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I. (1.) Wenn ich nicht w��te, Marcia, da� du von der Schw�che eines weibischen Gem�thes eben so weit entfernt bist, als von den �brigen Fehlern, und da� man in deinem Charakter gleichsam ein Musterbild alter Zeit erblickt: so w�rde ich es nicht wagen deinem Schmerze entgegen zu treten, dem selbst M�nner gern nachh�ngen und beharrlich fr�hnen, und ich w�rde nie die Hoffnung gefa�t haben, es bei so ung�nstiger Zeit, vor einem so feindseligen Richter und bei einer so geh�ssigen Beschuldigung bewirken zu k�nnen, da� du dein Geschick von der Anklage frei spr�chest. Vertrauen gab mir deine schon bew�hrte Seelenst�rke und deine durch eine schwere Probe best�tige moralische Gr��e. (2.) Es ist offenkundig, wie du dich gegen die Personen deines Vaters benommen, den du nicht weniger, als deine Kinder, geliebt hast, nur den Umstand ausgenommen, da� du nicht w�nschtest, er m�chte sie �berlegen, und ich wei� nicht, ob du es nicht sogar gew�nscht hast. Denn gro�e kindliche Liebe erlaubt sich wohl auch Etwas gegen die Gute Sitte. Du hast, so viel du konntest, den Tod des Aulus Cremutius Cordus, deines Vaters, zu verhindern gesucht. Als es dir klar geworden war, da� ihm mitten unter den Schergel des Sejanus nur der eine Weg offen stehe der Knechtschaft zu entfliehen, hast du seinen Vorsatz [freilich] nicht beg�nstigt, aber doch besiegt ihm die Hand gereicht und deine Thr�nen flie�en lassen; �ffentlich hast du zwar selbst deine Seufzer zur�ckgedr�ngt, jedoch nicht durch eine heitre Stirn verhehlt, und das in jener Zeit, wo es [schon] f�r gro�e kindliche Liebe galt, nichts [geradezu] Liebloses zu thun.[5] (3.) Sobald aber die ver�nderten Zeiten nur einige Gelegenheit darboten, hast du den Geist deines Vaters, an welchem [eigentlich] die Todesstrafe vollzogen worden war, vor die Augen der Menschen zur�ckgef�hrt und ihn selbst vom wahren Tode gerettet, indem du die B�cher, die jener so muthige Mann mit seinem Blute geschrieben hatte, als ein geschichtliches Denkmal des Staates wieder in's Leben gerufen hast. Du hast dich [dadurch] um die r�mische Literatur auf's H�chste verdient gemacht, [denn] ein gro�er Theil derselben hatte [schon] gebrannt; auf's H�chste um die Nachwelt, auf welche eine unverf�lschte und treue Darstellung der Geschichte kommen wird, die ihrem Verfasser so hoch angerechnet worden ist, auf's H�chste um ihn selbst, dessen Andenken lebt und leben wird, so lange es noch einen Werth haben wird, die r�mische Geschichte kennen zu lernen, so lange es noch Jemand geben wird, der zu den Thaten der Vorfahren zur�ckzukehren, der zu wissen w�nscht, was ein r�mischer Mann sei, was, nachdem die Nacken Aller gebeugt und unter das Sejanische Joch geschmiegt waren, ein unbezwungener Mann, frei im Denken, im Wollen und im Handeln. (4.) Wahrlich, einen gro�en Verlust h�tte der Staat erlitten, wenn du ihn, der zweier so herrlichen Dinge, der Beredtsamkeit und des Freimuths, wegen in die Vergessenheit versto�en war, nicht herausgezogen h�ttest. [Jetzt] wird er gelesen, steht in Ansehen; in die H�nde, in die Herzen der Menschen aufgekommen, f�rchtet er nicht jemals zu veralten. Was dagegen jene Henker betrifft, so wird man selbst von ihren Verbrechen, dem Einzigen, wodurch sie im Andenken zu bleiben verdienten, sehr bald nicht mehr sprechen. Diese Gr��e deines Geistes verbot mir auf dein Geschlecht R�cksicht zu nehmen und ebenso auf deinen Gesichtsausdruck, den die ununterbrochene Traurigkeit so vieler Jahre, nachdem sie ihn einmal getr�bt hat, [in dieser Beschaffenheit] festh�lt.[6] (5.) Auch siehe, wie ich mich nicht etwa bei dir einschmeicheln will, noch deiner Gem�thsstimmung einen Betrug zu spielen gedenke. Ein Ungl�ck fr�herer Zeit habe ich dir in's Ged�chtni� zur�ckgerufen, und willst du wissen, wie auch dieser Schlag geheilt werden soll? Ich zeigte dir die Narbe einer gleich gro�en Wunde. M�gen daher Andere immerhin gelind und einschmeicheln verfahren; ich habe beschlossen mit deiner Traurigkeit einen Kampf zu beginnen, und ich will den erm�deten und ersch�pften Augen, die, wenn du die Wahrheit h�ren willst, schon mehr Gewohnheit, als aus Sehnsucht [die Thr�nen] flie�en lassen, Einhalt thun, wo m�glich so, da� du von selbst den bei dir angewendeten Heilmitteln dich befreundest, wo nicht, selbst gegen deinen Willen. Halte immerhin deinen Schmerz fest umschlugen, der dir an deines Sohnes Stelle fortleben soll. (6.) Denn wann wird er ein Ende nehmen? Alles ist vergebens versucht worden; erm�det ist der Zuspruch der Freunde, der Rath gro�er und dir verwandter M�nner; die Studien, ein vom Vater angeerbtes Gut, gehen mit vergeblichem und kaum f�r die kurze Zeit der Besch�ftigung mit ihnen wirkendem Troste an tauben Ohren vor�ber. Selbst jenes nat�rliche Heilmittel der Zeit, das selbst den gr��ten Kummer zu beschwichtigen pflegt, hat an dir allein seine Kraft verloren. (7.) Schon ist das dritte Jahr verstrichen, ohne da� inzwischen von jenem ersten Anfall Etwas nachgelassen hat; er erneuert sich und st�rkt t�glich die Trauer, er hat sich durch die L�nge der Zeit bereits ein Recht erworben und ist schon weit gediehen, da� er es f�r schimpflich h�lt, dich zu verlassen. Wie alle Fehler sich tief im Innern festsetzen, wenn sie nicht im Entstehen unterdr�ckt worden sind, so n�hrt sich auch diese Traurigkeit, dieses Elend, dieses W�then gegen sich selbst zuletzt durch seine Bitterkeit selbst, und der Schmerz wird f�r das ungl�ckselige Gem�th eine verkehrte Lust. (8.) Deshalb h�tte ich gew�nscht gleich in der ersten Zeit zu dieser Heilung schreiten zu k�nnen; mit leichteren Mitteln h�tte die noch[7] im Entstehen begriffene Gewalt beschr�nkt werden k�nnen, mit Anwendung gr��erer Kraft mu� gegen ein veraltetes Uebel k�mpfen. Denn auch die Heilung von Wunden ist leicht, wenn sie noch frisch vom Blute sind; da lassen sie sowohl sich brennen, als die Sonde tief eindringen, und nehmen die Finger der Untersuchenden auf; sind sie aber vernachl�ssigt zu einem b�sartigen Geschw�re geworden, so werden sie schwerer geheilt. Jetzt kann ich einem so unbeugsamen Schmerze nicht mehr mit Nachgiebigkeit und Gelindigkeit beikommen; er mu� gebrochen werden.
II. (1.) Ich wei�, da� Alle, die Einen ermahnen wollen, mit Lehren anfangen und mit Beispielen aufh�ren. Bisweilen [aber] ist es gerathen, diese Sitte zu �ndern; denn mit dem Einen mu� man anders verfahren, als mit dem Andern. Manche lassen sich durch Vernunftgr�nde leiten; Manchen mu� man ber�hmte Namen entgegenhalten und ein Ansehen, das den Geist des durch blendende Erscheinungen Betroffenem nicht sich selbst �berl��t. (2.) Zwei der gr��ten Muster sowohl deines Geschlechts als deiner Zeit will ich dir vor Augen stellen, das eine einer Frau, die sich dem Zuge ihres Schmerzes hingab, das andere einer solchen, die, von gleichem Unfall und noch gr��erem Schaden betroffen, dennoch dem Ungl�ck keine lange Herrschaft �ber sich gestattete, sondern ihr Gem�th schnell in seine [ruhige] Lage zur�ckversetzte. Octavia und Livia, jene die Schwester, diese die Gemahlin des Augustus verloren beide im J�nglingsalter stehende S�hne, beide in der sichern Hoffnung, da� sie einst Herrscher sein w�rden. (3.) Octavia den Marcellus, auf dessen Schultern sich der Oheim und Schwiegervater zu st�tzen, dem er die Last der Regierung aufzulegen begonnen hatte, einen J�nglinn feurigen Geistes und gewaltigen Talentes,[8] aber von einer bei solchem Alter und bei solchen Mitteln nicht wenig zu bewundernden Enthaltsamkeit und Selbstbeherrschung, Anstrengungen gewachsen, den Woll�sten abhold und bereit, Alles zu tragen, was der Oheim ihm auflegen und, mich so auszudr�cken, auf ihn bauen wollte. Er hatte sehr gut einen Grund gew�hlt, der keiner Last nachgeben w�rde. (4.) Die ganze Zeit ihres Lebens hindurch machte sie ihren Thr�nen, ihren Seufzern kein Ende, und lieh keinen Worten ihr Ohr, die etwas Heilendes brachten. Nicht einmal davon abrufen lie� sie sich; [nur] auf den einen Gegenstand achtend und mit ganzer Seele daran gefesselt, blieb sie ihr ganzes Leben lang so, wie sie beim Begr�bni� gewesen war, und geschweige, da� sie gewagt h�tte, sich zu erheben, verschm�hte sie es auch, sich aufrichten zu lassen, und hielt es f�r ein zweites Verwaistsein, sich der Thr�nen zu enthalten. Kein Bild des theuern Sohnes wollte sie besitzen, nie desselben Erw�hnung gethan h�ren. (5.) Sie ha�te alle M�tter und war besonders auf Livia w�thend, weil das ihr verhei�ene Gl�ck auf deren Sohn �bergegangen zu sein schien. Mit der Dunkelheit und Einsamkeit vertraut und selbst ihrem Bruder keinen Blick schenkend, verschm�hte sie die zur Feier von Marcellus Andenken verfa�ten Gedichte und andre Ehrenbezeigungen der Zuneigungen und verschlo� ihre Ohren jedem Troste. Sich zur�ckziehend von den herk�mmlichen Beileidsbezeugungen, und selbst das die Gr��e ihres Bruders allzusehr umgl�nzende Gl�ck hassend, vergrub und verbarg sie sich. W�hrend Kinder und Enkel bei ihr sa�en, legte sie doch das Trauerkleid nie ab, nicht ohne Beleidigung f�r alle die Ihrigen, bei deren bl�hendem Leben sie sich doch verwaist vorkam.
III. (1.) Livia hatte ihren Sohn Drusus verloren, der ein gro�er F�rst geworden sein w�rde und bereits ein gro�er Feldherr war. Er war tief in Germanien eingedrungen, und die R�mer hatten [unter ihm] ihre Fahnen da aufgepflanzt, wo es kaum bekannt war, da� es irgend welche R�mer gebe. Auf[9] dem Feldzuge war er als Sieger gestorben, indem die Feinde selbst ihm in seiner Krankheit Verehrung und gegenseitige Friedfertigkeit bewiesen und nicht zu w�nschen wagten, was ihnen [doch] frommte. Es begleitete seinen Tod, den er f�r den Staat erlitten hatte, das gr��te Bedauern der B�rgen, der Provinzen und ganz Italiens, durch welches, da alle Municipien und Colonien zu dem Trauerdienste herbeistr�mten, seine Leiche fast wie in einem Triumphzuge bis in die Stadt gef�hrt wurde. (2.) Der Mutter war es nicht verg�nnt gewesen, die letzten K�sse des Sohnes und die lieben Worte des sterbenden Mundes aufzufangen. Eine weite Strecke hatte sie die irdischen Ueberreste ihres Sohnes begleitet, aber, obgleich durch so viele in ganz Italien brennende Scheiterhaufen so aufgeregt, als m��te sie ihn eben so oft verlieren, begrub sie doch, sobald sie ihn in den Grabh�gel versenkte, mit ihm zugleich auch ihren Schmerz und trauerte nicht mehr, als es anst�ndig war beim [Tode] eines kaiserlichen Prinzen oder geb�hrend [gewesen w�re] beim [Tode] irgend eines Andern. Ferner h�rte sie nicht auf, den Namen ihres Drusus zu feiern, sich ihn �berall zu Hause und �ffentlich zu vergegenw�rtigen, sehr gern von ihm zu sprechen und von ihm sprechen zu h�ren, da kaum irgend ein Mensch das Andenken an einen Andern bewahren und �fters erneuern kann, der es sich zu einem traurigen gemacht hat. – (3.) W�hle also, welches von[10] diesen beiden Beispielen du f�r lobenswerther halten willst: willst du dem ersteren folgen, so schlie�est du dich aus der Zahl der Lebenden aus; du wirst sowohl gegen andere Kinder, als gegen deine eigenen Abneigung f�hlen und dich [blos] nach ihm sehend [allen] M�ttern als eine [Erscheinung von] traurigen Vorbedeutung entgegen treten. Ehrbare und erlaubte Freunden wirst du, als nicht anst�ndig genug f�r dein Geschick, zur�ckweisen, von einem dir verha�ten Leben wirst du festgehalten werden, erbittert gegen dein Alter, da� es dich nicht j�hlings vernichte und ein Ende machte, und was sehr schimpflich und deiner von einer bessern Seite bekannten Gesinnung ganz widersprechend ist, du wirst zeigen, da� du nicht leben magst und doch nicht sterben kannst. (4.) H�ltst du dich [dagegen] an das letztere [viel] gem��igtere und mildere Beispiel jener so gro�en Frau, so wirst du ohne Tr�bsal sein und dich nicht in Qualen abh�rmen. Denn welch' ein Unsinn ist es, sich selbst f�r sein Ungl�cklich zu strafen und seine Leiden zu vermehren! Du wirst die T�chtigkeit und Ehrbarkeit des Charakters, die du in deinem ganzen Leben behauptet hast, auch in diesem Falle bew�hren. Selbst bei der Trauer �ber jenen J�ngling gibt es ein gewisses Ma�; indem du immer von ihm redest, immer an ihn denkst, wird er dir die w�rdigste Ruhe verschaffen. Du wirst ihm eine h�here Stelle anweisen, wenn er seiner Mutter so, wie er es im Leben pflegte, heiter und mit Freude entgegen tritt.[11]
IV. Und ich will dich nicht zu h�rteren Vorschriften hinf�hren, da� ich dich Menschliches auf �bermenschliche Weise ertragen, da� ich am Begr�bni�tage die Augen der Mutter trocken bleiben hie�e; ich will dir selbst die Entscheidung �berlassen: das sei die Frage unter uns, ob der Schmerz gro� oder unaufh�rlich sein soll. Ich zweifle nicht, da� dir das Beispiel der Julia Augusta, die du als vertraute Freundin verehrt hast, besser gefallen wird. (2.) Diese lieh in der ersten Aufwallung, wo alle Tr�bsal am unertr�glichsten und heftigsten ist, dem Areus, dem Philosophen ihres Gatten, ihr Ohr und gestand, da� ihr dies sehr geholfen habe, mehr als das r�mische Volk, das sie durch ihre Traurigkeit nicht verstimmen wollte, mehr als Augustus, der, nachdem ihm diese eine St�tze entzogen war, wankte und nicht durch die Trauer der Seinen noch mehr gebeugt werden durfte, mehr als ihr Sohn Tiberius, dessen kindliche Liebe bewirkte, da� sie bei jenem bittern und von den V�lkern beweinte Todesfalle nur das eine empfand, da� die Zahl [ihrer S�hne] nicht mehr voll sei. Dies war, wie ich glaube, der Eingang, dies der Anfang seiner Rede an jene Frau, welche die sorgf�ltige H�tterin der guten Meinung war, in der sie stand: (3.) �Bis auf diesen Tag, Julia, hast du dir (wenigstens so viel ich, der best�ndige Begleiter deines Gemahls, wei� dem nicht blos bekannt ist, was vor's Publikum gebracht wird, sondern auch alle geheimeren Regungen eurer Herzen) stets M�he gegeben, da� sich Nichts an dir f�nde, was Jemand tadeln k�nnte.[12] Und dies hast du nicht nur bei wichtigeren Dingen beobachtet, sondern auch bei den geringf�gigsten, da� du nie Etwas thatest, wovon du h�ttest w�nschend da� der Ruf, der wortreichste Beurtheiler der Gro�en, es dir verzeihe. Und ich glaube, da� es nichts Sch�neres gebe, als da� die auf die h�chste H�he [des Lebens] Gestellten vielen Dingen Verzeihung schenken, f�r keines sie begehren. Daher mu�t du auch in diesem Falle deine Sitte beibehalten und dir Nichts erlauben, wovon du w�nschen m��test, da� es gar nichts oder anders geschehen w�re.�
V. (1.) �Sodann bitte und beschw�re ich dich, da� du dich gegen die Freunde nicht unzug�nglich und ungef�gig zeigest. Denn es kann dir nicht entgehen, da� diese alle nicht wissen, wie sie sich benehmen sollen, ob sie in deiner Gegenwart Etwas vom Drusus sprechen sollen, oder Nichts, damit nicht das Vergessen des herrlichen J�nglings eine Unbill gegen ihn, seine Erw�hnung [aber] gegen dich sei. Wenn wir uns zur�ckgezogen haben und beisammen sind, feiern wir seine Thaten und seine Worte mit der Bewunderung, die er verdient, in deiner Gegenwart beobachten wir ein tiefes Stillschweigen �ber ihn. (2.) So entbehrst du denn das Gr��te Vergn�gen, das Lob deines Sohnes, das du doch ohne Zweifel selbst mit Aufopferung deines Lebens, wenn es dir m�glich w�re, auf alle Zeiten verl�ngern m�chtest. Daher verstatte, ja veranlasse solche Gespr�che, in welchen von ihm erz�hlt wird, und leihe dem Namen und dem Ged�chtnisse deines Sohnes offne Ohren, und halte dies nicht f�r schwer nach der Sitte derer, die bei einem solchen Unfalle es f�r einen Theil des Ungl�cks halten, Trostworte zu h�ren. Jetzt hast du dich ganz auf die eine Seite gelegt, und dein besseres Loos vergessend, schaust du es nur von der Seite an, wo es schlimmer aussieht. (3.) Du denkst nicht an den [fr�heren] Umgang mit deinem Sohne und an sein erfreuliches Begegnen, nicht an seine kindlichen und s��en Schmeichelworte, nicht an seine Fortschritte in Kenntnissen, du h�ltst nur jene letzte Gestaltung der Dinge fest; auf sie h�ufst du, als w�re sie nicht schon an[13] sich schrecklich genug, Alles, was du nur kannst. Trachte doch nicht, ich beschw�re dich, nach dem ganz verkehrten Ruhme, f�r die Ungl�cklichste gehalten zu werden. Zugleich bedenke, da� es nichts Gro�es sei, sich in g�nstigen Verh�ltnissen stark zu zeigen, wenn das Leben in gl�cklicher Fahrt verl�uft; auch die Kunst des Steuermannes zeigt sich nicht bei ruhiger See und g�nstigem Winde; etwas Widerw�rtiges mu� eintreten, das den Muth bew�hre. Daher la� dich nicht werfen, nein im Gegentheil stelle dich festen Fu�es hin, und welche Last auch von oben �ber dich herf�llt, trage sie, nur durch ersten L�rm erschreckt. Durch Nichts wird der Unwille des Geschickes gr��er als durch Gleichmuth.� Hierauf verweist er sie auf den noch lebenden Sohn und die vom Verlorenen gezeugten Enkel.
VI. Deine Sache, Marcia, ist damals verhandelt worden, an deiner Seite hat Areus gesessen; ver�ndre die Person, und er hat dich getr�stet. Doch glaube [immer], es sei dir mehr entrissen worden, als je eine Mutter verloren hat, (ich schone dich nicht, ich verkleinere deinen Unfall nicht): wenn das Geschick durch Thr�nen besiegt wird, so la� sie uns vereinigten, der ganze Tag gehe unter Trauerklagen dahin, auch die ohne Schlaf verrinnende Nacht m�ge die Trauer ausf�llen; la� uns Hand anlegen an die zerkratzte Brust, selbst gegen das Antlitz geschehe ein Abgriff und in jeder Art der Grausamkeit versuche sich die Traurigkeit, wenn sie nur Etwas [dadurch] erreicht. (2.) Wenn aber die Gestorbenen durch kein Zerschlagen der Brust zur�ckgerufen werden, wenn das unbewegliche und in Ewigkeit feststehende Geschick durch kein Jammern ge�ndert wird und der Tod Alles, was er dahingerafft hat, [zur�ckzugeben] verweigert, so h�re der Schmerz auf, der [ja doch] verloren ist. Daher wollen wir uns beherrschen lassen, und jene Gewalt soll uns nicht querfeldein mit sich fortrei�en. Das ist ein schm�hlicher Lenker eines Schiffes, dem die Fluthen das Steuer entrei�en, der die flatternden[14] Segel verl��t und das Fahrzeug dem Wind und Wetter preisgibt; der aber ist selbst beim Schiffbruch zu preisen, den das Meer begr�bt, w�hrend er das Steuerruder festh�lt und sich gegen [die Wogen] stemmt.
VII. �Aber die Sehnsucht nach den Seinigen ist doch etwas [ganz] Nat�rliches,� Wer leugnet es, so lange eine m��ige ist? denn [schon] ein Weggang, nicht blos der Verlust der uns Theuersten thut nothwendig weh und pre�t auch die festesten Herzen zusammen. Allein was die Einbildung hinzuf�gt, ist mehr, als was die Natur geboten hat. Siehe, wie heftig bei den unvern�nftigen Thieren die Sehnsucht nach ihren Verlornen ist, und dennoch wie kurz. Man h�rt das Gebr�ll der K�hne einen und noch einen zweiten Tag lang, und nicht l�nger dauert auch das unst�te und unsinnige Hin- und Herlaufen der Stuten. Das Wild, wenn es die Spur der Jungen verfolgt und die W�lder durchirrt hat, wenn es mehrmals zu der ausgeraubten Lagerst�tte zur�ckgekehrt ist, stillet dennoch seine Wuth in kurzer Zeit. (2.) Die V�gel umrauschen ihre ausgeleerten Nester mit gewaltigen Gezwitscher; jedoch in einem Augenblick beruhigt, beginnen sie wieder ihre gew�hnlichen Ausfl�ge. Bei keinem lebendem Gesch�pfe nach den verlornen Jungen von langer Dauer, als bei dem Menschen, der seinem Schmerze nachh�ngt und nicht blos in dem Ma�e davon ergriffen wird, als er ihn [wirklich] f�hlt, sondern als er ihn zu f�hlen sich vorgenommen hat. Um dich aber zu �berzeugen, da� es nicht naturgem�� sei, sich durch Trauer niederschlagen zu lassen, [so beachte, da�] derselbe Verlust mehr die Frauen, als die M�nner, mehr Barbaren, als Leute einer gelassenen und gebildeten Nation, Ungebildete mehr, als Gebildete verwundet. Und so behauptet denn das, was seine Kraft von der Natur empfangen hat, dieselbe auch in allen F�llen. (3.) Es ist offenbar, da� nicht naturgem�� ist, was sich �fters �ndert. Das Feuer wird jedes Lebensalter, B�rger jeder Stadt, sowohl M�nner als Weiber, [gleichm��ig] brennen; das Eisen wird an jedem K�rper seine[15] Kraft zu zerschneiden bew�hren; weshalb? weil ihm seine Kr�fte von der Natur verliehen sind, die keine R�cksicht auf Personen nimmt. Armuth [aber], Trauerf�lle, Ehrgeiz empfindet der Eine so, der Andere anders, je nachdem die Gewohnheit ihn damit vertraut gemacht hat, und das schreckende Vorurtheil in Bezug auf Dinge, die nicht zu f�rchten sind, macht ihn schwach und unf�hig zum Ertragen.
VIII. (1.) Sodann nimmt, was nat�rlich ist, durch die Dauer nicht ab; den Schmerz [aber] verzehrt die lange Zeit. Mag er noch so hartn�ckig sein, sich t�glich [neu] erheben und gegen die Heilmittel aufbrausen, dennoch entnervt ihn die Zeit, das wirksamste Mittel den Trotz zu b�ndigen. Zwar h�lt bei dir, o Marcia, auch jetzt noch die heftige Trauer an und scheint [gleichsam] schon eine harte Haut bekommen zu haben, zwar nicht so aufgeregt, wie sie bei Jener war, aber [doch] hartn�ckig und eigensinnig; und dennoch wird auch sie die Zeit nach und nach dir abnehmen. (2.) So oft du etwas Anderes thust, wird sich dein Gem�th erholen: jetzt hast du nur dich selbst im Auge; es ist aber ein gro�er Unterschied, ob du dir zu trauen erlaubst oder gebietest. Um wie viel mehr aber geziemt es der Sch�nheit deines Charakters, der Trauer lieber ein Ende zu machen, als es abzuwarten, und nicht auf den Tag zu harren, wo der Schmerz wider deinen Willen aufh�rt? Entsage ihm selbst.
IX. (1.) �Woher also r�hrt bei uns die gro�e Hartn�ckigkeit in dem Beklagen unsres Zustandes, wenn es nicht auf Gehei� der Natur geschieht?� [Daher], weil wir uns kein Uebel vorstellen, ehe es eintritt, sondern, als ob wir selbst sicher und ruhiger, als Andre, unsre Stra�e gingen, durch fremde Unf�lle und nicht daran erinnern lassen, da� sie allgemeine sind.[16] So viele Leichenz�ge gehen an unserm Hause vor�ber, und wir denken [doch] nicht an den Tod; es [ereignen sich] so viele herbe Todesf�lle, und wir besch�ftigen uns in Gedanken mit der Toga unsrer Kinder, mit ihrem Kriegsdienste und mit ihrem Antritt der v�terlichen Erbschaft; so vieler Reichen pl�tzliche Verarmung f�llt uns in die Augen, und [doch] kommt es uns nie in den Sinn, da� auch unser Verm�gen auf eben so schl�pfrigem Boden steht. (2.) Nothwendig m�ssen wir daher um so mehr zusammenst�rzen, wenn wir gleichsam unvermuthet einen Schlag bekommen. Was man lange vorher [in Gedanken] durchlaufen hat, �berf�llt Einen nicht so pl�tzlich. Willst du dich �berzeugen, da� du allen Schl�gen [des Schicksals] ausgesetzt dastehst, und da� die Geschosse, welche Andere getroffen haben, auch dich umrauscht haben? Als ob du dich unbewaffnet einer Mauer oder einem von vielen Feinen besetzten und schwer zu ersteigenden Orte n�hertest, erwarte eine Wunde und denke dir [alle] jene mit Pfeilen und Wurfspie�en zugleich von oben herabfliegenden Steine als gegen deinen K�rper geschleudert. So oft sie dir zur Seite oder hinter deinem R�cken niederfallen, so rufe aus: �Du t�uschest mich nicht, Schicksal, und wirst mich nicht als sorglos unachtsam �berraschen; ich wei�, was du im Schilde f�hrst; einem Andern zwar hast du getroffen, aber auf mich es abgesehen.� (3.) Wer hat je seine Habe angeblickt, als ob er sterben werde? wer von Euch hat je an Verbannung, an Armuth, an Todesf�lle zu denken gewagt? wer, der daran erinnert wird, weist es nicht wie eine gr��liche Vorbedeutung[17] von sich ab und hei�t es auf das Haupt seiner Feinde oder des l�ssigen Mahners selbst �bergeben? �Ich habe nicht geglaubt, da� es geschehen werde.� Wie? du glaubst nicht, da� es geschehen werde, da du doch wei�t, da� es bei Vielen geschehen kann, und siehst, da� es schon Vielen begegnet ist? [h�re] einen herrlichen und eines Verfassers wie Publius w�rdigen Vers:
Was Einem kann begegnen, kann's auch Jedermann.
Jener hat Kinder verloren; auch du kannst sie verlieren. Jener ist verurtheilt worden; auch deiner Unschuld droht ein Schlag. Der Schrecken t�uscht uns, er verweichlicht uns, wenn wir Etwas erleiden, wovon wir nie ahnten, da� wir es erleiden k�nnten. Wer [aber] in die Zukunft hinausschaut, der entzieht dem Uebel, wenn es da ist, seine Kraft.
X. Was es auch sein mag, o Marcia, was um uns her als von Au�en uns zugefallen gl�nzt, Kinder, Ehrenstellen, Reichth�mer, ger�umige Vors�le und von der Schaar nicht eingelassener Clienten wimmelnde Vorh�fe, eine ber�hmte, vornehme oder sch�ne Gattin und das Uebrige, was vom unsichern und ver�nderlichen Gl�ck abh�ngt, alles das ist fremder und uns [nur] geliehener Prunk. Nichts davon wird uns als Geschenk gegeben; [nur wie] mit zusammengeliehenem und zu seinem Eigenth�mer wiederzur�ckkehrendem Ger�th wird die B�hne [des Lebens] geschm�ckt. (2.) Das Eine davon wird am ersten, das Andere am zweiten Tage wieder fortgetragen werden, [nur] Weniges wird und bis zu Ende verbleiben. Daher haben keine Ursache uns zu br�sten, als s��en wir in unserm Eigenthum; wir haben es [blos] geliehen bekommen. Die Nutznie�ung ist unser; auf[18] wie lange Zeit, bestimmt der, welcher Herr �ber sein Geschenk ist; wir m�ssen bereit haltet, was uns auf einen unbestimmten Termin gegeben ward und es, aufgefordert, ohne Klage zur�ckgeben. Es verr�th den schlechtesten Schuldner, seinen Gl�ubigern Grobheiten zu sagen. Daher m�ssen wir alle die Unsrigen, sowohl die, von welchen wir nach dem Gesetz der Geburt w�nschen, da� sie uns �berleben m�gen, als auch die, deren gerechtester Wunsch es ist, uns voranzugehen, so lieben, als sei uns �ber ihren best�ndigen, ja selbst �ber ihren langen Besitz Nichts zugesagt. (3.) Immer m�ssen wir unser Herz daran erinnern, da� es [jene Dinge] liebe, wie solche, die wieder entweichen wer den, ja die schon bereits entweichen. Alles, was das Gl�ck dir gegeben hat, besitze, wie Etwas, das keinen berechtigten Eigenth�mer hat. Erhaschet die Gen�sse des Kinderbesitzes, gebet euch dagegen euern Kindern zu genie�en hin, und sch�pfet ohne Aufschub jede Freude. [Selbst] f�r die heutige Nacht wird euch keine B�rgschaft gegeben; ich habe schon eine zu lange Frist gesetzt, keine f�r die jetzige Stunde. Es gibt zu eilen; schon steht [der Tod] im R�cken, gleich wird dieses Gefolge sich zerstreuen, gleich wird sich [das Band] dieser Genossenschaft auf den sich erhebenden Ruf [zum Aufbruch] l�sen. (4.) Alle Dinge sind durch Raub erworben, [und] ihr Ungl�cklichen versteht nicht auf der Flucht zu leben? Wenn es dich schmerzt, da� dir der Sohn gestorben ist, so ist die� ein Vorwurf gegen die Zeit, wo er geboren wurde; denn der Tod wurde ihm [schon] bei der Geburt angek�ndigt. Auf diese Bedingung hin wurde er dir gegeben; die� Geschick verfolgte ihn gleich von Mutterliebe an. Unter die Herrschaft des Schicksals, und zwar eine harte und unwiderstehliche, sind wir gekommen, um nach seiner Willk�r Verdientes und Unverdientes zu erdulden. Unserm K�rper wird es auf z�gellose, schm�hliche und grausame Weise mitspielen; die Einen wird es mit Feuer brennen, sei es zur[19] Strafe, sei es Heilung angewendet, Andere wird es in Fesseln schlagen, und die� bald einem Feinde, bald einem Mitb�rger gestatten; Andere wird es nackt auf unsichern Meeren herumwerfen und, nachdem, nachdem sie mit den Fluthen gerungen, nicht einmal auf eine Sandbank oder das Ufer auswerfen, sondern in dem Bauche eines riesigen Seethieres begraben. Andere wird es, von Krankheiten verschiedener Art abgezehrt, lange mitten zwischen Leben und Tod schweben lassen. (3.) Wie eine ver�nderliche und eigensinnige Herrin, die ihre Sklaven vernachl�ssigt, wird es in Strafen und Belohnungen irren. Was braucht man einzelne Theile zu beweinen? Das ganze Leben ist beweinenswerth. Neue Widerw�rtigkeiten werden dich qu�len, ehe du den alten Gen�ge gethan. Daher ist Ma� zu halten, besonders von euch Frauen, die ihr [Leiden] ertraget, ohne euch zu m��igen, und das menschliche Herz zwischen Furcht und Schmerzen zu theilen.
XI. (1.) Wie kann man doch seine eigenen und die allgemeinen Verh�ltnisse so vergessen? Sterblich bist du geboren, Sterbliche hast du zur Welt gebracht; du, ein morscher und hinf�lliger Leib, und wiederholt von Krankheiten heimgesucht, glaubst in einem so schw�chlichen Stoffe etwas Festes und Ewiges zu tragen? Dein Sohn ist gestorben, d.h. er ist an das Ziel gelangt, dem Alle zueilen, die du f�r gl�cklicher h�ltst, als deine Leibesfrucht. Dahin wandert, [nur] ungleichen Schrittes, jener ganze Haufe, der auf dem Marktplatz in Prozessen streiten, in den Theatern sitzt, in den Tempeln betet. (2.) Sowohl was du liebst, als was du verachtest, wird, zu Asche geworden, einander gleich werden. Darauf zielt jene Aufschrift des Pythischen Orakels: �Lerne dich kennen.� Was ist der Mensch? ein herumgesch�tteltes, von jedem Sto� zerbrechliches Gef��; keines heftigen Sturms bedarf es und du zerschellest. Wo du irgend anst��est, da f�llst du auseinander. Was ist der Mensch? ein schwacher, zerbrechlicher K�rper, nackt, seiner Natur[20] nach wehrlos, fremder H�lfe bed�rftig, jeder Mi�handlung des Schicksals preisgegeben, und, hat er auch seine Arme [noch so] gut ge�bt, [dennoch] das Opfer jeder Bestie, aus schwachem und lockerem Stoffe zusammengewebt, und [nur] den �u�ern Umrissen nach sch�n anzuschauen, [aber] K�lte, Hitze, Anstrengung zu ertragen unf�hig, [schon] durch das ruhige Daliegen und Nichtsthun selbst der Verwesung entgegengehend, seine eigenen Nahrungsmittel f�rchtend, da er bald durch ihren Ueberflu�, bald durch ihren Mangel zu Grunde geht, ein Gegenstand �ngstlicher und besorgter Hut, mit erbetteltem und leicht stockendem Athem, den ihm ein den Ohren unertr�glichen Ton, wenn er ihn etwas pl�tzlich und unvermuthet h�rt, benimmt, f�r sich allein nur stets ein sch�dliches und nutzloses Nahrungsmittel. (3.) Und da wundern wir uns �ber den Tod eines Einzigen, den doch Jeder erleiden mu�? Ist es denn etwa eine Sache gro�er Anstrengung, da� er zusammenfalle? [Schon] Geruch und Geschmack und Erm�dung und Nachtwachen und Trank und Speise und [Alles], ohne was er nicht leben kann, ist t�dtlich f�r ihn. Wohin er sich bewegt, wird er sich sogleich seiner Schwachheit bewu�t, da er nicht jedes Klima zu ertragen f�hig ist, durch ihm neues Wasser, durch das Wehen eines Luftzugs, an den er nicht gew�hnt ist, durch die geringf�gigsten Ursachen und Anst��e kr�nkelnd, morsch, gebrechlich, mit Weinen in's Leben eingetreten – und doch welchen L�rm erregt dabei die� so verachtete Gesch�pf? auf welche Gedanken ger�th es, seiner Natur vergessend? Unsterbliches, Ewiges bewegt er in seinem Geiste und trifft Anordnungen f�r Enkel und Urenkel, w�hrend ihn, indem er so weitgreifende Pl�ne entwirft, der Tod �berrascht; und was man Greisenalter nennt, ist der Kreislauf weniger Jahre.
XII. (1.) Ber�cksichtigt dein Schmerz, o Marcia, wenn er[21] �berhaupt einen �berlegten Grund hat, das eigene Ungemach, oder das des Dahingeschiedenen? Regt er sich bei dem Verlust deines Sohnes darum, weil du von ihm keinen Genu� gehabt hast, oder weil du einen gr��eren h�ttest haben k�nnen, wenn er l�nger gelebt h�tte? Sagt du, du habest keinen gehabt, so machst du dadurch deinen Verlust ertr�glicher, denn die Menschen sehnen sich weniger nach dem, wovon sie keine Freude, keine Wonne genossen haben. Gestehst du aber, du habest gro�e Freunden [durch ihn] genossen, so darfst du nicht dar�ber klagen, was dir entzogen worden ist, sondern danken, was du geerntet hast. (2.) Denn ein gro�er Lohn f�r deine Bem�hungen ist dir aus der Erziehung selbst erwachsen: es m��te denn sein, da� [blo�] die, welche junge Hunde und V�gel und [andere] fade Erg�tzlichkeiten mit gr��ter Sorgfalt pflegen, durch das Anschauen, das Betasten und die schmeichelnden Liebkosungen unvern�nftiger Gesch�pfe ein gewisses Vergn�gen gen�ssen, f�r die aber, die Kinder aufziehen, nicht schon die Erziehung selbst ein Lohn der Erziehung w�re. M�chte dir daher auch seine Th�tigkeit Nichts eingetragen, seine Sorgfalt Nichts bewahrt, seine Klugheit Nichts gerathen haben: [schon] da� du ihn hattest, da� du ihn liebtest, ist ein Genu�, �Aber [sagst du,] er h�tte l�nger und gr��er sei k�nnen.� (3.) Dein Loos war dennoch besser, als wenn er dir gar nichts zu Theil geworden w�re, weil, wenn Einem die Wahl gelassen wird, ob es besser sei, nicht lange gl�cklich zu sein, oder [�berhaupt] niemals, es doch besser ist, da� Einem ein einst wieder entschwindendes Gl�ck zu Theil wird, als gar keins. M�chtest du wohl lieber einen ungerathenen Sohn gehabt haben, der nur die Zahl und den Namen eines Sohnes ausgef�llt h�tte, als einen von solchem Charakter, wie der deinige war? Ein J�ngling, fr�h verst�ndig, fr�h liebevoll, fr�h Gatte, fr�h Vater, fr�h jeder Pflicht beflissen, fr�h Priester, Alles gleichsam j�hlings. (4.)[22] Fast Keinem werden gro�e und [zugleich] lang dauernde G�ter zu Theil; nur ein allm�hliges Gl�ck hat Dauer und bleibt bis an's Ende. Weil dir die G�tter deinen Sohn nicht auf lange Zeit geben wollten, so gaben sie dir ihn gleich so, wie man [nur] in langer Zeit werden kann. Auch das nicht einmal kannst du sagen, du seiest von den G�ttern dazu auserlesen gewesen, deinen Sohn nicht genie�en zu k�nnen. La� deine Blicke durch den ganzen zahlreichen Kreis von Bekannten und Unbekannten schweifen: �berall werden die Leute begegnen, die noch Gr��eres erduldet haben. Das haben gro�e Feldherrn, das haben F�rsten erfahren; selbst die G�tter hat die Sage nicht verschont gelassen, ich glaube, damit es bei unsern Todesf�lle ein Linderungsmittel sein sollte, da� auch das G�ttliche zusammenst�rze. (5.) Blicke umher auf Alle, sage ich, du wirst mir kein ungl�ckliches Haus nennen k�nnen, das nicht in einem noch ungl�cklicheren seinen Trost f�nde. Wahrhaftig, ich denke von deinem Charakter nicht so schlecht, da� ich glaubte, du k�nntest deinen Unfall leichter ertragen, wenn ich dir die gewaltige Zahl von Trauernden vorf�hrte: die gro�e Menge der �ngl�cklichen ist eine Art von schadenfrohem Trost; Einige aber will ich dennoch anf�hren, nicht damit du einsehest, da� die� den Menschen zu treffen pflege – denn es ist l�cherlich, Beispiele der Sterblichkeit zusammen zu suchen – sondern damit du dich �berzeugest, es habe Viele gegeben, die ein hartes Schicksal durch [geduldiges] Ertragen milder machten. Bei dem Gl�cklichsten will ich beginnen. (6.) Lucius Sulla verlor einen Sohn; und dieser Umstand hat weder seinem Kriegsdienste und seiner so hitzigen Tapferkeit gegen Feinde und Mitb�rger Abbruch gethan, noch bewirkt, da� man geglaubt h�tte, er habe sich jenen Beinamen, den er [erst] nach Verlust seines Sohnes annahm, noch bei Lebzeiten desselben beilegen lassen; und er f�rchtet dabei weder den Ha� der Menschen, auf deren Ungl�ck sein allzu gro�es Gl�ck sich gr�ndete, noch den Neid der[23] G�tter, die ihm gerade das zum Vorwurf machten, Sulla sei so gl�cklich. Doch die� m�ge als eine der noch unentschiedenen Fragen uner�rtert bleiben, von welchem Charakter Sulla gewesen sei; selbst seine Feinde aber werden eingestehen, da� er die Waffen geschickt ergriffen, geschickt niedergelegt habe. Das, wovon hier gehandelt wird, bleibt ausgemacht, was auch �ber die Gl�cklichsten kommt, sei nicht das gr��te Uebel.
XIII. (1.) Da� Griechenland jenen Vater nicht mehr allzusehr bewundert, der, als ihm bei einem Opfer der Tod seines Sohnes gemeldet wurde, nur dem Fl�tenbl�ser zu schweigen befahl und den Kranz vom Haupte nahm, das Uebrige [aber] dem Herkommen gem�� vollf�hrte, hat der Pontifex Pulvillus bewirkt, dem, w�hrend er den Tempelpfosten hielt und das Capitol einweihte, der Tod seines Sohnes gemeldet wurde; er that, als ob er es gar nicht geh�rt h�tte, und sprach die feierlichen Worte der Weiheformel, ohne da� ein Seufzer sein Gebet unterbrach, und beim Namen seines Sohnes flehte er um Jupiters Gnade. Man sollte glauben, eine solche Trauer m�sse wohl ein Ende finden, deren erster Tag, deren erster Ueberfall einen Vater von dem �ffentlichem Altare und dem Segen erflehenden Gebete nicht entfernte. (2.) Wahrhaftig, dieser Mann war w�rdig der merkw�rdigen Tempelweihe, w�rdig des angesehnsten Priesteramtes, der selbst die erz�rnten G�tter zu verehren nicht ablie�. Derselbe lie� zwar, als er nach Hause zur�ckgekehrt war, Thr�nen seine Augen netzten und stie� einige Klageworte aus, als jedoch vollbracht war, was die Sitte den Todten zu leisten gebot, nahm er die Miene vom Capitol wieder an. Paullus gab in den[24] Tagen jenes so ber�mten Triumphes, bei welchem er den Perseus gefesselt vor seinem Wagen herf�hrte, zwei S�hne als Adoptivkinder ab: die, welche er f�r sich behalten, trug er zu Grabe. Von welcher Art, glaubst du, da� er Zur�ckbehaltenen gewesen, da unter den Abgegebenen Scipio war? (3.) Nicht ohne R�hrung sah das r�mische Volk des Paullus Wagen leer; er jedoch hielt seine Rede an's Volk und dankte den G�ttern, da� er Gew�hrung seines Wunsches erhalten; er hatte n�hmlich gefleht, da�, wenn seines ungeheuern Sieges wegen dem Neide Etwas zu entrichten sei, dies lieber mit seinem, als mit des Staates Nachtheil bezahlt werden sollte. Siehst du, mit welchem gro�en Geiste er [sein Schicksal] ertrug? Er hat sich seiner Kinderlosigkeit wegen Gl�ck gew�nscht. Und wen konnte eine so gro�e Wandelung mehr ergreifen? Trost und St�tze verlor er zugleich; und doch hatte Perseus nicht die Freude, den Paullus traurig zu sehen.
XIV. Wozu soll ich dich nun durch die unz�hligen Beispiele gro�er M�nner hindurchf�hren und Ungl�ckliche aufsuchen, als ob es nicht schwerer w�re, Gl�ckliche zu finden? Denn wie viele H�user haben wohl bis an's Ende in allen ihren Theilen festgestanden, ohne da� nicht irgend eine St�rung darin vorgefallen w�re? Nimm das erste beste Jahr und rufe die obrigkeitlichen Personen aus ihm vor, (2.) den Marcus Bibulus, wenn du willst, und den Cajus C�sar, und du wirst bei den einander feindseligsten Amtsgenossen ein �bereinstimmendes Schicksal sehen. Dem Marcus Bibulus, einem mehr guten als tapfern, Manne, wurden zugleich zwei S�hne get�dtet, die der Kurzweil eines Aegyptischen[25] Soldaten zum Opfer fielen, so da� nicht weniger, als der Verlust der S�hne selbst, auch der Urheber desselben eine gerechte Veranlassung zu Thr�nen war. Bibulus jedoch, der sich das Ganze Jahr seines Ehrenamtes hindurch der Mi�gunst seines Amtsgenossen wegen zu Hause verborgen gehalten hatte, ging den Tag darauf, nachdem ihm der doppelte Todesfall gemeldet worden war, an seine gewohnten Amtsgesch�fte. (3.) Konnte er zwei S�hnen weniger als einen Tag widmen? So schnell endete derselbe Mann die Trauer um seine Kinder, der ein [ganzes] Jahr lang um den Staat getrauert hatte. Cajus C�sar h�rte, als er Britannien durchzog und sein Gl�ck [selbst] nicht vom Ocean beschr�nkt wissen mochte, da� seine Tochter gestorben sei, an die sich das Schicksal des Staates kn�pfte. Schon hatte er den Cnejus Pompejus in's Auge gefa�t, der es nicht gleichg�ltig mit ansehen w�rde, da� noch ein Anderer in Staate gro� sei, und der dem Wachsthum des Andern, das ihm l�stig erschien, Schranken setzen w�rde, wenn sie auch mit einander [an Einflu�] wuchsen: und dennoch hat er sich nach drei Tagen seinen Feldherrngesch�ften wieder unterzogen und den Schmerz ebenso schnell besiegt, wie er Alles zu besiegen pflegte.
XV. (1.) Was soll ich dir die Todesf�lle in den Familien anderer C�saren [Kaiser] aufz�hlen? Ich glaube, da� das Schicksal sie deshalb zuweilen verwundet, damit sie auch so dem Menschengeschlecht n�tzen, indem sie zeigen, da� auch sie, welche G�tters�hne und G�tterzeuger genannt werden, ihr eigenes Schicksal nicht so in ihrer Gewalt haben, wie das Anderer. (2.) Der[26] verg�tterte Augustus hat nach Verlust seiner Kinder und Enkel, nachdem die zahlreiche Kaiserfamilie ausgestorben war, dem ver�deten Hause durch Adoption neue St�tzen gegeben. Er ertrug es jedoch standhaft, wie Einer, um dessen Sache es sich schon jetzt handelte und dem sehr viel daran gelegen sein mu�te, da� Niemand sich �ber die G�tter beklagte. Der Kaiser Tiberius verlor beide S�hne, sowohl den selbst erzeugten, als den adoptirten; er selbst hielt jedoch auf der Rednerb�hne seinem Sohne eine Lobrede, stand im Angesichte des vor ihm aufgestellten Leichnams, nur da� eine H�lle dar�ber geworfen war, welche den Blick des Pontifex von der Leiche abhalten sollte, und verzog, w�hrend das Volk Thr�nen vergo�, keine Miene; er gab dem ihm zur Seite stehenden Sejanus den Beweis, wie standhaft er den Verlust der Seinen ertragen k�nne. (3.) Siehst du nun, welche Menge der gr��ten M�nner es gibt, mit welchen jenes Alles niederwerfende Geschick keine Ausnahme machte, obgleich so viele G�ter der Seele, so viele Zierden des �ffentlichen, wie des Privatlebens auf sie geh�uft waren? So aber, siehst du wohl, nimmt jener Sturm seinen Kreislauf und verheert ohne Auswahl Alles und f�hrt er mit sich fort, wie das Seinige. Hei�e alle Einzelnen ihr Loos vergleichen: Keinem ist das g�nstige gefallen, straflos geborgen zu werden.
XVI. (1.) Ich wei�, was du sagen wirst: �Du hast vergessen, da� du ein Weib tr�stet: du z�hlst mir Beispiele von M�nnern auf.� Wer aber hat je behauptet, die Natur sei mit den Gem�thern der Frauen mi�g�nstig verfahren und habe ihre Tugenden[27] auf enge Grenzen beschr�nkt? Sie haben, glaube mir, gleiche Kraft, gleiche F�higkeit zu dem Sittlichguten, wenn sie nur wollen; Schmerz und Anstrengungen ertragen sie, wenn sie sich daran gew�hnt haben, auf gleiche Weise. In welcher Stadt, gute G�tter, spreche ich dies? in der, wo Lucretia und Brutus einen den H�uptern der R�mer drohenden K�nig gest�rzt haben; dem Brutus verdanken wir die Freiheit, der Lucretia den Brutus; wo wir die Cl�lia, die Feind und Strom verachtete, ihrer ausgezeichneten K�hnheit wegen beinahe unter die M�nner rechnen. Auf einer Bilds�ule zu Rosse sitzend an der heiligen Stra�e, an einem stark besuchten Platze, macht Cl�lia unsern jungen M�nnern, die auf das Polster [der S�nften] steigen, Vorw�rfe, da� sie in derselben Stadt so ihren Weg machen, wo wir selbst Frauen mit einem Rosse beschenkt haben. (2.) Willst du, da� ich dir Beispiele von Frauen aufz�hle, die den Verlust der Ihrigen standhaft ertragen haben, so brauche ich sie nicht von Haus zu Haus aufzusuchen: aus Einer Familie will ich dir zwei Cornelien nennen; zuerst die Tochter Scipio's, die Mutter der Gracchen. Sie hat sich die Erinnerung an zw�lf Geburten durch ebensoviele Leichen zur�ckgerufen; und war dies auch bei den �brigen ein Leichtes, deren Geburt sowohl, als deren Verlust der Staat nicht merkte, so hat sie [doch auch] den Tiberius und Cajus Gracchus, von denen selbst derjenige, der sie nicht f�r gute M�nner erkl�rt, doch gestehen wird, da� sie gro�e waren, get�dtet und unbegraben gesehen; und dennoch sagte sie zu denen, die sie tr�sten und ungl�cklich nannten: �Nie werde ich mich ungl�cklich nennen, da ich die Gracchen geboren habe.� (3.) Cornelia, die Gattin des Livius Drusus, hatte [ihren Sohn], einen ausgezeichneten jungen[28] Mann von vortrefflichen Anlagen, der auf den Fu�stapfen der Gracchen einherschritt, und nach so manchen unausgef�hrten Gesetzvorschl�gen in seinem eigenen Hause ermordet wurde, verloren, ohne da� man den Urheber des Mordes kannte: dennoch hat sie den nicht blos bittern, sondern auch unger�chten Tod ihres Sohnes mit demselben hohen Geiste ertragen, in welchem er seine Gesetzvorschl�ge gemacht hatte. Nun wirst du dich mit dem Schicksal auss�hnen, Marcia, wenn es die Pfeile, die es gegen die Scipionen und der Scipionen M�tter und S�hne absendete, und die es auf die Kaiser richtet, auch gegen dich nicht zur�ckhielt. (4.) Voll und angefochten von mancherlei Unf�llen ist das Leben: Niemand hat lange Frieden vor ihnen, kaum einen Waffenstillstand. Vier Kinder hast du geboren, Marcia: kein Gescho�, sagt man, f�llt vergebens, wenn es gegen einen dichtgedr�ngten Haufen abgeschossen wurde. Ist es ein Wunder, wenn eine solche Anzahl nicht ohne Anfechtung und Verlust davon kommen konnte? �Aber darin [sagst du,] war das Schicksal unbilliger, da� es [mir] die S�hne nicht blos genommen, sondern herausgelesen hat.� Niemals jedoch wird man es ein Unrecht nennen k�nnen, zu gleichen Theilen mit einem M�chtigern theilen zu m�ssen. Zwei T�chter hat es dir gelassen und die Enkel von ihnen, und selbst den, welchen du, des fr�her [Dahingeschiedenen] vergessend, am meisten betrauerst, hat es dir nicht ganz genommen; du hast zwei T�chter von ihm, die, wenn du [den Verlust] unwillig ertr�gst, eine gro�e Last, wenn du ihn willig ertr�gst, ein gro�er Trost f�r dich sind. [Das Schicksal] f�hrte dich dahin, da� du, wenn du sie erblicktest, an deinen Sohn, aber nicht an deinen Schmerz erinnert werden solltest. (5.) Wenn einem Landmanne B�ume zu Grunde gegangen sind, die entweder der Sturm mit[29] den Wurzeln ausgerissen, oder ein Wirbelwind durch einen pl�tzlichen Anfall abgeknickt hat, so hegt er die �briggebliebenen Sprossen, oder steckt von den verlornen sogleich wieder Samen und Pflanzen, und im Augenblicke (denn die Zeit ist wie zur Vernichtung so zum Wachsthum rei�end schnell) wachsen sie fr�hlicher, als die verlornen, empor. (6.) So setze denn nun diese T�chter deines Metilius an seine Stelle un f�lle [durch sie] die leere Stelle aus. Lindre dir den einen Schmerz durch doppelten Trost. Freilich ist die Natur der Sterblichen so, da� ihnen Nichts mehr gef�llt, als was verloren ist; aus Sehnsucht nach dem uns Entrissenen sind wir unbilliger gegen das uns Verbliebene; wenn du aber erw�gen willst, wie schonend das Schicksal mit dir verfahren ist, auch als es w�thete, so wirst du dich �berzeugen, da� du mehr als Trost besitzest: blicke auf die vielen Enkel und auf deine beiden T�chter.
XVII. (1.) Sage dir auch Folgendes, Marcia: �Es w�rde mir zu Gem�the gehen, wenn das Schicksal eines Jeden seinen Sitten entspr�che und niemals Leiden die Guten verfolgten: nun aber sehe ich, da� ohne allen Unterschied B�se und Gute auf dieselbe Weise herumgeschleudert werden. Dennoch ist es hart, einen J�nglings zu verlieren, den man erzogen und der schon der Mutter, schon dem Vater eine St�tze und Zierde geworden war.� Wer leugnet denn, da� es hart sei? aber es ist Menschenloos. Dazu bist du geboren, da� du verlierst, da� du vergehest, da� du hoffest, f�rchtest, Andere und dich selbst beunruhigst, den Tod sowohl f�rchtest, als w�nschest und, was das Schlimmste ist, nie wissest, wie dein eigentlicher Zustand sei. (2.) [Es ist, als] wenn man zu Einem, der nach Syrakus reisen will, sagte: �Lerne erst alle Beschwerden und alle Annehmlichkeit deiner bevorstehenden Reise kennen, und dann segle ab. Was du bewundern k�nntest, ist Folgendes: Zuerst wirst du die Insel selbst sehen, wie sie durch eine enge Stra�e von Italien losgerissen ist, mit dessen Festland sie, wie bekannt ist, einst zusammenhing. Auf einmal brach das Meer herein und
Trennte den Sikulerstrand vom Hesperischen.
[30]
Sodann wirst du, (denn du kannst bei jenem so raubgierigen Meeresstrudel vorbeistreifen) jene fabelhafte Charybdis schauen, wie sie ruhig hingestreckt liegt, so lange sie vor dem S�dwind Ruhe hat, wie sie aber, sobald von dorther ein heftigeres Wehen sich erhebt, in ihren gro�en und tiefen Schlund die Schiffe hinabschlingt. (3.) Du wirst die in Gedichten hochgefeierte Arethusa, die Quelle eines spiegelhellen und bis auf den Grund durchsichtigen See's, ihr sehr kaltes Gew�sser ausgie�en sehen, mag sie nun dasselbe erst dort entstehend gefunden haben, oder mag sie selbst ein unterhalb so vieler Meere ungest�rt fortstr�mender und von der Vermischung mit schlechterem Wasser frei gebliebener Flu� wieder an's Licht der Erde gebracht haben. Du wirst den Hafen erblicken, den ruhigsten von allen, die entweder die Natur zum Schutze der Flotten geschaffen, oder denen die Menschenhand nachgeholfen hat, so sicher, da� selbst die Wuth der gr��ten St�rme keinen Spielraum in ihm hat. (4.) Du wirst die Stelle sehen, wo Athens Macht gebrochen wurde, wo jener nat�rliche Kerker von unendlich tief ausgeh�hlten Felsen so viele Tausende von Gefangenen umschlossen hatte; dann die ungeheure Stadt selbst und ihr Ackergebiet,[31] das sich weiter erstreckt, als die Grenzen vieler St�dte, mit einem sehr lauen Winter, wo kein Tag ohne allen Sonnenschein ist. Wenn du aber dies alles dort gefunden haben wirst, so macht ein beschwerlicher und ungesunder Sommer die Wohlthaten des Winterklima's wieder zu nichte. Es wird sich der Tyrann Dionysius dort zeigen, dieses Verderben der Freiheit, der Gerechtigkeit, der Gesetzm��igkeit, herrschbegierig auch noch, nachdem Plato bei ihm gewesen, lebenslustig auch noch nach seiner Verbannung. Er wird die Einen brennen, die Andern gei�eln, wieder Andere eines geringen Versto�es wegen enthaupten lassen; er wird M�nner und Weiber zur [Befriedigung der] Wollust herbeiholen lassen und unter den w�sten Schaaren k�niglicher Uners�ttlichkeit wird es ihm nicht gen�gen, sich immer mit Zweien zugleich zu begatten. (5.) Du hast nun, vernommen, was dich einladen, was dich abschrecken kann; nun so gehe denn zu Schiffe, oder bleibe zur�ck. H�tte Einer nach solcher Darstellung erkl�rt, er wolle Syrakus betreten: k�nnte er dann wohl �ber irgend Jemanden, als �ber sich selbst, gerechte Klage f�hren, da er nicht zuf�llig in jene Verh�ltnisse gerathen, sondern mit Wissen und Willen hinein gekommen w�re? Die Natur spricht zu uns Allen: Ich hintergehe Keinen; wenn du S�hne geboren hast, so kannst du wohlgestaltete, aber vielleicht auch mi�gestaltete haben; wenn dir Viele geboren werden, so kann unter ihnen ebensogut ein Verr�ther, als ein Retter des Vaterlandes sein. (6.) Du hast keinen Grund der Hoffnung zu entsagen, da� sie einst in solcher Achtung stehen werden, da� dich Niemand ihretwegen zu beschimpfen wagt; stelle dir jedoch vor, da� sie auch in solche Schande kommen k�nnen, da� sie selbst ein Schimpf f�r dich sind. Nichts verbietet, da� sie dir die letzte Ehre erweisen, da� dir deine[32] Kinder die Grabrede halten sollten; aber bereite dich so vor, als ob du Einen als Knaben, oder als J�ngling, oder als Greis auf den Scheiterhaufen legen solltest. Denn die Jahre thun Nichts zur Sache, weil jeder Leichenzug, dem Eins der Eltern folgen mu�, ein herber Gang ist. Gebierst du nach solchen dir vorgelegten Bedingungen Kinder, so sprichst du die G�tter von allem Uebelwollen frei, da sie dir nichts Gewisses verb�rgt haben.
XVIII. (1.) Mit R�cksicht auf dieses Gleichni� la� uns den Eintritt in's Leben �berhaupt betrachten. W�hrend du noch �berlegtest, ob du Syrakus besuchen wolltest, habe ich dir Alles auseinandergesetzt, was dich [dort] erg�tzen, was dir l�stig fallen konnte; denke dir nun einmal, ich k�me, um dir bei deiner Geburt einen Rath zu ertheilen. Du bist im Begriff in eine G�ttern und Menschen gemeinschaftliche Stadt einzutreten, die Alles in sich fa�t, die an bestimmte und ewige Gesetze gebunden ist, die dem unerm�deten Dienst der Himmlischen obliegt. Dort wirst du unz�hlige Sterne erblicken, wirst erstaunen, da� von einem einzigen Gestirn Alles durchdrungen wird, da� die Sonne durch ihren t�glichen Lauf die Zeiten des Tages und der Nacht abgrenzt, und durch ihren j�hrlichen [Lauf] Sommer und Winter noch gleichm��iger abtheilt. (2.) Du wirst des Mondes n�chtliche Wechselfolge schauen, wie sie von der schwesterlichen Begegnung ein sanftes und mattes Licht erborgt, bald verborgen, bald mit vollem Antlitz der Erde zugewendet, im Zu- und Abnehmen ver�nderlich und stets der n�chst vorhergegangenen Erscheinung un�hnlich. Du wirst f�nf Gestirne schauen, die verschiedene[33] Bahnen wandeln und einen der dahinst�rzenden [�brigen] Welt entgegenstrebenden Lauf haben; von ihren leisesten Bewegungen h�ngt das Geschick der V�lker ab, nach ihnen gestaltet sich das Gr��te, wie das Kleinste, je nachdem der Lauf des Gestirns ein g�nstiger oder ung�nstiger gewesen. Du wirst das zusammengeh�ufte Regengew�lk anstaunen und die herabst�rzenden Wasserg�sse und die schr�g zuckenden Blitze und das Krachen des Himmels. (3.) Wenn du die durch den Anblick des Oberen ges�ttigten Augen auf die Erde herabwendest, so erwartet dich ein anderer und auf andere Art bewundernsw�rdiger Stand der Dinge. Hier eine ausgedehnte Fl�che von sich in's Unendliche erstreckenden Gefilden, dort die gen Himmel ragenden Gipfel von Gebirgen, die sich mit m�chtigen und schneebedeckten R�cken erheben; Wasserf�lle und Str�me, die sich aus einer Quelle nach Ost und West ergie�en, sich auf hohen Bergspitzen wiegende Haine und eine Masse von W�ldern mit den ihnen eigenen Thieren und dem verschieden t�nenden Gesang der V�gel; die verschiedene Lage der St�dte und durch Unzug�nglichkeit der Gegenden abgeschlossene V�lkerschaften, von denen einige sich auf die Bergh�hen zur�ckziehen, andre, in Angst lebend, von Ufern, Seen und Th�lern umschlossen sind; zum Lebensunterhalt Fr�chte, Saaten und Gestr�uch ohne Pflege ihrer wilden Natur; der sanfte Schlangenlauf der B�che durch Wiesen, anmuthige Buchten und Ufer, die, H�fen bildend, zur�cktreten, so viele auf der[34] weiten See zerstreute Inseln, die durch ihr Dazwischentreten das Einerlei unterbrechen. (4.) Ferner der Glanz von Steinen und Edelsteinen, das im Sande rei�ender Waldb�che herschwimmende Gold, die mitten in den L�ndern und ebenso mitten im Meere [die Menschen] erschreckende Feuermeteore und das Band der L�nder, das Weltmeer, das den Zusammenhang der V�lker durch einen dreifachen Meerbusen trennt und mit gewaltiger Ungebundenheit aufbraust. In diesem unruhigen und auch ohne Wind wogenden Gew�sser wirst du auch durch ihre ungeheure Gr��e erschreckende Thiere herumschwimmen sehen, manche schwerf�llig und [nur] unter fremder Leitung sich bewegend, manche rasch und behender, als schnell segelnde Schiffe, manche die Fluten einschl�rfend und zu gro�er Gefahr der Vor�berschiffenden wieder ausspritzend. (5.) Du wirst hier Schiffe sehen, welche ihnen noch unbekannte L�nder aufsuchen; du wirst sehen, wie die menschliche K�hnheit Nichts unversucht l��t, und wirst nicht blos Zuschauerin sein, sondern auch selbst an den Unternehmungen wesentlichen Antheil nehmen. Du wirst [mancherlei] K�nste lernen und lehren, einige, die das Leben versorgen, andere, die es schm�cken, andere, die es regeln. Da werden aber [auch] tausend f�r K�rper und Seele verderbliche Dinge sein, Krieg und Stra�enraub und Gift und Schiffbruch und Unregelm��igkeit der Witterung und des K�rperzustandes und der bittere Verlust der Theuersten und der Tod, von dem es ungewi� ist, ob er ein leichter oder zur Strafe und Qual verh�ngter sein[35] wird. (6.) Ueberlege nun bei dir und erw�ge, was du w�nschest: um zu Jenem zu gelangen, mu�t du den Weg durch Dieses zur�cklegen. Wirst du antworten, du wollest leben? Warum nicht? Doch nein, du wirst dich, glaub' ich, nicht an Etwas machen, wovon du dir [nur] mit Schmerz Etwas entziehen l�ssest. Inde� lebe nur, wie einmal die Uebereinkunft lautet. Du sagst: �Es hat uns ja Niemand dar�ber befragt.� O ja, unsre Eltern sind unsertwegen befragt worden; obgleich sie die Bedingungen des Lebens kannten, haben sie uns doch f�r dasselbe gezeugt.
XIX. (1.) Doch um auf die Trostgr�nde zu kommen, so la� uns zuerst betrachten, was wir in's Auge fassen m�ssen, und sodann, wie? Es bek�mmert den Trauernden die Entbehrung dessen, den er geliebt hat. Es mu� klar werden, da� diese an und f�r sich ertr�glich ist; denn um Abwesende oder solche, die abwesend sein werden, weinen wir nicht, wenn sie nur leben, obgleich uns aller Umgang mit ihnen und ihr Anblick geraubt ist. Die Vorstellung also ist es, welche uns qu�lt, und jedes Uebel ist nur so gro�, als wir es anschlagen; Gegenmittel haben wir in unserer Gewalt. La� uns denken, sie seien abwesend, und [so] uns selbst t�uschen. Wir haben sie weggeschickt, ja wir haben sie vorausgeschickt, um sie einzuholen. (2.) Es bek�mmert den Trauernden auch [der Gedanke]: Es wird Niemand da sein, der mich vertheidigt, der mich vor Verachtung sch�tzt. Um mich eines wenig einleuchtenden, aber wahren Trostgrundes zu bedienen: in unserm Staate verschafft das Verwaistsein eher Gunst, als da� es sie entzieht. Ja selbst die Greise f�hrt das Verlassensein, das [sonst] zerst�rend zu wirken pflegte, zur Macht, so da� Manche Ha� gegen ihre S�hne erheucheln, ihre Kinder eidlich verleugnen und sich auf eigene Hand kinderlos machen. Ich wei�, was du sagen wirst: Meine Verluste bek�mmert mich nicht; denn der ist des Trostes nicht werth, den der Tod eines Sohnes nicht anders wie der eines Sklaven schmerzt, und der dabei Mu�e hat, noch an etwas Anderes zu denken, als eben an den Sohn. (3.) Was[36] also bek�mmert dich, Marcia? Da� dein Sohn gestorben ist, oder da� er nicht lange gelebt hat? Wenn [der Umstand], da� er gestorben ist, so mu�test du best�ndig trauern, denn du wu�test stets, da� er sterbe. Bedenke, da� der Gestorbene von keinem Uebel ber�hrt wird; da� das, was und die Unterwelt furchtbar macht, Erdichtung sei; da� den Todten keine Finsterni� droht, kein Kerker, keine Feuerstr�me, kein Flu� der Vergessenheit, keine Richterst�hle und Angeklagte und bei jener so schrankenlosen Freiheit nicht abermals Tyrannen. Das haben [nur] die Dichter gefabelt und uns durch leere Schreckbilder beunruhigt. (4.) Der Tod ist die Befreiung und das Ende von allen Uebel, �ber ihn gehen unsere Leiden nicht hinaus, der uns in jene Ruhe zur�ckversetzt, in der wir lagen, ehe wir geboren wurden. Wenn Einer die Todten bemitleidet, so mu� er auch die noch nicht Gebornen bemitleiden. Der Tod ist weder ein Gut, noch ein Uebel. Denn [nur] das kann entweder ein Gut oder ein Uebel sein, was [�berhaupt] Etwas ist; was aber selbst ein Nichts ist und Alles in Nichts zur�ckf�hrt, gibt uns keinem Schicksal Preis. Denn Uebel und G�ter finden sich [nur] an irgend einem Stoffe. Das Schicksal kann das nicht festhalten, was die Natur entlassen hat, und der kann nicht elend sein, der [�berhaupt] gar nicht ist. (5.) Dein Sohn hat die Schranken �berschritten, innerhalb deren man ein Sklav ist; es hat ihn ein gro�er und ewiger Friede aufgenommen. Nicht von Furcht vor Armuth, nicht von Sorge f�r den Reichthum, nicht von dem Stachel der den Geist durch woll�stigen Genu� schw�chenden Sinnlichkeit wird er angefochten, nicht ber�hrt von dem Neide �ber fremdes Gl�ck, nicht gedr�ckt von dem [Anderer] �ber sein eigenes, nicht einmal von Schm�hungen werden seine zartf�hlenden Ohren verletzt, er sieht kein �ffentliches, kein h�usliches Ungl�ck drohen, auch h�ngt er nicht, um die Zukunft bek�mmert, vom Ausgange ab, der sich[37] immer zum Ungewissen hinneigt. Endlich steht er da, von wo ihn Nichts [mehr] vertreibt, wo ihn Nichts [mehr] erschreckt.
XX. (1.) O wie unbekannt mit ihrem Elend sind die, welche den Tod nicht als die beste Erfindung der Natur preisen und erwarten, denn mag er ein Gl�ck endigen, oder ein Ungl�ck zur�cktreiben, mag er dem Lebens�berdru� und der Ersch�pfung des Greises ein Ziel setzen, oder ein jugendliches Alter, von dem man noch Sch�neres hofft, in der Bl�the entf�hren, oder die Kindheit abrufen, ehe die h�rteren Altersstufen kommen: Allen ist er ein Ende, Vielen eine H�lfe, Manchen ein Wunsch, und macht sich um Keinen mehr verdient, als um den, zu welchem er kommt, ehe er gerufen wurde. (2.) Er erl��t die Sklaverei wider Willen des Herrn, er l�st die Ketten der Gefangenen, er f�hrt aus dem Kerker, wem unb�ndige Herrschergewalt den Ausgang daraus verboten hatte; er zeigt dem Verbannten, die Herz und Augen best�ndig dem Vaterlande zuwenden, da� es gleich sei, unter welcher Erde er ruhe; wenn das Schicksal die gemeinsamen G�ter ungerecht vertheilt und von den mit gleichem Rechte Gebornen den Einen an den Andern verschenkt hat, – er gleicht Alles aus; er ist's, der nie Etwas nach eines Andern Willk�r thut, er ist's, bei dem Niemand seine Niedrigkeit f�hlt, er ist's, der Keinem unzug�nglich war, er ist's, Marcia, nach dem dein Vater verlangt hat. (3.) Er ist's, sage ich, der da macht, da� es keine Strafe ist, geboren zu werden, der bewirkt,[38] da� ich nicht erliege bei den Drohungen des Mi�geschicks, da� ich meinen Geist unverletzt und seiner m�chtig erhalten kann; da habe ich Etwas, was ich [um H�lfe] ansprechen kann. Dort erblicke ich Marterh�lzer, und zwar nicht von einer Art, sondern von dem Einen so, von dem Andern anders gebildet. Einige hingen die Leute mit zur Erde gekehrtem Kopfe auf, Andere trieben den Pfahl durch Schamtheile, Andere dehnten die Arme am Galgen aus. Ich sehe Folterseile, ich sehe Gei�elhiebe und [da� man] besondere Maschinen f�r jedes einzelne Glied und Gelenk erfunden hat, [aber] ich sehe auch den Tod. Dort sind blutd�rstige Feinde, �berm�thige B�rger; aber ich sehe dort auch den Tod. (4.) Da ist es nicht l�stig zu dienen, wo man wenn man des Herren �berdr�ssig ist, mit einen einzigen Schritte zur Freiheit gelangen kann. Leben, ich liebe dich um der Wohlthat des Todes willen. Bedenke, wie viel Gutes der Tod, zu gelegener Zeit hat, wie Vielen es geschadet hat, da� sie l�nger lebten. H�tte den Cnejus Pompejus, jene Zierde und St�tze des Reichs, zu Neapel die Krankheit hingerafft, so w�re er unbezweifelt als der Erste des R�mischen Reichs gestorben. (5.) So aber hat ihn der Zusatz einer kurzen Zeit von seiner H�he herabgest�rzt. Er sah [noch] die Legionen vor seinen Augen niedergemetzelt, und ein wie ungl�ckseliger Ueberrest aus jener Schlacht, in welcher der Senat das erste Treffen bildete, war es, da� der Feldherr selbst noch �brig geblieben war! Er sah [noch] den Aegyptischen Henker und �berlie� seinen Leib, den die Sieger f�r unantastbar gehalten, einem Trabanten, und h�tte, auch wenn er unverletzt geblieben w�re, seine Rettung dennoch nur bedauern k�nnen. Denn was w�re schimpflicher gewesen, als wenn Pompejus[39] durch die Gnade eines K�nigs gelebt h�tte? (6.) W�re Marcus Cicero zu der Zeit gefallen, wo er Catilina's Dolchen entging, die auf ihn, wie auf das Vaterland gerichtet waren, so h�tte er nach Befreiung des Staats als Retter desselben, und w�re er auch erst der Leiche seiner Tochter [im Tode] gefolgt, so h�tte er auch da noch als ein gl�cklicher Mann sterben k�nnen. Er h�tte nicht die auf H�upter seiner Mitb�rger gez�ckten Schwerter gesehen, noch die Vertheilung der G�ter der Gemordeten an die M�rder, so da� jene sogar ihren Tod bezahlen mu�ten, nicht die Lanze, bei welcher die consularische Beute verkauft wurde, noch das Blutvergie�en und die �ffentliche Verpachtung des Raubes, die Kriege, R�ubereien, eine solche Menge von Catilina's. (7.) Wenn den Marcus Cato bei seiner R�ckkehr aus Cyprus und von der Regulirung der k�niglichen Erbschaft das Meer verschlungen h�tte, auch mit dem Gelbe selbst, da� er als Gold, f�r den B�rgerkrieg brachte, w�re es nicht wohl um ihn bestellt gewesen? Er h�tte wenigstens das davon gehabt, da� Niemand gewagt h�tte, vor Cato's Augen zu freveln. Nun aber hat der Zusatz sehr weniger Jahre den nicht blos f�r seine eigene, sondern f�r die allgemeine Freiheit gebornen Mann gezwungen, vor C�sar zu fliehen und dem Pompejus zu folgen. Jenem [deinem Sohne] hat also der zu fr�hzeitige Tod kein Ungl�ck gebracht; er hat ihm sogar die Erduldung aller Uebel erlassen. �Doch er starb gar zu schnell und doch nicht reif [f�r den Tod]�. Zuerst nimm an, er w�re am Leben geblieben; nimm das l�ngste Lebensziel, bis zu welchem dem Menschen zu gelangen verstattet ist, wie kurz ist es? F�r eine �beraus[40] kurze Zeit geboren, um bald wieder abzutreten von einem Orte, der uns nur auf diese Bedingungen hin verpachtet ist, sehen wir uns nach einer Herberge um. Ich spreche von unserer Lebensdauer, von der es bekannt ist, mit wie unglaublicher Schnelligkeit sie dahinfliegt. Ueberschlage doch die Zeitalter der St�dte und du wirst sehen, wie selbst die, welche sich ihres Alters r�hmen, gar nicht lange gestanden haben. Alles Menschliche ist kurz und hinf�llig und nimmt von der unendlichen Zeit einen Theil ein, der ein Nichts ist. (9.) Diese Erde mit ihren St�dten und V�lkerschaften, ihren Fl�ssen und dem Umfange des Meers betrachten wir als einen Punkt, wenn wir sie in Beziehung zu dem Weltall bringen; einen noch kleineren Theil aber, als ein Punkt, nimmt unsre Lebensdauer ein, wenn wir sie mit der ganzen Zeit vergleichen, deren Ma� gr��er ist, als das der Welt, da ja diese im Verlauf jener so oft ihre Bahn auf's Neue durchmi�t. Was also liegt daran, das weiter auszudehnen, dessen Zuwachs, wie gro� er auch immer sein m�ge, doch nicht weit von Nichts entfernt sein wird? Nur in einem Falle ist, was wir durchleben, viel, wenn es uns genug ist. (10.) Magst du mir, wenn's dir gef�llig ist, M�nner von einem als denkw�rdig aufgezeichneten hohen Greisenalter nennen, indem du hundert und zehn Jahre aufz�hlst: wenn du deine Gedanken auf die ganze Zeit richtest, so wird zwischen der k�rzesten und der l�ngsten Lebensdauer kein Unterschied sein, sobald du nach Betrachtung der langen Zeit, die Einer lebte, damit die lange Zeit vergleichst, die er nicht gelebt hat. Sodann wenn er zu fr�hzeitig starb, so war ihm eben Nichts mehr zu leben �brig, (denn er lebte, so lange er leben sollte.) Die Menschen haben nicht einerlei Greisenalter, wie selbst die Thiere nicht. Manche von ihnen sind [schon] vor dem[41] vierzehnten Jahre entkr�ftet und ihr l�ngstes Lebensalter ist, was bei dem Menschen die erste Stufe ist. Einem Jeden ist eine verschiedene Lebenskraft gegeben: Niemand stirbt zu fr�h, weil er nicht l�nger leben sollte, als er gelebt hat. (11.) Einem Jeden ist seine Grenze fest bestimmt, sie wird stets bleiben, wo sie [einmal] gesteckt ist, und keine Sorgfalt oder Gunst wird sie weiter hinausr�cken. Er hat sein Theil dahin und �gelangte zum Ziel des beschiedenen Alters.� Du hast also keinen Grund, dir es durch den Gedanken schwer zu machen: Er h�tte l�nger leben k�nnen. Sein Leben ist nicht abgebrochen und nie hat sich ein Zufall die [Lebens]jahre hineingeworfen. Es wird gehalten, was einem Jeden versprochen war. Das Loos geht seinen Gang nach eignem Triebe und f�gt weder Etwas hinzu, noch nimmt es von dem Zugesagten auch nur ein einziges Mal Etwas hinweg: vergeblich sind W�nsche und Bem�hungen. (12.) Ein Jeder wird so viel bekommen, als ihm der erste Tag zugeschrieben hat. Von dem Augenblicke an, wo er zuerst das Licht erblickte, hat er die Bahn des Todes betreten und ist seinem Verh�ngni� immer n�her ger�ckt, und selbst jene Jahre, die dem J�nglingsalter zugelegt wurden, wurden vom Leben abgezogen. Wir alle befinden uns in dem Irrthume, da� wir glauben, nur schon Bejahrte und geb�ckt Einhergehende schritten dem Tode zu, w�hrend doch sofort die Kindheit und die Jugend, kurz jedes Lebensalter dahin f�hrt. Das Schicksal thut, was seines Amtes; es benimmt uns den Gedanken an unsern Tod und um uns leichter zu beschleichen, verbirgt sich der Tod unter dem Namen des Lebens. Das unm�ndige Kind wird zum Knaben verwandelt, das Knabenalter vom Mannesalter, das Mannesalter vom Greisenalter dahingerafft. Das Wachsthum selbst ist, wenn man es recht betrachtet, ein Abnehmen.
XXI: (1.) Du klagst, Marcia, da� dein Sohn nicht so lange gelebt habe, als er h�tte leben k�nnen? Woher du denn, ob es ihm l�nger gefrommt h�tte? ob dieser Tod nicht sein Gl�ck[42] war? Wen kannst du heut zu Tage finden, dessen Verh�ltnisse so gut bestellt und begr�ndet w�ren, da� er im Verlaufe der Zeit Nichts zu f�rchten h�tte? [Alles] Menschliche gleitet und flie�et dahin und kein Theil unseres Lebens ist so verwundbar und zart, als der, welcher uns der liebste ist. (2.) Daher ist den Gl�cklichsten der Tod zu w�nschen, weil bei der so gro�en Unbest�ndigkeit und Verwirrung der Verh�ltnisse Nichts gewi� ist, als was vor�ber ist. Wer b�rgte dir daf�r, da� der so sch�ne und Angesichts einer �ppigen Stadt mir gr��ter Bewahrung der Keuschheit erhaltene K�rper deines Sohnes den Krankheiten so h�tte entgehen k�nnen, da� er seine Sch�nheit unversehrt bis in's Greisenalter hin�ber getragen h�tte?
XXII: (1.) Bedenke die tausend Seuchen der Seele; denn auch wohlausgestattete Naturen erhalten die Hoffnungen, die sie in der Jugend von sich erregten, nicht bis zum Greisenalter wach, sondern dieselben werden meist vernichtet. Entweder bem�chtigt sich ihrer eine sp�te und um so h��lichere Ueppigkeit und n�thigt sie den herrlichen Anfang zu sch�nden, oder sie fr�hnen der Gark�che und dem Magen und ihre gr��te Sorge ist, was sie essen, was sie trinken sollen. Nimm dazu Feuersbr�nste, Einsturz, Schiffbruch, Zerfleischungen durch die Aerzte, die den noch Lebenden zersplitterte Knochen herausziehen, mit der ganzen Hand in die Eingeweide hineingreifen und mit au�erordentlichen Schmerzen an den Schamtheilen ihre Curen machen. (2.) Sodann Verbannung: unschuldiger war dein Sohn doch nicht, als Rutilius; Gef�ngni�: weiser war er doch nicht, als Sokrates; eine durch freiwilligen Todessto� durchbohrte Brust: unstr�flicher war er doch nicht, als Cato. Wenn du Solches betrachtest, so wirst du erkennen, da� es denen am Besten geht, welche die Natur,[43] weil ihrer ein solcher Lohn des Lebens wartete, schnell in Sicherheit gebracht hat. Nichts ist so tr�gerisch, als das Menschenlebens, Nichts so voll Hinterhalt; wahrhaftig, es w�rde es Niemand angenommen haben, wenn man es nicht wider Wissen bek�me. Wenn es daher allergr��te Gl�ck ist, nicht geboren zu werden, so halte ich es f�r das n�chstgr��te, nach Ueberstehung eines kurzen Lebens schnell in den fr�hern unangefochtenen Zustand zur�ckversetzt zu werden. Stelle dir jene f�r dich so bittere Zeit vor, wo Sejanus deinen Vater seinem Sch�tzlinge Satrius Secundus als Trinkgeld gab. Er z�rnte ihm wegen einer oder der andern freim�thigen Aeu�erung, weil jener es nicht stillschweigend ertragen konnte, da� uns ein Sejanus nicht einmal erst auf den Nacken gesetzt werde, sondern selbst hinaufsteige. (3.) Es wurde beschlossen, ihm eine Bilds�ule im Theater des Pompejus zu setzen, welches der Kaiser nach dem Brande wieder herstellen lie�. Da rief Cordus aus: �jetzt erst gehe das Theater in Wahrheit zu Grunde.� Wie? h�tte er nicht [vor Aerger] dar�ber bersten sollen, da� �ber der Asche des Cnejus Pompejus ein Sejanus und in dem Denkmal des gr��ten Feldherrn [das Standbild] eines treulosen Soldaten geweihet wurde? Und sie wurde geweihet durch die Anklage; und die bissigen Hunde, die Jener, um sie gegen sich allein zahm, gegen alle [Anderen] wild zu haben, mit Menschenblut n�hrte, fingen sogleich an, auch jenen dem Tode geweihten Mann rings anzubellen. (4.) Was sollte er machen? wollte er leben, so mu�te er den Sejanus bitten; wollte er leben, seine Tochter,[44] beide [wohl] unerbittlich. So beschlo� er denn, seine Tochter zu t�uschen: und nachdem er ein warmes Bad genommen, schon um desto mehr an Kr�ften zu verlieren, begab er sich in sein Zimmer, als wollte er etwas Weniges essen, und nachdem er die Diener fortgeschickt hatte, warf er Einiges, damit es scheinen sollte, als habe er gegessen, zum Fenster hinaus, enthielt sich dann der Hauptmahlzeit, als habe er sich schon in seinem Zimmer satt gegessen, und machte es am zweiten und dritten Tage eben so. Der vierte verrieht ihn durch die Kraftlosigkeit seines K�rpers selbst. (5.) Daher umarmte er dich und sprach: �Theuerste Tochter, der ich in meinem ganzen Leben nur dies Eine verhehlt habe, ich habe den Todesweg betreten und schon beinahe die Mitte erreicht. Zur�ckrufen darfst und kannst du mich nicht.� Und so gebot er denn allem Lichte den Zutritt zu verschlie�en und verbarg sich in Finsterni�. Als sein Entschlu� bekannt wurde, war allgemeine Freude, da� dem Rachen der hei�hungrigen W�lfe die Beute entrissen wurde. Die Ankl�ger wenden sich auf Betrieb des Sejanus an den Richterstuhl, sie klagen, da� Cordus sterbe, um zu hintertreiben, wozu sie [selbst] ihn gezwungen hatten; so sehr glaubten sie, Cordus werde ihnen entgehen. (6.) Eine wichtige Frage bei der Untersuchung war, ob sich Angeklagte durch den Tod der Strafe entziehen d�rften. W�hrend berathschlagt wird, w�hrend die Ankl�ger sich zum zweiten Male [an die Consuln] wenden, hatte sich Jener gemacht. Siehst du, Marcia, welcher Wechsel ung�nstiger Zeitumst�nde unerwartet eintritt? Du weinst, weil Einer der Deinen sterben mu�te? Jenem w�re es beinahe nicht gestattet worden.[45]
XXIII. (1.) Au�erdem, da� alles Zuk�nftige ungewi� ist und [nur] f�r das Schlimmere [etwas] gewisser, ist der Weg zum Himmel den Seelen leichter, die bei Zeiten von dem Verkehr mit den Menschen frei werden; denn sie haben noch sehr wenig von Hefen und beschwerender Masse in sich aufgenommen. Noch ehe sie sich damit �berzogen und den irdischen Stoff tiefer in sich aufnahmen, befreit, schweben sie unbeschwerter wieder zu ihrem Ursprung empor und sp�len alles H��liche, was ihnen anklebt, leichter ab. Und nie ist gro�en Geistern ein langer Aufenthalt im K�rper angenehm; sie sehnen sich herauszukommen und auszubrechen, und sie, die emporgetragen unst�t das Weltall durchschweifen und gewohnt sind, aus der H�he auf die Menschenwelt herabzuschauen, ertragen nur ungern diese Einengung. (2.) Daher ruft Plato aus: �die Seele des Weisen neige sich ganz dem Tode zu, das wolle, darauf sinne sie, von dieser Sehnsucht werde sie getrieben, stets nach Au�en hinstrebend.� Wie konntest du, Marcia, da du in dem J�nglinge die Weisheit eines Greises sahest, einen Geist, der alle L�ste besiegte, der gel�utert und frei von Lastern war, der nach Reichthum ohne Habsucht, nach Ehrenstellen ohne Ehrsucht, nach Vergn�gen ohne Ueppigkeit strebte, [wie konntest du] glauben, da� es dir lange erhalten bleiben werde? Alles, was seinen H�hepunkt erreicht hat, ist seinem Ende nahe. Vollendete Tugend entrei�t sich und entschwindet unsern Augen, und was [schon] im Anfange gereift ist, wartet nicht auf die �u�erste Zeit. (3.) Ein Feuer verlischt um so schneller, je heller seine Flamme loderte; ein l�ngeres Leben hat es, wenn es mit z�hem und schwer brennendem Stoffe vereinigt und vom Rauche niedergedr�ckt in schmutziger Farbe leuchtet; denn dieselbe Ursache, die es mi�liebig n�hrt, h�lt es auch auf. So find auch Geister, je heller sie sind, von um so k�rzerer Dauer; denn wo kein Wachsthum [mehr] Statt finden[46] kann, da ist der Untergang nahe. Fabianus berichtet, was auch unsre Eltern selbst gesehen, es sei zu Rom ein Knabe von der Statur eines riesig gro�en Mannes gewesen: aber dieser starb sehr bald, und jeder Verst�ndige sagte es [voraus], da� er in Kurzem sterben werde; denn er konnte unm�glich bis zu dem Alter gelangen, das er schon der Zeit erreicht hatte. So ist die Reise ein Zeichen des nahen Todes und das Ende kommt heran, wenn das Wachsthum ersch�pft ist.
XXIV. (1.) Fange einmal an, ihn nach Tugenden, nicht nach Jahren zu sch�tzen: dann hat er lange genug gelebt. Unm�ndig [vom Vater] hinterlassen, war er bis zum vierzehnten Jahre unter der Aufsicht von Vorm�ndern, immer aber unter der Pflege der Mutter. Obgleich er seine eignen Hausg�tter hatte, wollte er doch die deinigen nicht verlassen, und blieb, w�hrend [sonst] Kinder kaum das Zusammenwohnen mit dem Vater ertragen, in der Wohnung der Mutter. Als ein J�ngling, durch Wuchs, Sch�nheit und sonstige K�rperkraft f�r's Feldlager geschaffen, verschm�hte er doch den Kriegsdienst, um sich nicht von dir trennen zu m�ssen. Erw�ge, Marcia, wie selten M�tter, die in andern H�usern wohnen, ihre Kinder zu sehen bekommen, bedenke, da� so viele Jahre den M�ttern verloren gehen und in Sorgen hingebracht werden, als sie ihre S�hne beim Heere haben: und du wirst einsehen, da� das ein langer Zeitraum war, vom welchem du nicht das Mindeste eingeb��t hast. (2.) Nie hat er sich deinem Anblick entzogen; unter deinen Augen hat er die Ausbildung seines ausgezeichneten Talents betrieben, worin er seinem Gro�vater gleichgekommen sein w�rde, wenn nicht seine Bescheidenheit im Wege gestanden h�tte, welche die Fortschritte Vieler in Stillschweigen begraben hat. Als J�ngling von h�chst seltener Sch�nheit hat er unter der so gro�en Schaar von Weibern, welche die M�nner zu verf�hren suchen, keiner je Hoffnung auf seine Person gemacht, und als die Verdorbenheit einiger so weit ging, ihn zu versuchen, err�thete er, als ob er[47] [schon dadurch] ges�ndigt h�tte, da� er gefallen hatte. Durch diese Unstr�flichkeit der Sitten bewirkte er, da� er noch sehr jung eines Priesteramtes f�r w�rdig gehalten wurde, ohne Zweifel auf m�tterliche Verwendung; aber selbst die Mutter h�tte nichts vermocht, au�er f�r einen so tugendhaften Bewerber. Durch Betrachtung dieser Tugenden setze dich mit deinem Sohne in Verbindung, als ob er dir gerade jetzt noch mehr angeh�rte. (3.) Jetzt hat er nichts [mehr], was ihn von dir wegriefe; nie wird er dir Kummer, nie Gram verursachen. Das Einzige, was dich an einem so trefflichen Sohne schmerzen konnte, das hat dich geschmerzt; das Uebrige ist vor Unf�llen sicher und voll von Genu�, wenn du nur mit deinem Sohne umzugehen verstehst, wenn du nur einsiehst, was an ihm das Kostbarste gewesen. Nur das Bild deines Sohnes und eine nicht eben sehr �hnliche Abbildung ist dahin: er selbst ist ewig und jetzt in einem besseren Zustande, entladen von fremder B�rde und ganz sich selbst �berlassen. (4.) Diese uns umgebenden Gebeine, die man sieht, die Nerven und die dar�ber gezogene Haut, das Gesicht und die dienenden H�nde und das Uebrige, worein wir geh�llt sind, sind [nur] Fesseln und Verdunkelungen des Geistes. Die Seele wird damit verdeckt, verdunkelt, angesteckt, abgehalten von dem Wahren und ihr Eigenth�mlichen und in Irrth�mer hineingest�rzt: das ist ihr ganzer Kampf mit diesem sie beschwerenden Fleische, da� sie nicht irre gef�hrt werde, sondern fest bleibe. Sie strebt dahin, von wo sie entlassen ist; dort wartet ihre ewige Ruhe, indem sie nach dem Verworrenen und Grobmassigen das Reine und Klare anschaut.
XXV. (1.) Daher brauchst du nicht nach dem Grabe deines Sohnes zu laufen: das Schlechteste und ihm selbst L�stigste liegt dort, Gebeine und Asche, was ebensowenig Theile von ihm sind, als Kleider und andre K�rperh�llen. Unversehrt und Nichts auf Erden zur�cklassend ist er entflohen und ganz von hier geschieden,[48] und wenn er ein Weilchen �ber uns geweilt haben wird, bis er gel�utert ist und die ihm anhangenden Gebrechen und allen Wust des sterblichen Lebens abgestreift hat, so wandelt er dann, zu den h�heren Regionen erhoben, unter seligen Geistern, [da empf�ngt ihn eine heilige Schaar, die Scipionen und Catonen] und unter Ver�chtern des Lebens und durch des Todes Wohlthat Befreiten. (2.) Dein Vater, Marcia, zieht dort, obgleich daselbst Allen Alles verwandt ist, den Enkel an seine Seite, der sich des neuen Lichtes freut, und lehrt ihn die Bahnen der benachbarten Gestirne [kennen]; und ihrer aller nicht [mehr blo�] durch Vermuthung, sondern nach ihrer wahren Natur kundig, f�hrt er ihn mit Freuden in die Geheimnisse der Natur ein. Und so wie ein Wegweiser in unbekannten St�dten dem Fremdlinge willkommen ist, so dem, welcher nach den Verh�ltnissen der Himmelsk�rper forscht, ein Erkl�rer, der darin zu Hause ist und [gew�hnt] seinen Scharfblick in die Tiefe der Erdenwelt hinabzusenden; denn es erfreut, von einer H�he aus auf den verla�enen Raum zur�ckzuschauen. (3.) Benimm dich demnach so, o Marcia, als st�ndest du unter den Augen deines Vaters und deines Sohnes, nicht als jener, die du kanntest, sondern als weit Erhabnerer und auf gr��ter H�he Stehender; err�the �ber alles Niedrige und Gemeine und auch dar�ber, da� du die zu besseren Wesen verwandelten Deinen beweinst. In das ewige All durch freie und weite R�ume entsendet, werden sie durch keine dazwischen fluthenden Meere, noch durch Bergesh�hen oder unwegsame Thalkl�fte und Untiefen unsichrer Syrten gehemmt; �berall ebene Pfade [bieten sich ihnen dar], die sich leicht ver�ndern lassen, wohl gebahnt, einer in den andern auslaufend und zwischen Gestirnen dahinf�hrend.
XXVI. (1.) Denke dir also, a Marcia, dein Vater, der so viel bei dir galt, als du bei deinem Sohne, spr�che von jener Himmelsburg herab nicht in jenem Geiste, womit er die B�rgerkriege beweinte[49] und die, welche Aechtungen verh�ngten, selbst auf ewig ge�chtet hat, sondern in einem um so viel erhabenern, als er [jetzt] selbst erhabener ist, also zu dir: �Warum fesselt dich, meine Tochter, ein so langer Kummer? warum schwebst du in einer solchen Unkenntni� des Wahren, da� du meinst, es stehe �bel um deinen Sohn, da� er sich bei vollem Wohlsein seines Hauses, bei vollem Wohlsein deiner selbst zu seinen Ahnen zur�ckgezogen hat? Wei�t du denn nicht, durch was f�r St�rme das Schicksal Alles durcheinander wirft? wie es sich noch gegen Niemanden wohlwollend und gef�llig erwies, als wer sich am wenigsten mit ihm eingelassen hatte? (2.) Soll ich dir K�nige nennen, die h�chst gl�cklich gewesen w�ren, wenn sie der Tod den ihnen bevorstehenden Unf�llen fr�her entr�ckt h�tte? oder r�mische Feldherrn, zu deren Gr��e Nichts fehlen w�rde, wenn man von ihrer Lebenszeit Einiges abziehen k�nnte? oder die edelsten und ber�hmtesten M�nner, die ihren Nacken dem Streiche des Soldatenschwertes beugend dargestellt sind? Denke zur�ck an deinen Vater und Gro�vater. (3.) Letzterer verfiel der Willk�r eines Andern, der ihn mordete; ich habe nie einem Andern Gewalt �ber mich gegeben und dadurch, da� ich mir die Speise versagte, gezeigt, wie es mich freute, mit so hohem Muthe geschrieben zu haben. Warum soll in unserm Hause der am l�ngsten betrauert werden, der am gl�cklichsten stirbt? Wir[50] treten alle zusammen und sehen, keineswegs von tiefer Nacht umgeben, bei Euch nichts W�nschenswerthes (wof�r ihr es haltet), nichts Erhabenes, nichts Gl�nzendes, sondern lauter Niedriges und Beschwerliches und Angstvolles und ach! welch' kleinen Theil von unserm Lichte Schauendes? (4.) Brauche ich erst zu sagen, da� hier keine Waffen in blutigem Zusammensto� w�then, nicht Flotten von Flotten zerst�rt werden, kein Vatermord bereitet oder auch nur gedacht, kein Marktplatz den ganzen Tag lang von Rechtsstreitigkeiten durchtost wird, da� Nichts im Verborgenen geschieht, da� die Gesinnungen aufgedeckt, die Herzen offen [daliegen], da� das Leben ein �ffentliches, den Blicken Aller ausgesetztes ist, und ein Ueberschauen jedes Zeitaltes und der [noch] kommenden [Statt findet]? Es machte mir Freude, die Ereignisse eines einzigen Jahrhunderts aufzuzeichnen, welche im letzten Theile des Weltalls und nur unter sehr Wenigen vorfielen; jetzt ist mir verg�nnt so viele Jahrhunderte und den Zusammenhang, die Reihenfolge so vieler Zeitalter und alle Jahre, so viele es deren gibt, zu �berschauen, ich kann hinblicken auf die Reiche, die sich erheben, auf die Reiche, die versinken werden, auf den Fall gro�er St�dte und auf neue Bahnen des Meeres. (5.) Denn, wenn dir das gemeinsame Schicksal ein Trost f�r deine Sehnsucht sein kann, es wird Nichts an der Stelle stehen bleiben, wo es jetzt steht, das Alter wird Alles niederwerfen und mit sich fortraffen; und nicht nur mit Menschen (denn ein wie kleiner Theil sind doch diese von dem, wor�ber dem Zufall Macht gegeben ist!), sondern mit Gegenden, mit Landstrichen, mit Welttheilen wird es sein Spiel treiben; viele Berge wird es niederdr�cken und an anderen Stellen neue Felsen in die H�he treiben; Meere wird es verschlingen, Str�me aus ihrer Bahn lenken und den V�lkerverkehr durchbrechend die Verbindung und Gemeinschaft des menschlichen Geschlechts aufl�sen.[51] Anderswo wird es St�dte in ungeheure Schl�nde hinabziehen, sie durch Erdbeben ersch�ttern und aus der Tiefe Pestd�nste heraufsenden, alles bewohnte Land mit Ueberschwemmungen bedecken und, wenn der Erdkreis versinkt, jedes lebende Wesen t�dten und mit ungeheuerm Feuer alles Sterbliche versengen und in Brand stecken. (6.) Und wenn die Zeit gekommen ist, wo die Welt, um erneuert zu werden, sich vernichten wird, da wird sich jenes alles durch seine eigne Kraft zerst�ren, Gestirne werden mit Gestirnen zusammenrennen, und w�hrend die ganze Weltmasse in Flammen steht, wird Alles, was jetzt in geregelter Ordnung leuchtet, in einem Feuermeere brennen. Auch wir selige Geister, die wir das Ewige erreicht haben, werden, wenn es der Gottheit gef�llt, jenes alles noch einmal in's Werk zu setzen, bei dem allgemeinen Einsturz selbst nur eine kleine Zugabe zu der ungeheuern Verheerung, in die alten Urbestandtheile verwandelt werden. O wie gl�cklich ist dein Sohn, Marcia, der dies [alles] schon wei�.�[52]
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