mag Adès eine ausgeprägte Assimilationskraft verbinden, doch gibt sich seine Handschrift bei weitem versöhnlicher, um nicht zu sagen: angepasster. Das Neue, das sich Adès einfallen lässt, lebt von einer spezifischen Eingänglichkeit - das mag den Komponisten für ein Publikum, das sich mit den musikalischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts noch immer schwer tut, zu einem Hoffnungsträger werden lassen. Indes, von den Postmodernen britischer und den Neoromantikern nordamerikanischer Herkunft hebt er sich eindeutig ab. So sehr er sich Idiome früherer Zeiten, zumal solche aus dem 20. Jahrhundert, zu eigen macht und immer wieder auch zu expliziten Zitaten greift, so deutlich manifestiert sich bei Adès der eigene Weg. Von bemerkenswerter Beweglichkeit zeugt das Handwerk, von reicher Phantasie der Umgang mit dem Material - sei es hinsichtlich der musikalischen Erfindung, sei es im Bezug auf die Besetzungen, die vom grossen Orchester bis zu den ungewöhnlichsten Ensemblekonstellationen reichen.

«Asyla», das gross besetzte, eine knappe halbe Stunde dauernde Orchesterwerk von 1997, steht für diese Eigenschaften. Auf eine ungewöhnliche Einleitung des Schlagzeugs folgt im ersten der vier Sätze die Verarbeitung eines von absteigenden Halbtonschritten geprägten lyrischen Themas, die aus Ansätzen in der Mittellage immer wieder zu ausgreifenden Gesten im Tutti führt. Wer über dies Werk ins Schaffen von Thomas Adès einsteigt, wird sich allerdings einer gewissen Skepsis nicht erwehren können; immer wieder nämlich scheint sich der pastose Ton orchestraler Musik über die Individualität der Handschrift zu legen. Da wirken die fünf Lieder auf Landschafts- Gedichte von T. S. Eliot (op. 1, 1990) wesentlich origineller; ganz unterschiedlich sind hier die Tonfälle, einfallsreich ist die Singstimme geführt, und verspielt stellt sich die Klavierbegleitung dazu. Erfrischend auch die drei Orgelstücke, die Adès 1992 als op. 6 unter dem Titel «Under Hamelin Hill» versammelt hat; besonderes Amusement verspricht die «Fuga a tre voci con alcune licenze», für die sich der Komponist mit den beiden Organisten David Goode und Stephen Farr vor ein Portativ zwängt. Von schrägem Witz endlich die Sonata da caccia (op. 11) von 1993 für Barockoboe, Horn und Cembalo, die in vier kurzen Sätzen mit Modellen aus dem 18. Jahrhundert spielt. - Herzstück des Œuvres bildet aber die zweistündige Oper «Powder her face» - auch dies ein Fest an Ironie und Spielfreude. Das Libretto des Schriftstellers Philip Hensher erzählt die Geschichte von Margaret Whigham (1912-1993), die durch Heirat zur Herzogin von Argyll wurde und ein wahrhaft ausschweifendes Leben führte, das 1963 in einem sensationellen Scheidungsprozess seine Kulmination und 1990, bei der Zwangsräumung ihrer Suite in einem Londoner Hotel, seinen Tiefpunkt fand. Dramaturgisch geschickt werden die Ereignisse in einer Reihe von Rückblenden arrangiert, während die Musik für vier Darsteller und ein wiederum speziell besetztes Kammerensemble von einem munteren Ton à la Kurt Weill ausgeht und sich gegen das Ende hin - nicht ganz unproblematisch - zu opernhaftem Schwelgen im Geiste Puccinis wandelt. Zu welcher Wirksamkeit auf der Bühne das Stück finden kann, erwiesen jüngst die Inszenierungen der Berliner Kammeroper und des Opernstudios der Hamburgischen Staatsoper. Litt die erste Produktion unter einer gewissen Härte des Klangs im Berliner Hebbel-Theater und einer mässigen Besetzung im Vokalen, wurde die zweite (unter der musikalischen Leitung von Boris Schäfer und in der Inszenierung von Petra Müller) auf einer Probebühne der Hamburger Oper zu einem anregenden Ereignis - nicht zuletzt dank den brillanten Leistungen der vier Darsteller Michaela Schneider (Herzogin), Susann Hagel (Zimmermädchen), Dirk Schmitz (Elektriker) und Andreas Hörl (Hotelmanager). «Powder her face» könnte durchaus seinen Weg ins Repertoire finden.

Peter Hagmann

Werke von Thomas Adès bei EMI:

Catch, Darknesse Visible, Still Sorrowing, Under Hamelin Hill, Five Eliot Landscapes, Traced Overhead, Life Story. Thomas Adès (Klavier, Orgel), Valdine Anderson und Mary Carewe (Sopran), Lynsey Marsh (Violine), Louise Hopkins (Violoncello), David Goode und Stephen Farr (Orgel). 5469699-2 (1 CD).

Powder her face. Jill Gomez (Duchess), Valdine Anderson (Maid), Niall Morris (Waiter), Roger Bryson (Manager), Almeida Ensemble, Leitung: Thomas Adès. 556649-2 (2 CD).

Living Toys, Arcadiana, Sonata da caccia, The Origin of the Harp, Gefrioalsae me. London Sinfonietta, Leitung: Markus Stenz, Endellion Quartet etc. 572271-2 (1 CD).

Asyla, Concerto conciso, These Premises are Alarmed, Chamber Symphony, .but all shall be well. City of Birmingham Symphony Orchestra, Birmingham Contemporary Music Group, Leitung: Simon Rattle, Thomas Adès. 556818-2 (1 CD).