Australien Traurige Stümpfe
Die Gelassenheit des alten Mannes ist verblüffend. »Die da vorn haben verdammtes Pech gehabt«, sagt Geoffrey Steward, 67, und öffnet noch eine Dose »Foster's Lager«-Bier. »Oder wir hier haben verdammtes Glück gehabt.«
Drei Tage zuvor brannte der Wald am Abhang jenseits der Yates Road in Bangor, einem teuren Vorort im Westen Sydneys, lichterloh. Mit beängstigender Geschwindigkeit hatte sich eine bis zu 30 Meter hohe Feuerwand den Hügel hinaufgefressen, auf die Siedlung zu, deren Bewohner erst in letzter Minute evakuiert werden konnten. Am Tag darauf kehrten die Leute von Bangor in eine Landschaft zurück, die so aussah, als gehörte sie zu einem anderen Planeten.
Kein Baum, kein Strauch mehr am zuvor dichtbewaldeten Berghang. Nur schwarze nackte Erde mit schwarzverkohlten traurigen Stümpfen von vordem mächtig ausladenden Eukalyptusbäumen. Von einem Bungalow sind knapp kniehoch die zerborstenen Grundmauern übriggeblieben. Das Auto in der Garage ist zu einem undefinierbaren Klumpen geschmolzen; von einer Villa steht allein noch der Kamin neben dem leeren Swimming-pool.
Zwischen den beiden Ruinen, jeweils keine 50 Meter entfernt, liegt Stewards Anwesen. Die hintere Mauer des Hauses ist ein wenig angesengt, aber sonst unversehrt, der Rasen im kleinen ummauerten Vorgarten zeigt gar noch einen Hauch von Grün. »Unglaublich«, murmelt ein Anwohner, während Steward ein handgeschriebenes Plakat an die Haustür klebt. Darauf steht nur ein Wort: »Thanks« - Danke.
Im Süden der australischen Dreieinhalb-Millionen-Metropole Sydney, da, wo sich die Stadt fast unkontrolliert in den unwegsamen Busch vorschiebt, liegen die bescheideneren Eigenheime der weniger Begüterten. Dazu gehört auch Jannali, ein Arbeiterbezirk, der am vorletzten Wochenende besonders schwer betroffen war.
Zwei komplette StraÃenzüge vernichtete das Flammeninferno innerhalb einer knappen Stunde. Eine Frau sprang mit ihren beiden Töchtern, 11 und 14 Jahre alt, in einen Swimming-pool, als die Feuerwalze den Ort überrollte. Doch sie konnte sich nicht retten. Nur ihre Kinder überlebten schwer verletzt.
Die ersten Feuer waren schon einen Tag nach Weihnachten aufgeflackert. Nach Ermittlungen von Polizei und Feuerwehr wurde die Hälfte der Waldbrände mutwillig gelegt. Der Jüngste unter den Verdächtigten ist erst 13. AuÃerdem sind neun Erwachsene in Haft, von denen einige trotz strikten Verbots Grillfeuer in ihren Gärten entzündet hatten.
Das »Unvorstellbare«, so der Polizeiminister des Bundesstaates Neusüdwales, Terry Griffith, trat am »Black Friday«, dem 7. Januar, ein: Waldbrände und Buschfeuer, im trocken-heiÃen australischen Sommer nicht ungewöhnlich, doch meist kontrollierbar, bedrohten Sydney, brachten Tod und Vernichtung zumindest in die AuÃenbezirke der Olympiastadt 2000.
Von Süden, Westen und Norden zugleich fraÃen sich die Buschflammen auf die Hafenstadt zu. Bis Anfang vergangener Woche war Sydney von einem gigantischen Feuerring eingeschlossen. Noch am Mittwoch flammten immer neue Brandherde im Villenviertel St. Ives auf, wo Millionäre ohnmächtig der Zerstörung ihrer Traumhäuser zusehen muÃten.
Sydney saà in der Feuerfalle, unberechenbare böige Winde erhöhten das Risiko. Zu Tausenden flohen die Menschen an die sicheren Pazifikstrände. Polizei und Feuerwehr evakuierten Zigtausende aus ihren Häusern.
Den Himmel über Sydney verfinsterten Asche und Qualm. Er franste am Horizont in orangefarbenen Fetzen aus. Der penetrante Geruch der brennenden ölhaltigen Eukalyptusbäume zog durch die StraÃen. Die Gesundheitsbehörde riet Asthmaanfälligen dringend, daheim zu bleiben. Der Luftverschmutzungsindex in Sydneys City stieg auf über 230 Punkte. 50 Punkte gelten normalerweise als kritisch.
Insgesamt waren mehr als 11 500 Männer im Einsatz, um den verheerendsten Waldbrand in der Geschichte von Neusüdwales einzudämmen. Ãber die Hälfte waren Freiwillige aus anderen Teilen des riesigen Kontinents. Australiens Ministerpräsident Paul Keating schlug vor, die freiwilligen Feuerwehren kollektiv mit dem Prädikat »Australier des Jahres« zu ehren. Doch diese Auszeichnung war bereits vergeben worden.
Die Betroffenheit der Feuerwehrleute über die entgangene Ehre hält sich in Grenzen. Die meisten fühlen wohl wie George Sheppard, 32, freiwilliger »bush-fire fighter«, der seit der Neujahrsnacht nahezu pausenlos im Einsatz ist. Sheppard hat nur einen einzigen Wunsch: »Wenn dieser Alptraum zu Ende ist, mit den Kollegen ein nachträgliches Silvester-Bier trinken und dann schlafen.«
Besonders schlimm sind die Folgen der Katastrophe für die Natur. In keinem anderen Bundesstaat Australiens gibt es so viele Nationalparks wie in Neusüdwales. Australiens ältestes Naturschutzgebiet, der »Royal National Park«, nur wenige Kilometer südlich von Sydney, wurde ein Fraà der Flammen. 97 Prozent dieser Urlandschaft wurden vernichtet. Die weltberühmten »Blauen Berge« im Westen Sydneys, so genannt, weil das ätherische Ãl von Millionen Eukalyptusbäumen die Atmosphäre scheinbar blau färbt, sind über Nacht verkarstet.
Insgesamt machte das Neujahrsfeuer in Neusüdwales fast eine Million Hektar Urwald zu Brachland. Mehr als 350 000 Hektar Wald muÃten die Feuerwehrleute für Gegenfeuer opfern, um noch gröÃere Schäden zu verhindern.
Ende letzter Woche war das groÃe Feuer offenbar unter Kontrolle. Es wäre wohl nicht zur Katastrophe gekommen, wenn die Agrar- und Forstbehörden alle zwei, drei Jahre Buschwerk und Unterholz abgebrannt hätten, um gröÃere Brände zu vermeiden - so wie es die Farmer seit 200 Jahren und die Ureinwohner seit Jahrtausenden mit Erfolg getan haben. Aber die Regierung von Neusüdwales hat Flämmen verboten - mit Rücksicht auf den Umweltschutz. Y