Affären Der Wunsch des MP
Selbstsicher und jovial, wie es seine Art ist, trat Werner Münch, 52, am Freitag vergangener Woche vor den Untersuchungsausschuß.
Zu keiner Zeit, so trug der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt mit kräftiger Stimme und festem Blick den Abgeordneten des Magdeburger Landtages vor, hätten er oder einer seiner Mitarbeiter den Verfassungsschutz beauftragt, seinen Stellvertreter und Umweltminister Wolfgang Rauls auszuforschen.
Natürlich, so räumte Münch ein, habe er versucht herauszufinden, ob an den »Gerüchten« was dran war, der Freidemokrat Rauls, ein ehemaliger Funktionär der DDR-Blockpartei NDPD, habe mit der Stasi zusammengearbeitet.
Es habe schließlich eine »besondere psychologische Situation gegeben«, in der er das Gefühl hatte, solche Vorwürfe »im Sinne der Fürsorge« prüfen zu sollen. Entsprechende Verdächtigungen einfach »ad acta zu legen«, wäre »fatal« gewesen.
Prüfen ja, nachforschen nein - mit dieser kleinen, aber feinen Unterscheidung wollte Münch sich noch vor der Sommerpause einer lästigen Affäre entledigen, die ihn vor knapp einem Jahr fast das Amt gekostet hätte (SPIEGEL 34/1992). Der Fall droht nun zum heißen Thema im kommenden Wahlkampf zu werden.
Zumindest bis zur Landtagswahl im Oktober 1994 wird sich Münch wohl weiterhin unbequeme Fragen gefallen lassen müssen; denn mit seiner Aussage vom vergangenen Freitag hat er den Vorwurf, Rauls sei besonders überprüft worden, im Kern bestätigt. Die Verantwortung dafür jedoch wälzte er auf andere ab.
Das meiste Verständnis erntete Münch bei den Parlamentariern noch mit dem Hinweis auf die »besonderen Umstände in jener Zeit«. Kaum nämlich war Münch Anfang Juli 1991 zum Ministerpräsidenten gewählt worden, mußte er auch schon zwei seiner Minister entlassen, die ihm ihre Spitzeltätigkeit für die Stasi verschwiegen hatten.
Als dann, im August 1991, auch noch »Gerüchte« über seinen Umweltminister Rauls aufkamen, sei er besonders alarmiert gewesen. Deswegen habe er mit Mitgliedern des Bürgerkomitees gesprochen, die über geheimes Wissen zu verfügen schienen. Und deshalb auch habe er sich Ende September 1991 mit dem Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Eckart Werthebach, _(* Am vergangenen Freitag vor dem ) _(Magdeburger Untersuchungsausschuß. ) in einem Bonner Hotel getroffen, als der ihm einschlägige Aktenvermerke seiner Behörde vortragen wollte.
Informationen über Rauls, so Münch, seien immer nur von Dritten an ihn gelangt. Einen aktiven Beitrag hätten er oder seine Dienststellen nie geleistet. Doch gerade bei dieser Behauptung setzen die Zweifel ein.
Jürgen Vogel, Chefaktivist des Magdeburger Bürgerkomitees, jedenfalls sagte vergangene Woche vor dem Untersuchungsausschuß aus, Münch sei bei einem Gespräch in der Staatskanzlei am 2. September 1991 an handfesten Informationen über Rauls interessiert gewesen.
»Ein Auftrag« sei das zwar nicht gerade gewesen, erklärte Vogel. Beim Herausgehen jedoch habe er von Münchs damaligem engsten Mitarbeiter, dem Ministerialdirigenten Rolf Schnellecke, noch einen Rat mit auf den Weg bekommen: »Vergessen Sie es nicht, denken Sie an den Wunsch des MP.«
Tatsächlich lieferte Vogel am 11. September 1991 in Münchs Staatskanzlei ein Dossier über Rauls ab, das den liberalen Politiker allerdings kaum belastete - zu wirr waren die Anwürfe.
Der Münch-Helfer Schnellecke war auch der Kontaktmann zu einem weiteren Informanten, der monatelang intensiv nach belastendem Material gegen Rauls forschte: In einer Reihe von Vermerken hielt Jürgen Schaper, der örtliche Resident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, fest, was seine Recherchen über Rauls ergeben hatten.
Schaper war zu diesem Zweck nach Niedersachsen gefahren, wo eine dubiose »Quelle Aktie« beim dortigen Verfassungsschutz über Rauls ausgepackt haben sollte. Doch auch diese Quelle erwies sich als trübe; Nachforschungen blieben ohne greifbares Ergebnis.
Seine Vermerke leitete Schaper an den Magdeburger Innenminister und früheren Hamburger Oppositionsführer Hartmut Perschau (CDU), dessen Staatssekretär Hans-Peter Mahn und auch an die Staatskanzlei weiter. Münchs Helfer Schnellecke traf sich mehrfach mit dem BfV-Mann, um ihn über Rauls auszufragen. Münch: »Schnellecke war für diese Frage zuständig in der Staatskanzlei.« Er habe Schnellecke dazu jedoch »keine Anweisung erteilt«. Schnellecke bestätigt gegenüber dem SPIEGEL den Geheimkontakt mit dem Verfassungsschützer: »Wir haben das durchaus erörtert. Ich konnte seine Erkenntnisse doch nicht einfach in den Papierkorb schmeißen.« Schnellecke bestreitet jedoch, Schaper jemals »einen Auftrag zum unlauteren Nachspionieren erteilt zu haben«.
Schaper sieht die Sache etwas anders. In einer »persönlichen Erklärung«, die dem SPIEGEL vorliegt, heißt es: _____« Die Brisanz des Vorgangs war mir von Anfang an bewußt » _____« . . . Als ich mit dem Vorgang konfrontiert wurde, hatte » _____« ich durch die Gespräche mit Herrn Dr. Mahn und Herrn » _____« Schnellecke den Eindruck, daß man von mir einfach » _____« erwartete, Vorschläge zu unterbreiten und diese auch » _____« auszuführen . . . Die Haltung meiner Gesprächspartner war » _____« aber die, die Angelegenheit so schnell wie möglich » _____« erledigt zu wissen, um mögliche Spekulationen bzw. » _____« weitere Medienschelte . . . zu vermeiden. »
Unlauter war die Sache in jedem Fall: BfV-Mann Schaper handelte ohne gesetzlichen Auftrag. Die Ausforschung von ehemaligen DDR-Politikern gehört nicht zum Auftrag des Verfassungsschutzes, wie auch Schaper einräumt: »IM-Ost«, so Schaper, »ist nicht unsere Aufgabe.«
Auch der Staatskanzlei von Werner Münch fehlte die gesetzliche Grundlage, in der Vergangenheit eines Kabinettsmitglieds herumzuprokeln. Das war ausschließlich Sache eines eigens dafür eingesetzten Sonderausschusses des Landtags, der eng mit der Gauck-Behörde zusammenarbeitete.
Doch der traute Münch nicht recht. Deswegen kann ihm die Sonderüberprüfung von Rauls nicht ungelegen gekommen sein.
Dabei bot sich der beflissene Schaper an, der in Magdeburg Karriere machen wollte - als Chef des geplanten Verfassungsschutzamtes. Nachfragen von Münchs engem Vertrauten Schnellecke nach härteren Fakten über Rauls mußte Schaper folglich als Auftrag empfinden, die Recherchen zu intensivieren.
Mit dem Abschieben der Verantwortung auf den Innenstaatssekretär Mahn und seinen damaligen Intimus Schnellecke hofft Münch, den Schwarzen Peter los zu sein, zumal Schnellecke mittlerweile den Dienst quittiert hat.
Ganz so arglos, wie Münch es erscheinen lassen will, kann im Herbst 1991 die Neugierde in der Staatskanzlei nicht gewesen sein.
Ein Christdemokrat aus der Umgebung des Ministerpräsidenten erinnert sich, daß in kleiner Runde gefordert wurde, »alle Möglichkeiten auszuschöpfen«, um Zweifel an Rauls auszuschließen. Und damit sei gemeint gewesen: »inklusive Einschaltung von Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst«.
* Am vergangenen Freitag vor dem Magdeburger Untersuchungsausschuß.