

"Ich bin ein Star": Der Dschungel hat wieder einen König
Dschungelcamp vorbei Im Angesicht der Kreatur
So, bevor es hier richtig losgehen kann, versammeln Sie sich bitte mal kurz um den Bildschirm, ich habe da eine Ansage zu machen: Ich muss mich von ganzem Herzen bei Ihnen entschuldigen, werte Leserinnen und Leser, sofern Sie Zuschauerinnen und Zuschauer des RTL-Dschungelcamps gewesen sein sollten. Nach der ersten Woche mit dem Dschungelcamp hatte ich noch Scheuklappen auf. Nicht Sie zeigten in diesem Fall schlechte Medienkenntnis, sondern ich. Sie haben einen kühlen Kopf behalten und sind bei sich geblieben. Danke für den Spiegel, den Sie mir vorgehalten haben. Alle Achtung! Ich ziehe meinen Hut vor Ihnen. Ich hoffe, Sie werden mir verzeihen, und wir werden bald unsere Versöhnung feiern! Alles Gute!
Denn jetzt ist mir klar: Ich habe mich geirrt. Es ging im Dschungelcamp nicht um Insektenfresserei, nicht um Prominente oder Halbprominente, eigentlich ging es noch nicht einmal um den Dschungel. Es ging um die Wahrheit. Und um die große Frage: Wer bin ich? Nur wer diese Frage zufriedenstellend konsistent beantwortete, konnte vor Ihnen, den RTL-Zuschauern, bestehen.
Wer hat Rainer Langhans abgeschossen?
Gnadenlos und messerscharf trennten Sie für 50 Cent pro Anruf Tag für Tag die Spreu von der Spreu: "Ich als Jay Khan", sagt der Dschungelcamp-Kandidat Jay Kahn am Ende in die Kamera, und dass er "zufrieden" und "dankbar" sei für die Zeit im Dschungel. Das wirkte so unglaubwürdig wie seine gesamte Performance im Dschungel - er musste gehen. Ebenso letztlich unsympathisch und vom weisen Publikum aus dem Camp verbannt: die überambitionierte Sängerin Indira Weis. Offensichtlich illoyal und emotional sprunghaft der Schauspieler Mathieu Carrière: Abschied unausweichlich. Zwar authentisch, aber untragbar nervig: das "Topmodel" Sarah Knappik, spektakulär freiwillig ausgeschieden. Keine Rede mehr von den ostentativ gut gelaunten Stimmungskanonen Frank Matthée und Eva Jacob, ebenso wenig von dem kaum in Erscheinung getretenen Ex-Model Gitta Saxx. Allein das frühe Aus für den Ex-Kommunarden Rainer Langhans weckt Misstrauen: Hat ihn RTL absichtlich als Langweiler hingestellt, nur wenig von ihm gezeigt, damit er keine subversive Kraft entfalten konnte? Diese Frage wird in der Linken wohl noch ebenso lange diskutiert werden müssen wie die Todesnacht von Stuttgart-Stammheim: Hat sich Langhans selbst abgeschossen - oder wars doch das Schweinesystem? Anders gefragt: Was war Inszenierung im Dschungelcamp? Was echt? Wir wissen es nicht.
Was wir wissen: Im Finale standen drei Menschen, die nicht versuchten, während ihres öffentlichen Gruppenurlaubs eine gefällige Fassade aufrechtzuerhalten, die für Darsteller in einer TV-Sendung ungewöhnlich unprofessionell, quasi naiv agierten - und die (das unterschied sie von Knappik und Langhans) dazu bereit waren, im Team zusammenzuarbeiten. Diese Mischung kam offenbar an.
Der Klaglose, die Verbissene und der König
Der Ex-Schwimmer Thomas Rupprath zeigte sich auch in der letzten Sendung vollkommen klaglos, ohne jeden Protest oder erkennbaren Ekel: da ist die Aufgabe, die muss jetzt erledigt werden, was hilft da schon Jammerei, das ist wohl so, wenn einer daran gewöhnt ist, jeden Tag zu trainieren, sich zu schinden, da steigt die Leidensfähigkeit, das zieht er jetzt durch, Hauptsache, die Zietlow passt auf seinen Ehering auf, und seine Frau und sein Kind liebt er sehr. Das war zwar alles sehr sympathisch, aber leider auch ein wenig langweilig. Dschungelkönig werden konnte er so nicht.
Bessere Chancen hatte bis zum Schluss Katy Karrenbauer. Sie wirkte zwar während der gesamten Staffel allzu verbissen, erhoffte sich offenbar wirklich etwas vom Titel der Dschungelkönigin, finanzielle Unabhängigkeit, Ruhm, Rollen, irgendwas, aber während ihrer letzten Dschungelprüfung entspannte sie sich endlich, genauer: während sie einen Hirschpenis verspeiste. Doch es war zu spät: Wer Sieger würde, war da schon längst klar, alle ahnen es, nur die Insassen nicht.
Schöne Grüße nach Kreuzberg!
Am wenigsten wohl der spätere König selbst. Peer Kusmagk, tagelang von der Gruppe isoliert, dabei integer geblieben trotz aller Intrigen, musste als letzte Prüfung fünf Minuten in einem Sarg ausharren, in den dann auch noch Ratten und Wasser gepumpt wurden. Er sagt vorher, da weiß er noch gar nichts von den Ratten, die Aufgabe mache ihm Angst, er sei klaustrophobisch, fürchte sich im Dunklen. Man glaubt ihm alles, auch, dass er an Rainer Langhans denkt, um sich zu überwinden, das Vorbild der inneren Ruhe im Angesicht ekelhafter Kreaturen. Er besteht die Prüfung mit der genau richtigen Mischung aus Leiden und Souveränität. Dann grüßt er Kreuzberg, seine Freunde und die Leute in seinem Lokal - darf man überhaupt sagen, wie das heißt? Ach, egal, er ist jetzt schließlich Dschungelkönig, dem muss man Tribut zollen: Peer Kusmagks Lokal heißt "La Raclette". Keine Ahnung, ob und wie das Essen dort schmeckt, aber die nächsten drei Jahre über wird man da sowieso keinen Tisch mehr bekommen. Na ja, wohl nur die nächsten drei Monate.
Und wenn es auch nur drei Wochen sein sollten: Das war doch gerade unverhohlene Schleichwerbung für das Lokal "La Raclette" in Berlin-Kreuzberg! Und schon wieder! Haben Sie dafür bitte Verständnis: Durch die vorurteilsfreie Beschäftigung mit dem Dschungelcamp habe ich ja längst schon jeden möglicherweise einmal vorhanden gewesenen Ruf als seriöser Journalist verspielt, da muss ich sehen, wo ich demnächst noch eine kostenlose warme Suppe herbekomme. Sollte Kusmagk allerdings auch im "La Raclette" ständig seinen Hut durch die Luft wirbeln und nervtötend Seifenblasen produzieren, hungere ich lieber. Vielleicht schickt ja doch noch die PR-Abteilung von RTL einen Fresskorb, schließlich habe ich mich ja willfährig vor deren Karren spannen lassen. Widerlich, so was. Aber wenn, dann wenigstens richtig.
"Peer war mein absoluter Favorit von Anfang an"
In diesem Sinne sei hier also zum Abschluss dieser unsäglichen Serie von Dschungelcamp-Texten noch festgestellt, dass die soeben vergangene Staffel von "Ich bin ein Star, holt mich hier raus!" bereits jetzt als Höhepunkt des Fernsehjahrs 2011 gelten muss. Es ist zwar noch jung, dieses Fernsehjahr - aber was hier geboten wurde, wird in den kommenden elf Monaten schwerlich zu übertreffen sein. Vom Casting der, nun ja, Stars, über die Musikauswahl und den Schnitt bis hin zur Moderation hat RTL, das muss man anerkennen, nichts weniger als eine saugute Unterhaltungssendung hingelegt. Dass sich zum gekonnten Handwerk dann auch noch eine nicht planbare, aber dafür um so, nun ja, interessantere Geschichte über falsche Liebe und echte Tränen gesellt hat, schmälert die Leistung und den Erfolg nicht - es ist das verdiente Glück der Fleißigen.
Am Ende stellt sich die im Dschungel optisch erstaunlich aufgeblühte und gerade herausgewählte Katy Karrenbauer den Fragen der Moderatoren Dirk Bach und Sonja Zietlow: ob sie Peer Kusmagk den Sieg denn gönne? "Peer war ja mein absoluter Favorit von Anfang an", antwortet Karrenbauer da allen Ernstes. Und allein schon für den Seitenblick, den Zietlow bei dieser Einlassung in die Kamera schickt, hat die Moderatorin einen Grimme-Preis verdient.
Aber das versteht selbstverständlich nur, wer alle Folgen gesehen hat, wer zu der eingeschworenen Gruppe der Dschungelcamp-Zuschauer gehört, wer durchgehalten hat bis zum Schluss. Ich bin stolz und dankbar, sagen zu können: Ich gehöre dazu. Danke.
Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so weit kommen würde.