Im ersten Gasthofe des Bades zu K* verweilte eines Abends eine kleine Gesellschaft von Damen und Herrn im gro�en Speisesaale, der nur noch sparsam erleuchtet war. Der Hofrat Arbogast, ein munterer, kurzweiliger, obgleich etwas eigener Mann von imposanter Gestalt, schon in den F�nfzigen, schickte sich an, eine Geschichte zu erz�hlen.
Er war, durch r�tselhafte Umst�nde beg�nstigt, vom Goldschmied aus sehr schnelle zur Bedienung des damals sogenannten k�niglichen Schatzmeisteramtes in Achfurth gelangt, und eine Zeitlang gingen im h�hern Publikum seltsame Sagen dar�ber, indem man nicht umhin konnte, die Sache mit einer, auf keinen Fall ganz grundlosen Gespenstergeschichte, welche den Hof zun�chst anging, in Verbindung zu bringen.
Nun wurde man auch gegenw�rtig wieder durch eine lustige Wendung, die das Gespr�ch genommen hatte, von selbst auf diesen Gegenstand gef�hrt, und da man dem Hofrat mit allerlei Sp��en und Anspielungen stets n�her auf den Leib r�ckte versprach er der Gesellschaft auf die Gefahr hin Gen�ge zu tun, da� man Unglaubliches zu h�ren bekommen und sich am Ende ganz gewi� bitter beklagen w�rde, als wenn er sie mit einem blo�en Kinderm�rchen h�tte abspeisen wollen. �Es ist einerseits schade�, f�gte er bei, �da� meine Frau sich heute so fr�h zur�ckgezogen hat. Da das, was Sie vernehmen sollen, ein St�ck aus ihrem, wie aus meinem Leben ist, so k�nnten wir uns beide f�glich in die Erz�hlung teilen, Sie h�tten jedenfalls sogleich die sicherste Kontrolle f�r meine Darstellung an ihr. Auf der andern Seite gewinnt aber diese vielleicht an Unbefangenheit und historischer Treue –� �Nur zu! nur angefangen!� riefen einige Damen: �Wir sind nicht allzu skrupul�s, und die Kritik, wer Lust zu zweifeln hat, steht nachher jedem frei.�
Wohlan! In Egloffsbronn, einer der �ltesten St�dte des K�nigreichs, lebte mein Vater, ein wackerer Goldschmied. Ich, als[403] der einzige Sohn, sollte dieselbe Kunst dereinst bei ihm erlernen, allein er starb fr�hzeitig, und f�r das gr��te Gl�ck war es daher zu halten, da� mich Herr Vetter Christoph Orlt, der erste Goldarbeiter in der Hauptstadt, umsonst in die Lehre aufnahm. Ich hatte gro�e Lust an dem Gesch�ft und war so flei�ig, da� ich nach f�nf Jahren als zweiter Gesell in der Werkstatt sa�.
Mein gutes M�tterlein war indes auch gestorben. Wie gern gedacht ich ihrer, wenn ich in Feierstunden oft an meinem Eckfenster allein zu Hause blieb, mit welcher Ehrfurcht zog ich dann zuweilen ein gewisses Angebinde hervor, welches ich einst aus ihrer Hand empfing! Es war am Tag der Konfirmation. Ich hatte nach der Abendkirche mit den andern Knaben und M�dchen einen Spaziergang gemacht – wie das so Sitte bei uns ist, da� die festliche Schar mit gro�en Blumenstr�u�en an der Brust zusammen vor das Tor spaziert – und war nun eben wieder heimgekommen, da holte meine Mutter aus dem Schrank ganz hinten ein kleines wohlversiegeltes Paket hervor, worauf geschrieben stand: �Franz Arbogast am Tage seiner Einsegnung treulich zu �bergeben.� Die Mutter versicherte mir, sie wisse nicht, woher es eigentlich komme, ich sei noch ein kleiner Bube gewesen, als sie es eines Morgens auf dem Herd in der K�che gefunden. Mir klopfte das Herz vor Erwartung; ich durfte den Umschlag mit eigenen H�nden erbrechen, und was kam heraus? Ein B�chlein, schwarz in Korduan gebunden, mit gr�nem Schnitt, die Bl�tter schneewei� Pergament, mit allerlei Spr�chen und Verslein, von einer kleinen, gar niedlichen Hand fast wie gedruckt beschrieben. Der Titel aber hie�:
Schatzk�stlein,
zu Nutz und Frommen
eines
J�nglingen,
so als ein Osterkind geboren ward,
in 100 Reguln allgemeiner Lehr,
nebst einer Zugab
f�r sondere F�ll in Handel und Wandel;
wahrhaftig abgefasset
von
Dorothea Sophia von R.
Ich meinerseits war freilich insgeheim in meiner Hoffnung ein wenig get�uscht; die Mutter aber legte vor freudiger Verwunderung[404] ihre H�nde zusammen. �Ach Gott!� rief sie aus �es ist die Wahrheit, ja, am Ostersonntag mittags zw�lf Uhr hast du zum erstenmal das Licht der Welt erblickt!� Sie pries und segnete mich. �Mein Sohn�, sagte sie, �du wirst im Leben viel Gl�ck haben, wenn du dich christlich h�ltst und auf die Weisungen in diesem B�chlein merkst.� Sie unterlie� auch nicht, mir meine Pflichten wiederholt ans Herz zu legen, als sie mir bald darauf mein Wanderb�ndel schn�rte, darin das wunderliche Schatzk�stlein den besten Platz erhielt.
Ich k�nnte gerade nicht sagen, da� ich die n�chsten Jahre einen absonderlichen Segen von diesem seltenen Besitztum sp�rte, obwohl ich gar bald die s�mtlichen Spr�che von vorn und von hinten auswendig wu�te; ja zu einer gewissen kritischen Zeit, wo ich gerade angefangen hatte, Wirtshaus, Tanzboden, Kugelbahn �fter als billig zu besuchen, da waren es, wie mir deuchte, nicht sowohl die hundert Reguln, als vielmehr die Erinnerung an meine gute Mutter, die Vorstellungen meines ehrlichen Meisters, was mich bald wieder ins Geleise brachte. Hier sei es �brigens gelegentlich bemerkt, da� mir von allen Arten der Versuchung just die am wenigsten gef�hrlich war, die sonst in jenen Jahren die allergew�hnlichste ist, die Neigung zu dem weiblichen Geschlechte. Es hatten deshalb meine Kameraden das ewige Gesp�tt mit mir, ich hie� ein kalter Michel hin und her, und weil ich doch zuletzt um keinen Preis der Tropf sein wollte, der nicht wie jeder andere brave Kerl sein M�dchen h�tte, nahm ich etlichemal einen t�chtigen Anlauf, kam bei ein St�ck drei oder vieren herum, darunter ein Paar Goldfasanen, die redlich ihren Narren an mir fra�en; allein es tat nicht gut, nach vierzehn Tagen wollte ich schon Gift und Galle speien, vor lauter Langerweile und heimlichem Verdru�. Kurzum, auf diesen Punkt schien wohl mein Schatzk�stlein recht zu behalten – �Dein erstes Lieb, dein letztes Lieb.� Ich konnte dieses Wort lediglich nur auf eine Kinderliebschaft mit einem guten armen Gesch�pfe beziehen, das ich als das Opfer eines fr�hzeitigen Todes von Herzen beweinte.
Mein Vetter schenkte mir sofort ein immer gr��eres Vertrauen. Er schickte mich manchmal auf kleine Gesch�ftsreisen aus, er fing nichts Neues von Bedeutung an, eh er mit mir es erst besprochen hatte, und als er den Befehl erhielt, auf die Verm�hlung Seiner Majest�t des K�nigs mit einer Prinzessin von Astern den Kr�nungsschmuck f�r die durchlauchtige Prinzessin[405] Braut zu fertigen, so konnte er mir wohl keine gr��ere Ehre erzeigen, als da� er das Hauptst�ck des wichtigen Auftrags, n�mlich eine Krone von durchaus massiver, doch zierlicher Arbeit, wie sie sich in die Haare einer sch�nen, blutjungen K�nigin geziemt, mir gr��tenteils allein zu �berlassen dachte. Die Zeichnung war gemacht und h�chsten Orts gebilligt. Bevor man aber an das Werk selbst ging, war noch verschiedenes zu tun. Besonders fehlte es noch an einigen Steinen, die man im Lande nicht nach Wunsch erhalten konnte, daher mein Vetter sich nach reifer �berlegung zuletzt dahin entschied, ich sollte selbst nach Frankfurt gehn, die Steine auszuw�hlen. Es handelte sich nur darum, auf welche Art ich am sichersten reise, denn leider waren die Posten damals noch nicht so vortrefflich als jetzt eingerichtet; indessen fand sich doch Gelegenheit, die ersten Stationen mit ein paar Kaufleuten zu fahren. Der Vetter z�hlte mir vierhundert blanke Goldst�cke vor, wir packten sie sorgf�ltig in mein Felleisen, und ich reiste ab.
Den zweiten Tag, in Gramsen, wo das Gef�hrt einen andern Weg nahm und mich daher absetzte, fiel Regenwetter ein, ich mu�te mich bis zu Mittag gedulden, da ich es mir denn gern gefallen lie�, da� mir der Gramsener Bote ein Pl�tzchen ganz hinten in seinem Wagen gab, den eine Bl�ue gegen Wind und Wetter sch�tzte Ein junger Mann, ein Jude, wie mir schien, war meine einzige Gesellschaft. Wir waren gar bequem zwischen Wolls�cken gelagert, nur ging die Fahrt etwas langsam. Es wurde Nacht bis man Schwinddorf erreichte, wo der Jude sich absetzen lie�, indes wir noch drei gute Stunden bis zu dem St�dtchen R�sheim vor uns hatten. Als ich nun so allein in meiner dunkeln Ecke lag und an verschiedenem herumdachte, war mir, als h�tt ich l�ngst einmal geh�rt, da� diese Gegend nicht im besten Rufe stehe; besonders schwebte mir die sonderbare Geschichte eines Galanterieh�ndlers vor, welchem sein Kasten, w�hrend des Marschierens, auf ganz unbegreiflich listige Art, Schubfach f�r Schubfach, soll ausgeleert worden sein. Mein Fuhrmann wollte zwar so eigentlich nichts von dergleichen wissen, doch konnte ich mich nicht enthalten, von Zeit zu Zeit durch die Tuchspalte hinten mit einem Aug hinauszuschauen. Der Himmel hatte sich wieder gekl�rt, man konnte jeden Baum und jeden Pfahl erkennen, man h�rte auch nichts als das Klirren und �chzen des Wagens, inzwischen lie� ich doch die Hand nicht von meinem Gep�ck und tr�stete mich mit des Fuhrmanns[406] gro�em Hund; nur kam es mir ein paarmal vor, als wenn die Bestie sonderbar winsle, das ich aber zuletzt mitleidig dem puren Hunger zuschrieb.
�Jetzt noch ein Viertelst�ndchen, Herr, so hat sich's!� rief mir der alte Bursche zu und lie� zum erstenmal die Peitsche wieder herzhaft knallen. �Die Wahrheit zu gestehn�, f�gte er bei, �sonst ist es auch gerade nicht mein Sach, so sp�t wegfahren: ein Fuhrmann aber, wi�t Ihr wohl, hat es halt nicht immer am Schn�rlein. Nu –
's L�wenwirts Roter
ist allzeit hell auf!�
Es schlug halb zw�lfe, als man vor das St�dtchen kam. Am n�chsten Wirtshaus hielten wir. Es schien kein Mensch mehr aufzusein. Ich hob indes getrost mein Gep�ck aus dem Wagen. Aber – H�lle und Teufel! wie wurde mir da! – das Ding war so leicht, war so locker! Den Angstschwei� auf der Stirn eil ich ins Haus; ein Stallknecht, halb im Schlaf, stolpert mit seiner Laterne heraus, ein zweites Licht rei� ich ihm aus der Hand, und jetzt in der Stube gleich atemlos wie der Feind �bers Felleisen her! Das Schl��chen find ich unverletzt, ganz in der Ordnung – weiter – Allm�chtiger! mein Gold ist fort! Der Schlag wollte mich treffen. �Nein, nein, ums Himmels willen, nein! es ist nicht m�glich!� rief ich in Verzweiflung, und w�hlte, zauste alles durcheinander. Das Schatzk�stlein fiel mir entgegen (ich hatte es nur gleichsam aus Erbarmen so mitlaufen lassen): im Wahnsinn meiner Angst hielt ich es einen Augenblick f�r m�glich, das B�chlein habe mir meine Dukaten verhext! – Halb mit Wut, halb mit Grauen warf ich den schwarzen Kr�ppel an die Wand; allein wie schnell verschwand der vermeintliche Zauber, da sich ein Messerschnitt, vier Finger breit, in meinem Felleisen entdeckte! Jetzt wu�t ich vorderhand genug: der Jude hat dich bestohlen!
Soeben wollte ich hinaus, die Hausleute, die Nachbarschaft aufschreien – da mu� mein Fu� zuf�llig nochmals an das arme B�chlein sto�en, und wie ein Blitz schie�t der Gedanke in mir auf: Halt! wie, wenn heut Sankt Gorgon w�re? Mechanisch nehm ich es vom Boden; indem tritt der Kellner herein, gr��t, fragt, ob ich noch zu trinken verlange? Ich nicke stumm, gedankenlos, und sehe mich dabei nach einem Wandkalender um.[407] �Was ist gef�llig? neuer? alter? Dreiundachtziger? vierundachtziger?�
�Versteht sich, einen neuen!� rief ich mit Ungeduld und meinte den Kalender; �den heurigen, nur schnell! nur her damit!�
Der Kellner l�chelte hochweise: �Wir haben hierzuland noch keinen heurigen!�
�Wie? was? um diese Zeit? verflucht! so bringt ins Kuckucks Namen einen alten! Das ist mir aber doch, beim Donner, eine Wirtschaft, wo man – ei da� dich, da h�ngt ja doch einer!� Ich ri� den Kalender vom Nagel, ich bl�tterte mit bebender Hand – richtig! Gorgonii, der 9. September! Und da� ich jetzt nicht wie ein Narr vor Freuden in der Stube herumtanzte, den Gl�serschrank zusammenschlug, den Kellner umarmte, war alles. Von nun an wu�te ich, was f�r ein herrliches Kleinod mein Schatzk�stlein sei. Stand nicht ein Verslein drin, ein Reimlein, ach, mehr wert als alle Reime in der Welt? (der siebente war's in der Zugab f�r sondere F�ll):
Was dir an Gorgon wird gestohlen,
Vor Cyprian kannst's wieder holen;
Jag nit darnach, mach kein Geschrei,
Und allerdings f�rsichtig sei.
Ich zweifelte nicht einen Augenblick an der Unfehlbarkeit dieses prophetischen Rates. Denn, dacht ich, w�r es �berhaupt nicht richtig mit dem B�chlein, wie konnte es denn wissen und mir so treulich melden, da� man mich just auf Gorgonstag bestehle? und dann – und kurz, es war in mir ein unwiderstehlicher Glaube: vor Cyprian kannst's wieder holen. Bis dorthin waren's freilich noch immer siebzehn Tage; nun, meinte ich, das ist der �u�erste Termin, wer wei�, es kann so gut auch morgen und �bermorgen gl�cken. Wart Mauschel, wart Halunk! es wird sich bald aus weisen, wo deine Krallen es eingescharrt haben; drei Schritt von deinem Galgen, hoffe ich.
Franz Arbogast setzte sich hinter den Tisch, mit einer Empfindung, mit einem Gesicht, wie ungef�hr ein Kaufmann haben mag, wenn er gerade einen Brief aus Nordamerika bekam, des Inhalts: Mein Herr! Ich habe die Ehre zu melden, da� Ihr sehr wackeres Schiff, die Faustina, nachdem wir sie bereits in der Gewalt der Seer�uber geglaubt, soeben wohlbehalten im Hafen eingelaufen ist.[408] Ich a� und trank nach Herzenslust, schenkte besonders auch dem Fuhrmann tapfer ein, der mir gestand, der Kellner habe ihm vorhin ins Ohr gesagt, ich m�sse wohl ein Wiedert�ufer sein, ein Separatiste oder dergleichen, ich h�tte mein Gebetbuch so n�rrisch gek��t. �Gut�, habe er darauf gesagt, �wenn's nur kein Jude ist; denn der, den ich gefahren, der Spitzbub, stiehlt mir ein Paar nagelneue Handschuh weg! Ich hatte sie am Reif im Wagen h�ngen. Und das war nicht genug, beim Abschied im Finstern was tut er? dr�ckt mir den breiten nichtsnutzigen Knopf da in die Hand statt einem F�nfzehner! Aber, nur st�t! es gibt allerhand Kn�pf, ganz besondere Sorten. Wi�t Ihr wohl, Herr, welches die besten Knopfmacher sind, will sagen, die flinksten, und macht doch einer lang kein Dutzend im Jahr? Ihr ratet's nicht. Die Henkersknecht! Mein Seel, wenn mir der Jud wieder begegnet, das R�tsel geb ich ihm auf; was gilt's, er hat's heraus, eh ich ihm zweimal mit der Gei�el winke?�
�H�rt�, sprach ich zu dem Fuhrmann, �Ihr seid ein braver Kerl, wi�t Ihr was? vielleicht da� mir der Jude doch noch fr�her in die H�nde l�uft als Euch; la�t mir den st�hlernen Knopf, hier ist ein Zw�lfer daf�r.� Der Handel fand keinen Anstand. – Mir fiel inzwischen ein, da� noch mein Stock im Wagen liege; ich ging mit Licht hinaus und fand bei der Gelegenheit noch einen meiner goldenen F�chse zwischen dem Flechtwerk des Korbes stecken und gleich dabei ein ziemlich gro�es Loch im Boden. Ich wu�te nicht recht was ich davon denken sollte. Ich lie� es eben gut sein; zu holen war heut doch nichts mehr.
Singend und pfeifend lie� ich mir meine Schlafkammer zeigen, und ruhiger schlief ich in meinem Leben nicht als diese Nacht.
Am andern Morgen nun, nach ernstlicher Erw�gung aller Umst�nde, schien es mir keineswegs geraten, mich aus der Gegend zu entfernen. Ein jeder Schritt schien zwecklos, wo nicht bedenklich. �Jag nit darnach.� Das war f�r mich eben, als wenn ein Daniel mit eigenem Mund zu mir gesprochen h�tte: �Mein Sohn, bleib Er ganz ruhig sitzen im L�wen zu R�sheim; Er sieht, es ist ein braves Wirtshaus hier; tu Er sich etwas g�tlich auf den gehabten Schreck und scher Er sich den Teufel um die Sache, Er wird bald h�ren, was die Glocke schl�gt.� Ich kam dieser Weisung gewissenhaft nach. R�sheim ist ein lustiges St�dtchen, es fehlte mir nie an Gesellschaft, besonders meine Wirtin[409] war die gute Stunde selbst. So gingen drei, sechs, sieben Tage hin. Dazwischen gab es freilich auch tiefsinnige Momente und nachgerade ward mir doch die Zeit zu lang.
Ich stehe eines Nachmittags am Fenster und gr�me mich �ber das k�stliche Wetter, das mir so j�mmerlich verlorengeht: kommt eine Chaise vor das Haus gefahren, die ich sogleich f�r dieselbe erkenne, mit welcher ich damals von Achfurth abreiste. Ein Herr steigt aus, es war einer von jenen Kaufleuten, der n�chste Nachbar meines Meisters, ein wusliger, kleiner geschw�tziger Mann. Schnell wollt ich noch entweichen, doch eh ich mich's versah, war er herein.
�Ah! was der Tausend – da ist ja Herr Franz! Sch�n, sch�n, da� wir uns unvermutet treffen! Auf Ehre, wie bestellt! Wie steht's in Frankfurt? gute Gesch�fte gemacht?�
�O ja, so so, so ziemlich, ja.�
�Charmant. Und, mein Freund, nun f�hrt Er nat�rlich mit mir, ich gehe direkte nach Haus und bin ganz allein.�
Ich fing nun an mich zu entschuldigen – ein guter Bekannter, den ich notwendig, Gesch�fte halber, hier abwarten m�sse, besondere Aff�ren – kurz, alles was zu sagen war. Der Kaufmann stutzte, wollte nicht begreifen, sondierte, fragte, schwieg zuletzt und trank sein Sch�ppchen W�rzburger, gelben. Ich bat mir Feder und Tinte aus und schrieb etliche Zeilen an den Vetter; da� ich Frankfurt dato noch nicht gesehen, ein kleiner Unfall habe mich versp�tet, bereits sei aber alles wieder ganz auf gutem Weg, so da� ich hoffe noch zeitig genug mit meinen Eink�ufen in Achfurth einzutreffen; �brigens m�ge er sich ja ganz stille halten, mit niemand weiter von der Sache reden, mir aber ganz und gar vertrauen. – Der Kaufmann sprach indessen leise mit dem Wirt beiseit. Gewi� erfuhr er von diesem, wie lang ich schon hier liege, und er konnte sich denn an den Fingern abz�hlen, da� ich noch nicht �ber die Grenze kam. Ich lie� mich das weiter nichts k�mmern, versiegelte den Brief, empfahl ihn dem Herrn Nachbar zur Besorgung, er steckte ihn sehr seri�s zu sich und schl�rfte gelassen sein Restchen. �Viel Gl�ck nach Frankfurt!� rief er mir mit h�hnischem Gesicht beim Abschied zu. Der Wagen rollte fort.
Jetzt war auch meines Bleibens hier nicht l�nger. Ich hatte weder Rast noch Ruhe mehr, obgleich ich nicht wu�te wohin. Ich fragte nach der Zeche, man war sogleich bereit, und wahrlich unversch�mter wurde sie nie einem Grafen gemacht; ich[410] h�tte heulen m�gen wie ein Weib, als ich berechnete, da� mir nur wenige Gulden �brigblieben.
Aber mein Mut sollte noch tiefer sinken. Denn auf der Stra�e, als ich schon ein gutes Weilchen fortgewandert war, fiel mir auf einmal ein, da� ich von nun an nirgends mehr im Lande sicher sei. Wird sich der Vetter wohl mit meinem Brief beruhigen? mu� er nicht das �rgste bef�rchten? Wenn er nun fahnden l��t auf dich! wenn man dich greift! Mir wurde es schwarz vor den Augen. Ich machte mir die bittersten Vorw�rfe, verfluchte abermals das Schatzk�stlein, denn dies war schuld, da� ich die Sache nicht sogleich vor Amt angab, wie jeder andere, der nicht ein ganzer Esel war, getan h�tte; jetzt freilich war die Katz den Baum hinauf und alles war zu sp�t. Noch volle zwei Tage trieb ich mich, bald da, bald dort verweilend, und mich dabei immer aufs neue wieder an meinem Osterengel aufrichtend, im gleichen Reviere umher. Zuletzt kam mir in Sinn, da� nicht gar weit von hier, �ber der Grenze, ein paar weitl�uftige Verwandte meiner Mutter, verm�gliche Pelzh�ndler, wohnten, die meinem Vater viel zu danken hatten. Gl�ckshof, soviel ich wu�te, hie� der Ort; dort war doch vorderhand Trost, Rat und Unterkunft zu hoffen. So setzte ich denn meinen Weg zum ersten Male wieder in einer entschiedenen Richtung fort, und eingedenk der Flasche des trefflichen Lik�rs, womit mich meine gute Base beim Abschied noch versah, bediente ich mich dieses St�rkungsmittels zu meinem Encouragement ein �bers andere Mal mit solchem gl�cklichen Erfolg, da� ich seit langer Zeit wieder ein Liedlein summte und endlich meinen vielber�hmten Ba� m�chtig und ungeb�ndigt walten lie�.
Allein das wunderbare Schicksal, unter dessen Leitung ich stand, k�ndigte sich nunmehr auf eine h�chst seltsame Weise an. Es war etwa f�nf Uhr des Abends, als ich getrosten Herzens so fortschlendernd in eine gar betr�bte Gegend kam. Da lag nur �de Heide weit und breit. Rechts dr�ben sah ein d�steres Geh�lz hervor, und links vom H�gel her ein langweiliger ausgedienter Galgen, so windig und gebrechlich, da� er den magersten Schneider nicht mehr pr�stiert haben w�rde. Die Pfade wurden zweifelhaft, ich stand und �berlegte, marschierte noch ein St�ck und traf zu meiner gro�en Freude jetzt auf einen h�lzernen Wegweiser. O weh, dem armen Hungerleider war die Schrift h�ben und dr�ben rein abgegangen vor Alter! Er streckte den einen Arm rechts, den andern links hinaus und lie�[411] die Leute dann das Ihre dabei denken. �Du w�rst ein Kerl�, sprach ich, �f�r den Ewigen Juden, dem es wenig verschl�gt, ob er in Tripstrill oder Herrnhut zur Kirchweih ankommt.� Nun sah ich unten einen Sch�fer seine Herde langsam die Ebene herauftreiben. Dem rief ich zu: �He, guter Freund, wo geht der Weg nach Gl�ckshof?� – Kaum ist mir das letzte Wort aus dem Mund, so klatscht es dreimal hinter mir, eben als schl�ge jemand recht kr�ftig zwei h�lzerne H�nde zusammen. Erschrocken seh ich mich um – o unbegreiflicher, entsetzenvoller Anblick! Er hatte sich gedreht! der Wegweiser – gedreht, so wahr ich lebe! Mit einem Arm wies er schief �ber die Heide, den andern hatte er, damit ich ihn ja recht verstehen sollte, dicht an den Leib gezogen. Des Sch�fers Antwort ging indes im Widerhall des Walds verloren. Ich starrte und staunte den Wegzeiger an und h�rte wie mein Herz gleich einem Hammer schlug. Alter! sprach ich in meinem Sinn, du gef�llst mir nur halb; du h�ltst wohl gute Nachbarschaft mit dem dreibeinigen Gesellen auf der H�he, mich sollst du nicht drankriegen! Damit rannt ich davon, als w�r er schon hinter mir her. Der Sch�fer kam mir entgegen: �Was gibt's? Wer ist Euch auf den Fersen? Habt Ihr etwas verloren?� �Nichts! sagt nur, wo geht's Gl�ckshof zu?� Der Mann mochte glauben, ich h�tte gestohlen, er ma� mich von Kopf bis zu Fu�; dann deutete er nach der Waldecke hin: �Von dort seht Ihr ins Tal, ein Fu�pfad f�hrt nach dem Weiler hinab, da fragt Ihr weiter.� Inmittelst hatt ich mich etwas gefa�t. Der Mann schien mir eine ehrliche Haut, demungeachtet nahm ich Anstand, ihm mein Abenteuer zu vertrauen, und fragte nur, indem ich meinen Finger in der Richtung hielt, in der das h�lzerne Gespenst gewiesen: �Was liegt denn dahin?� �Da? k�mt Ihr schnurgerad aufs graue Schl��lein.� Bewahr mich Gott! dacht ich, dankte dem Sch�fer und folgte seiner Weisung nach dem Walde. Im Gehen macht ich mir verschiedene Gedanken, und schaute wohl noch zehnmal um nach dem verw�nschten Pfahl. Er hatte seine Alltagsstellung wieder angenommen und sah wahrhaftig aus, als k�nnte er nicht f�nfe z�hlen. Was wollte er doch mit dem grauen Schl��chen? Ich hatte fr�her mancherlei davon erz�hlen h�ren. Es geh�rte den Freiherrn von Rochen, und war, soviel ich wu�te, noch unl�ngst bewohnt; es stand im Rufe arger Spukereien, doch nicht sowohl das Schl��chen selbst, als vielmehr seine n�chste Umgebung. Die Sichel flie�t unten vorbei, darin schon[412] mancher, durch ein weibliches Gespenst irregef�hrt, den Tod gefunden haben soll. Nun glaubte ich nicht anders, als der Versucher habe mich in Wegweisersgestalt nach dieser Teufelsgegend locken wollen. Jedoch, erhob sich bald ein anderes Stimmchen in mir, wenn du ihm Unrecht t�test? wenn du gerade jetzt deinen Dukaten entliefst? Was also tun? kehr ich um? geh ich weiter? So stritt es hin und her in meiner Seele. Erm�det und verdrossen setzt ich mich am Waldsaum oben nieder, wo ich denn immer tiefer in mich selbst versank, ohne zu merken, wie die D�mmerung einbrach und da� der Sch�fer lange heimgetrieben. Rasch und entschlossen stand ich auf. Gut Nacht, Wegweiser! – Ich stieg bergab, dem Weiler zu.
Ein dichter Nebel hatte sich wie eine wei�e See durchs Tal ergossen, er reichte bis zu mir herauf und ich stieg immer mehr in ihn hinein. Zum Gl�ck war die Nacht nicht sehr finster, die Sterne taten ihre Schuldigkeit. Aber ach, ich glaubte bereits in der Tiefe zu wandeln, w�hrend ich nur auf einem fahrbaren Absatz des Berges rings um denselben herum und ganz unmerklich wieder aufw�rts lief. In kurzem spazierte meines Vaters sein Sohn also wieder ganz h�bsch auf der �den, verhenkerten Heide herum, ungef�hr da wo ihm vor drei Stunden zum erstenmal das Trumm verlorenging.
Sie fragen, meine Wertesten, wie mir bei dieser Entdeckung zumute gewesen? Je nun, ich dachte, jetzt s��est du besser daheim bei deiner braven Meisterin, wenn sie den Abendsegen liest, meinethalben auch beim Storchenwirt und Fritz der F�rber g�be die Geschichte preis, wie er Anno 70 im Kniebis verirrte. Allein, wo nun hinaus? Eine bekannte gute Regel ist: wenn einer sp�rt, es sei ihm angetan, tut er am kl�gsten, er steckt den Verstand in den Sack und l�uft wie seine F��e m�gen. So tat ich auch, und fing das frische Kernlied an zu singen: Seid lustig und fr�hlich ihr Handwerksgesellen! – Es ging jetzt unaufh�rlich eben fort. Auf einmal aber schien es hell und immer heller um mich her zu werden, ich sah mich um, da ging der volle Mond sehr herrlich hinter goldnen Buchenwipfeln auf. Von Furcht empfand ich eigentlich nichts mehr, nur selbigem wollt ich nicht gern zum zweitenmal begegnen. Sooft er mir einfiel, tat ich einen herzhaften Zug aus der Flasche und hub alsbald mit heller Stimme wieder an:
[413]
Hamburg, eine gro�e Stadt
Die sehr viele Werber hat.
Mich hat nicht gereut
Vielmehr erfreut,
L�beck zu sehn;
L�beck eine alte Stadt
Welche viel Wahrzeichen hat.
Nun schritt ich �ber Stoppelfeld. Gottlob, das war doch eine Menschenspur. Aber, Goldschmied, wenn es nun allgemach hinunter und ans Wasser ging‹, und dir die bleiche Edelfrau ein k�hles Bad anwiese?
Dresden in Sachsen,
Wo sch�ne M�dchen wachsen
Ich denk jetzund
Alle Stund
An N�rnberg und Frankf –
patsch! lag ich auf der Nase. Der Schmerz trieb mir die Tr�nen in die Augen, mir schwebte ein Fluch auf der Zunge; aber nein –
Augsburg ist ein kunstreicher Ort,
Und zuletzt nach Elsa� fort.
Alsobald mit Gewalt
Geh ich nach Stra�burg.
Es ist eine schwere Pein
Von Jungferen insgemein,
Wenn man alsdann
Nicht herzen kann
Und wieder soll mareschieren fort.
Allmittelst aber nahe an den Rand der Ebene gekommen, bemerkte ich auf gleicher H�he mit derselben, links hin, wo sie in einem spitzen Vorsprung auslief, nur drei�ig Schritt von mir, ein altes, guterhaltenes Geb�ude, mehr schmal als breit, mit etlichen T�rmchen und hoch gestaffeltem Giebel. Ich konnte nicht mehr zweifeln wo ich sei. Ganz sachte schlich ich n�her. Es schimmerte Licht aus einem verschlossenen Laden des untern Stocks; hier mu�te der Hausschneider wohnen. Ein Hund machte L�rm, und sogleich �ffnete ein Weib das Fenster.
�Wer ist da?�[414]
�Ein Handwerksgesell, ein verirrter.�
�Welche Profession?�
Ich wagte, eingedenk meiner gef�hrdeten Person, nicht, die Wahrheit zu sagen. �Ein Schneider!� sagt ich kleinlaut. Sie schien sich zu bedenken, entfernte sich vom Fenster und ich bemerkte, da� man drin sehr lebhaft deliberierte; es wisperten mehrere Stimmen zusammen, wobei ich �fter das fatale �Schneider� nur gar zu deutlich unterscheiden konnte.
Jetzt ging die Pforte auf. Der Hausvogt stand bereits im Gang; die Frau hielt auf der Stubenschwelle und hinter ihr ein sehr h�bsches M�dchen, welches jedoch auffallend schnell wieder verschwand. Die Ehleute sahen einander an und baten mich, ins Zimmer zu spazieren.
Hier war nun alles gar sauber und reinlich bestellt. Ein Korb mit d�rren Bohnen und reifen Haseln�ssen, zum Ausmachen bereit, wurde beiseite geschoben, man nahm mir mein Gep�cke ab und hie� mich sitzen. Es war zehn Uhr vor�ber. Die Alte deckte mir den Tisch, derweil der Mann, gespr�chsweise, die n�chstgelegenen Fragen, nach meiner Heimat und dergleichen, ohne Zudringlichkeit und in so biederem Ton an mich tat, da� ich mein einmal angenommenes Inkognito, wobei nat�rlich eine L�ge aus der andern folgte, nur mit innerlichem Widerstreben, deshalb auch etwas einsilbig und unsicher, behauptete. Das M�dchen lief einige Male gesch�ftig von der K�che durchs Zimmer, ohne mich kecklich anzusehen. Man brachte endlich eine warme Suppe und einen guten Rahmkuchen. Ich a� und trank mit Appetit, worauf mein Wirt sich bald erbot, mir meine Schlafst�tte zu zeigen. Die Frau ging mit dem Licht voran, er selbst trug meinen Ranzen die Treppe hinauf nach einem hohen gewei�ten Eckzimmer, worin es neben einem frischen Bette nicht an den n�tigsten Bequemlichkeiten fehlte. Ich sagte dankbar gute Nacht, setzte mein Licht auf den Tisch und �ffnete unter kuriosen Gedanken ein Fenster.
Der Nebel lie� mich wenig unterscheiden, doch schien die H�he da hinab betr�chtlich, und, was mir nicht das lieblichste Gef�hl erregte, dem sanften Rauschen eines Wassers nach, mu�te die Sichel ganz unmittelbar am Fu� des Felsen, der das Schl��chen trug, vor�berziehn. Sei's drum! ich riegelte getrost die T�re, und zog mich aus. Mich niederlegen und schlafen war eins. Es regnete die halbe Nacht, ich merkte nichts davon, mir tr�umte lebhaft von dem sch�nen M�dchen.[415]
Am andern Morgen, durch und durch gest�rkt, fand ich die Sonne schon hoch am Himmel �ber dem engen Sicheltale stehen welches, reichlich mit Laubwald geschm�ckt, die Aussicht hier zun�chst sehr stille und reizend beschr�nkt, alsdann, mit einer kurzen Beugung um das Schlo�, sich in das offene, flache Land verl�uft.
Ein Glockengel�ute von unten, aus dem gutsherrschaftlichen Dorf an der Seite des Berges, erinnerte mich, es sei Sonntag. Mein Herz bewegte sich dabei, ich wei� nicht wie. Doch war jetzt keine Zeit, um solchen R�hrungen lang nachzuh�ngen; auf alles Denken aber und Gr�beln �ber meine Lage tat ich sofort grunds�tzlich ein f�r allemal Verzicht; nur, als ich mir den beispiellosen Spuk des gestrigen Abends zur�ckrief, geriet ich auf die Mutma�ung, ich k�nnte wohl ein bi�chen beschnapst gewesen sein, denn meine Branntweinflasche fand sich beinahe leer.
Ich eilte, sauber angezogen, zu meinem Wirt hinunter, der mir mit Heiterkeit ank�ndigte, es sei nur noch ein St�ndchen bis Mittag; sie h�tten mich nicht wecken wollen, weil sie d�chten, ich habe nicht besonders zu pressieren und w�rde vielleicht ein paar Tage bei ihnen ausruhen. Nach einigem, wiewohl nur scheinbaren Bedenken, und auf wiederholtes Zureden, nahm ich diese unerwartete Gastfreundschaft an und blieb geruhig in meinen Pantoffeln. �Zwar werden wir Euch leider �ber Tisch f�r diesmal nicht Gesellschaft leisten�, sagte der Schlo�vogt; �der Schulmeister im Dorf l��t heute taufen, da sind wir zu Gevatter gebeten und m�ssen gleich fort: Josephe aber, meine Nichte, wird Euch nichts abgehen lassen.� Ich war alles zufrieden.
Das Ehpaar hatte sich in Staat begeben und au�en wartete ein Fuhrwerk. Sie baten nochmals um Entschuldigung, mit dem Versprechen, vor Abend wieder dazusein.
Ich befand mich allein in der Stube, und mit Josephen, die drau�en am Herde besch�ftigt sein mochte, allein im ganzen Schlosse. Die N�he dieses M�dchens, zu dem ich von der ersten Stunde an ein stilles, unerkl�rliches Vertrauen hegte, obgleich wir bis jetzt kaum ein Wort miteinander gewechselt, beunruhigte mich ganz sonderbar. Es zog und zupfte mich immer, sie in der K�che aufzusuchen, allein wenn ich eben dran war, schien mir von allen den bei Handwerksburschen �blichen galanten Redensarten nicht eine gut genug. Auf einmal kam sie selbst[416] herein, band sich die K�chensch�rze ab, stellte sich dann mit einigem Err�ten mir gerade gegen�ber und sprach, nachdem sie ihre offenen braunen Augen ein ganzes Weilchen auf mir ruhen lassen: �Also Ihr kennt mich wirklich gar nicht mehr?�
Da ich betroffen schwieg und nun mit halben Worten zu erkennen gab, da� ich auf eine fr�here Bekanntschaft mit einem so charmanten Frauenzimmer im Augenblick mich nicht besinnen k�nne, verbarg sie sehr geschickt ihre Besch�mung und Empfindlichkeit hinter ein fl�chtiges Lachen und tat, als h�tte sie den puren Scherz mit mir getrieben. �Nein! Nein!� rief ich, sie eifrig bei der Hand nehmend, �dahinter steckt etwas – Ihr seid betreten, Ihr seid gekr�nkt! Ums Himmels willen, beste, sch�nste Jungfer! helft mir ein klein wenig darauf – wenn, wo – wie h�tten wir uns denn gesehen? es wird mir gleich beifallen!� In der Tat, ihr Gesicht wollte mir nun bereits ganz au�erordentlich bekannt vorkommen, nur wu�te ich es nirgend hinzutun. Ich bat sie wiederholt um einen kleinen Fingerzeig.
�Seid erst so gut�, versetzte sie, �und nennt mir Euren Namen.� Da ich best�rzt ein wenig zauderte und eben eine ausweichende Antwort geben wollte, brach sie kurz ab, wie wenn sie ihre Frage selbst bereute: �Der Braten verbrennt mir! verzeiht, ich mu� gehen.�
In kurzem kam sie wieder, schob ohne Ger�usch einen Tisch in die Mitte der Stube und fing sodann, indem sie ihn sehr ruhig deckte, als w�re nichts geschehn, vom Wetter an. Als ich mich auf dergleichen nicht einlie�, sondern mich nachdenkend und fast verdrie�lich zeigte, nahm sie zuletzt, um dieser l�cherlichen Spannung zu begegnen, das Wort: �H�rt, tut mir doch den einzigen Gefallen, denkt nicht mehr an die einf�ltige Posse. Ich habe mich in der Person geirrt, und das ist alles! Noch einmal, ich bitte, denkt nicht mehr daran.� – Dagegen war nun freilich schicklicherweise nichts weiter zu sagen, obgleich ich ihren Worten nur halb traute.
Wir setzten uns zum Essen. Josephe tat alles, um mich zu zerstreuen. Sie war die lautere Unbefangenheit, Anmut und Herzensg�te. Zum erstenmal, ich darf beinah so sagen, zum erstenmal in meinem Leben begriff ich, wie es m�glich sei, sich in ein Weibsbild zu verlieben.
�Man sagt soviel von Eurem grauen Schl��chen�, hub ich an, nachdem sie das Essen abgetragen und die herrlichsten �pfel zum Nachtisch aufgestellt hatte, �wie w�r's, Ihr schenktet[417] mir, weil wir gerade so beisammen sind, einmal recht reinen Wein dar�ber ein?�
�Das kann geschehen�, antwortete sie; �wir reden sonst nicht leicht mit jemandem davon, allein man macht wohl eine Ausnahme. Zudem seid Ihr ein verst�ndiger Mann und werdet Euch bei uns nicht f�rchten.� (Hier sah sie mir sehr scharf, wie pr�fend, ins Gesicht.) �Auch ist noch keiner Seele seit Menschengedenken im Hause selbst das mindeste zuleid geschehn, und au�erhalb, nun ja, man h�tet sich. Es gab wohl schon so leichtsinnige Menschen, die m�gen immer ihren F�rwitz b��en.�
Sie hatte sich gesetzt und eine kaum erst angefangene Strickerei mit gr�n und schwarzem Garn zur Hand genommen, der Knaul lag ihr im Scho�e. �Ach mein! so seht doch, was das regnet! was das sch�ttet! Wie gut ist's, da� Ihr heut nicht auf der Stra�e seid.� Und nun begann sie zu erz�hlen:
�Vor ungef�hr vierhundert Jahren wohnte allhier ein Graf mit Namen Veit von L�wegilt, ein frommer und tapferer Ritter. Er ehlichte als Witwer ein junges Fr�ulein, Irmel von der M�hne, welche ein Ausbund von Sch�nheit gewesen sein mu� und sehr reich. Am Hochzeitabend, als der Tanz im kerzenhellen Saal begonnen hatte, und nun die Frau bald dem, bald jenem Gast die Hand zum Reigen gab, da sah Herr L�wegilt eine ganze Zeit mit Wohlgefallen zu, bald aber kam seltsame Wehmut �ber ihn, wie eine b�se Ahnung, davon er sich jedoch nichts merken lie�; nur gegen das Ende des Tanzes gab er der Dame einen Wink, da� sie ein wenig aus dem Saale k�me. Er nahm ein Licht und f�hrte sie in ein ander Gemach. ›Mein liebstes Herz!‹ sprach er, da sie alleine waren, ›Euren Gemahl hat wunderlich verlangt, da� er sich abgesondert von den Leuten mit einem K��lein Eurer Lieb versichere.‹ Damit schlo� er sie in den Arm und k��te sie und sie tat gleich also. In ihrem Innern aber war sie ungehalten, dachte: was will mir der Narr? es ziemt den Wirten schlecht, die G�ste zu verlassen. Jetzt zog Herr Veit eine schwere, goldene Kette unter dem Goller hervor mit den Worten: ›Betrachtet diese Kette. Mein Ahnherr schenkte sie einst seiner Frau, der z�chtigen und edlen Richenza vom Stain; hernachmals ist das Kleinod als ein ehrenwertes Denkzeichen der gl�cklichsten Ehe von einem Sohn auf den andern gekommen, und jetzo, heut, da Ihr mein v�terliches Erbe als Hausfrau betreten, verg�nnt, da� ich Euch diesen Schmuck umh�ngen mag: ich wei�, Ihr werdet ihn mit Ehren[418] tragen.‹ – ›Ich danke meinem Herrn und g�tigen Gemahl‹, antwortete die sch�ne Frau sehr freundlich: ›dafern Ihr aber irgend Zweifel habt an mir, so sei es nicht genug an meinem Wort, das Ihr in Marien-Kapelle empfangen, und ich gelobe nochmals hier, Euch als ein treues Weib zu dienen, so Gott mir nach dem Tode gn�dig sei.‹ – So gingen sie, und Irmel war vergn�gt �ber die gelbe Kette und zeigte das Geschenk mit Freuden der Gesellschaft vor.
Im Anfang ging alles ganz gut. Die Gr�fin schenkte ihrem Mann im ersten Jahre einen Sohn. Sein Hauskreuz aber stellte sich beizeiten ein. Die Frau wurde geizig �ber die Ma�en. Ein Sprichwort ging beim Volk, sie singe der Henne ums Ei. Es hie�: Frau Irmel ist nicht dumm, weil sie der Tropfen �l im L�mplein dauert, l��t sie die M�gde bei Mondschein spinnen. Sonst war Gesang und Harfenspiel ihr sch�nster Zeitvertreib, jetzt tat sie nichts wie rechnen und ihre Leute scheren. Das �rgste dabei war, sie fing ohne Wissen Herrn L�wegilts an, viel Geld auszuleihen auf Zins an ihre Untertanen und in der Nachbarschaft umher. Wenn nun die armen Leute nicht zu rechter Zeit bezahlten, sprach sie zum Vogt: ›Solang mein Mann da heim, mag ich nichts anfangen; er ist zu gut und dankt mir's wohl, wenn ich ihn mit dem Plack verschone. Jedoch das n�chste Mal, da� er mit Reisigen aus ist, auf einen Monat oder zwei, da sollt Ihr sehn, wie ich mein Zornf�hnlein aufs Dach stecke! Wir schicken den Presser herum und brauchen Gewalt; man mu� dem Gauchenvolk die Frucht vom Acker und die Kuh von der Raufe wegnehmen.‹ Zum Gl�ck kam es nicht gar so weit. Herr Veit erfuhr die feine Wirtschaft der Frau Gr�fin und wollte sich zu Tod dar�ber sch�men; allein weil er die Dame Tausendsch�n im ganzen doch wie n�rrisch liebte, verfuhr er christlich mit ihr und legte ihr in aller G�te den saubern Handel nieder. Das nahm sie denn so hin, wohl oder �bel. Wie aber h�tte ihr auch nur im Traum einfallen sollen, ihr Veit k�nnte so gottlos sein und den verw�nschten Bauern ihre Schuld bis auf den letzten Heller schenken? Er machte das ganz in der Stille ab, und eines Tages bei Gelegenheit bekannte er's ihr frei, auf holde Art. Frau Irmel h�rte ihn nur an, verbla�te, und sagte nicht ein Sterbenswort. Sie ging mit ihm denselben Tag, weil eben Ostern war, zu Gottes Tische. Da mag sie wohl ihr eigen Gift hinabgegessen haben anstatt den s��en Leib des Herrn. Von Stund an war sie wie verstockt. Es sah just aus, als[419] h�tte sie zu reden und zu lachen und zu weinen f�r immerdar verlernt. Wenn er so vor ihr stand und ihr zusprach mit guten klugen Worten, so sah sie unter sich wie ein dem�tig Muttergottesbild und wich mit falschem Seufzen auf die Seite; war der Gemahl hingegen auf der Jagd oder sonst ausgeritten, damit er einen Tag seinen Kummer vergesse, da sei der kalte Fisch daheim lauter Leben, lauter Scherz und lustige Bosheit gewesen. Wer sollte glauben, da� der Graf f�r eine solche Kreatur auch nur ein F�nklein Liebe haben k�nnen? Und doch, es hei�t, er hing an ihren Augen trotz einem Br�utigam. Einige meinten drum, sie hab es ihm im roten Wein gegeben.
Einst sa� er allein auf dem Saal und hatte seinen Knaben, nicht gar ein j�hrig Kind, sein liebstes Gut, auf seinem Scho�, und war sehr traurig, denn der Knabe war seit kurzer Zeit siech und elend worden und a� und trank nicht mehr, und wu�te niemand was ihm fehle. Tritt leise die Amme herein, ein braves Weib, und f�ngt zu weinen an: ›Ach lieber Herr, ich habe etwas auf dem Herzen, das mu� heraus und w�re mir die gr��te S�nde, so ich's vor Euch verschwieg. D�rft aber mich um Gottes willen nicht verraten bei der gestrengen Frau.‹ – Der Knabe, da sie solches sprach, bewegte sich mit Angst in seines Vaters Arm, als h�tte er verstanden und gewu�t, wovon die Rede sei. Der Graf winkte der W�rterin zu reden, die denn fortfuhr: ›Neulich, Ihr wart eben verreist, geh ich des Morgens, wie ich immer pflege, nach der Kammer zum Kind. Das h�rt ich schon von weitem schrein, als h�tte man's am Messer. Indem ich eintrete, Gott steh mir bei, mu� ich mit diesen meinen Augen sehn, wie die gn�dige Frau den jungen Herrn, bevor sie ihm das R�cklein angezogen, glatt auf den Tisch gelegt, und ihn gequ�lt, geschlagen und gekneipt, da� es zum Erbarmen gewesen. Wie sie mein ansichtig geworden, erschrak sie fast und tat dem S�hnlein sch�n und kitzelt‹ es, da� das arm W�rmlein gelacht und geschrien untereinander: ›Schau, was er lacht!‹ rief sie: ›ist er nicht seines Vaters Konterfei?‹ – Ich dachte: wohl, du armes Kind, drum mu�t du also leiden. – ›Herr, haltet's mir zu Gnaden, da� ich so frech vor Euer Edlen alles sage; glaubt aber nur, man hat wohl der Exempel mehr, da� eine Ehefrau ihres Mannes Fleisch und Bein im eigenen Kind hat angefeindet, und, mein ich, solches tut der b�se Geist, da� einer Mutter Herz sich so verstellen mu� und w�ten wider die Frucht ihres Leibes.‹
So redete Judith und sah, wie ihrem Herrn ein �bers andere[420] Mal die Flammen zu Gesichte stiegen und wie er zitterte vor Zorn. Er sagte lange nichts und starrte vor sich nieder. Jetzt stand er auf, sprach zu dem Weib: ›Geh, sag dem Kaspar, da� er gleich drei Rosse fertig halten soll, den sch�nen Schimmel mit dem Weibersattel, den Rappen und sein eigen Pferd. Du selber lege dein Feierkleid an und nimm des Kindes Zeug zusammen in ein B�ndlein, wir werden gleich verreisen. F�rchte dich nicht, dir soll kein Haar gekr�mmt werden.‹ – Sie lief und tat wie ihr befohlen war, derweil Herr Veit sich r�stete. Alsdann nahm er das B�blein auf und eilte nach dem Hof. Auf seinen Wink bestieg Judith ihr Pferd; es war das edelste von allen aus dem Stall. Veit nahm den Junker vor sich hin; so ritten sie zum Tor hinaus, der Knecht hinterdrein. Frau Irmel aber sah am Erkerfenster halb versteckt dem allen zu, h�chlich verwundert und erbost, und bildete sich freilich ein was es bedeute. Sie folgte dem Zug mit h�hnischen Blicken den Burgweg hinunter, und als die R��lein dann ins obere Sicheltal einlenkten, sprach Irmel bei sich selbst: Richtig! jetzt geht es nach Schlo� Greifenholz, zur lieben gottseligen Frau Schw�gerin. – So war es auch. Dort hatte der Graf seine n�chsten Verwandten, bei denen er viel Trost und f�r den Knaben und die W�rterin die beste Aufnahme fand. Am zw�lften Morgen kehrte der bedr�ngte Mann um eine gro�e Sorge leichter zu seinem Fegfeuer zur�ck, denn sichtbarlich gedieh das Kind fern seiner Mutter, wie eine Rose an der Maiensonne. Die Gr�fin fragte, wie man denken kann, mit keiner Silbe nach dem Junker, und beide Gatten lebten so fortan als ein paar stille und h�fliche Leute zusammen.
Dr�ber geschah's einmal, da� L�wegilt in seines Kaisers Dienst mit Kriegsvolk ausw�rts war sechs ganzer Monate, vom Fr�hling bis tief in den Herbst. Das w�re eine sch�ne Zeit zur Bu�e gewesen, Frau Gr�fin! Es gibt ein altes Lied, da steht der Vers:
In Einsamkeit,
In Einsamkeit
Da w�chst ein Bl�mlein gerne,
Hei�t Reu und Leid ...
Das war auch des Grafen sein Hoffen und Beten, wenn er manchmal bei stiller Nacht in seinem Zelte lag und seines Weibes dachte.[421] Und als nun endlich Friede ward, und F�rsten, Ritter, Knechte, des Siegs vergn�gt, nach Hause zogen, da dachte L�wegilt: Gott gebe, da� ich auch den Frieden daheim finde. Er f�hrte seine Mannschaft unverweilt auf den k�rzesten Wegen zur�ck. Sie hatten noch zwei kleine Tagreisen vor sich, da sie an einem Abend ein St�dtlein liegen sahen, wo man zu �bernachten dachte. Begegnete ihnen ein M�nch, der betete vor einem Kreuz. ›Ei‹, rief der Graf, und hielt: ›das ist ja Bruder Florian! willkommen, frommer Mann! Ihr kommet vom Gebirg her�ber?‹ – ›Ja, edler Herr.‹ – ›Da habt Ihr doch auf dem Schlo� eingekehrt?‹ – ›F�r diesmal nicht, Gestrenger, ich hatte Eil.‹ – ›Das ist nicht sch�n von Euch. Und nicht ein W�rtlein h�ttet Ihr von ungef�hr vernommen, wie es dort bei mir steht?‹ – ›Ach Herr‹, antwortete der M�nch, ›die Leute dichten immer viel, wer m�chte alles glauben! Begehret nicht, da� Euer Ohr damit beleidigt werde.‹ – Bei solchem Wort erschrak der L�wegilt in seine Seele, er nahm den M�nch beiseit, der machte ihm zuletzt eine Er�ffnung von so schlimmer Art, da� man den Grafen laut ausrufen h�rte: ›Hilf Gott! hilf Gott! hast du die Schande zugelassen, so lasse nun auch zu, da� ich sie strafen mag!‹ Und hiermit spornte er sein Ro� und ritt, nur von seinem getreuesten Knappen begleitet, die ganze Nacht hindurch, als wenn die Welt an tausend Enden brennte.
Frau Irmel indes glaubte ihren Gemahl noch hundert Meilen weit dem Feinde gegen�ber, sonst h�tte sie wohl ihre Schwelle noch zu rechter Zeit ges�ubert. Seit vielen Wochen n�mlich beherbergte sie einen Gast, einen absonderlichen Vogel. Derselbe kam eines Tags auf einer hinkenden M�hre geritten und fragte nach Herrn Veit, seinem sehr guten Freunde. Der Gr�fin machte er viel vor: er sei ein Edelmann, landsfl�chtig, soundso. Ein Knecht aber vom Schlo� raunte den andern gleich ins Ohr, da� er den Kauzen da und dort auf Jahrm�rkten gesehen habe, Latwerg und Salben ausschreien. Man warnte die Gr�fin, sie h�rte nicht drauf: der Bursche hatte gar zu sch�ne schwarze Haare, Augen wie Vogelbeer, und singen konnte er wie eine Nachtigall. Er wu�te eine Menge welscher Lieder, die Gr�fin schlug ihre Harfe dazu und lie� ihn nicht mehr von der Seite. Die Knechte aber und die M�gde unter sich hie�en ihn nur den Ritter von Latwerg.
Nun sa� das feine Paar, so wie gew�hnlich, nach dem Mittagmahl allein im Saal am gro�en Fenster, und schauten unter[422] lustigem Gespr�ch in die offene Gegend hinaus, wie sie im hellen Sonnenschein, mit dem Flu� in der Mitte, dalag. Frau Irmel nahm ihre goldene Kette vom Hals, spielte damit und schlang sie so um ihren wei�en Arm. ›Was d�nkt Euch, Lieber‹, sagte sie, ›wenn ich ein Kettlein h�tte, seht, nicht l�nger als die kleine Strecke dort, so weit die Sichel im Bogen zwischen den Wiesen l�ngs dem D�rflein l�uft. Versteht, ein jedes Glied m��te nicht gr��er sein als wie ich hier den Mittelfinger gegen den Daumen kr�mme, schaut!‹
›Ei‹, sagte der Galan, ›was Ihr f�r kurzweilige Einf�ll habt! Das hie�' mir ein Geschmeide; h�tten zwei Riesen genug dran zu schleppen.‹
›Nicht wahr? und nun was meint Ihr‹ (das sagte sie aber Herrn Veiten zum Spott, weil er von Hause aus nicht zu den Reichsten geh�rte): ›wenn man dem L�wegilt sein Hab und Gut verkaufte, merkt wohl, nach Abzug dessen was mein ist, und machte den Plunder zu Gold und schmiedet' eine Kette draus, wie ich eben gesagt, wie gro� sch�tzt Ihr, da� sie ausfallen w�rde?‹ – Es lachte der Galan und rief: ›Ich wollte schw�ren, sie reichte just hin, Frau Irmels Liebe zu Herrn Veit damit zu messen!‹ – Da klatschte Irmel lustig in die H�nde und setzte sich dem Ritter auf den Scho� und k��te ihn und lie� sich von ihm herzen.
Auf einmal sprach er: ›Horcht! mir ist, ich h�re jemand im Alkoven; wird doch das Gesinde nicht lauschen?‹ – ›Ihr tr�umt‹, sagte die Frau, ›er ist verschlossen gegen den Flur. La�t mich sehen.‹
Aber, indem sie aufstehn will, o H�llenschreck! wer tritt hinter der Glast�r vor – Graf L�wegilt, er selber, ihr Gemahl!
Die falsche Schlange, schnell bedacht, warf sich mit einem Schrei der Freuden dem Manne um den Hals, er schleuderte sie weg, da� sie im Winkel niederst�rzte. Sodann griff seine starke Faust den Buhlen, wie dieser eben auf dem Sprung war auszurei�en, und �bergab ihn seinen Knechten zum sicheren Gewahrsam. Jetzt war er mit dem Weib allein. Da stand die arme S�nderin und deckte ihr Gesicht mit beiden H�nden, er schaute sie erst lange an, dann nahm er ihr die Kette ab, ri� solche mittenvoneinander, sprechend: ›Also sei es von nun an zwischen uns! Und diese Kette hier werde f�r dich zu einer Zentnerlast, sind sollest ihr Gewicht jenseits des Grabs mit Seufzen tragen,[423] bis ihre Enden wiederum zusammenkommen.‹ Damit warf er die beiden St�cke durchs offene Fenster hinab in den Flu�.
Ich mache kurz was weiter folgt. Dem saubern Ritter ward ein l�ftig Sommerhaus gezimmert mit drei S�ulen, nicht fern von hier, man nennt's am Galgenforst. Frau Irmel aber sa� jetzt unten in der Burg wohl hinter Schlo� und Riegel. Sie bot alles Erdenkliche auf, mit List und Gewalt zu entkommen, sogar wollte sie ihren Beichtvater bestechen, dem sie bekannt, sie h�tte, weil sie vom ersten Tag an ihren Mann nicht lieben k�nnen, ein gro�es Unheil, wie nun leider eingetroffen, lange vorausgesehn, und drum beizeiten ihre Zukunft vorgesorgt, indem sie einen Notpfennig beiseit getan und au�erhalb dem Schlo� verborgen. Den W�chtern sagte sie: wer ihr zur Freiheit helfe, des H�nde w�rde sie mit Golde f�llen. Hierauf machten auch zwei einen Anschlag, sie wurden aber auf der Flucht ergriffen samt der Frau. Am andern Morgen fand man sie in ihrem Kerker tot. Sie hatte eine gro�e silberne Nadel, womit sie immer ihre sch�nen Z�pfe aufzustecken pflegte, sich mitten in das Herz gestochen.
Nicht lang darauf verlie� der Graf das Schlo� und die Gegend f�r immer. Er lebte weit von hier auf einer einsamen Burg, der Hahnenkamm genannt, davon die Tr�mmer noch zu sehen sein sollen. Der junge Hugo war der Trost seines Alters. Er zeigte fr�h die edlen Tugenden und F�higkeiten, dadurch er nachher als treuer Vasall und t�chtiger Kriegsmann in hohe Gnaden bei dem Kaiser kam. Geschlecht und Name der von L�wegilt ward nach und nach zu den ber�hmtesten gez�hlt in deutschen Landen; es kam ja das Herzogtum Astern an sie, daher sie auch den Namen f�hren, und, wie Euch wohl bekannt sein wird, die sch�ne Prinzessin Aurora, die unser K�nig noch dies Jahr heimf�hrt, ist eine Tochter des jetzt regierenden Herzogs, Ernst L�wegilt von Astern.�
�Was?� rief ich voll Erstaunen – �hier also, dieses Schlo� w�re das Stammschlo� der von Astern? und jene Irmel eine Ahnfrau der Prinze�?�
�Nicht anders! Warum f�llt Euch dies so auf?�
�Und hat das seine Richtigkeit, da� diese Irmel noch bis auf den heutigen Tag – nun, Ihr versteht mich schon –�
Josephe nickte ja, indem sie sich ein wenig an meinem Schreck zu weiden schien. Wir schwiegen beide eine ganze Weile und allerlei Gedanken stiegen in mir auf.[424] �Aber�, so fing ich, unwillk�rlich leiser sprechend, wieder an: �auf welche Art erscheint sie denn? und wo?�
Mit einer unbegreiflichen Ruhe, doch ernsthaft wie billig, versetzte das M�dchen:
�Von jeher zeigt sie sich nur bei und auf dem Wasser, zun�chst am Schlo�, dem gro�en Saale gegen�ber, dann abw�rts eine Strecke bis gegen den Steg. Feldh�ter und Sch�fer versichern, sie nehme ihren Lauf auch wohl bis nahezu ans Dorf, weiter in keinem Fall. Ich selber sah sie blo� ein einzig Mal, vom K�chenfenster aus, die K�che aber liegt gerade unterm Saal. Es war um Johannis, drei Stunden vor Tag, wir hatten eben eine W�sche und waren deshalb fr�he aufgestanden. Der Mond schien ganz hell. Von ungef�hr schau ich hinaus und auf die Sichel hinter. Da steht schneewei� gekleidet ein schlankes Frauenbild in einem Nachen, der dr�ben an den Weidenb�schen so halb aus dem Schatten des gr�nen Gezweigs hervorstach, und ob es wohl kein rechter Nachen war, ich meine kein nat�rlicher, so h�rte man doch deutlich, wie die Wellen am Schifflein unten schnalzten. Sie kauerte sich erst m�hsam nieder, dann beugte sie sich weit �ber den Bord, indem sie mit den H�nden hinab ins Wasser reichte und ringsherum wie suchend w�hlte. Jetzt zog sie langsam, langsam, und mit dem ganzen Leib r�ckw�rts gebeugt, etwas herauf, das schimmerte und gl�nzte als wie das lautre Gold und war, wie ich aufs deutlichste erkannte, eine dicke, m�chtig schwere Kette. Elle um Elle zog sie herein in den Kahn, und dabei klirrt' und klang es jedesmal im Niederfallen so nat�rlich als nur etwas sein kann. So ging es lange fort, es war kaum auszudauern. Ich hatte meine Leute gleich herbeigeholt; die sahen alle nichts, und weil ich mich nach meiner Art weiter nicht �ngstlich dabei anstellte, so h�tten sie mir's nimmermehr geglaubt, wenn sie die sonderbaren T�ne nicht so gut wie ich vernommen h�tten. Auf einmal klatschte das Wasser laut auf, die Kette mu�te abgerissen sein, so heftig schnellte es, und dabei, sag ich Euch, folgte ein Seufzer so tief aus einer hohlen Brust, so langgezogen und schmerzlich, da� wir im Innersten zusammenschraken. In diesem Augenblick war aber auch Gestalt und Kahn, alles wie weggeblasen.
Und – ja, da� ich das auch noch sage – verzeih mir Gott, noch mu� ich lachen, wenn ich daran denke. Wir Weiber gingen m�uschenstill an unsere Kessel und Zuber zur�ck, und rieben und seiften drauflos und traute sich keine ein W�rtlein zu[425] reden; auch dem Herrn Vetter, merkt ich wohl, war der Schlaf f�r heute vergangen: er lie� sein Licht fortbrennen und ging allein die Stube auf und nieder. Kaum guckt der Tag ein wenig in die Scheiben, so sticht der Mutwill schon eine von uns an n�mlich ein junges Weib vom Dorf, man nannte sie nur die lachende Ev. Die zieht so ein langes gewundenes Leintuch ganz sachte sachte aus dem Seifenwasser, Frau Irmel nachzu�ffen, und macht ein paar Augen gegen uns – husch! hat sie eine Ohrfeige.�
�Eine Ohrfeige? was?�
�Ja denkt! aber nicht vom Geist. Es war mein Herr Vetter, der zuf�llig hinter ihr stand und ihren Frevel so von Rechts wegen bestrafte.�
Josephe lachte so herzlich, da� ich selber den Mund ein wenig verzog. Doch sogleich tadelte sie sich: man sollte nicht spa�en auf diesen Punkt.
Sie schwieg und strickte ruhig fort. Der Regen hatte aufgeh�rt, nur die eint�nige Musik der Dachtraufen klang vor den Fenstern.
Was mich betrifft, mir war ganz unheimlich geworden. Die Vorstellung, da� ich jenem Gespenst so nahe sei, die M�glichkeit, da� erst meine Beraubung, alsdann meine Verirrung auf das Schl��chen das Werk dieses schrecklichen Wesens sein k�nne – dieses zusammen jagte mich im stillen in einem Wirbel von Gedanken und �ngstlichen Vermutungen herum. Das kluge M�dchen konnte mir vielleicht einiges Licht in diesen Zweifeln geben, und wenn ich auch nicht wagte, ihr mein Ungl�ck offen zu entdecken, so nahm ich doch Anla�, ihr die Geschichte des bestohlenen Galanteriekr�mers mit Z�gen meiner eigenen Geschichte zu erz�hlen und so ihre Meinung dar�ber zu h�ren.
Sie lie� mich ausreden und sch�ttelte den Kopf. �Dergleichen h�rte ich wohl auch�, erwiderte sie, �sind aber dumme M�rchen, glaubt mir: Spitzbuben machen sich's zunutz, vexieren und schrecken einf�ltige Leute da� sie in Todesangst ihr Hab und Gut im Stiche lassen.�
�Aber die Kette!� versetzte ich dringend, �bedenke Sie Jungfer, die Kette, so viele hundert Klafter lang, die w�chst doch nicht von selbst so fort, das braucht Dukaten, fremdes Gold!�
�Braucht's nicht! Was Ihr doch n�rrisch seid! Der ganze Plunder wiegt kein Quentlein unseres Gewichts.�
�Wie? also alles eitel Schein und Dunst?�[426]
�Nicht anders.�
�Allein� – so fragte ich nach einigem Besinnen weiter – �der Schatz, dessen Irmel im Kerker gedachte, soll der noch irgendwo vergraben liegen?�
�Man sagt es. H�ttet Ihr Lust ihn zu l�sen?�
�Nicht doch; ich meine nur, weil wir gerade von so wunderbaren R�ubereien reden. W�r es nicht m�glich, da� eben auch besagter Schatz von Jahr zu Jahr zulegte auf Kosten mancher Passagiere?�
�Was f�llt Euch ein! Ihr meint also, da� so ein armer Geist mit Zangen und Messern ausziehe und ordentlich wie ein gemeiner Strauchdieb den Leuten die Koffer und Taschen umkehre?�
Ich sah das Abgeschmackte meines Argwohns ein, allein ich wu�te nicht, ob ich mich freuen oder gr�men sollte. Denn wenn mich vorhin der Gedanke mit einem freudigen Schrecken ergriff, da� ich vielleicht nur wenig Schritte von meinen Dukaten entfernt sein m�ge, so schwand mir die Hoffnung, dieselben jemals wieder zu erblicken, nun abermals in eine ungewisse Ferne. Was aber den Umstand anbelangt, da� ich als ein Verirrter meine Zuflucht hier, gerade hier in dem verh�ngnisvollen Ahnenschlosse der Herzoge von Astern finden mu�te, nachdem ich in der Absicht ausgereist war, ein Gesch�ft zu besorgen, welches unmittelbar mit der Verherrlichung von Irmels Enkelin, k�nftig der ersten gekr�nten K�nigin aus diesem Stamm, zusammenhing, und das auf eine so h�chst r�tselhafte Art gest�rt werden sollte – dahinter schien doch wahrlich mehr als ein blo�er Zufall zu stecken, es mu�te eine h�here Hand im Spiele sein, und fester als jemals war ich entschlossen, ihr alles mit der vollsten Zuversicht zu �berlassen, mich, ihres weiteren Winkes gew�rtig, jeder eigenen Gesch�ftigkeit und Sorge zu entschlagen.
�Mein Freund wird mir so still�, sagte Josephe: �ich d�chte, wir gingen ein wenig und sch�pften drau�en frische Luft.� Ich war bereit, denn dies fehlte mir wirklich.
Die erquickende K�hle wirkte auch sogleich auf meinen verd�sterten Sinn. Wir gingen langsam auf den breiten Platten vor dem Hause auf und nieder, w�hrend die Sch�ne noch stets mit ihrem sonderbaren gr�nen Gestricke besch�ftigt blieb. Wir bogen rechts ums Schl��chen und blickten in das stille Sicheltal, am liebsten aber wandte man doch immer wieder nach der andern Seite zur�ck, wo man �ber die niedrige Schutzmauer weg, am Abgrund des Felsen, die k�stliche Aussicht auf das tiefliegende[427] Land und n�her dann am Berg herauf den Anblick eines Teils vom Dorf geno�. Dort haftete mein Auge zwar oft unwillk�rlich auf dem ber�chtigten Fl��chen, das, hinter dem Schlo� vorkommend, sich weit in die Landschaft schl�ngelnd verlor; allein ich dr�ngte mit Gewalt alle unerfreulichen Bilder zur�ck.
Die Gegenwart des unwiderstehlichen M�dchens begeisterte mich zu einer Art von unschuldigem Leichtsinn und kecker Sicherheit; ich hatte ein Gef�hl, wie wenn mich unter ihrem Schutz nichts Widriges noch Feindliches antasten d�rfte. Die Sonne trat soeben hinter grauen und hochgelben Wolken hervor, sie begl�nzte die herrliche Gegend, das alte Gem�uer, ach und vor allem das frische Gesicht meiner Freundin!
�Erz�hlt mir was aus Eurem Leben, von Eurer Wanderschaft und Abenteuern; nichts h�rt sich lustiger als Reisen, wenn man's nicht selbst mitmachen kann.�
Es fehlte wenig, da� ich ihr nicht auf der Stelle mein ganzes �bervolles Herz er�ffnete; jedoch, um ungef�hr zu pr�fen, wie es wohl mit dem ihrigen stehe, fing ich in hoffnungsvollem Liebes�bermut verschiedenes von Frauengunst zu schwadronieren an, und wu�te mich als einen auf diesem edlen Felde schon ganz erfahrenen Gesellen auszulassen. Das M�dchen l�chelte bei diesem allen getrost und still in sich hinein.
�Und nun, mein Kind�, sagt ich zuletzt, �wie denkt denn Ihr in Eurer Einsamkeit hier oben von diesem b�sen M�nnervolk?�
�Ich denke�, sagte sie mit angenehmer Heiterkeit, �wie eben jede Braut es denken mu�: der Meine ist, so Gott will, noch der Beste von allen.�
Ein Donnerschlag f�r mich! Ich nahm mich m�glichst zusammen. �Ei so?� – rief ich lachend und f�hlte dabei, wie mir ein bittrer Krampf das Maul krumm zog – �so? man hat auch schon seinen Holderstock? Das h�tt ich Ihr nicht zugetraut! Wer ist denn der Liebste?�
�Ihr sollt ihn kennenlernen, wenn Ihr noch ein paar Tage bleibt�, versetzte sie freundlich und lie� den Gegenstand schnell wieder fallen. Dagegen fing sie an, ausf�hrlich von ihrem h�uslichen Leben bei den zwei alten Leuten, von den letzten Bewohnern des Guts, insonderheit von einer seligen Freifrau Sophien als ihrer unverge�lichen Wohlt�terin zu reden. Mir war l�ngst H�ren und Sehen vergangen, mir sauste der Kopf wie im Fieber. Ach Gott! ich hatte mich den lieben langen Nachmittag[428] an diesem braunen Augenschein geweidet und gew�rmt und mir so allgemach den Pelz verbrannt und weiter nichts davon gemerkt! Und jetzt, in einem Umsehn, wie war mir geworden! Unausl�schlichen heimlichen Jammer im Herzen! die tolle wilde Eifersucht durch alle Adern! Noch immer schwatzte das M�dchen, noch immer hielt ich wacker aus mit meiner sauer-s��en Fratze voll edler Teilnehmung, und schweifte in Gedanken schon meilenweit von hier im wilden Wald bei Nacht durch Wind und Regen, das B�ndel auf dem R�cken. Ein Blick auf meine n�chste Zukunft vernichtete mich ganz: die ungeheure Verantwortung, die auf mir lag, die Unm�glichkeit meiner R�ckkehr nach Hause, gerichtliche Verfolgung, Schmach und Elend – dies alles tat sich jetzt wie eine breite H�lle vor mir auf.
Josephe hatte soeben geendigt. In der Meinung, ein Fuhrwerk vom Tal her zu h�ren, sprang sie mit Leichtigkeit aufs n�chste M�uerchen und horchte, den Ast eines Ahorns ergreifend, ein Weilchen in die Luft. Noch einmal verschlang ich ihr liebliches Bild – Ach so, dacht ich, in ebendieser Stellung, aber mit freudiger bewegtem Herzen, wird sie nun bald ihren Liebsten erwarten! Ich mu�te das Gesicht abwenden, ich dr�ngte mit M�he die Tr�nen zur�ck. Ein Zug von Raben strich jetzt �ber unsern H�uptern hinweg, man h�rte den kr�ftigen Schwung ihrer Fl�gel; es ging der Landesgrenze zu; der Anblick gab mir neue Kraft. Ja, ja – sprach ich halblaut: mit Tagesanbruch morgen wanderst du auch, du hast hier doch nichts zu erwarten als neue T�uschungen, neuen Verdru�! Ich f�hlte pl�tzlich einen namenlosen Trost, als wenn es m�glich w�re, mit Wandern und Laufen das Ende der Welt zu erreichen.
�Sie sind es nicht! des M�llers Esel waren's!� lachte Josephe und griff nach meiner Hand zum Niedersteigen.
Sie sah mich an. �Mein Gast ist ernsthaft worden – warum?� – Ich antwortete kurz und leichtsinnig. Sie aber forschte mit sinnenden munteren Blicken an mir und begann: �So wie wir uns hier gegen�berstehen, sollte man doch beinah meinen wir kennten uns nicht erst von heute. Ja, aufrichtig gesagt, ich selbst kann diesen Glauben nicht loswerden, und, meiner Sache ganz gewi� zu sein, war ich gleich anfangs unh�flich genug und fragt Euch um den Namen; glaubt mir, ich brauch ihn jetzt nicht mehr. Um Euch indes zu zeigen, da� man bei mir mit faulen Fischen nicht ausreicht, so kommt, ich sag Euch was ins[429] Ohr: – M�nnchen! wenn du ein Schneider bist, will ich noch heut Frau Schneidermeisterin hei�en, und, M�nnchen! wenn du nicht der kalte Michel bist, hei�t das Franz Arbogast aus Egloffsbronn, bin ich die dumme Beth von J�nneda� – hiemit kniff sie mich dergestalt in meinen linken Ohrlappen, da� ich laut h�tte aufschreien m�gen – zugleich aber f�hlte ich auch so einen herzlichen, kr�ftigen Ku� auf den Lippen, da� ich wie betrunken dastand. �F�r diesmal kommt Ihr so davon!� rief sie aus: �Adieu, ich mu� jetzt kochen. Ihr bleibt nur h�bsch hier und legt Euch in Zeiten auf Bu�e.�
Nachdem ich mich vom ersten Schrecken ein wenig erholt, empfand ich zun�chst nur die s��e Nachwirkung des empfangenen Kusses. All meine Sinne waren wie zauberhaft bewegt und aufgehellt; ich blickte wie aus neuen Augen rings die Gegenst�nde an, die ganz in Rosenlicht vor mir zu schwanken schienen. Wie gern w�r ich Josephen nachgeeilt, doch eine sonderbare Scham lie� mir's nicht zu. Dabei trieb mich ein heimliches Behagen, die angenehmste Neugierde, wohin dies alles denn noch f�hren m�chte, unstet im Hofe auf und ab. Denn da� die unvergleichliche Dirne mehr als ich denken konnte von mir wisse, da� sie, vielleicht im Einverst�ndnisse mit ihren Leuten, irgend etwas Besonderes mit mir im Schilde f�hre, soviel lag wohl am Tage, ja mir erschien auf Augenblicke, ich wu�te nicht warum, die fr�hlichste Gewi�heit: alle mein unverdientes Mi�geschick sei seiner gl�cklichen Aufl�sung nahe.
Leider fand sich den Abend keine Gelegenheit mehr, mit dem M�dchen ein Wort im Vertrauen zu reden. Die Alten kamen unversehens an, schwatzten, erz�hlten und packten Taufschmausbrocken aus. Dazwischen konnte ich jedoch bemerken, da� mich Josephe �ber Tisch zuweilen ernst und unverwandt, gleich als mit weit entferntem Geist, betrachtete, so wie mir nicht entgangen war, da� sie gleich bei der Ankunft beider Alten von diesen heimlich in die Kammer nebenan genommen und eifrigst ausgefragt wurde. Es mu�te der Bericht nach Wunsch gelautet haben, denn eines nach dem andern kam mit sehr zufriedenem Gesicht zur�ck. Sp�ter, beim Gute-Nacht unter der T�r, dr�ckte Josephe mir lebhaft die Hand. �Ich w�nsche�, sagte sie, �da� Ihr Euch fein bis morgen auf etwas Guts besinnen m�gt.� – Lang gr�belte ich noch im Bett �ber die Worte nach, vergeblich mein Ged�chtnis qu�lend, wo mir denn irgendeinmal in der Welt diese Gesichtsz�ge begegnet[430] w�ren, die mir bald so bekannt, bald wieder g�nzlich fremde deuchten. So �bermannte mich der Schlaf.
Es schlug ein Uhr vom J�nnedaer Turm, als ich, von heftigem Durste gepeinigt, erwachte. Ich tappte nach dem Wasserkrug; verw�nscht! er schien vergessen. Ich konnte mich so schnelle nicht entschlie�en mein Lager zu verlassen, um anderswo zu suchen was ich brauchte. Ich sank schlaftrunken ins Kissen zur�ck, und nun entspann sich, zwischen Schlaf und Wachen, der wunderlichste Kampf in mir: stehst du auf? bleibst du liegen? Ich suche endlich nach dem Feuerzeug, ich schlage Licht, werfe den �berrock um und schleiche in Pantoffeln durch den Gang, die Treppe hinab... Ob ich dies wachend oder schlafend tat – das, meine Wertesten, getraue ich mir selbst kaum zu entscheiden; es ist das ein Punkt in meiner Geschichte, wor�ber ich trotz aller M�he noch auf diese Stunde nicht ins reine kommen konnte. Genug, es kam mir vor, ich stand im untern Flur und wollte nach der K�che. Die �hnlichkeit der T�ren irrte mich und ich geriet in ein Gemach, wo sich verschiedenes Gartenger�t, gebrauchte Bienenk�rbe und sonstiges Ger�mpelwerk befand; auch war an der breitesten Wand eine alte, riesenhafte Landkarte von Europa aufgeh�ngt (wie ich denn dieses alles den andern Tag gerade so beisammen fand). Schon griff ich wieder nach der T�re, als mir auf einem langen Brett bei andern Gef��en ein voller Essigkolben in die Augen fiel. Das l�scht den Durst doch besser als blo�es Wasser, dachte ich, hub den Kolben herab und trank in unmenschlichen Z�gen; es wurde mir gar nicht genug. Auf einmal rief nicht weit von mir vernehmlich ein �u�erst feines Stimmchen: �He! Landsmann, z�nd Er doch ein klein bi�chen hierher!� Ich sah mich allenthalben um, und es rief wieder: �Da! daher, wenn's gef�llig ist.� So leuchte ich gegen die Karte hin, ganz nahe, und nehme mit Verwunderung ein M�nnlein wahr, auf Ehre, meine Damen, nicht gr��er als ein Dattelkern, vielleicht noch kleiner! Nat�rlich also ein Elfe, und zwar der Kleidung nach ein simpler B�rgersmann aus dieser Nation; sein grauer Rock etwas pauvre und landstreicherm��ig. Er hing, vielmehr, er stand wie angeklebt auf der Karte, just an der s�dlichen Grenze von Holland. �Noch etwas n�her das Licht, wenn ich bitten darf�, sagte das Kerlchen, �m�chte nur gelegentlich sehen, wie weit es noch bis an den Pas de Calais ist, und unter welchem Grad der L�nge und Breite ich bin.�[431]
Nachdem er sich geh�rig orientiert hatte, schien er zu einigem Diskurs nicht �bel aufgelegt. Bevor ich ihn jedoch weiter zum Worte kommen lie�, bat ich ihn um den einzigen Gefallen, er m�chte sich von mir doch auf den Boden niedersetzen lassen, �denn�, sagte ich in allem Ernst, �mir schwindelt, Euch in dieser Stellung zu sehen; habt Ihr doch wahrhaftig weit �ber M�ckengr��e und Gewicht, und wollt so mir nichts, dir nichts, an der Wand hinauflaufen ohne zu st�rzen! Hier ist meine Hand, seid so gut.� – Statt aller Antwort machte er mit hellem Lachen drei bis vier S�tze in die H�he, oder vielmehr, von meinem Standpunkt aus zu reden, in die Quere. �Versteht Ihr nun�, rief er aus, �was Schwerkraft hei�t, Anziehungskraft der Erde? Ei Mann, ei Mann, habt Ihr so wenig Bildung? Seht her!� Er wiederholte seine Spr�nge mit vieler Selbstgef�lligkeit. �Indessen, wenn's Euch in den Augen weh tut, auf ein Viertelst�ndchen kommt mir's nicht an. Nur nehmet die Karte behutsam h�ben und dr�ben vom Nagel und la�t sie allgemach samt mir aufs Estrich herab, denn dies Terrain zu verlassen ist gegen meine Grunds�tze.� Ich tat sofort mit aller Vorsicht wie er's verlangte. Das Blatt lag ausgebreitet zu meinen F��en und ich legte mich, um das Wichtlein besser vor Augen zu haben, gerade vor ihm nieder, so da� ich ganz Frankreich und ein gut St�ck vom Weltmeer mit meinem K�rper zudeckte. Das Licht lie� er hart neben sich stellen, wo er denn, ganz bequemlich an den untern Rand des Leuchters gelehnt, sein Pfeiflein f�llte und sich von mir den Fidibus reichen lie�.
�Ich war n�mlich�, fing er an, �vormals Feldmesser in k�niglichen Diensten, verlor durch allerlei Kabalen diesen Platz, worauf ich eine Zeitlang bei den Breitstei�lern diente.� Bei dieser Gelegenheit lie� ich mir sagen, da� es mehrere Elfenvolksst�mme gebe, die sich durch Leibesgr��e gar sehr unterscheiden; die kleinsten w�ren die Zappelf��ler, zu denen sich mein wackerer Feldmesser bekannte, dann k�men Heuschreckenritter, Breitstei�ler und so fort, zuletzt die Waidefeger, welche nach der Beschreibung ungef�hr die L�nge eines halben Mannsarms messen m�gen. �Nun�, fuhr der kleine Prahlhans fort, �treib ich aber meine Kunst privatim aus Liebhaberei, mehr wissenschaftlich, reise daneben und verfolge noch einen besondern Zweck, den ich freilich nicht jedem unter die Nase binde.�
�Ihr habt�, bemerkte ich, �bei diesen wichtigen Gesch�ften doch immer h�bsch trockenen Weg.�[432]
�All gut�, versetzte er, �aber auch immer trockene Kehle. Den Mittag schien die Sonne so warm dort in dem Strich �ber Trier herein, da� ich beinah verschmachtet w�r – Apropos, guter Freund, f�llt doch einmal da meine Wanderflasche.� �Unser Wein ist aber stark�, sagt ich, indem ich ihn mit einem Tropfen aus meinem Essigkrug bediente. �Hat keine Not�, sprach er, und soff mit Macht, wobei er das M�ndlein ein wenig verzog. �Was �brigens�, fuhr er nun fort, �den Weg betrifft, zum Exempel bei Nacht, ja lieber Gott, da ist einer keinen Augenblick sicher, ob er auf festem Erdreich einhergeht oder im Wasser; das w�re zwar insoweit einerlei, man macht ja keinen Fu� hier na�; hingegen ein Gelehrter, seht, es ist so eine Sache, man will sich keine Bl��e geben, nicht einmal vor sich selbst. Ich lief unl�ngst bei hellem Tag nicht weit von der Stadt Andernach, und sah so in Gedanken vor mich nieder und dachte an nichts – auf einmal liegt der gr�ne breite Rhein, wie'n Meer, vor meinen F��en! um ein kleines w�r ich hineingeplumpst so lang wie ich bin – wie dumm! und stand doch schon eine Viertelstunde davor mit ellenlangen Buchstaben deutlich genug geschrieben: Rhenus. Vor Schrecken fiel ich r�ckw�rts nieder und dauerte zwei Stunden, bis ich mich wieder besann und erholte.� – �Aber�, fragt ich, �habt Ihr denn das Rauschen dieses Stroms nicht schon von fern geh�rt?� – �Gehorsamer Diener, Mosje, so weit haben's eure Herren Landkartenmacher noch nicht gar gebracht; all die Gew�sser da, wie h�bsch sie sich auch kr�mmen, machen nur stille Musik.� Der Feldmesser schwieg eine Zeitlang und schien etwas zu �berlegen.
�H�rt�, fing er wieder an, �ich mu� jetzt doch mit meiner Hauptsache heraus. Ihr k�nntet mir einen Gefallen erweisen.� – �Recht gern.� – �So sagt einmal, es gibt ja sogenannte Osterkinder unter euch Menschen; wi�t Ihr mir wohl Bescheid, wie solche ungef�hr aussehn?� �Gewiß«, versetzte ich. Der Feldmesser h�pfte vor Freuden hoch auf. �Jetzt will ich Euch denn gleich vertrauen�, sprach er weiter, �um was es mir eigentlich ist. Merket auf. Euch ist bekannt, wo J�nneda liegt; unweit vom Irmelschlo�. Nun haust in diesem Gau der Waidefegerk�nig, ein stolzer, habgieriger F�rst, allzeit auf Raub und Pl�nderung bedacht, bestiehlt sogar das Menschenvolk n�chtlicherweis und schleppt was er von Gold erwischen kann nach seinem alten Schatzgew�lb – was glotzt Ihr mich so an? es ist doch[433] wahr; die Waidfeger wittern das Gold. Da ist neulich erst wieder so ein Streich passiert, da� die Koken sich hinter ein Fuhrwerk machten, und einem reisenden Kaufherrn den Goldsack zwischen den F��en ausleerten!�
�Was? zwischen den F��en? ein Felleisen, nicht wahr?�
�Ja, oder dergleichen. Die haben ihre Pfiffe, Herr! Wie der Blitz kommen die einem Wagen von unten her bei, ein paar setzen sich auf die Langwied, durchgraben den Boden und sch�tteln den Dotter heraus – das Gelbe vom Ei, wie sie sagen – was Wei�es ist, Silbergeld, lassen sie liegen.�
�Wo aber tragen sie's denn hin, ums Himmels willen? wo hat der K�nig seinen Schatz?�
�Beim Sixchen, ja, das sollt ich eben wissen. Versteht, es hat damit so seine eigene Bewandtnis. Der Grundstock ist von Menschenhand gelegt, vor etlich hundert Jahren; von der b�sen Frau Irmel habt Ihr geh�rt – ich kenn sie wohl und sie mich auch, mir tut sie nichts zuleide. Gut also, die soll noch zu ihren Lebzeiten eine Kiste mit einem braven Sparpfennig wo eingemauert haben – das war noch zu Hadelocks Zeiten, des �ltesten Waidfegerk�nigs. Nicht lange stand es an, so kam auch schon das Waidheer dahinter. Der K�nig legte gleich Beschlag darauf und machte das Gew�lbe zu seiner heimlichen Schatzkammer, wo man sofort alle kostbare Beute verwahrte, darunter auch die gro�e Irmelskette, die Hadelock der Andere mit erstaunlicher Arbeit und M�he in zweien St�cken aus dem sandigen Bette der Sichel herausschaffen lassen. Der Irmel-Geist hat seitdem keine Ruhe und sucht die Kette und kann sie nicht finden. Nun geht im Volk eine uralte Sage: ein Menschenj�ngling w�rde dereinst das Kleinod ans Tageslicht bringen und wiederum zusammenf�gen, dann w�re auch der Geist erl�st; der J�ngling aber m�sse als ein Osterkind geboren sein, die seien �u�erst rar und k�me oft in einem S�kulo kaum eins zur Welt. Doch, unter uns gesagt, ich denke schon den rechten Mann wo aufzugabeln und w�r es am Ende der Welt. Ich habe mich deshalb hier auf die Bahn gemacht, vorl�ufig einmal die Wege einzulernen und die Strapazen einer solchen Reise, Hunger und Durst in etwas zu gew�hnen. Mein Gl�ck ist gemacht auf zeitlebens, wofern es gelingt, und Euch soll's nicht gereuen, wenn Ihr mir Rat und Beistand leisten m�gt.�
Ich wollte ihm eben antworten, als er, das K�pfchen schnell zur Seite drehend und in die Ferne horchend, mir Stillschweigen[434] zuwinkte. �Der Waidek�nig gibt heute ein Fest; ich h�re sie von weitem jubeln.�
�Wo denn?�
Er deutete links in die Ecke der Karte hinauf. Dort waren n�mlich, wie man es auf �lteren Augsburger Bl�ttern gew�hnlich bemerkt, zu Verzierung des Titels verschiedene Schildereien angebracht, gewisse Symbole der Kunst, Zirkel und Winkelma�, an den m�chtigen Stamm einer Eiche gelehnt, hinter dem ein St�ck Landschaft hervorsah, ein Tal mit Rebenh�geln und dergleichen, im Vordergrund eine gebrochene Weinbergmauer; das Ganze fabrikm��ig roh koloriert.
�Seht Ihr noch nichts?�
�Wo denn, zum Henker?�
�Unten im Tal!�
�Nicht eine Spur!�
�So seid Ihr blind, ins Kuckucks Namen!�
Jetzt kam es mir wahrhaftig vor, als wenn die Landschaft Leben ann�hme, die matten Farben sich erh�hten, ja alles schien sich vor mir auszudehnen, zu wachsen und zu strecken, der L�nge wie der Breite nach; die Formen schwollen und rundeten sich, die Eiche rauschte in der Luft, zugleich vernahm ich ein winziges Tosen, Schwirren und Klingen von lachenden, jubelnden, singenden Stimmchen, das offenbar aus der Tiefe herkam.
�Stellt Euer Licht weg!� rief mir der Feldmesser zu, �oder l�schet es lieber gar aus! der Mond ist ja schon lang herauf.� Ich tat wie er befahl, und da lie� freilich alles noch hundertmal sch�ner. Als ich aber vollends den Kopf �bers M�uerchen streckte – o Wunder! sah ich das lieblichste Tal sehr artig und festlich erleuchtet, mit tausend geputzten, gep�tzelten Leutchen bedeckt, die immerhin eine ziemlich ansehnliche Gr��e hatten, sehr schlank und wohlgebaute Puppen. Es war ein unendliches Dr�ngen. Der meiste Teil bestand aus Landleuten, welche mit K�beln und Butten gesch�ftig zwischen den Kufen umsprangen. Eine Weinlese also, und eine k�nigliche zwar! Denn vorn sah man in bunten geselligen Gruppen die Vornehmen vom Hofe, nach hinten zu eine gedeckte Tafel; vor allem stach ein Zelt hervor, es schien aus blendendwei�en Herbstf�den gewoben, mit gr�nen Atlasdraperien beh�ngt, welches im Mond- und Fackelschein aufs herrlichste ergl�nzte. Der Feldmesser war neben mir auf einen untern Ast der Eiche geklettert, wo er kommode alles �bersah. Ich hatte gerade den K�nig entdeckt[435] und meine Augen suchten just die K�nigin, da ruft mir mein Begleiter zu: �Seht! Seht!� und deutet in die Luft nach einer neuen Erscheinung, welche zugleich von der ganzen kleinm�chtigen Menge mit Jubelgeschrei und aufgeworfenen M�tzen begr��t wird. Wie mu� ich erstaunen, wie h�pft mir das Herz vor kindischer n�rrischer Freude, als ich den goldnen Hahn vom J�nnedaer Kirchturm mit der gro�en Uhrtafel in seinen zwei Klauen daherfliegen sehe! Der arme Tropf flog sichtbar angestrengt, seine Fl�gel klirrten erb�rmlich. Indessen merkt ich bald was daraus werden sollte: ein Festschie�en galt es und hier kam die Scheibe. Der Vogel erreichte die Erde, setzte die Tafel inmitten eines l�nglicht umschr�nkten Platzes und lie� zugleich zwei Eisen fallen (die Zeiger der Uhr ohne Zweifel), die alsbald von mehreren Edlen betrachtet, in der Hand gewogen und wie es schien verdrie�lich, als ein paar unf�rmliche Wurfspie�e, wieder weggelegt wurden. Die Sch�tzen zogen dagegen ihre silbernen Bogen hervor, alles ordnete sich, das Ziel war gerichtet, der Hahn amtspflichtlich stellte sich darauf. Er kr�hte hell bei jedem Schu� die betreffende Zahl nach den Ringen. Die Majest�t selber verschm�hte nicht, die Armbrust einmal zu versuchen, und ob sie gleich ganz abscheulich fehlscho�, ja sogar den Rufer blutig verletzte, so schrie derselbe doch, anst�ndig seinen Schmerz verbei�end, mit lauter Stimme: �Zw�lf in die Minut!� was diesmal ausnahmsweise noch h�her als das Schwarze galt. Unm��iger Beifall erscholl aus den Reihen, derweil der G�ckel sich insgeheim den Pfeil aus seinem Schwanze zog. Ich konnte mich des Lachens nicht enthalten. Mein Feldmesser raunte mir zu: auf die Scheibe sei der K�nig nie gl�cklich gewesen; vor zwei Jahren sei der gleiche Fall begegnet und man wolle wissen, es habe damals der Monarch, als ihm sein Hofnarr die wahre Bewandtnis mit dem Meisterschu� ins Ohr gesagt, die edle Delikatesse des Turmhahns so wohl vermerket, da� er desselben alleruntert�nigstes Gesuch, ihm seine unscheinbar gewordene Vergoldung erneuern zu lassen, nicht nur ohne weiters bewilligt, sondern ihm �berdies Titel und Rang eines geheimen Wetter- und Kirchenrats gn�digst verliehen habe.
Nun aber setzte sich der Hof zu Tische, und da war ich es leider selbst, welcher die ganze Herrlichkeit verst�rte. Ich konnte n�mlich bei andauerndem entsetzlichem Durste unm�glich der Versuchung widerstehn, den Arm ins Tal hinabzustrecken, und mir eine der gr��ten, mit rotem Most gef�llten Kufen heraufzulangen,[436] die ich auch, unbek�mmert um das rasende Zetergeschrei, das in der Tiefe losbrach, geschwinde ausgetrunken hatte, nur eben wie man einen Becher leert. �Wir sind verloren!� rief der Feldmesser aus, rutschte vom Baum und war nicht mehr zu sehen. �Heidoh!! Heidoh!� scholl's aus dem Tal, �ein Menschenungeheuer auf der H�he! Weh, weh! bei der heiligen Eiche! bei Hadelocks Baum!� �Auf! zu den Waffen, tapfre Recken!� rief eine st�rkere Stimme: �rettet! rettet! dort ist mein Schatzgew�lbe! des K�nigs heiliger Schatz!� Ein w�tendes Getrappel kam jetzt �ber Stock und Stein den Berg herauf. Ich dachte an ein gro�es Horni�heer, lie� schnell den Becher fallen und entfloh.
Wie ich auf meine Stube, wie ich ins Bett gelangte, wei� ich nicht. Das wei� ich, da� ich mir die Augen rieb und nur getr�umt zu haben glaubte.
Es war erst eben heller Tag geworden. Das sonderbare Nachtgesicht besch�ftigte mich sehr. Der Leuchter stand auf meinem Tisch, die T�r war ordentlich verriegelt, hingegen fehlte der Wasserkrug richtig, und meinen Durst schien ich gestillt zu haben, denn wirklich, er war ganz verschwunden. Auf jeden Fall hat mir in meinem Leben kein Traum einen so heitern Eindruck hinterlassen; ich konnte nicht umhin, die gl�cklichste Vorbedeutung darin zu erblicken.
Mein Frohmut trieb mich aus dem Bette, so fr�h es auch noch war. Ich zog mich an und pfiff dabei vergn�glich in Gedanken. Von ungef�hr kam mir mein leerer Beutel in die Hand, und in der Tat ich konnte ihn diesmal mit gr��ter Seelenruhe betrachten. An seinem ledernen Zugbande hing ein alter, schlichter, oben und unten offener Fingerhut, den ich als ehrw�rdigen Zeugen einer kindlichen Erinnerung seit vielen Jahren aus Gewohnheit, um nicht zu sagen aus Aberglauben, immer bei mir trug. Indem ich ihn so ansah, war's als fiel' es mir wie Schuppen von den Augen; ich glaubte mit einmal zu wissen, warum mir Josephe so �u�erst bekannt vorgekommen, ja was noch sonderbarer – ich wu�te wer sie sei! �Bei allen Heiligen und Wundern!� rief ich aus, und meine Kniee zitterten vor Schrecken und Entz�cken: �es ist �nnchen! mein �nnchen und keine Josephe!�
Es drang mich fort, hinunter: unwissend, was ich wollte oder sollte, scho� ich, barf��ig, wie von Sinnen, den kalten Gang vor meinem Zimmer auf und nieder; ich pre�te, mich zu fassen,[437] die Hand auf meine Augen – �Sie kann's nicht sein!� rief ich �du bist verr�ckt! ein Zufall hat sein Spiel mit dir – und doch...� Ich hatte weder Ruhe noch Besinnung, alle die Wenn und Aber, F�r und Wider bed�chtig auszuklauben, nein, auf der Stelle, jetzt im Augenblick, durchs M�dchen selbst wollt ich Gewi�heit haben; mein Innerstes lechzte und brannte nach ihr nach ihrem lebendigen Anblick! Ich war die Treppe hinabgeschlichen und hatte im Vorbeigehn einen Blick in das Gemach geworfen, wo die Landkarte hing – allein was k�mmerte mich jetzt das Teufelszeug! ich sp�rte nach des M�dchens Kammer: umsonst, noch r�hrte sich kein Laut im ganzen Hause. Ich konnte doch wahrhaftig nicht, als w�re Feuer im Dach, die Leute aus den Betten schreien, um nachher, wenn ich mich betrogen h�tte, als ein Wahnsinniger vor ihnen dazustehn. Ich ging zur�ck nach meinem Zimmer, warf mich in voller Desperation aufs Bett und begrub mein Gesicht in die Kissen.
Doch es ist Zeit zu sagen, was mir so pl�tzlich eingekommen war.
In meiner Vaterstadt, zu Egloffsbronn, als meine Mutter sich sehr knapp, nach Witwenart, mit mir in ein Oberst�bchen hinterm Krahnen zusammengezogen (ich war damals zehn Jahre alt), wohnte mit uns im gleichen Haus ein Sattlermeister, ein liederlicher Kerl, der nichts zu schaffen hatte und, weil er etwas Klarinett verstand, jahraus jahrein auf Dorfhochzeiten und M�rkten herumzog. Sein junges Weib war ebenfalls der Leichtsinn selber. Sie hatten aber eine Pflegetochter, ein gar zu sch�nes Kind, mit welchem ich ausschlie�lich Kameradschaft hielt. An einem sch�nen Sonntagnachmittag, wir kamen eben aus der Kirche von einer Trauung her, ward von dem P�rchen ernstlich ausgemacht, da� man sich dermaleinst heiraten wolle. Ich gab ihr zum Ged�chtnis dieser Stunde ein kleines Kreuz von Glas, sie hatte nichts so Kostbares in ihrem Verm�gen, und heute noch kann ich es sp�ren, wie sie mich dauerte, als sie mir einen alten Fingerhut von ihrem Pfleger, an einem gelben Schn�rchen h�ngend, �bermachte. – Allein es sollte dieses Gl�ck sehr bald aufs grausamste vernichtet werden. Im folgenden Winter nach unsrer Verlobung brach in der Stadt eine Kinderkrankheit aus, die man in dieser Gegend zum ersten Male sah. Es war jedoch nicht mehr noch weniger als das bekannte Scharlachfieber. Die Seuche r�umte greulich auf in der unm�ndigen Welt. Auch meine Anne wurde krank. Mir war der Zutritt in die untere[438] Kammer, wo sie lag, bei Leib und Leben untersagt. Nun ging es eben in die dritte Woche, da kam ich eines Morgens von der Schule. Weil meine Mutter nicht daheim, der Stubenschl�ssel abgezogen war, erwartete ich sie, B�chlein und Federrohr im Arm, unter der Haust�r und hauchte in die Finger, denn es fror. Auf einmal st�rmt die Sattlersfrau mit lautem Heulen aus der Stube: soeben hab ihr �nnchen den letzten Zug getan! – Sie rannte fort, wahrscheinlich ihren Mann zu suchen. Ich wu�te gar nicht wie mir war. Es wimmelten just so dicke Flocken vom Himmel; ein Kind sprang lustig �ber die Gasse und rief wie im Triumph: �'s schneit M�llersknecht! schneit M�llersknecht! schneit M�llersknecht!� Es kam mir vor, die Welt sei n�rrisch geworden und m�sse alles auf den K�pfen gehn. Je l�nger ich aber der Sache nachdachte, je weniger konnte ich glauben, da� �nnchen gestorben sein k�nne. Es trieb mich, sie zu sehn, ich fafte mir ein Herz und stand in wenig Augenblicken am �rmlichen Bette der Toten, ganz unten, weil ich mich nicht n�her traute. Keine Seele war in der N�he. Ich weinte still und lie� kein Aug von ihr und nagte hastig hastig an meinem Schulb�chlein.
�Schmeckt's, Kleiner?� sagte pl�tzlich eine widrige Stimme hinter mir; ich fuhr zusammen wie vorm Tod, und da ich mich umsehe, steht eine Frau vor mir in einem roten Rock, ein schwarzes H�ubchen auf dem Kopf und an den F��en rote Schuhe. Sie war nicht sehr alt, aber leichenbla�, nur da� von Zeit zu Zeit eine fliegende R�te ihr ganzes Gesicht �berzog. �Was sieht man mich denn so verwundert an? Ich bin die Frau von Scharlach! oder, wie der liebwerteste Herr Doktor sagen, die Fee Briscarlatinar�1 Sie ging nun auf mein armes �nnchen zu, beugte sich murmelnd �ber sie, wie segnend, mit den Worten:
[439]
�Kurze Ware,
Roter Tod;
Kurze Not
Und kurze Bahre!�
�W�r Numero Dreiundsiebenzig also!� Sie schritt vornehm die Stube auf und ab, dann blieb sie pl�tzlich vor mir stehn und klopfte mir gar freundlich kichernd auf die Backen. Mich wandelte ein unbeschreiblich Grauen an, ich wollte entspringen wollte laut schreien, doch keins von beiden war ich imstande. Endlich, indem sie steif und strack auf die Wand losging, verschwand sie in derselben.
Kaum war sie weg, so kam Frau Lichtlein zur T�re herein, die Leichenfrau n�mlich, ein frommes und reinliches Weib, das im Rufe geheimer Wissenschaft stand. Auf ihre Frage: wer soeben dagewesen? erz�hlte ich's ihr. Sie seufzte still und sagte, in dreien Tagen w�rd ich auch krank sein, doch soll ich mich nicht f�rchten, es w�rde gut bei mir vor�bergehn. Sie hatte mittlerweilen das M�dchen untersucht, und ach, wie klopfte mir das Herz, da sie mit einigem Verwundern f�r sich sagte: �Ei ja! ei ja! noch warm, noch warm! La� sehn, mein Sohn, wir machen eine Probe.� Sie zog zwei kleine Apfel aus der Tasche, wei� wie das sch�nste Wachs, ganz ungef�rbt und klar, da� man die schwarzen Kern beinah durchschimmern sah. Sie legte der Toten in jede Hand einen und steckte sie unter die Decke. Dann nahm sie ganz gelassen auf einem Stuhle Platz, befragte mich �ber verschiedene Dinge: ob ich auch flei�ig lerne und dergleichen; sie sagte auch, ich m��te Goldschmied werden. Nach einer Weile stand sie auf: �Nun la� uns nach den �pfeln sehn, ob sie nicht B�cklein kriegen, ob sich der Gift hineinziehn will.� – Ach, lieber Gott! weit weit gefehlt! kein T�pfchen Rot, kein Striemchen war daran. Frau Lichtlein sch�ttelte den Kopf, ich brach in lautes Weinen aus. Sie aber sprach mir zu: �Sei wacker, mein S�hnchen, und gib dich zufrieden, es kann wohl noch werden.� Sie hie� mich aus der Stube gehn, nahm Abschied f�r heute und sch�rfte mir ein, keinem Menschen zu sagen was sie getan.
Auf der Treppe kam mir meine Mutter entgegen. Sie schlug die H�nde �berm Kopf zusammen, da� ich bei �nnchen gewesen. Sie h�tete mich nun aufs strengste und ich kam nicht mehr aus der Stube. Man wollte mir am andern Tag verschweigen,[440] da� meine Freundin gegen Abend beerdigt werden sollte; allein ich sah vom Fenster aus, wie der Tischler den Sarg ins Haus brachte. (Der Tischler aber war ein Sohn der Leichenfrau.) Jetzt erst geriet ich in Verzweiflung und war auf keine Art zu tr�sten. Dar�ber st�rmte die Sattlersfrau herauf, meine Mutter ging ihr vor die T�r entgegen und jene fing zu lamentieren an, ihr liederlicher Mann sei noch nicht heimgekommen, sie habe keinen Kreuzer Geld daheim und sei in gro�er Not. Ich unterdessen, aufmerksam auf jeden Laut im untern Hause hatte den Schemel vor ein kleines Guckfenster ger�ckt, welches nach hinten zu auf einen dunkeln Winkel sah, wohinaus auch das Fenster des K�mmerchens ging, in welchem �nnchen lag. Da sah ich unten einen Mann, dem jemand einen langen schweren Pack, mit einem gelben Teppiche umwickelt, zum Fenster hinausreichte. Ahnung durchzuckte mich, freudig und schauderhaft zugleich: ich glaubte Frau Lichtlein reden zu h�ren. Der Mann entfernte sich geschwind mit seinem Pack. Gleich darauf h�rte ich h�mmern und klopfen, ohne Zweifel wurde der Sarg zugeschlagen. Die Mutter kam herein, nahm Geld aus dem Schranke und gab es dem Weib vor der T�re Ich wei� nicht, was mich abgehalten haben mag, etwas von dem zu sagen was eben vorgegangen war, im stillen aber hegte ich die wunderbarste Hoffnung; ja als der Leichenzug anging und alles so betr�bt aussah, da lachte ich heimlich bei mir, denn ich war ganz gewi�, da� �nnchen nicht im Sarge sei, da� ich sie vielmehr bald lebendig wiedersehen w�rde.
In der folgenden Nacht erkrankte ich heftig, redete irre und seltsame Bilder umgaukelten mich. Bald zeigte mir die Leichenfrau den leeren Sarg, bald sah ich, wie sie sehr gesch�ftig war, den roten Rock der b�sen Fee, samt ihren Schuhen, in den Sarg zu legen, bevor man ihn verschlo�. Dann war ich auf dem Kirchhof ganz allein. Ein sch�nes B�umchen wuchs aus einem Grab hervor und ward zusehends immer gr��er, es fing hochrot zu bl�hen an und trieb die pr�chtigsten �pfel. Frau Lichtlein trat heran: �Merkst du?� sprach sie: �das macht der rote Rock, der fault im Boden. Mu� gleich dem Totengr�ber sagen, da� er den Baum umhaue und verbrenne; wenn Kinder von den Fr�chten naschen, so kommt die Seuche wieder aus.�
Dergleichen wunderliches Zeug verfolgte mich w�hrend der ganzen Krankheit, und monatelang nach meiner Genesung verlie� mich der Glaube nicht ganz, da� das M�dchen noch lebe,[441] bis meine Mutter, welcher ich inzwischen alles anvertraute, mich mit hundert Gr�nden so schonend wie m�glich eines andern belehrte. Auch wollte leider in der Folge wirklich kein �nnchen mehr zum Vorschein kommen Mit erneuertem Schmerz vernahm ich nur sp�ter, das gute Kind w�re vielleicht bei einer besseren Behandlung noch gerettet worden, doch beide Pflegeeltern w�ren der armen Waise l�ngst gern los gewesen.
Wir kehren zum grauen Schl��chen zur�ck.
Ich war so sehr in die Vergangenheit vertieft, da� ich einige Zeit die lebhafte Bewegung, die sich indes unten in der Wohnung des Schlo�vogts verbreitete, ganz �berh�rte. Nun sprang ich auf, fuhr rasch in meine Kleider und ging hinab.
Schon von weitem vernahm ich die heftige Stimme der Alten im Innern der Stube. Es war ein lamentierendes Verwundern Schelten und Toben, worein der Vogt zuweilen einen derben Fluch mischte. Ich stutzte, blieb stehn. �Der Spitzbub!� hie� es innen – �der keinn�tzige Schuft! vierhundert Dukaten! ist das erh�rt? Drum hat er gleich von Anfang seine Profession verleugnet! Du meine G�te, was sind wir doch Narren gewesen!�
Jetzt hatte ich genug. Mein Blut schien stillzustehen. Am �u�ern Hoftor stand ein junger, gutgekleideter Mann: er kehrte mir den R�cken zu, indem er einen Buben, der drau�en Ziegen h�tete, mit eifrigen Geb�rden zu sich winkte; er gab ihm einen Auftrag, wie es schien, sehr dringend, und rief dem Knaben, da er schon im Laufen war, noch halblaut nach: �Sie sollen doch ins Teufels Namen machen! und ja die Fu�eisen mitbringen! h�rst du?� – – Man denke sich meine Best�rzung! Besinnungslos klink ich die T�re auf und trete in die Stube. Blo� beide Eheleute sind zugegen. Kein rechter Gru�, kein Blick wird mir geg�nnt. Ein frisches Zeitungsblatt liegt auf dem Tisch, welches der Schlo�vogt hurtig zu sich steckt, ich denke mir im Nu was es enth�lt. Er geht hinaus, vermutlich dem jungen Mann zu melden, da� ich schon unten sei.
�Ihr habt Besuch bekommen?� fragte ich, um nur etwas zu reden, mit erzwungenem Gleichmut die Alte. �Meiner Nichte Br�utigam!� versetzte sie kalt und fing mit recht absichtlichem Ger�usch, um jedes weitere Gespr�ch zu hindern, Hanfk�rner zu zerquetschen an, dem Distelfinken zum Fr�hst�ck. Ich hatte in meiner Verwirrung nach einem Buch gegriffen (ein Kochbuch war's, wenn ich nicht irre): dahinter w�hlten meine Blicke sich schnell durch ein Rudel von tausend Gedanken hindurch. Rei�[442] ich aus? Halt ich stand? Vielleicht w�re ersteres m�glich gewesen, der beiden M�nner h�tt ich mich zur Not erwehrt; allein was half mir eine kurze Flucht? Und in der Tat, ich f�hlte mich bereits durch die Notwendigkeit erleichtert, endlich ein offenes Gest�ndnis abzulegen. Dessenungeachtet war mein Zustand f�rchterlich. Nicht die N�he meiner schmachvollen Verhaftung, nicht die Sorge, wie ich mich in einem so �u�erst verwickelten Falle von allem Verdacht w�rde reinigen k�nnen – nein, einzig der Gedanke an Josephe war's, an �nnchen, was mich in diesen Augenblicken fast wahnsinnig machte, der unertr�gliche Schmerz, dieses M�dchen, sie sei nun wer sie wolle, als die Verlobte eines andern zu denken, und eines Menschen zwar, welcher das schadenfrohe Werkzeug meiner Schmach, meines Verderbens werden sollte! Wu�te sie etwa selbst um den verfluchten Plan? Unm�glich! doch f�r mein Gef�hl, f�r meine Leidenschaft, indem ich sie mit dem verhaften Kerl in eins zusammenwarf, war sie die sch�ndlichste Verr�terin. Liebe, Verachtung, Eifersucht goren im Aufruhr aller meiner Sinne derma�en durcheinander, da� ich mich wirklich aufgelegt f�hlte, das M�dchen mit eigener Hand aufzuopfern, den Kerker, welchem ich entgegenging, durch ein Verbrechen zu verdienen und so mein Leben zu verwirken, an welchem mir nichts mehr gelegen war.
Die Alte war inzwischen in die Kammer nebenan gegangen; soeben kam sie wieder heraus, zog die T�re still hinter sich zu und ging nach der K�che. Schnell, wie durch Eingebung getrieben, spring ich keck auf die Kammer zu und �ffne ganz leise. Niemand ist da. Ich sehe eine zweite T�r, ich trete unh�rbar �ber die Schwelle und bin durch einen Anblick �berrascht, vor dem mein ganzes Herz wie Wachs zerschmilzt. Denn in dem engen, �u�erst reinlichen Gemach, das ich mit einmal �berblickte, lag die Sch�ne an ihrem Bett halbknieend hingesunken, die Arme auf den Stuhl gelegt, die Stirn auf beide H�nde gedr�ckt, wie schlafend, ohne Bewu�tsein; Gewand und Haare ungeordnet, so da� es schien, sie hatte kaum das Bett verlassen, als jene Nachricht sie bet�ubend �berfiel.
Ich wagte nicht, die Ungl�ckliche anzusprechen, ich f�rchtete mich, ihr ins Gesicht zu sehn. Aber Sehnsucht und Jammer durchgl�hten mir innen die Brust, von selber streckte mein Arm sich aus, von selbst bewegten sich die Lippen – ��nnchen!� sagt ich – es war kein Rufen, es war nur ein Fl�stern gewesen; dennoch im n�mlichen Moment richtet die Schlummernde den[443] Kopf empor; sie schaut, noch halb im Traum, nach mir her�ber, der ich bewegungslos dastehe; nun aber, wie durch Engelshand im Innersten erweckt, steht sie auf ihren F��en, schwankt – und liegt an meinem Halse.
So standen wir noch immer fest umschlungen, als es im Hofe laut und lauter zu werden begann. Tosende Stimmen durcheinander, ein Eilen und ein Rennen hin und her – das alles h�rte ich und h�rte nichts von allem. Jetzt kommt man heran durch die Zimmer, jetzt rei�en sie die letzte T�r auf – ein allgemeiner Ausruf des Erstaunens! Das M�dchen wie in Todesangst dr�ckt mich gewaltsamer an sich, dann sinkt sie erschaudernd pl�tzlich zusammen und fremde H�nde fassen die Ohnm�chtige auf. Vor meinen Augen wird es Nacht; ich f�hle mich unsanft h�ben und dr�ben beim Arme ergriffen und wie im Sturm hinweggef�hrt nach einem finstern Gange, dann abw�rts einige Stufen, wo eine T�r sich �ffnet und alsbald donnernd hinter mir zuschl�gt.
Ich hatte mich in kurzer Zeit wieder gesammelt. Es war ein f�rmliches Gef�ngnis, worin ich mich nunmehr befand, dunkel und moderfeucht und kalt. Die Sichel, von dem Regen angeschwollen, brauste wild in die Tiefe. Ich �berdachte meine Lage schnell. So schrecklich sie auch schien, sie konnte doch unm�glich lange dauern. Und was mich �ber alles tr�stete, f�rwahr ich brauchte das nicht weit in Gedanken zu suchen. Denn wenn es mir auch anfangs nur wie eine d�mmernde Erinnerung vorschwebte, da� ich das geliebteste M�dchen vor wenig Augenblicken noch an diese Brust gedr�ckt, so gab ein nie gef�hltes Feuer, das mir noch Mark und Bein heimlich durchzuckte, das seligste Zeugnis, da� dieses Wunder nicht ein eitles Blendwerk gewesen sein k�nne, ein �berma� von Hoffnung und Entz�cken ri� mich vom Boden auf und machte mich laut jauchzen.
Bald aber, da Stunde um Stunde verging und es schon weit �ber Mittag geworden war, ohne da� sich ein Mensch um mich bek�mmerte, stellten sich Ungeduld, Zweifel und Sorge allm�hlich bei mir ein. F�r meinen Hunger hatte man zwar durch ein St�ck schwarzes Brot, das ich nebst einem Wasserkrug in der Mauer entdeckte, hinreichend gesorgt, und ich verzehrte es mit gro�er Gier, doch eben diese reichliche Vorsorge lie� bef�rchten, da� ich f�r heute wenigstens aus diesem Loche nicht loskommen w�rde, da� ich vielleicht die Nacht hier zuzubringen h�tte. Ich leugne nicht, mir war diese Aussicht entsetzlich.[444] Denn, hatte nicht vielleicht jene verruchte Irmel in ebendiesen Mauern ihr blutiges Ende genommen? Wie, wenn es ihr einfiele, diese Nacht ihr altes Quartier einmal wiederzusehen? Es rieselte mir kalt den R�cken hinunter bei solchen Gedanken Dabei wird man begreifen, da� es mir unter diesen Umst�nden keine sehr angenehme Diversion gew�hrte, der Frechheit zweier Ratten zuzusehen, welche sich auf den Rest meines Mittagmahls bei mir zu Gaste luden.
Es schlug drei auf dem Schlo�; ich wollte fast vergehen. Auf einmal aber rasselten die Riegel. Der Schlo�vogt �ffnete, Verwirrung und Verlegenheit im Blick. �Der gn�dig' Herr ist angekommen; er schickt mich, Euch zu holen.�
Ich folgte dem Vogt nach der vordern Hausflur, wo er mich warten hie�. Zu meinem �rger standen hier verschiedene gemeine Leute herum, die sich ihrem Gebieter zu pr�sentieren w�nschten, der P�chter samt dem Sch�fer und dergleichen. Sie gafften mich wie einen armen S�nder an und zischelten einander in die Ohren; ich machte aber ein Gesicht wie ein Pandurenoberst und kehrte ihnen dann den R�cken zu.
Es dauerte nicht lang, so kam, gestiefelt und gespornt, vom Stalle her ein kleiner, blasser, �ltlicher Herr mit gro�en blauen Augen, in Begleitung einer schneewei�en Dogge, durch deren gewaltige Gr��e die kurze Gestalt ihres Herrn nur desto auffallender wurde. Er sah mich im Vorbeigehn scharf so von der Seite an, sprach mit den andern ein paar g�tige Worte, lie� abermals den Blick auf mich her�bergleiten und war schon im Begriff die Leute zu entlassen. In diesem Augenblick gewahrte ich den jungen Mann, der sich am Morgen mit so vielem Eifer meiner Person hatte versichern wollen und den man mir als �nnchens Br�utigam bezeichnet – Aber wo nehm ich Worte her, um mein Erstaunen, mein Entsetzen auszudr�cken, als ich beim zweiten Blick meinen Juden in ihm erkannte! – – Unf�hlend, wo ich stand, und des Respekts vergessend, den ich der Gegenwart des gn�digen Herrn schuldig war, warf ich mich auf den Burschen mit einer Wut, mit einer Schnelligkeit, wie kaum ein Tiger sich auf seine sichere Beute st�rzt. �Vermaledeiter Dieb! so hab ich dich!� und packt ihn kr�ftig bei der Kehle. Eine Totenstille entstand. Entsetzen hielt das Gesindel gebannt. Der alte Herr sah unwillig verlegen zu dem Auftritt, und einem allgemeinen Murren folgte unmittelbar der wildeste Tumult. Man wollte mir mit Gewalt meinen Feind entrei�en,[445] von dessen Gurgel meine Hand nicht loszubringen war, und h�tten sie mich in St�cke zerrissen. Die kreischende Stimme des Freiherrn allein war imstande, mich zur Vernunft zur�ckzubringen. In kurzem ward es ruhig.
�Fa�t Euch, Herr Peter!� sagte der Patron zu meinem Gegenpart, der mich erhitzt und keuchend mit weinerlichem Lachen angrinste – �ich hoffe, dieser allzu rasche J�ngling wird Euch seinerzeit den gr�bsten Irrtum abzubitten haben indes, Herr Schulzensohn, seid Ihr einmal entschieden angeklagt und werdet Euch gefallen lassen, inmitten dieser Leute hier Euch zu gedulden, bis ich mit jenem fertig bin.�
Der Schlo�vogt f�hrte mich nun auf Befehl des Herrn hinauf in den Saal, wo er mich alsbald wieder verlie�. Ich hatte vor lauter Erwartung kaum einige Aufmerksamkeit auf das was hier mich umgab. Uralte, gewirkte Tapeten mit abenteuerlichen Schildereien, zwei lange Reihen von Portr�ts bedeckten die W�nde; ein ungeheures Fenster umfa�te die pr�chtigste Aussicht. Mir wurde die Zeit uns�glich lang. Endlich ging eine Fl�gelt�r auf und Herr Marcell von Rochen trat herein, in feierlicher, sonderbarer Tracht. Er war in Reitstiefeln so wie vorher; sein �briger Einband jedoch erinnerte mich auf der Stelle frappant an mein Schatzk�stlein. Er hatte ein schwarzseiden M�ntelchen an, darunter ein geschlitztes, spanisches Wams von meergr�ner Farbe hervorstach. Sein grauer Knebelbart rieb sich an einem steifen Ringelkragen, welcher wie Pergament aussah. Wenn sich der Mann von ungef�hr umdrehte, so war etwas Erkleckliches von einem H�cker zu gewahren ein Merkmal, das gedachter �hnlichkeit auf keine Weise Abbruch tat. Nichtsdestoweniger hatte sein ganzes Wesen etwas Ehrw�rdiges, Unwiderstehliches f�r mich.
Er nahm nunmehr mit Anstand Platz und sprach: �Ihr seid Franz Arbogast aus Egloffsbronn, Goldschmiedsgesell bei Meister Orlt in Achfurth?�
�So ist es, Ew. Gnaden!� versetzte ich mit gro�er Zuversicht, und erz�hlte sofort auf Verlangen die ganze ungl�ckselige Historie ausf�hrlich und gewissenhaft, wobei er sehr aufmerksam zuh�rte. Am Ende zog er die Klingel und lie� mein Felleisen bringen. Hierauf begehrte der Freiherr das B�chlein zu sehen, das eine so wichtige Rolle in meiner Geschichte gespielt. Ich �berreichte ihm das unsch�tzbare Werklein unges�umt, das er mit einem ganz erheiterten Gesicht, ja mit unverkennbarer[446] R�hrung, wie eine wohlbekannte Reliquie empfing. �Meiner Schwester Hand, bei Gott!� rief er halblaut, bl�tterte lang und schmunzelte dazwischen, sah mich dann wieder ernsthaft an, ging auf und ab, mit allen Zeichen stiller, nachdenklicher Verwunderung. Nun trat er auf mich zu, und sagte: �Also just vierhundert Dukaten betr�ge die Summe, die Ihr verloren?�
�Gerade soviel, Ew. Gnaden.�
�Und davon h�ttet Ihr nicht das geringste �brigbehalten? Besinnt Euch ja wohl!�
Auf einmal fiel mir ein, da� ja noch ein Goldst�ck im Wagen gewesen und da� ich dieses in der Not bei der Zeche zu R�sheim auswechseln lassen Ich bekannte aufrichtig wie alles gegangen.
�Da habt Ihr sehr �belgetan!� versetzte der Freiherr bedenklich, mit kaum merkbarer Schalkheit. �So geht es, wenn ein Osterj�ngling nicht genau nach seinem Katechismo lebt. Ihr werdet Euch des trefflichen Spruches erinnern, worinnen gesagt ist, da� man sich fremden Eigentums unter keinerlei Umst�nden anma�en m�ge. Genug, Ihr habt den Lockvogel hinausgelassen, mit dessen Hilfe Ihr die ganze goldne Schar gar leichtlich wieder in Eure Hand w�rdet bekommen haben.�
�O Gott! ich Ungl�ckseliger!� rief ich verzweifelnd aus und schlug mich vor die Stirne.
�Geduld, Geduld, Gesell!� sagte der alte Herr, �noch ist nicht alles verloren. La�t Euch den Fehler f�r die Zukunft zu einer Warnung dienen; indes� – hier griff er in die Tasche und zog zu meinem freudigsten Erstaunen den Dukaten hervor, den er mir l�chelnd mit den Worten reichte: �Er kann nun freilich die erw�nschte Wirkung nicht mehr tun, der Zeitpunkt ist vers�umt; dessenungeachtet werdet Ihr vor Cyprian Eure 399 wiederhaben, da es Euch denn doch angenehm sein d�rfte, auch den Vierhundertsten gleich draufzulegen. Er fand sich noch zum Gl�ck in den Z�hnen des goldenen L�wen.�
Mit Tr�nen k��te ich die H�nde des Patrons und wu�te meinem Danke keine Worte. Der unvergleichliche Mann fuhr nun fort:
�Franz Arbogast, Ihr seid von nun an frei, und die Gerechtigkeit gibt Euch hiemit durch meinen Mund und kraft dieses Papiers, bis auf ein weiteres, Euren ehrlichen Namen zur�ck. Marcell von Rochen hat B�rgschaft f�r Euch geleistet; ich sprach Euren wackeren Meister noch k�rzlich in Achfurth. Er[447] l��t Euch freundlichst gr��en. Auch mu�te er mir das Versprechen geben, da� er die Arbeit, derenwegen Ihr nach Frankfurt reisen solltet, in keines andern H�nde legen wolle. Es hat noch Zeit damit, und auf mein Wort bleibt Ihr nur vorderhand getrosten Muts hier auf dem Schlosse. Josephe wird schon sorgen, da� Ihr uns nicht entlauft; denn noch erwartet Euch ein wichtiges Gesch�ft. Ich kann f�r heute nicht bleiben, in wenig Tagen sehen wir uns wieder. Bevor ich aber scheide, nehmt meinen besten Segen f�r Euch und f�r Josephen. Gewi�, mein Freund, Euch ist nach mancher Pr�fung ein selten Gl�ck beschieden: was man dagegen von Euch fordern wird, das sollt Ihr seinerzeit von Eurer Braut vernehmen. Indes gehabt Euch wohl!� Hiemit entfernte er sich in ein Seitenzimmer, eh ich ihm nochmals hatte danken k�nnen.
Ich blieb in einer Art von freudiger Bet�ubung noch eine ganze Weile auf einem Flecke stehn, halb in Erwartung, ob mein Wohlt�ter nicht noch einmal heraustrete. Als ich den Saal endlich verlie� und die Treppe herabkam, stand der Freiherr bereits in seinen ordentlichen Kleidern unterm Tor und stieg soeben zu Pferde Er winkte mir im Wegreiten noch ein Adieu zur�ck. Der Schlo�vogt mu�te ihn den Berg hinab, dem Dorfe zu, begleiten. Ein junger flinker J�ger, der hinterdreinritt, gab mir durch lustige Geb�rden zu verstehn, da� man �den Juden� schon vorausgef�hrt habe. In Gottes Namen! dachte ich und eilte in die Stube und auf �nnchen zu, die mir entgegenflog.
Die Trunkenheit der n�chsten Stunden zu beschreiben, soll mir billig erlassen sein.
Josephe – so will ich sie immerhin nennen, denn dieser Name war ihr ganz eigen geworden – Josephe zog mich an ein Tischchen, auf dem ein appetitliches Abendbrot, mit frischen Herbstblumen geziert, mein wartete. Ich hatte hundert Fragen an das M�dchen, doch meine Ungeduld sprang immer nur von einer zu der andern, dergestalt, da� ich am Ende sowenig wie vorher von allem begriff. Die seligste Konfusion von gegenseitigen Erkl�rungen, von Tr�nen, Scherzen, K�ssen l�ste sich zuletzt in das Gest�ndnis auf: man wolle jetzt nichts wissen und nichts fassen, als da� man sich wiederbesitze, da� man sich ewig so umschlungen halten w�rde.
Frau Base schien in gro�er Not, wie sie dem gl�cklichen Paar ihre Teilnahme ausdr�cken sollte. Sie hatte in der Tat, wie ich nachher erfuhr, nicht das beste Gewissen. Denn wenn Josephe[448] gestern, im Sinne mich zu pr�fen, auf zweideutige Weise etwas von einem Br�utigam verlauten lie�, so hing dies bei der Alten ganz anders zusammen. Gedachter Schulzensohn, ein angehender Wirt, filzig und reich, doch sonst ein guter Christ, hoffte an diesem M�dchen eine t�chtige Hausfrau f�r sich zu erwerben und betrieb seine Absicht um so ernstlicher, da nicht verschwiegen blieb, da� sie von der seligen Freifrau von Rochen – auf welche merkw�rdige Dame wir n�her zur�ckkommen werden – mit einem Verm�chtnis bedacht worden war, dessen Er�ffnung bis auf ihre Hochzeit ausgesetzt sein sollte, und wovon, in Betracht, wieviel sie bei gn�diger Herrschaft gegolten, sehr �bertriebene Vermutungen bestanden. Josephe, die den Menschen nicht entfernt ausstehen konnte, war �berdies, durch manchen geheimnisvollen Wink ihrer verblichenen Besch�tzerin geleitet, mit Sinn und Herzen immerfort nur auf die Zeit gespannt, wo der Goldschmiedsgeselle von Achfurth anr�cken w�rde. Die Base aber, insoweit auch sie in das Geheimnis eingeweiht war, hatte, als eingefleischtes Weltkind, noch nie so recht daran geglaubt und konnte endlich eine kleine Kuppelei nicht lassen. Doch ihre K�nste scheiterten an der Beharrlichkeit des braven Kindes, und der gekr�nkte Freier blieb einige Zeit aus. Am letzten Sonntag kam er wieder, sein Heil noch einmal zu versuchen. Allein wie sehr war er erstaunt, als er noch au�erhalb des Hofraumes wahrnehmen mu�te, wie sich das J�ngferchen mit einem fremden Gesellen, dessen Person er sich von der Gramsener Botenfahrt her sogleich erinnerte, gar traulich vor dem Schl��chen hin und her spazierend, behagte. Er hatte auf der Stelle weg, wo das hinauszielte, zumal er an demselben Nachmittag in J�nneda mit der Gevatterschaft vom Schlo� zusammengetroffen, und ihm die �ngstlichkeit, womit die Base ihn f�r dieses Mal von einem Besuche bei Sephchen abhalten wollte, bereits verd�chtig vorgekommen war. Ganz stille schlich er sich den Berg wieder hinab und sann auf Rache. In kurzem trat auch wirklich ein ganz vertrackter Zufall ein, v�llig dazu gemacht, mich mit einem Schlag in die L�fte zu sprengen.
Herr Peter hatte n�mlich in folgender Nacht einige Reisende beherbergt, Handelsherren, die mit anbrechendem Tage weiter wollten. Der Wirt war aufgestanden; er reichte ihnen zwischen dem Fr�hst�ck gef�llig die neueste Zeitung, und einer trug daraus das Merkw�rdigste vor, unter anderm einen ellenlangen Steckbrief, der viel Aufsehen erregte. Der Wirt geht eben durch das[449] Zimmer, steht still und spitzt die Ohren; er ist von dem Signalement frappiert, er liest mit eigenen Augen, wird pl�tzlich Feuer und Flamme und rennt mit dem Blatte davon – zum Schulzen, seinem Vater. Der, weil er eben unpa� ist, �bertr�gt die Sache dem Sohn, auf den er sich verlassen kann. In weniger als einer halben Stunde war meine Aufhebung erfolgt. – Da� ich nachher denselben Menschen, welcher mit solcher Zuversicht die Schergen wider mich aufbot, noch immer als den Dieb ansehen und behandeln konnte, war freilich eine Unbesonnenheit, die nur der blinde Drang des Augenblicks verzeihlich machte. Ich meinerseits indessen war nicht einmal geneigt, mir den Irrtum so sehr zu Herzen zu nehmen, besonders da ich gar wohl merkte, da� unser guter Schatzk�stleinspatron, welcher von vornherein der Sache auf den Grund gesehen, dem schadenfrohen Kauzen eine vor�bergehende Dem�tigung – er sa� zwei ganze Tage zur Untersuchung im Arrest – absichtlich nicht ersparen wollte. –
Josephe schlug noch einen Gang ins Freie vor; der Abend war so sch�n, die Luft au�erordentlich milde.
Indem wir nun allein so Hand in Hand entlang dem Ackerfeld, am Rand des Bergs hinwandelten, war mir's noch immer wie ein M�rchen, da� ich das sch�nste liebste M�dchen von der Welt als meine ausgemachte Braut besitzen sollte und da� dieselbe zwar nach Leib und Seele mein altes Sch�tzlein aus der Melbergasse hinterm Krahnen sei! – – �So sag mir denn, ums Himmels willen�, hob ich an, �wie bist du von den Toten auferstanden?�
�Mir kam es wahrlich selber vor�, versetzte sie, �als ging' es nicht mit rechten Dingen zu, da ich eines Morgens die Augen aufschlug und mich in einem fremden Zimmer, wo alles gar vornehm und lieblich aussah, in einem feinen seidenen Bettchen zum ersten Male wiederfand. Es war ein wenig dunkel in dem Zimmer, die Laden waren zu, die Vorh�nge herabgelassen. Nach einer Weile kam eine �ltliche Dame herein; sie war mir gleich bekannt, so ein sanftes und liebreiches Witwengesicht hatt ich schon sonst einmal gesehen. Du mu�t dich noch erinnern, zu Egloffsbronn, vor dem Br�ckentor, gegen die Landstra�e hin, steht einzeln ein freundliches Haus zwischen G�rten –�
�Ganz recht! Es liefen immer ein paar pr�chtige Pfauen im Hofe herum, die wir oft halbe Stunden lang durch die Staketen beguckten –�[450]
�Ja, und da rief uns eines Tags eine vornehme Frau in das Haus, befrug uns �ber dies und das, und schenkte jedem einen neuen Zwanziger. Wir kamen nachher noch einigemal, doch leider war die gute Frau nie mehr zu sehen. Nun aber kannte ich sie sogleich wieder. Sie setzte sich zu mir ans Bett, erkundigte sich nach meinem Befinden und reichte mir k�stliche Bissen zur St�rkung. Dann trat Frau Lichtlein ins Gemach und gleich darauf ein sch�nes Frauenzimmer, das mich mit Schmeichelworten und Liebkosungen �berh�ufte und fast nur allzu lebhaft war. Man nannte sie Josephe, zur �ltern Dame sagte sie Tante Sophie. Sie zeigte mir ein sch�nes Kleid, das sollte ich anziehen sobald ich wieder aufstehn d�rfte. Meine Frage, ob ich zu Egloffsbronn w�re, bejahte man mir, und als ich weiterforschte, ob ich denn wieder zu meinen Pflegeeltern m��te, hie� es: nein die Tante nehme mich mit auf ihr Gut, wenn ich wollte. ›Ach ja‹, sagt ich, ›wenn der Goldschmied-Franz auch mitgeht.‹ ›Der kommt dir nach!‹ versetzte das Fr�ulein und lachte.
Kaum war ich v�llig wiederhergestellt und wohl in meiner neugewachsenen Haut, so putzte mich das Fr�ulein so artig heraus, da� ich mich kaum mehr kannte; sie flocht mir mit eigener Hand meine Z�pfe, sie stellte Puppen und allerlei Spielwerk vor mich und ging dabei selber mit mir nur wie mit einer neuen Puppe um. ›H�ren Sie, Tantchen!‹ rief sie der gn�digen Frau einmal zu, ›ich habe Lust, einen Vertrag mit Ihnen abzuschlie�en: hiermit verspreche ich, Ihnen nicht nur den kommenden Monat, wie wir ausgemacht haben, sondern ein ganzes Jahr auf Ihrem verrufenen Schl��chen Gesellschaft zu leisten, mit dem Beding, da� ich das Kind nach meinem Sinn erziehen und mir es ganz aneignen darf.‹
›Schon gut‹, war die Antwort, ›wir wollen sehen, wie lang das dauern wird.‹
Am Abend fuhr ein Wagen an und kam ein kleiner munterer Herr in Reisekleidern herauf, welchen die beiden Frauen mit vieler Z�rtlichkeit empfingen. Es war der Herr vom Hause, ein Bruder jener Dame, die, so wie die Nichte, sich nur gastweise bei ihm, der eben Witwer war, aufhielt. Das Fr�ulein pr�sentierte mich dem Oheim, der sogleich herzlich zu lachen anfing: ›Ich wollte wetten, Schwester‹, rief er aus, ›das ist nun wieder eins von deinen Auserw�hlten, ein Osterl�mmchen, eine Friedensbraut nach deinem heimlichen Kalender. Ja ja, Frau Irmel mag sich freuen: die gro�e Stunde der Erl�sung mu� nun[451] allern�chstens schlagen. Ich hoffe doch, die Gr�fin wird so h�flich sein, mir mindestens ein Dritteil ihres Mammons zuzuscheiden.‹
›Du wirst‹, versetzte Frau Sophie l�chelnd mit einem sanften Vorwurf, ›du wirst, Marcell, noch einst ganz anders von diesen Dingen reden.‹
So stritten sie und scherzten noch vieles hin und her, wovon ich nichts weiter verstand.
An einem heitern Wintermorgen reisten die beiden Frauen mit mir ab. Es war das erstemal in meinem Leben, da� ich in einer Kutsche fuhr; ich war vor Lust ganz au�er mir. Den zweiten Tag erreichten wir das Schl��chen. Nun ging ein Leben wie im Himmel f�r mich an. Es war, als w�re ich nur f�r Josephen da; sie gab sich ganze Tage mit mir ab, und da ich sogar ihren Namen f�hren mu�te, schien ich mir selber wie verwandelt und eine ganz neue Person. Nun sollte ich gleich tausenderlei Sachen auf einmal von dem Fr�ulein lernen; selbst auf der Harfe nahm ich Unterricht bei ihr. Es fand sich n�mlich so ein altes Ding von Instrument aus den fr�heren Zeiten der Tante. Das Fr�ulein sagte oft: es sei die Irmels-Harpfe; ich wu�te damals nicht was mit dem Scherz gemeint war, welchen die Tante jedesmal und endlich sehr ernsthaft verwies. Wir trieben unser Wesen so drei Monate zusammen, als meine junge G�nnerin zu meinem gr��ten Kummer von den Verwandten nach der Hauptstadt abgerufen wurde. Die Tante konnte den Wildfang wohl missen, und sp�terhin gestand sie mir geradezu, es h�tte in der Art, wie ihre Nichte mich behandelt, unm�glich fortgehn k�nnen; der Stand, in den ich k�nftig treten w�rde, verlange nicht etwa so ein verw�hntes Modep�ppchen, wohl aber eine wackere Hauswirtin. Doch war es niemand weniger gegeben, mit Kindern umzugehen, als eben dieser guten, von mir so hochverehrten Frau; ich machte ihr nur Langeweile, st�rte und �rgerte sie. So mu�te ich mich denn fast einzig zu des Hausschneiders halten, und war froh, da� ich nur jemand hatte, zu dem ich einmal wieder, wie einst in Egloffsbronn, Vetter und Base sagen durfte. Dies wurde gegenseitig so sehr zur Gewohnheit, da� jedermann uns f�r Verwandte hielt.�
Indem nun meine Braut – so fuhr der Hofrat zu erz�hlen fort – mich mit den Eigenheiten ihrer seligen Wohlt�terin n�her bekannt machte, bedauerte ich aufrichtig, diese Edle nicht mehr am Leben zu wissen: ihr hatte ich mein Schatzk�stlein,[452] ach und noch weit mehr zu verdanken. Aber – mit diesen Worten wandte sich Herr Arbogast an eine ganz besonders aufmerksam zuh�rende bejahrte Dame – Sie, Frau Majorin, bringen ja den Mund nicht mehr zusammen, seit ich von Frau Sophien rede! Am Ende haben Sie die Baronesse selbst gekannt?
�Gewi�! gewi� hab ich! Leibhaftig steht sie wieder vor mir, wie ich sie vor vierzig und mehr Jahren in meiner Jugend sah.�
�Was ist das?� brummte hier ein treuherziger Schweizer, der w�hrend der Erz�hlung einigemal sehr merklich eingenickt war: �Bi Gott, ich dacht, das alles si halt numme so ne Fabel g'si, jetzt ch�mmt es doch anderster usi! H�tt ich das eh gw��t, h�tt es mich bi miner Ehr nit g'schl�feret!�
Auf dies Bekenntnis folgte ein allgemeines, unausl�schliches Gel�chter. Der Hofrat endlich nahm das Wort und bat gedachte Dame um eine Schilderung der Frau von Rochen: ein solches Zeugnis, sagte er, wird f�r meinen Kredit als Erz�hler entscheiden.
Die angenehme Frau lie� sich nicht lange bitten. �Von allen Gliedern der Familie�, fing sie an, �war Sophie die letzte, welche dem alten Rittersitz die Ehre ihrer pers�nlichen Gegenwart schenkte, indem sie den verstorbenen Gemahl, Anselm von Rochen, gern am Ort wo er begraben lag betrauern wollte. Ich sah sie dort mehrmals mit meiner Mutter, und h�rte auch sp�ter noch manches von ihr. Ohne gerade menschenscheu zu sein, liebte sie Einsamkeit und Stille �ber alles, selbst ihre Kammerfrau verweilte nur wenige Stunden des Tags in ihrer unmittelbaren N�he, und nicht �ber viermal im Jahre, an hohen Festen etwa, kam sie ins Dorf herab. Dagegen ward sie auch von gro� und klein als eine Heilige verehrt, wenn nun die schlanke feingebaute Gestalt mit der ihr eigenen Freundlichkeit und, bei einem Alter von bald siebenzig Jahren, mit beinah jungfr�ulichem Anstand in der Kirche den gewohnten Platz einnahm und aus dem offenen erh�hten Gitterstuhl ihre Untertanen durch ein L�cheln begr��te, nach angeh�rter Predigt aber die Kranken und die Armen als freigebige Tr�sterin in ihren H�usern besuchte.
Dem kl�sterlichen Leben, das Sophie im Innern ihrer prunklosen Gem�cher f�hrte, entsprachen denn auch ihre Lieblingsbesch�ftigungen ganz und gar. Von Jugend an zu einer bewundernsw�rdigen Kunstfertigkeit in feiner bunter Stickerei ge�bt,[453] war sie bei v�llig ungeschw�chten Sinnen noch immerfort imstande, dergleichen Arbeiten, wozu sie sich ehemals die reichsten Muster kommen lie�, mit gleicher Sorgfalt fortzusetzen; sie wiederholte unerm�det ihre alten Zeichnungen, um mit solchen Prachtst�cken, an denen Gold und Silber gl�nzte, von Zeit zu Zeit die Ihrigen zu �berraschen, ganz unbek�mmert freilich um den Geschmack des Tags.
Bedeutend aber war ihr Ansehn bei der Familie dadurch, da� sie die Gabe der Weissagung in hohem Grade besessen haben soll; besonders wollte sie es jedem gleich ansehen, ob er Sinn und Beruf f�r �bersinnliche Dinge besitze. Auch stand sie allezeit mit einer Anzahl Geistlichen in Briefwechsel und wu�te sich – zu einem Zweck, den weiter niemand kannte, wor�ber wir jetzt freilich ganz im klaren sind – von den Verh�ltnissen aller m�glichen Menschen, von Zeit und Stunde ihrer Geburt und dergleichen genaue Kenntnis zu verschaffen. In ihrer eigenen Verwandtschaft fand sie den unbedingtesten Glauben, obschon sie gerade hier am sparsamsten mit ihren Er�ffnungen war. Bruder Marcell allein wagte es, den hartn�ckigen Zweifler, sogar gelegentlich den Sp�tter gegen sie zu spielen, dessenungeachtet ist er doch ihr Liebling immer geblieben. Nach ihrem Tode mag er sich wohl bekehrt haben, ja wie es scheint verschm�hte er nicht, Sophiens mystische Hausfarbe, Gr�n, Schwarz und Wei�, zu Ehren der Schwester bei feierlichen Anl�ssen zu tragen.
Nun aber ist leicht zu vermuten, da� unserer guten Nonne das kleinste Verdienst dabei blieb, wenn unter ihrem frommen Regiment die Guts�konomie, die gar nicht unbetr�chtlich war, dennoch durchaus zum Vorteil der Besitzer aufrechterhalten wurde. Sie nahm von ihrem samtnen Armstuhl aus sehr regelm��ig Anteil an den vorkommenden Gesch�ften; sie h�rte an bestimmten Tagen den Verwalter an, durchsah als eine gute Rechnerin die B�cher mit der Feder in der Hand, ermahnte die Dienstboten und �bte mitunter auch wohl ein klein wenig die Kunst, unterrichtet zu scheinen, wo sie es nicht war. Jedoch verstand es sich bei m�nniglich von selbst, da� alles in der Wirtschaft h�tte drunter und dr�ber gehn m�ssen ohne die Einsicht und Treue eines Verwalters, der wirklich seinesgleichen suchte. Der gute Mann nahm aber unvermutet seinen Abschied, die G�ter wurden verpachtet, und die edle Matrone, den Bitten ihres Bruders jetzt nicht l�nger widerstrebend, entsagte diesem[454] Aufenthalt und lie� es sich gefallen, den sp�ten Abend ihres Lebens im Scho�e der Familie zuzubringen.
Dies w�re nun alles, was ich zugunsten der Wahrhaftigkeit des Herrn Erz�hlers vorzubringen hatte.�
Nachdem sich die Versammlung f�r diese interessanten Nachrichten aufs sch�nste bedankt, sprach unser Hofrat weiter: Ich werde mich nunmehr zum Schlu� so kurz wie m�glich fassen.
Josephens Konfirmation war in der Dorfkirche vollzogen worden. Die Nachfeier des Tages aber fand in aller Stille auf dem Schl��chen statt. Am Abend nahm Sophie das M�dchen bei der Hand und f�hrte sie nach einem Gemache im untern Stock, zu dem niemand, sogar der Vogt nicht, Zutritt hatte. Sephchen erblickte nun hier eine vollst�ndige Goldschmiedswerkstatt, ganz neu und sauber eingerichtet. �Mein Kind!� sagte die edle Frau: �sieh an, das ist f�r deinen Franz, hier f�hrst du ihn herein, wenn er mal kommen wird; hier mu� dein Liebster sein Meisterst�ck machen. Ist das geschehn, so findet sich das �brige von selbst. Der Werkzeug bleibt sein Eigentum; er nimmt ihn mit gen Achfurth, wo ihr euch niederlassen sollt. Und dann gedenket mein und habt einander lieb in Gottesfurcht und Frieden.� – Zugleich bekam Josephe ein �hnliches B�chlein wie ich, obgleich sie nach Geburt und Rang nur ein Sonntagskind war. Die Werkstatt wurde nun wieder geschlossen, und ich war in der Tat der erste, dem sie sich nach vier Jahren wieder �ffnete. Josephen war der Schl�ssel durch Herrn Marcell bei seiner neulichen Anwesenheit beh�ndigt worden. Ich hatte nur zu staunen und zu preisen, als ich mit meiner Braut von diesen Sachen Einsicht nahm; da war auch nicht das geringste vergessen, vom gro�en Ofen bis zum unbedeutendsten L�trohr herab, und St�ck f�r St�ck untadelhafte Ware, so rein und einladend, da� einem gleich der Mund nach der Arbeit zu w�ssern anfing. Auf meine Frage, was denn wohl zun�chst hier mein Gesch�ft sein w�rde, gab mir Josephe nur ganz verbl�mten Bescheid, indem sie mich auf Herrn von Rochens Wiederkunft verwies; allein ich hatte l�ngst gewittert, was da werden sollte, und war gefa�t auf alles, obwohl ich gar nicht leugnen will, da� mir etwas unheimlich wurde, als mir das M�dchen bald hernach zwei sonderbar gestrickte Sch�rpen zeigte, worauf gewisse Chiffern und Figuren von gr�ner, schwarzer, wei�er Farbe sich durchschlangen. �Wozu soll das, Josephe?� fragte ich.
�Die eine f�r dich, die andere f�r mich�, antwortete das M�dchen[455] mit geheimnisvollem L�cheln, �wir tragen sie auf eine Nacht.�
�Aber wozu, um Gottes willen?�
Sie legte ihren Finger auf den Mund: �F�r jetzt nicht weiter, Franz; du bist ein Mann, und da wo ich mich hin getraue, wirst du dich hoffentlich nicht scheuen.� – So kamen wir stillschweigend �berein, da� vorderhand nicht mehr die Rede davon sein solle.
Der n�chste sch�ne Morgen reizte uns zu einem kleinen Ausflug in die Gegend. Wir hatten uns noch unz�hlige Dinge zu sagen. Unter anderem wollte ich wissen, warum sie sich mir denn nicht gleich am ersten Abend, als ich kam, entdeckte? ja wie sie es nur �bers Herz bringen k�nnen, den ganzen folgenden Tag so grausam Kom�die mit mir zu spielen? – �So? meint der Herr�, entgegnete sie, �man h�tte nicht auch Lust gehabt, ihm etwas auf den Zahn zu f�hlen? Im ganzen habe ich mir freilich all die Jahre her nie eigentliche Sorge wegen deiner gemacht. Besonders hielt ich mich an das, was wir gelegentlich durch Reisende erfuhren. So kam einmal der Vetter, als eben Kirmes war zu J�nneda, mit einem lustigen Messerschmied an einen Tisch im R��lein zu sitzen, der war nicht weit von hier zu Haus, kam erst von Achfurth her und wu�te gar manches von dir; darunter war mir denn das wichtigste und angenehmste, da� sie dich dort den kalten Michel hie�en. Die Base wollte dies nicht eben tr�stlich f�r mich finden, ich aber sagte gleich, bei mir wird er schon auftauen. Nun mu�t du aber wissen, Freund, ausdr�cklich hatte Frau Sophie mir gesagt, du m��test mich bei unserm Wiedersehn von selbst erkennen: dies sei die erste Probe, wie tief dir �nnchen noch im Herzen sitze. Und da� ich's nur gestehe, mir wollte schon anfangen bange werden, weil du so gar vernagelt warst; ja meinen Ohren traute ich kaum, als mir der Mensch anfing, von seinen Liebschaften da vorzuprahlen! Sieh, h�tt ich mir nicht alle diese Faxen so ziemlich zurechtlegen k�nnen, es w�r ja wahrhaftig mein Tod gewesen! Etwas mu� aber doch daran sein, dachte ich, so arg er auch aufschneidet, ganz leer ging es nicht ab, daf�r soll er mir jetzt ein bi�chen zappeln.�
Unter so fr�hlichen Gespr�chen waren wir, stets auf der flachen H�he des Gebirgs fortschlendernd, bis an die gutsherrlichen Weinberge gekommen. Wir setzten uns auf eine kleine Mauer und blickten, �ber die Rebst�cke weg, hinunter in den[456] sogenannten Schelmengrund. Die Gegend fiel mir auf, ja ich war ganz verbl�fft – denn auf und nieder war ja hier das T�lchen wieder, das ich in jener Nacht gesehen, wo es vom Herbstvergn�gen der Waidefeger widerhallte! Wie sonderbar! Alles traf zu, die Eiche abgerechnet, von welcher nichts zu sehen war. Ich s�umte nicht, die Sache gleich Josephen zu erz�hlen, die sich h�chlich dar�ber vernahm. Zwar hielt auch sie den Spuk in jener Rumpelkammer f�r einen blo�en Traum, den sie jedoch nichtsdestoweniger bedeutsam fand. Nachdem wir uns den Ort, und namentlich eine gewisse rundliche, mit Gras und Disteln �berwachsene Vertiefung in der Erde zun�chst am M�uerchen, genau bemerkt, begaben wir uns, aller guten Hoffnung voll, nachdenklich auf den R�ckweg.
Zu Hause lie� ich es mein erstes sein, die alte Karte mit dem Titelbildchen genauer zu betrachten. Die �hnlichkeit war abermals nicht zu verkennen, obgleich sie sich bereits nicht mehr so ganz wie vorhin wollte finden lassen. – W�hrend ich noch dar�ber nachdenke, reicht mir Josephe einen Brief: er sei in unserer Abwesenheit vom Dorf gebracht worden. Ich meinte Wunder was es w�re, das schlaue M�dchen aber sagte: �Gib acht, Herr Peter hat was auf dem Korn.� So war es in der Tat. Seiner gekr�nkten Ehre eingedenk, machte er Miene, mir einen Proze� anzuh�ngen; soviel sich aus der ganz konfusen Schreibart absehen lie�, schien er jedoch nicht ungeneigt, bevor es dahin k�me, Genugtuung, und zwar mit barem Gelde, privatim von mir anzunehmen. – Zu rechter Zeit erinnerte ich mich jenes st�hlernen Knopfs, womit der Schuft den Fuhrmann damals prellte. Ich schlug sogleich ein s�uberlich Papier um das edle Schaust�ck und legte ein paar Zeilen bei, worin ich ihm andeutete, wie sehr man sich zuweilen irren k�nne, und da� ein Biedermann, der in der Eile einen glatten Knopf f�r einen F�nfzehner ausgab, es eben auch passieren lassen m�sse, wenn ihn ein anderer einmal f�r einen Galgenvogel nahm. – Der Brief tat v�llig die gehoffte Wirkung; Herr Peter zeigte ihn zwar keiner Seele, doch soll er sich ge�u�ert haben, ich h�tte ihm sehr anst�ndig Abbitte getan.
Nun k�men wir an das letzte Kapitel in meiner Geschichte, von dem ich zwar versichern darf, da� es seine besondern Reize hat, allein ich habe die Geduld meiner verehrten Zuh�rer l�ngst �ber die Geb�hr erprobt und so mag es f�r heute bewenden.
�Wie? was, Herr Hofrat?� riefen mehrere Stimmen – �jetzt[457] f�llt es Ihnen pl�tzlich ein, Punktum zu machen, jetzt, da es auf das Ziel losgeht? da alles voll Erwartung ist? Nein, nein, das geht nicht an, wir protestieren s�mtlich!�
Der Hofrat aber r�ckte gelassen seinen Stuhl, und da man ihn schon kannte, so sprach ihm niemand weiter zu.
�Wann werden wir denn nun das Ende h�ren?� fragten einige Damen.
�O morgen abend, wenn Sie wollen.�
�Was? da haben wir ja Ball! Als wenn er das nicht w��te!�
�Gut – also �bermorgen.�
�Da reisen Sie ja ab!�
�Ich?�
�Freilich! Ihre Frau hat es uns selbst gesagt. Seht doch, den Schalk! Er wollte uns wahrhaftig den Rest ohne weiteres schuldig bleiben!�
�Nun� – war die Antwort – �da� ich's nur gestehe, ich pflege diesen Teil meiner Geschichte, der sich im wesentlichen �brigens von selbst ergibt, nie gerne zu erz�hlen.�
�Darf man wissen, warum?�
�Eine Grille.�
�Das scheint geheimnisvoll.�
�Ich glaube unsern Freund beinahe zu verstehn�, sagte Cornelie, eine geistvolle, h�chst liebensw�rdige Blondine: �und so sehr mich selber die Neugierde plagt, es will mir doch zugleich gefallen, da� von den geisterhaften Dingen, die wir ahnen, der letzte Schleier nicht hinweggenommen werde. Sie w�rden einem fast, deucht mich, zu wirklich und zu nahe, und w�ren wenigstens mit einer heitern Darstellung, wie diese noch im ganzen war, kaum zu vereinigen.�
�Ei was!� rief Oberst Mathey hier mit halb komischer Ungeduld: �was f�r Umst�nde! Wir m�ssen absolut jetzt irgendeinen Schlu�, einen expressen Schlu� bekommen, und wenn wir ihn uns selbst erz�hlen sollten.�
�Das m�chte wohl so schwer nicht sein�, sagte Cornelie.
�Eh bien! ich nehme Sie beim Wort, mein sch�nes Kind! Geschwinde, geben Sie uns eine h�bsche Skizze, damit sich unsere Imagination vor Schlafengehn beruhige.�
�F�rs erste�, fing Cornelie an, �wird Herr von Rochen, als ihm der merkw�rdige Traum erz�hlt wurde, sogleich Anstalt zur Nachgrabung bei jenen Weinbergen getroffen haben. Gewi� geschah dies mit der gr��ten Vorsicht, und zwar nicht[458] anders als bei Nacht, teils um ein Aufsehn zu verh�ten, teils weil der feierliche Gegenstand es so erforderte. Es war die Nacht vor Cyprian. Herr Marcell ermangelte nicht, bei Fackelschein in seiner Ostergalatracht zu Pferde den kleinen Zug geziemend anzuf�hren. In dessen Mitte ging Herr Arbogast als Hauptperson, dann folgten ein halb Dutzend Arbeiter mit brennenden Laternen, Spaten und Hacken wohl versehen. Diese geheimnisvolle Prozession, die Ankunft auf dem Platze, die T�tigkeit der Leute daselbst, wobei kein lautes Wort gesprochen werden durfte, sodann die immer steigende Bewegung, da man nach einem zweist�ndigen Graben endlich auf ein Gew�lbe, zuletzt auf eine schmale Treppe st��t, und nun der auserw�hlte J�ngling, die Fackel in der Hand, sich zwischen Schutt und Tr�mmerwerk hindurcharbeitend, ein enges Kellerchen betritt wo er vor allen Dingen eine kleine verrostete Kiste entdeckt, hierauf, nicht weit davon, Frau Irmels unheilvolle Kette und endlich – o Entz�cken! ein helles H�uflein Gold, seine Dukaten! – f�rwahr das sind k�stliche Szenen, deren getreue Ausmalung sich allerdings verlohnen w�rde. Allein das Wichtigste ist noch zur�ck. Der Irmelgeist, je n�her die ersehnte Stunde kam, verdoppelte, wie man leicht denken kann, sein Seufzen seine Ungeduld. Auf alle F�lle mu�te der edle J�ngling noch um Mitternacht in seine Werkstatt gehn, die Kette herzustellen; ein kitzliches Gesch�ft, wobei er jeden Augenblick besorgte, da� ihm der Geist �ber die Schulter gucke, ob auch die Arbeit f�rdere. Das Br�utchen war ihm hier der gr��te Trost; sie hielt ihm vermutlich das Licht. Nachdem er fertig war, schickte das vielgetreue Paar sich an, das Letzte und Bedenklichste selbander zu bestehen. Josephe kn�pfte sich und ihrem Liebsten die magische Leibbinde um, die zwar nicht jede G�nsehaut verh�ten, doch sonst vor b�sen Einfl�ssen bewahren konnte. So zog denn Br�utigam und Braut, die goldene Kette zwischen sich haltend, dem Sichelflusse zu, wo nun das Kleinod unter stillen Segensspr�chen den Wellen �bergeben ward. Wie sich der Geist dabei benommen und wie Frau Irmels Danksagung gelautet, mu� freilich dahingestellt bleiben; genug da� sie zur Ruhe kam. Begierig w�re ich, was in dem eisernen Kistchen gewesen, und fast noch mehr, was f�r niedliche Dinge das Waidfeger-Volk in die Nischen und Ritzen des k�niglichen Schatzgew�lbs versteckt haben mochte. Zuverl�ssig fand man auch der Waidek�nigin ihr Kr�nlein darunter, das ich mir so geschmackvoll,[459] so zierlich vorstelle, da� es Herrn Arbogast gleich als Modell zu seiner gr��ern Arbeit dienen konnte, von der die Welt behauptet, sie sei ein Meisterst�ck der Kunst; wo aber eigentlich der K�nstler die unvergleichlichen, sonst nie gesehenen Formen dazu hernahm, hat er den Leuten freilich nicht gesagt und kann auch billig unter uns bleiben.�
Der Hofrat l�chelte und sprach: �Sie haben in der Tat, bis auf einige Kleinigkeiten, meine Geheimnisse so artig erraten, da� ich mich, ganz im Ernst, dar�ber wundern mu� und kein Bedenken trage, hiemit meine Geschichte f�r geschlossen zu erkl�ren.�
Sofort entspann sich unter den Zuh�rern noch eine kleine Diskussion �ber Wahrheit und Dichtung in dem erz�hlten Abenteuer. �Vielleicht�, sagte einer der Herrn, ein Forstmeister, �vielleicht bin ich imstande, gerade was die Hauptfrage betrifft, einiges Licht in den Zusammenhang zu bringen. Es hatten, ungef�hr vor drei�ig Jahren, wirklich Nachgrabungen bei jenem Schl��chen statt. Ein alter F�rster meines Schwagers, der in der N�he dort beg�tert ist, erz�hlte viel davon. Man fand einen langen, gew�lbten, teilweise noch gut erhaltenen Gang. Er zog sich unterirdisch noch eine Strecke in den Wald hinein, wo er in eine wilde, fast unzug�ngliche Bergschlucht auslief. An seinem andern Ende, vermutlich in der Richtung nach der Burg, wo er etwa nur eingest�rzt war, entdeckte man verschiedene, zum Teil kostbare Gegen st�nde, die schwerlich anders als durch Raub dahin gekommen sein konnten. Der ber�chtigte Faligan, der sich bekanntlich im Spessart und im Odenwald lange umhertrieb und sein Leben in einem Gefecht mit streifenden Bauern durch einen B�chsenschu� verlor, soll an mehreren Orten solche geheime Niederlagen hinterlassen haben. Auch im gedachten Falle f�hrten gewisse Spuren auf ihn zur�ck. Nun war er selbst zwar zu der Zeit, in die Herrn Arbogasts Beraubung fiele, schon l�ngst tot, allein was hindert uns anzunehmen, da� in der Zwischenzeit ein �hnliches Genie das Loch entdeckt, den vorgefundenen Schatz auf gleiche Art vermehrt, und endlich auch Herrn Arbogasts Felleisen so gl�cklich operiert haben m�ge?�
Indes nun die Gesellschaft sich hier�ber stritt, war der Hofrat still hinausgegangen, kam aber sehr bald wieder und sah sich rings im Saale um. Man fragte, was er suche. �Ich suche meine Frau!� versetzte er, �die ich schon l�ngst im tiefsten Schlaf begraben glaubte. Ihr Bette ist noch unber�hrt!�[460] �Das sieht bedenklich aus!� sagte Cornelie, �wenn man sie Ihnen nur nicht entf�hrte, Herr Hofrat! Sagt nicht Ihr Schatzk�stlein etwas dergleichen?�
Eine bekannte, angenehme Stimme sprach hier auf einmal hinter dem Ofen hervor:
�Jag nit darnach, mach kein Geschrei,
Und allerdings f�rsichtig sei.�
und sogleich trat zu allgemeinem Jubel Madam Arbogast aus ihrem dunkeln Versteck. Sie dankte ihrem Manne sehr anmutig f�r alle das Sch�ne und Gute, das er ihr angedichtet, best�tigte jedoch, da� er im ganzen keineswegs ein M�rchen erz�hlt habe.
Als die Gesellschaft nun aufbrach, und jedermann sein Licht ergriff, sprach Arbogast noch mit Cornelien und sagte ihr etwas ins Ohr. �Ist's m�glich?� rief sie mit Verwunderung, so da� die andern in der T�re stehenblieben. �Wissen Sie auch�, fuhr sie, gegen jene gewendet, heraus: �wer der verd�chtige Wegzeiger war auf der Heide? – Der Ritter von Latwerg! Er wartete auf seinen Osterengel.�
�Was Teufels!� rief der Oberst. �Nun denn – Gut Nacht, Herr Ritter! Die H�hne kr�hen schon, mich verlangt nach dem Bette!�
1 | Viele Jahre nachher, als ich diese Geschichte gelegentlich vor einer Gesellschaft erz�hlte, tat sich ein junger Arzt nicht wenig auf die Entdeckung zugut, da� jene Worte weiter nichts als eine sonderbare Verst�mmelung des lateinischen Namens Febris scarlatina seien. Der n�mliche Gelbschnabel setzte mir dabei sehr gr�ndlich auseinander, die ganze Erscheinung sei ein blo�es Phantasma gewesen, der fieberhafte Vorbote meiner bereits erfolgten Ansteckung; auf gleiche Weise pflege sich in Ungarn das gelbe Fieber anzuk�ndigen. Anmerkung des Hofrats. |
Buchempfehlung
Im Kampf um die Macht in Rom ist jedes Mittel recht: Intrige, Betrug und Inzest. Schlie�lich l��t Nero seine Mutter Agrippina erschlagen und ihren zuckenden K�rper mit Messern durchbohren. Neben Epicharis ist Agrippina das zweite Nero-Drama Daniel Casper von Lohensteins.
142 Seiten, 7.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 gro�e Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religi�sen sind die Themen der Sp�tromantik. Michael Holzinger hat elf gro�e Erz�hlungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro