Eine Woche nach dem turbulenten Parteitag der AfD in Essen hat die neue Chefin Frauke Petry auch in Berlin offiziell bekundet, ihre Partei thematisch auf Kurs zu halten. Wichtigstes Thema sei nach wie vor die Kritik am Euro und an der Rettungspolitik, erläuterte sie im Anschluss an eine Vorstandssitzung. Lediglich werde man die europapolitischen Schwerpunkte stärker herausarbeiten. Sie werde die AfD zudem vom rechtslastigen Image befreien, sagte Petry. Etwa in ihrem sächsischen Landesverband seien Ausländerthemen "überbetont" worden. Sie kündigte an, dies zu "korrigieren". Ähnlich hatte sie es im ZEIT-ONLINE-Interview gesagt.
Es gehe darum, sich in der Euro-Politik "viel stärker"
mit Gleichgesinnten etwa in Großbritannien oder den Niederlanden zu
vernetzen, erläuterte Petry. Als weitere Schwerpunkte beschrieb sie Volksentscheide auch auf
Bundesebene, außerdem Mittelstandsförderung und Familienpolitik. Als
letztes Thema in dieser Aufzählung kam die Einwanderungspolitik – hier hatten sich die Nationalkonservativen in der Partei am stärksten hervorgetan. Das nationale Lager formulierte an Petry nun die Erwartung, den rechten Kurs nicht aufzugeben. "Unter Frauke Petry ist einfach mehr Mut zu Deutschland möglich als unter
Lucke, und deshalb haben wir sie in Essen gegen Lucke unterstützt", schrieb Petrys Parteikollege Hans-Thomas Tillschneider, Mitglied im sächsischen Landesvorstand und Mitgründer der Patriotischen Plattform der AfD, im neurechten Blog Sezession.
Zuletzt hatten die Nationalkonservativen in der AfD an Boden gewonnen. Auf dem Essener Parteitag war der nordrhein-westfälische Landeschef Marcus Pretzell mit der Feststellung aufgefallen, die AfD sei eine "Pegida"-Partei. Viele Redner polemisierten in teils beleidigendem Tonfall gegen Asylbewerber, den Islam und gegen Homosexuelle, ohne dass Petry selbst mäßigend eingriff. Parteivize Alexander Gauland, Fraktionschef in Brandenburg, hatte gesagt, in der Partei dürfe es keine roten Linien geben. Petry hatte sich davon distanziert.
Anfangs hatte auch Partei-Mitgründer Bernd Lucke um die Stimmen von Kritikern des Islam und der Asylpolitik geworben. Später warnte er vor rechten Einflüssen und vor einer Partei nach Vorbild des französischen Front National – und wurde auch deshalb am vergangenen Wochenende abgewählt.
Petry warf Lucke vor, er habe versucht, "die Partei von innen heraus kaputt zu machen". Er habe "Propaganda im schlimmsten Sinn" betrieben und versucht, der AfD einen Rechtsruck zuzuschreiben.
Seit Luckes Abwahl traten nach Angaben der Partei 2.000 Mitglieder aus, ein Großteil Lucke-Anhänger, die sich zuletzt im von Lucke gegründeten parteinahen Verein Weckruf 2015 gesammelt hatten. Petry rechnet mit insgesamt 4.000 Austritten, wie sie sagte. Lucke selbst trat bereits aus, ebenso der Europaabgeordnete Bernd Kölmel, Landesvorsitzender in Baden-Württemberg, Ulrike Trebesius aus Schleswig-Holstein und ihre Stellvertreter gaben am Freitag die Mitgliedskarten zurück. Die Wirtschaftsfachleute Joachim Starbatty und Hans-Olaf Henkel waren schon zu Wochenbeginn ausgetreten. Petry sagte, sie sei "enttäuscht", dass die Abgeordneten nicht ihre Mandate zurückgeben wollten. So würde die AfD um die bei Wahlen errungenen Sitze betrogen.
Auf einem Twitter-Account, der Austritte dokumentiert, war sogar von fast 3.000 Austritten bis Freitagmittag die Rede. Ganze Kreisvorstände und zahlreiche Bezirksverantwortliche verlassen die Partei. Die Erosion beschränkt sich größtenteils auf den Westen Deutschlands, wo Lucke bisher die Landesverbandsspitzen von Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz, Bayern und Baden-Württemberg hinter sich hatte. Im Osten, wo die Partei in drei Landesparlamenten vertreten ist, blieb die Lage stabil. In Thüringen gab es vor dem Parteitag drei Austritte aus der Landtagsfraktion. Im Europaparlament ist die AfD nach dem Austritt von fünf Abgeordneten nur noch durch Beatrix von Storch und Marcus Pretzell vertreten.
Die Partei hatte vergangenes Wochenende 22.000 Mitglieder. Der Verein Weckruf 2015 gab die Zahl seiner Unterstützer zugleich mit 4.000 an. In einer Umfrage, an der 2.600 teilgenommen hatten, sprachen sich drei Viertel der Weckruf-Anhänger dafür aus, eine neue Partei zu gründen. Etwa 1.800 erklärtern sich bereit, aktiv mitzuwirken, etwa 1.100 sicherten Hilfe beim Aufbau zu, 1.200 finanzielle Unterstützung. Ob sich eine Partei neu gründet, soll sich in den kommenden Wochen entscheiden. Unter dem Arbeitstitel Neustart 2015 wirbt die Initiative dafür, die "AfD des Jahres 2013" neu zu gründen.
Petry präsentierte in Berlin auch ihren wirtschaftspolitischen Hoffnungsträger, den baden-württembergischen Volkswirt Jörg Meuthen, der bisher wenig politisch auffiel. Beide kündigten an, die Partei werde Anfang kommender Woche die Bundesbürger aufrufen, per Onlinepetition ihre Meinung zum Thema Griechenland und "zum Ende der Rettungsschirme" zu äußern. Zudem werde es Unterschriftenaktionen geben.