Kohl und der "Panorama"-Reporter "Verschwinde!"
Der Abend im Bonner Hotel Maritim war eine Weile ganz nett und auch würdevoll. Im Andenken an Hannelore Kohl, die vor zwanzig Jahren das Kuratorium ZNS für Unfallverletzte mit Schäden des zentralen Nervensystems gegründet hatte und ein Jahrzehnt auch Präsidentin war, fand am 9. Mai eine Gala statt. Jongleure, eine Sopranistin sowie das für Wohltätigkeiten aller Art bekannte Ehepaar Ute-Henriette und Mario Ohoven (die sehr blonde Dame ist die neue Präsidentin des Kuratoriums) waren erschienen, und natürlich war auch Helmut Kohl gekommen.
Die Melange aus Harmonie und Wehmut wurde leicht getrübt, als ein aus Hamburg angereistes Team von "Panorama" (ARD) aufkreuzte und Reporter Stephan Stuchlik dem Altkanzler eine eigentlich einfache Frage stellte. Der Journalist, 36, wollte von dem Ex-Politiker, 73, wissen, warum ihm der Medienunternehmer Leo Kirch 1999 einen mit jährlich 600.000 Mark dotierten Beratervertrag gegeben hatte.
Stuchlik: Herr Dr. Kohl. Guten Tag. Stuchlik, "Panorama" , eine Frage: Wofür haben Sie die Gelder von Herrn Kirch bekommen?
Kohl: Ich habe überhaupt nicht die Absicht mit Ihnen 'n Interview zu machen.
Stuchlik: Warum nicht?
Kohl: Sie sind doch von "Panorama" .
Stuchlik: Ja.
Kohl: Wissen'S doch, was das heißt. Sie haben doch mit Journalismus nix zu tun.
Stuchlik: Aber wofür haben Sie denn...?
Kohl: Aber Mensch, hörn Sie doch auf.
Stuchklik: Für welche Tätigkeiten haben Sie denn die Gelder bekommen?
Kohl: Damit ich Ihr Gesicht betrachte und das reicht mir.
Die Kamera folgt dem Altkanzler. Kohl fährt mit dem Aufzug in die VIP-Lounge. Schnitt. Kohl kommt zurück.
Stuchlik: Ich darf Sie noch mal fragen: Wofür haben Sie denn die Gelder von Leo Kirch bekommen?
Kohl: Das kann ich Ihnen sagen. Die Gelder sammle ich, um das nötige Geld zu haben, um jetzt eine große Untersuchung anzustellen über die Vaterlandsverräter und Leugner der Deutschen Einheit. Etwa bei bestimmten Machenschaften der ARD.
Stuchlik: Das heißt, Sie würden uns Vaterlandsverrat vorwerfen?
Kohl: Teilen der ARD und natürlich den Machenschaften von vielen Jahren, die in Ihrer speziellen Sendung vorgekommen sind. Das wollte ich Ihnen gern sagen und das können Sie live senden. Natürlich werfe ich Teilen von Ihnen Landesverrat vor. Was anderes war's ja auch nicht.
Stuchlik: Aber Sie haben kein schlechtes Gewissen wegen der Gelder, die Sie von Herrn Kirch bekommen haben?
Kohl: Ihre Freunde haben mit dem Herrn Mielke (Erich Mielke, Ex-Chef der Staatssicherheit der DDR, d. Red.) ihre Geschäfte gemacht, ich nicht.
Stuchlik: Reden wir nicht von Herrn Mielke, reden wir von Herrn Kirch.
Kohl: Ich rede von Ihnen.
Geht. Ruft im Weggehen: "Das können Sie live senden." Zoom auf Schild Notausgang. Kohl kommt mit Frau Ohoven, deutet im Vorbeigehen auf Stuchlik: "Das ist das Prachtexemplar von 'Panorama'! Von 'Panorama'. Die." Frau Ohoven zieht ihn eilig weiter.
Schwenk. Kohl unterhält sich mit Altbundespräsident Roman Herzog, dessen Frau und Frau Ohoven: "Panorama den ganzen Abend will ich nicht." Bodyguard stellt sich vor die Kamera. Kohl zu Frau Ohoven:"Nein, um Gottes willen. Nein, der war doch auch noch auf der Pressekonferenz."
Letzte Szene. Kohl kommt aus dem Saal mit Frau Ohoven, sieht die Fernsehleute und sagt: "Brauchst Dir doch nur die Gesichter angucken. Dann weißt du doch, was verzapft wird."
Stuchlik: Darf ich Sie noch mal fragen. Wofür haben Sie die Gelder von Herrn Kirch bekommen?
Kohl: Verschwinde! Dreht sich im Weggehen noch einmal in die Kamera um. "Die brauchen wir, um den Landesverrat Ihrer Gesinnungsgenossen aufzuzeichnen."
Kohl Abgang.
Der Dialog würde manchen B-Film schmücken und bei einer Verfilmung etwa mit dem Titel "Der Filmpate und sein bester Freund" wäre Kohl mit hundertdreißig Kilo Gewicht und 1,93 Meter Größe eine stattliche Erscheinung. Der 176 Zentimeter große und nur sechzig Kilo leichte Reporter hingegen gäbe einen guten Terrier ab. Es war geschickt von Stuchlik, dass er auf der feinen Gala im Jeansanzug erschien, was den Alten gleich in Wut brachte. In seinem Zorn hat Kohl übersehen, dass die Tonfrau im hellen Kostüm erschienen war.
Bei einer Verfilmung müsste aber auch Leo Kirch vorkommen, der Kohl den Beratervertrag gegeben hat. Ein kleiner Ausschnitt aus der Sitzung des Untersuchungsausschusses am 15. November 2001 mit dem Zeugen Kirch wäre vielleicht aufschlussreich. Kirch wurde gefragt, ob er Kohl bei geschäftlichen Projekten um Hilfe gebeten habe.
Kirch: Ich habe Herrn Kohl nicht einmal richtig um Hilfe gebeten, sondern ich habe ihn gefragt: Was ist denn dieser Verein in Brüssel? (EU-Wettbewerbskommission d. Red.) Da hat er mich gefragt. Was willst Du denn von denen? Da sagte ich: Ich will etwas ganz Normales. Ich will eine Fusion auf dem Gebiet des Pay-Fernsehens mit Bertelsmann. Dann sagte er: Ich verstehe davon überhaupt nichts. In geschäftlichen Dingen hat er nie etwas verstanden, er wollte es nicht verstehen. Das war immer klar zwischen uns. Dann hat er halt einmal angerufen. Davon habe ich mehr Nachteile gehabt als Vorteile. Das Ergebnis ist bekannt. Es wurde verboten.
Klappe.
MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG DER "SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG"