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ARCHÄOLOGIE Krimi um die Königin

Steht die Nofretete-Büste zu Unrecht in Berlin? Fast hundert Jahre nach Auffindung des Meisterwerks ist ihr Entdecker unter Fälschungsverdacht geraten. Er soll die Ägypter betrogen haben.
aus DER SPIEGEL 22/2009
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

Lauer Wind wirbelte durchs Wüstental von Tell el-Amarna. Männer mit Turban kratzten Erde von riesigen Häuserstümpfen und Palastruinen; andere schulterten Eimer und kippten das Geröll in die Loren einer Feldbahn.

Winter 1912: In Mittelägypten wurde die Hauptstadt des Pharaos Echnaton freigelegt, genannt »der erste Monotheist der Weltgeschichte«. Am Rande des Expeditionsfelds flatterten Zelte. In einem davon saß mit hohen Stiefeln und Tropenhut der Chefausgräber Ludwig Borchardt.

Am Nikolaustag die Sensation: »Etwa in Kniehöhe vor uns im Schutt wurde ein fleischfarbener Nacken mit aufgemalten Bändern bloß«, heißt es im Protokoll. Dann lag die Figur frei: schön wie eine Göttin, faltenlos, mit Schwanenhals und blauer Krone. 47 Zentimeter hoch ist die Büste Nofretetes, der Gattin Echnatons. »I. M.« (für: Ihre Majestät) nannte Borchardt ehrfurchtsvoll das 3300 Jahre alte Kunstwerk: Schlagartig zeige es »die wahre Höhe« der ägyptischen Bildhauerei.

Die Faszination hält bis heute an. Bis zu 700 000 Besucher pilgern alljährlich nach Berlin, um das Original im Ägyptischen Museum zu sehen. Im kommenden Oktober soll es seinen endgültigen Platz in einem Prachtraum auf der Museumsinsel erhalten. Oder muss die Dame etwa an den Nil zurück?

Ein Schatten hat sich auf das älteste Covergirl der Geschichte gelegt. Anlass ist ein Artikel im US-Fachblatt »KMT«, in dem der deutsche Ägyptologe Rolf Krauss einen ungeheuren Verdacht äußert.

Demnach habe Ludwig Borchardt (1863 bis 1938), zerfressen vom Ehrgeiz und unter enormem Leistungsdruck stehend, den Ägyptern - als Gegenleistung für die Nofretete - einen bunten »Klappaltar« angedreht, den er selbst fälschen ließ.

Über ein Dutzend verdächtige Details zählt Krauss auf, die das berühmte Relief (das Echnaton mit Gattin und Kindern zeigt) zu einem getürkten Machwerk erklären (siehe Grafik Seite 133).

In der Zunft der Ägyptologen machte sich vorige Woche Entsetzen breit. »Wenn das stimmt, wäre Borchardt ein Gauner, und wir verlieren vielleicht die schönste Antiquität, die unser Land besitzt«, so ein Forscher, »ich wäre todtraurig.«

An ein solches Fiasko glaubt der Hüter der Nofretete allerdings noch lange nicht. Die in »KMT« abgedruckte Mogelstory sei ein »Schmarrn«, ärgert sich Dietrich Wildung, der Direktor des Ägyptischen Museums. »Selbst ein Ignorieren dieses Unsinns wäre schon zu viel.«

Doch so einfach ist die Sache nicht. Krauss, 66, zählt zu den weltweit besten Kennern der Amarna-Zeit.

»Das Relief ist ein Pasticcio, ein in betrügerischer Absicht gefertigter Stil-Mischmasch«, urteilt nun auch der Leiter der Ägyptischen Sammlung im Kestner-Museum Hannover, Christian Loeben. Und Martin von Falck, Fachmann für antike Falsifikate, konstatiert: »Krauss nennt überzeugende Gründe, um das Altarbild stark in Zweifel zu ziehen.«

Falck empfiehlt, das berühmte Tausch-Gegenstück zur Nofretete (das heute im Nationalmuseum von Kairo steht) sofort einer »Analyse der Farben und des Grundmaterials« zu unterziehen. »Die Wahrheit muss ans Licht.«

Und die könnte bitter werden: Dass Ludwig Borchardt mit Tricks arbeitete, wird seit langem vermutet. 1899 war der Mann vom Außenministerium als »wissenschaftlicher Attaché« ans Generalkonsulat in Kairo geschickt worden. Er sollte als Schatzjäger die Interessen des Kaiserreichs wahren.

Der junge Gelehrte sei »taktlos und schroff«, beschwerte sich bald ein britischer Kollege. Borchardt schnüffelte in der Kairoer Fälscherszene herum, er kaufte Papyri in den Suks und bestach Fotografen, um an die Fundbilder ausländischer Kollegen zu kommen.

Schließlich musste er sogar zugeben, dass er »Privatbriefe und fremde Aktenstücke« unerlaubt in seinen Besitz gebracht hatte. Das Außenministerium erwog einen Rauswurf - entschied dann aber anders.

Bis heute sind die Affären um den schillernden Altertumsforscher, der seine Infos direkt an »den Reichskanzler« weitergab, kaum aufgearbeitet. Sein Haus in Kairo, gelegen auf der luxuriösen Nilinsel Zamalek, ist heute ein Archiv. Im Keller liegen Tausende Privatbriefe. Sie werden abgeschirmt.

Von seiner Villa aus fädelte der Gelehrte im Jahr 1911 auch seinen größten Coup ein. Stets in Tuchfühlung mit der Schieberszene, bekam er Wind davon, dass im Untergrund neue, staunenswerte Echnaton-Skulpturen kursierten.

Borchardt verfolgte deren Herkunft bis ins Wüstenkaff von Amarna und überredete den Berliner Fabrikanten James Simon, sich um eine Grabungslizenz zu bemühen. Der Unternehmer, zugleich Gründer der noblen Deutschen Orient-Gesellschaft (DOG), griff tief in die Tasche und sicherte sich den Claim - knapp vor Franzosen und US-Amerikanern.

Auf Schiffen segelten die Deutschen den Nil hinauf, um Echnatons sagenumwobene Sonnen-Metropole freizulegen. Guruartig hatte der Pharao dort mit seiner Gemahlin Friede, Freude und Aton-Herrlichkeit gepredigt. Andere Göttertempel im Land ließ er dagegen schänden.

Im Dezember 1912 hatten sich die Deutschen bis in die verfallene Werkstatt des Bildhauers Thutmosis vorgekämpft. Wundervolle Kleinskulpturen lagen im Schutt, dann folgte die Nofretete. Am Ende der Kampagne hatte der Trupp über 400 Artefakte erbeutet.

Die galt es allerdings zu teilen, und zwar »à moitié exacte« (zu gleichen Hälften), wie es das ägyptische Gesetz vorschrieb. Zu diesem Zweck reiste am 20. Januar der Antikeninspektor Gustave Lefébvre an - ein Franzose, welcher der britischen Kolonialmacht unterstand.

Am Abend zuvor war die Stimmung bei den Deutschen miserabel, so der Schriftführer der DOG. Niemand hegte »die geringste Hoffnung«, die Nofretete behalten zu können. Deshalb »wallfahrten sämtliche Insassen des Grabungshauses in feierlichem Zuge, jeder mit einer Kerze in der Hand, ins Magazin, um Abschied von der 'bunten Königin' zu nehmen«.

Doch es kam anders. Borchardt hatte sich gut auf den Termin vorbereitet. Erst zeigte er dem Besucher ein unvorteilhaftes Foto der Büste. Dann führte er ihn eilig ins Magazin, wo die Funde bereits in Kisten verpackt standen, die Deckel waren offen. All das sah Lefébvre in »nicht gerade bester Beleuchtung«, heißt es in einer DOG-Notiz.

Als der SPIEGEL jüngst die heiklen Details des Geschachers im Wüstensand öffentlich machte (Heft 7/2009), war die Aufregung groß. Er wolle die edle Figur sofort zurück, zürnte Ägyptens Altertümer-Chef Zahi Hawass: »Und diesmal meine ich es sehr ernst!«

Was ihn besonders erboste: Borchardt hatte auf der Teilungsliste angegeben, die Büste sei aus »Gips« - in Wahrheit hat sie einen Kalksteinkern mit Stucküberzug. Selbst der DOG-Schriftführer gab intern zu: »Eine Vermogelung des Materials«.

Der nun von Krauss vorgebrachte Vorwurf reicht aber viel weiter. Über zwölf Fälschungshinweise zählt er auf: vom seltsamen Ellbogenknick des Pharaos über Schreibfehler in den Hieroglyphen bis zum Fußkissen der Nofretete.

»Die ganze Bildanordnung ist völlig untypisch«, pflichtet ihm Loeben bei. Schon frühere Prüfer wunderten sich über die »moderne« Anmutung der Familienszene. Die sitzende Prinzessin auf dem Schoß sei völlig unägyptisch als »hässliche kleine Kröte« dargestellt.

Wildung hält dagegen: »Nur gut, dass die Geschichte der Bildhauerei von Künstlern geschrieben wird und nicht von schlaumeiernden Kunstgeschichtlern.«

Zeit, um den Betrug einzufädeln, hätte der Ausgräber genug gehabt. Kurz nach Entdeckung der Nofretete am 6. Dezember verließ er Amarna und reiste nach Kairo. Erst einen Monat später kehrte er zurück. Am 11. Januar 1913 fand der Vorarbeiter Abulhassan den bunten Altar.

»Es wäre ein Leichtes gewesen, in der Zwischenzeit einen Steinmetz mit einem Falsifikat zu beauftragen«, argumentiert Krauss. Richtig ist, dass sich in Kairo damals viele kunstfertige Schwindler tummelten, deren Techniken Borchardt eingehend studiert hatte.

Verdächtig ist zudem, dass der strittige Klappaltar einer Stele ähnelt, die sich bereits 1898 im Besitz des Berliner Ägyptischen Museums befand - Borchardts alter Arbeitsstätte. Krauss glaubt: »Dies war das Vorbild für die Fälschung.«

Nach der Verschiffung der Nofretete an die Spree gingen die Heimlichkeiten weiter. Borchardt forderte das Außenministerium auf, die Büste »nicht nur diskret, sondern sekret« - also geheim - zu behandeln. Bis 1924 lag sie im Depot.

Bahnt sich da ein Großskandal an? Sollte der Klappaltar wirklich unecht sein, wäre die deutsche Position im seit langem schwelenden Rückgabestreit um die Nofretete enorm geschwächt.

Berlin brauche dieses Idealbild der Schönheit, das unsere Hauptstadt mit der ältesten Hochkultur der Welt verbindet, glauben viele Politiker. Auch der Entlarver Krauss will von einer Rückgabe nichts wissen: »Aber um eine Entschädigung werden wir nicht herumkommen.«

Kunsthändler schätzen den Wert der Büste auf 390 Millionen Dollar.

MATTHIAS SCHULZ

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