Jeder Politiker gerät manchmal an diesen Punkt, an dem er sich fragen muss, ob er es darauf ankommen lässt: Ob er den eigenen Überzeugungen folgt und darüber sein politisches Ende in Kauf nimmt. Oder ob er sich den bitteren Realitäten stellt und unangenehme Kompromisse schließt.
Nach anderthalb Jahren im Amt ist für Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) nun dieser Moment gekommen. Er hält nichts von der Vorratsdatenspeicherung, er hat es oft gesagt. Maas hat versucht die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsdaten aller Deutschen zu verhindern, das angeblich die Aufklärung von schweren Straftaten beschleunigen soll.
Dann aber meldete sich Ende März Vizekanzler Sigmar Gabriel zu Wort. Überdeutlich betonte der, dass er die Vorratsdatenspeicherung will – und zwar bald. Der SPD-Vorsitzende fand es schon immer wichtig, dass die Polizei auf gespeicherte Telekommunikationsdaten zurückgreifen kann – wie übrigens nicht wenige Sozialdemokraten. Die Partei ist beim Thema Vorratsdatenspeicherung gespalten. Zwischen jung und alt – sagen manche. Zwischen der digitalen datenschutzaffinen Generation und denen, die an die Vorteile für die Innere Sicherheit glauben.
Rücktritt war keine Option
Nun hat Minister Maas geliefert, genau vier Wochen nach der Ansage seines Chefs. Es ist Mittwochmorgen, Maas sitzt aufrecht in seinem Ministerium, der Anzug passt makellos. Die Sonne scheint durch die Fenster, der Minister wirkt aufgeräumt, er guckt freundlich, lobt den "guten Kompromiss", den er mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) gefunden hat. Statt "Vorratsdatenspeicherung" sagt Maas "Mindestspeicherpflicht" – das klingt harmloser.
Maas Vorgängerin im Amt, die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger trat zurück, als sie den großen Lauschangriff ausarbeiten sollte – aus Gewissensgründen. Für Maas war das nie eine Option. Nach langen Politikerjahren im bundespolitisch unbedeutenden Saarland war der Ministerjob in Berlin seine große Chance. Inzwischen ist er im Amt angekommen: Selbst vom Koalitionspartner wird er für seine Arbeit gelobt, er findet Gehör, er macht Schlagzeilen, er hat an Format gewonnen. Vor allem steht Maas loyal zu Gabriel, der an ihn glaubte und ihn zum Minister machte.
Als Maas im September 2013 zum Bundesjustizminister befördert wurde, wusste er außerdem, was da auf ihn zukommen könnte. Im Koalitionsvertrag hatten sich Union und SPD darauf geeinigt, eine EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung auch in Deutschland umzusetzen. Maas schöpfte Hoffnung, weil der Europäische Gerichtshof dann die Richtlinie 2014 verwarf – sie sammele anlasslos viel zu viele Daten Unschuldiger. Dennoch gab es Gespräche zwischen Bundesinnenministerium und dem Haus des SPD-Politikers über eine Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung. Eile hatte Maas nicht, er wollte ja kein neues Gesetz für Deutschland. "#VDS lehne ich entschieden ab", twitterte er noch im Dezember. Dann kam, eigentlich ohne erkennbaren Grund, Gabriels Machtwort.
Gabriels Kalkül
Selbst parteiinterne Kritiker der Vorratsdatenspeicherung sind daher milde mit Maas – gelegentlich wird am Mittwoch sogar von "Stolz" auf den Minister gesprochen: Er habe noch das Beste aus einer ärgerlichen Situation gemacht: Die Speicherfrist auf 10 Wochen verkürzt, Ausnahmen und Datenschutzkriterien durchgesetzt.
Der Chef jedenfalls ist hochzufrieden. "Heiko Maas hat wirklich hervorragende Arbeit geleistet", ließ Sigmar Gabriel mitteilen. Nun hoffe er, dass die "gelegentlich allzu emotional und ideologisch geführte Debatte" um die Vorratsdatenspeicherung schnell versachlicht werde.
Gabriel hat die Vorratsdatenspeicherung in den vergangenen Wochen mit teils abstrusen Argumenten verteidigt. Sie hätte in Norwegen zur schnelleren Ergreifung von Anders Breivik geführt, sagte der Vizekanzler – doch Norwegen ist die Vorratsdatenspeicherung noch gar nicht in Kraft. Sie hätte manche der lange Jahre unerkannten NSU-Morde verhindern können, betonte der SPD-Vorsitzende. Doch was helfen Verbindungsdaten, wenn man die falsche Tätergruppe im Blick hat? Zumal untergetauchte Terroristen wohl eher selten ihre Handys auf den eigenen Namen registrieren lassen.
Aber es sind nicht nur die Sachargumente, die Sigmar Gabriel zu einem Befürworter der Vorratsdatenspeicherung machen. Der SPD-Chef denkt strategisch: Er will das Thema Innere Sicherheit nicht allein der CDU überlassen. Die abstrakt hohe Terrorgefahr in Deutschland tut dabei ihr übrigens: Sollte es wirklich einmal einen Anschlag in Deutschland geben, will der Vizekanzler sich nicht vorwerfen lassen, dass seine SPD die schnelle Aufklärung und damit mögliche Prävention weiterer Straftaten verhindert habe.