Sokrates: Mein lieber Phaidros, wohin denn und woher?
Phaidros: Von Lysias, o Sokrates, dem Sohne des Kephalos. Und nun gehe ich spazieren vor die Stadtmauer hinaus. Denn ich habe vom fr�hen Morgen an die ganze Zeit dort sitzend zugebracht. Dabei folge ich deinem und meinem Freund Akumenos und mache meine Spazierg�nge auf der Stra�e; denn, versichert er, diese seien ges�nder als in den bedeckten Hallen.
Sokrates: Und mit Recht sagt er das, mein Freund! – Also war Lysias, wie es scheint, in der Stadt?
Phaidros: Ja, beim Epikrates, dort im Morychischen Hause, neben dem Olympion.
Sokrates: Was war denn nun da der Zeitvertreib? Oder, versteht sich, Lysias hat euch von seinen Reden aufgetischt?
Phaidros: Du sollst's erfahren, wenn du so weit Mu�e hast, weiter zu gehen und zu h�ren.
Sokrates: Wieso? Glaubst du denn nicht, da� es mir mit Pindaros zu reden, auch �ber ein dringend Gesch�ft selbst gehe, deinen und des Lysias Zeitvertreib zu h�ren?
Phaidros: So gehe denn zu!
Sokrates: Und du magst reden!
Phaidros: Und gewi�, o Sokrates, wohl steht dir das H�ren an. Denn die Rede, mit der wir uns die Zeit vertrieben, war, ich wei� selbst nicht auf welche Weise, eine Liebesrede. Lysias n�mlich hat da von irgend einem der Sch�nen geschrieben, der versucht wird, nicht aber durch einen Liebhaber. Allein eben dies ist ja auch das Feine daran! N�mlich er sagt, man m�sse sich lieber dem Nichtverliebten gef�llig zeigen als dem Verliebten.
Sokrates: O der Edle! Da� er doch geschrieben h�tte, man solle es einem Armen lieber als einem Reichen, und einem �lteren lieber als einem J�ngeren, und was sonst bei mir und den meisten von uns zutrifft! Ja, das w�ren einmal h�bsche[411] und gemeinn�tzige Reden! Ich freilich bin nun so begierig geworden zu h�ren, da�, wenn du auch, um deinen Spaziergang zu machen, bis nach Megara gingest und, wie Herodikos r�t, an der Mauer angekommen wieder umkehrtest, ich dich doch nicht verlassen w�rde.
Phaidros: Wie sagst du, mein bester Sokrates? Glaubst du, was Lysias in vieler Zeit mit Mu�e verfa�t hat, er, der Gewaltigste im Schreiben unter allen jetzt Lebenden, – das werde ich Laie aus dem Ged�chtnis hersagen k�nnen auf eine seiner w�rdige Weise? Dazu fehlt mir doch noch vieles; wie wohl ich es lieber wollte als viel Gold.
Sokrates: O Phaidros, ich m��te ja mich selbst vergessen haben, wenn ich den Phaidros nicht kennte! Aber das ist denn beides nicht der Fall. Gar wohl wei� ich, da� der, wenn er eine Rede des Lysias h�rte, sie nicht nur ein mal h�rte, sondern da� er sie sich �fters und wiederholt sagen lie�, dieser aber ihm bereitwillig Folge leistete. Allein ihm war auch das nicht gen�gend, sondern zu guter Letzt hat er das Schriftchen zur Hand genommen und das, worauf er am meisten begierig war, noch nachgesehen. Und in diesem Gesch�ft vom fr�hen Morgen an sitzend, hat er sich endlich losgesagt, um einen Spaziergang anzutreten, so zwar, da� er, wie ich glaube, beim Hunde, die Rede schon auswendig wu�te, wenn es nicht eine gar zu lange war. Vor die Stadtmauer hinaus aber nahm er seinen Weg, um sie einzu�ben. Da begegnete er nun dem Manne, der an der Sucht, Reden zu h�ren, krank ist, und kaum hat er ihn erblickt, so freute er sich schon, da� er nun einen Mitschw�rmer haben w�rde, und hie� ihn zugehen. Als ihn aber nun der Redenliebhaber zu reden bat, tat er spr�de, als ob er gar nicht zu reden begehrte. Zu guter Letzt aber w�rde er, wenn einer nicht gutwillig h�ren wollte, noch Gewalt brauchen, um herzusagen. Du nun, o Phaidros, bitte ihn, da� er lieber jetzt schon tue, was er doch jedenfalls in B�lde tun wird!
Phaidros: Wahrhaftig, da ist es das Allerbeste f�r mich, eben zu sprechen, so gut ich kann; wirst du mich ja doch, wie du mir vorkommst, unter keinen Umst�nden loslassen, ehe ich, wie es auch gehen mag, rede.
Sokrates: Und ganz mit Wahrheit komme ich dir so vor.
[412] Phaidros: Nun, ich will es denn so machen. Denn wirklich, o Sokrates, die Worte habe ich schlechterdings nicht auswendig gelernt; dagegen dem Sinn nach will ich so ziemlich alles, worin, wie er sagte, der Stand des Verliebten von dem des Nichtverliebten sich unterscheidet, in Umrissen eines nach dem anderen auseinandersetzen und dabei von vorn anfangen.
Sokrates: Ja, mein Schatz, aber erst, wenn du zuvor sehen l��t, was du da in der linken Hand hast unter dem Mantel. Denn ich vermute fast, du hast die Rede selbst. Wenn aber dies der Fall ist, so denke so von mir, da� ich dich zwar sehr liebe, aber wenn Lysias selbst zugegen ist, ganz und gar nicht gewillt bin, mich dir zum Ein�ben herzugeben. Wohlan denn, la� sehen!
Phaidros: Halt ein! Zunichte gemacht hast du mir die Hoffnung, o Sokrates, die ich hatte, meine St�rke an dir versuchen zu d�rfen! – Aber wo willst du nun, da� wir niedersitzen und lesen?
Sokrates: Wir wollen hier abbiegend den Ilissos hinabgehn; dann k�nnen wir, wo es uns gut d�nkt, in Ruhe uns niedersetzen.
Phaidros: Zum Gl�ck, wie es scheint, bin ich gerade unbeschuht. Du bist es ja allezeit! Das Einfachste nun ist es f�r uns, die F��e benetzend das W�sserlein hinabzugehen, und auch nicht unangenehm ist es zumal in dieser Jahres- und Tageszeit.
Sokrates: So gehe zu und sieh dich zugleich um, wo wir uns niedersetzen k�nnen!
Phaidros: Nun, siehst du dort jene h�chste Platane?
Sokrates: Wie sollte ich nicht?
Phaidros: Dort ist sowohl Schatten als auch ein m��iger Luftzug, auch Rasen, um uns niederzusetzen oder, wenn wir lieber wollen, uns niederzulegen!
Sokrates: So magst du nur zugehen!
Phaidros: Sage mir, o Sokrates, erz�hlt man nicht, von hier aus irgendwo am Ilissos habe Boreas die Oreithyia geraubt?
Sokrates: So erz�hlt man.
Phaidros: Vielleicht also von hier aus? Gef�llig wenigstens und rein und durchsichtig ist das W�sserlein anzusehen, und recht geeignet f�r M�dchen, an ihm zu spielen.
[413] Sokrates: Nicht doch, sondern ungef�hr zwei oder drei Stadien weiter unten, wo wir zum Heiligtum der Agra hin�bergehen; auch ist dort irgendwo ein Altar des Boreas.
Phaidros: Das habe ich nicht genau gewu�t. Aber sage, beim Zeus, o Sokrates, glaubst du, da� diese Sage wahr sei?
Sokrates: Nun, wenn ich's auch nicht glaubte, wie die Weisen, w�re ich darum doch nicht verlegen. Ich w�rde dann weise er�rternd sagen, ein Windsto� des Boreas habe sie, wie sie mit der Pharmakeia spielte, �ber die nahen Felsen hinabgetrieben, und weil sie auf diese Art ums Leben gekommen, habe man erz�hlt, sie sei vom Boreas geraubt worden. [Oder vom Areiopagos aus, denn auch so wird die Sache wiedererz�hlt: sie sei von dort, nicht von hier ausgeraubt worden.] Ich aber, o Phaidros, halte nun dergleichen Dinge zwar im �brigen f�r etwas ganz H�bsches, dabei aber f�r die Sache eines sehr starken und sich gern abm�henden Geistes, der auch nicht eben gl�cklich zu preisen ist, nicht zwar in anderer Beziehung, aber weil er nach diesem notwendig die Gestalt der Hippokentauren zurechtbringen mu�, und wieder die der Chimaira. Und dann str�mt ein ganzer P�bel von derartigen Gorgonen und Pegasen herbei, dazu die Haufen und Verlegenheiten gewisser anderer schwierigen und unbegreiflichen Wundernaturen; so da�, wenn einer ungl�ubig jedes einzelne auf das Wahrscheinliche zur�ckf�hren will, er sich mit einer etwas derb beschaffenen Weisheit befassen mu�, die ihn viele Mu�e kosten wird. Ich jedoch habe dazu keineswegs Mu�e. Die Ursache hiervon, mein Lieber, ist diese: Noch immer bin ich nicht soweit, dem Delphischen Spruch gem�� mich selber zu kennen. Da scheint es mir nun l�cherlich, solange man noch in dieser Hinsicht keine Erkenntnis hat, nach Anderweitigem zu sehen. Deshalb lasse ich denn derlei Dinge beiseite; indem ich aber das annehme, was dar�ber allgemein geglaubt wird, sehe ich, wie ich jetzt eben gesagt habe, nicht nach diesen Dingen, sondern nach mir selber, ob ich wohl auch so ein Tier sei, gar noch vielverschlungener und ungem�tlicher als Typhon, oder ein sanfteres und einfacheres Lebewesen, das eines g�ttlichen und von Unget�mlichem freien Wesens von Natur teilhaftig ist. – Aber, mein Freund, ein Wort dazwischen, – war nicht dieses der Baum, zu dem du uns f�hren wolltest?
[414] Phaidros: Ja, eben dieser.
Sokrates: Bei der Hera, freilich ein sch�ner Ruhepunkt! Diese Platane so dicht und weithin verzweigt und hoch, und des Gestr�uches H�he und schattiges D�ster so �beraus sch�n, und wie es gerade in voller Bl�te steht, da� es den Ort mit dem s��esten Duft erf�llt! Und zudem flie�t unter der Platane die gef�lligste Quelle gar frischen Wassers, wie man es mit dem Fu�e pr�fend empfindet. Nach diesen Figuren und Bildern scheint hier auch ein Heiligtum einiger Nymphen und des Acheloos zu sein. Und willst du noch weiter beachten, wie lieblich und �beraus angenehm ist das Wehen der Luft hier, deren sommerlicher Hauch sich hellt�nend in den Chor der Zikaden mischt! Das Allerfeinste aber ist der Rasen, gerade so sanft geneigt, um, wenn man sich niederlegt, das Haupt gar sch�n ruhen zu lassen. Ja, aufs beste hast du mich, den Fremdling, gef�hrt, mein lieber Phaidros!
Phaidros: Aber, wirklich, o du Bewundernsw�rdiger, du erscheinst als ein ganz seltsamer Mensch. Denn geradezu, wie du sagst, einem Fremdling gleichst du, der sich herumf�hren l��t, nicht einem Einheimischen. So gar nicht kommst du aus der Stadt weder �ber die Grenze, noch, wie es scheint, gehst du auch nur �ber die Stadtmauer hinaus.
Sokrates: Halt mir's zu gut, mein Bester! Ich bin eben lernlustig. Die Felder und die B�ume nun wollen mich nichts lehren, wohl aber die Menschen in der Stadt. Du jedoch hast, wie mir vorkommt, das Zaubermittel gefunden, mich zum Ausgehen zu bringen. Denn wie die Leute die hungernden Tiere dadurch f�hren, da� sie ihnen Laub oder irgend eine Frucht vorstreuen, so k�nntest du mich, indem du mir Schriftchen mit Reden vorh�ltst, sichtbar in ganz Attika herumf�hren, und wohin du sonst noch wolltest. F�r jetzt aber gedenke ich, nun ich hier angekommen bin, mich niederzulegen; du aber nimm die Stellung ein, in der du am bequemsten lesen zu k�nnen glaubst, und lies!
Phaidros: H�re denn!
�Meine Verh�ltnisse zwar kennst du nun, und, wie ich glaube, da� es uns vorteilhaft sei, wenn dieses geschieht, hast du geh�rt. Indessen sollte ich, wie ich billig erachte, mit dem, was ich bitte, darum noch nicht ungl�cklich sein, weil ich nicht[415] gerade dein Liebhaber bin. Diese n�mlich reut alsbald, was sie Gutes erzeigt, sobald sie ihre Begierde befriedigt haben; f�r jene aber gibt es keine Zeit, in der es ihnen zul�ssig w�re, anderen Sinnes zu werden. Denn nicht infolge einer N�tigung, sondern freiwillig, wie es ihnen in Betracht der eigenen Umst�nde am geratensten sein mag, erzeigen sie Gutes nach Ma�gabe ihres Verm�gens. �berdies bringen die Verliebten in Anschlag, was sie der Liebe wegen in ihren eigenen Angelegenheiten schlimm bestellt, wie das, was sie Gutes erzeigt haben, und indem sie noch hinzurechnen, was sie f�r M�he gehabt haben, glauben sie, den Geliebten l�ngst den geb�hrenden Dank erstattet zu haben. Den Nichtverliebten aber ist es nicht m�glich, weder eine daher r�hrende Vernachl�ssigung der eigenen Umst�nde vorzusch�tzen, noch die gehabten M�hen in Anrechnung zu bringen, noch auch die Zerw�rfnisse mit den Verwandten vorzur�cken; so da�, da so vieles Schlimme f�r sie wegf�llt, ihnen nichts �brigbleibt, als das gerne zu tun, durch dessen Leistung sie glauben, sich jenen gef�llig zeigen zu k�nnen. �berdies, wenn es billig sein soll, da� man die Verliebten deswegen hoch sch�tze, weil sie versichern, denen, die sie lieben, am meisten freundlich gesinnt zu sein, und weil sie bereit seien, mit Worten und Werken, auch wenn sie mit anderen darum sich verfeinden, den Geliebten sich gef�llig zu zeigen, – so ist, ob sie die Wahrheit reden, leicht daraus abzunehmen, da� sie alle diejenigen, in welche sie sich etwa sp�ter verlieben, h�her als jene sch�tzen und, wenn es diesen gut d�nkte, jenen sicher auch B�ses tun werden. Indessen, ist es auch nur halbwegs vern�nftig, einem Menschen so etwas zu gestatten, der ein �bel an sich hat, das zu beseitigen ein dessen Kundiger auch nicht einmal den Versuch machen w�rde? Denn, wie sie auch selbst zugeben, sind sie mehr krank als gesunden Sinnes, wissen auch, da� es mit ihrem Verstand schlimm steht, k�nnen sich aber eben nicht selbst beherrschen. Wie k�nnten sie daher, wenn es mit ihrem Verstande wieder gut steht, das f�r das Rechte halten, was sie in solchem Gem�tszustand wollen? Ja, auch d�rfte dir, wenn du unter den Verliebten den Besten ausw�hlen wolltest, nur unter wenigen, wenn aber unter den �brigen den dir Passendsten, unter vielen die Wahl bleiben, so da� weit mehr Hoffnung[416] vorhanden ist, unter den vielen den zu finden, der deiner Freundschaft w�rdig ist.
Sodann, wenn du dich vor der Stimme der �ffentlichen Meinung f�rchtest, es m�chte dir, wo die Leute es erfahren, zum Schimpf gereichen, so ist es wohl nat�rlich, da� die Verliebten, welche glauben, da� auch andere Leute so eifers�chtig auf sie seien, wie sie es unter einander sind, sich versucht f�hlen, davon zu sprechen, und eine Ehre darin suchen, vor jedermann zu zeigen, da� sie sich nicht vergeblich bem�ht haben; die Nichtverliebten aber, weil sie Herr �ber sich sind, das wirklich Gute erw�hlen statt des R�hmens unter den Leuten. �berdies aber geschieht es notwendig, da� viele erfahren und sehen, wie die Verliebten den Geliebten nachgehen und sich dies eigentlich zum Gesch�ft machen, so da� sie glauben, wenn man sie sich mit einander unterreden sieht, sie gesellen sich Zusammen entweder wegen geschehener oder wegen beabsichtigter Befriedigung ihrer Begierde: den Nichtverliebten aber versuchen sie nicht einmal, wegen ihrer Gesellschaft einen Vorwurf zu machen, indem sie wissen, da� es manchmal notwendig ist, sich mit jemand zu unterreden, sei es aus Freundschaft oder sonst irgend eines Vergn�gens wegen. Ja, und wenn dich Besorgnis anwandelt bei dem Gedanken, wie schwer es h�lt, da� eine Freundschaft von Dauer sei, und da� nun in anderen F�llen zwar bei entstehendem Zerw�rfnis das �bel beide Teile gemeinsam treffe, hier aber, wo du das, was du am h�chsten sch�tzest, preisgegeben, dir ein gro�er Schaden erwachse: so hast du wohl nat�rlich die Verliebten mehr zu f�rchten. Denn gar vieles gibt es, was sie kr�nkt, und alles, glauben sie, gereiche zu ihrem Schaden. Daher sie auch die Geliebten von den Gesellschaften mit anderen Leuten abwendig zu machen suchen, weil sie f�rchten, die, welche Verm�gen besitzen, m�chten sie durch ihr Geld �berbieten, die Gebildeten aber es ihnen an Einsicht zuvortun; und wo jemand sonst ein Gut besitzt, dessen Einflu� suchen sie jedesmal zu begegnen. �berreden sie dich nun, dich mit diesen zu verfeinden, so machen sie, da� du ohne Freunde einsam stehst; wenn du aber, dein eigenes Interesse ins Auge fassend, es besser mit dir meinst als sie, so wirst du in Zerw�rfnis mit ihnen geraten. Alle die aber, welche nicht gerade verliebt sind, sondern durch Tugend erlangen,[417] was sie w�nschen, werden andere Gesellschafter ohne Neid betrachten; vielmehr werden sie solche, welche sich nicht anschlie�en wollen, hassen, indem sie glauben, von diesen ver�chtlich angesehen zu werden, von jenen Gesellschaftern aber Nutzen zu ziehen. Und so ist weit mehr Hoffnung vorhanden, da� ihnen Freundschaft als Feindschaft aus diesem Verh�ltnis erwachsen werde.
Ja, viele von den Verliebten verlangen vorher nach dem sinnlichen Genu�, ehe sie den Charakter kennengelernt und �ber die sonstigen Umst�nde etwas in Erfahrung gebracht haben, so da� es unsicher ist, ob sie auch dann noch werden Freunde sein wollen, wenn sie ihre Begierde befriedigt haben; bei den Nichtverliebten aber, die erst, nachdem sie lange vorher gegenseitig Freunde gewesen, diesen Zweck erreichen, ist anzunehmen, da� das, was ihnen Genu� bereitet, ihre Freundschaft nicht verringern, sondern da� es ihnen ein Erinnerungspfand f�r K�nftiges sein werde. Ja, es wird dir auch dazu verhelfen, besser zu werden, wenn du lieber mir als einem Liebhaber Geh�r schenkst. Denn diese loben sowohl Reden als Handlungen auch dem wirklich Guten zuwider, teils weil sie besorgen, sie m�chten sich verfeinden, teils weil ihre Erkenntnis wirklich selbst infolge der Begierde verschlechtert ist. Denn darin zeigt sich die Liebe! Sie bewirkt, da� den Ungl�cklichen auch das, was anderen Leuten keine Kr�nkung bereitet, niederschlagend erscheint, w�hrend sie die Gl�cklichen n�tigt, da� auch dem, was des Vergn�gens nicht wert ist, von ihnen Lob gespendet wird, so da� es weit mehr in der Ordnung ist, die Geliebten zu bemitleiden, als sie zu beneiden. Wenn du aber mir Geh�r schenkst, so werde ich vorerst als dein Gesellschafter nicht die Lust des Augenblicks, sondern den Vorteil der Zukunft bedenken, nicht von Liebe �berw�ltigt, sondern mich selbst beherrschend, auch nicht �ber Geringes starke Feindschaft erhebend, sondern selbst �ber Gro�es langsam einen kleinen Zorn �u�ernd, f�r Unabsichtliches Nachsicht habend, Absichtliches aber abzuwenden versuchend. Denn dieses sind die Kennzeichen einer auf lange Zeit dauernden Freundschaft. Wenn dir aber das Bedenken kommt, eine starke Freundschaft sei nicht m�glich, wenn einer nicht gerade verliebt ist, so mu�t du beherzigen, da� wir dann auch[418] weder unsere S�hne noch auch die V�ter und die M�tter hoch sch�tzen, noch auch treue Freunde besitzen k�nnten, deren Verh�ltnis zu uns ja nicht in einer solchen Leidenschaft wurzelt, sondern in ganz anderen Lebensbeziehungen.
�berdies, – wenn man gerade den Bed�rftigen am meisten sich gef�llig zeigen soll, so ist es in der Ordnung, da� auch die anderen nicht den Besten, sondern den Mittellosesten Gutes erzeigen; denn von den gr��ten �beln erl�st, werden diese ihnen auch am meisten Dank wissen. Ja, auch zu ihren h�uslichen Gastereien m��ten sie billigerweise nicht die Freunde einladen, sondern die Bettelnden und der S�ttigung Bed�rftigen. Denn diese werden ihnen ergeben sein und ihnen nachgehen und vor ihre T�ren kommen und am meisten Freude bezeigen und gar nicht kleinen Dank wissen und ihnen vieles Gute anw�nschen. Aber gewi� ist es in der Ordnung, nicht denen, die sehr bed�rftig sind, sich gef�llig zu zeigen, sondern denen, die auch am meisten imstande sind, ihren Dank abzutragen, auch nicht denen, die nur verliebt, sondern denen, die der Sache wert sind, nicht solchen, die nur deine Jugendbl�te genie�en wollen, sondern denen, die dir auch, wenn du �lter wirst, von ihren G�tern mitteilen werden; nicht denen, die, wenn sie ihren Zweck erreicht haben, gegen andere sich dessen r�hmen, sondern die versch�mt gegen jedermann Schweigen beobachten werden; nicht denen, die nur kurze Zeit sich M�he geben, sondern die das ganze Leben hindurch in gleichem Ma�e Freunde sein werden; nicht denen, die, wenn sie ihre Begierde befriedigt haben, einen Vorwand zur Feindschaft suchen, sondern die, wenn die Zeit der Jugendbl�te vor�ber ist, dann ihre Tugend bew�hren werden.
Du nun bleibe des Gesagten eingedenk und beherzige auch das noch, da� die Verliebten von ihren Freunden dar�ber zurechtgewiesen werden, als w�re ihre Lebensrichtung eine schlechte, w�hrend die Nichtverliebten noch nie einer ihrer Angeh�rigen getadelt hat, als ob sie deswegen sich selbst schlecht berieten. – Vielleicht aber m�chtest du mich nun fragen, ob ich dich ermahne, allen Nichtverliebten dich gef�llig zu zeigen? Indessen auch der Verliebte, glaube ich, wird dich nicht hei�en, gegen alle Verliebten diese Gesinnung zu hegen. Denn das w�rde weder ihm, wenn er es vern�nftig auffa�t,[419] gleich dankenswert erscheinen, noch w�rde dir, wenn du es vor anderen Leuten verborgen haben willst, dieses ebenso m�glich sein. Es soll aber daraus keinerlei Schaden, sondern Vorteil f�r beide erwachsen. – Ich nun denke, das Gesagte soll hinreichend sein; wenn du aber noch etwas vermissest, das du �bergangen glaubst, so frage!�
Was d�nkt dir von der Rede, o Sokrates? Nicht wahr, da� sie au�erordentlich wie im �brigen, so besonders in den Ausdr�cken gehalten ist?
Sokrates: Wundervoll, freilich, mein Freund, so da� ich ganz aufgeregt bin. Und zwar geriet ich deinetwegen, n�mlich indem ich dich ansah, in diesen Zustand, o Phaidros, weil du mir w�hrend des Vorlesens �ber der Rede von Freude ganz zu gl�nzen schienst. Denn da ich der Ansicht bin, da� du in solchen Dingen mehr Erfahrung hast als ich, so folgte ich dir, und dir folgend ward ich auch verz�ckt mit dir, dem g�ttlichen Haupt!
Phaidros: Gut! So scherzest du also, wie es scheint?
Sokrates: Nun denn, zu scherzen scheine ich dir und nicht ganz ernsthaft zu sein?
Phaidros: Nicht doch, o Sokrates! Aber wahrhaftig, sage, beim Zeus der Freundschaft, glaubst du, da� irgend ein anderer der Hellenen anderes. Gr��eres und mehr als dieses �ber denselben Gegenstand zu sagen w��te?
Sokrates: Wieso? Soll auch in dieser Hinsicht die Rede von mir wie von dir gelobt werden, als ob der Verfasser das N�tige gesagt habe, also nicht nur in jener Beziehung, da� n�mlich jeder einzelne Ausdruck deutlich und abgerundet und gr�ndlich ausgedrechselt ist? Wenn es denn sein mu�, mu� man es eben dir zu Gefallen einr�umen, da es mir bei meiner Nichtigkeit freilich entgangen ist. Ich habe n�mlich den Sinn nur auf das Rednerische daran gerichtet; da� dies aber befriedigend sei, w�rde, glaubte ich, Lysias selbst nicht einmal glauben. Auch kam es mir sogar vor, o Phaidros, wenn du nicht etwa anders meinst, er habe zwei- und dreimal das Gleiche gesagt, als w�re er nicht eben sehr bei Mitteln, �ber den gleichen Gegenstand vieles zu reden, oder vielleicht, da� es ihm auch gerade darum nicht zu tun war! Und so kam er mir dann vor wie ein jugendlicher Prahler, der zeigen will, da� er imstande sei, etwas[420] das eine Mal so, das andere Mal anders besprechend, beidemal aufs beste zu reden.
Phaidros: Damit ist nichts gesagt, o Sokrates! Denn gerade jenes ist in der Rede vorzugsweise enthalten. Denn was der Gegenstand des Vertrags W�rdiges an sich hat, von dem hat sie nichts �bergangen, so da� neben dem von ihm Vorgetragenen niemand irgend anderes, mehr und Bedeutenderes sagen kann.
Sokrates: Hierin werde ich nun nicht mehr imstande sein, dir Glauben zu schenken; denn weise M�nner und Frauen aus alter Zeit, die �ber den gleichen Gegenstand geredet und geschrieben haben, werden mich widerlegen, wenn ich das aus Gef�lligkeit gegen dich einr�ume.
Phaidros: Welche denn? Und wo hast du Besseres von ihnen geh�rt?
Sokrates: Das kann ich jetzt nicht nur so hinsagen; sicher aber habe ich es von einigen geh�rt, sei es etwa von der sch�nen Sappho oder dem weisen Anakreon, oder auch von einigen Prosaschriftstellern. Nun, was mich zu dieser Behauptung berechtigt? Voll ja tragend die Brust, o Wunderbarer, f�hle ich, da� ich neben jenem wohl anderes und nicht Schlechteres zu sagen haben d�rfte. Da� ich nun von mir selbst gewi� nichts von diesen Dingen begriffen habe, wei� ich wohl, meiner Unwissenheit bewu�t. So bleibt denn, glaube ich, nur �brig, da� ich irgend aus fremden B�chen durch das Geh�r erf�llt worden bin gleich einem Gef��; aus Tr�gheit aber habe ich selbst auch das wieder vergessen, wie und von welchen ich es geh�rt habe.
Phaidros: Aber, o du Edelster, das hast du ja aufs sch�nste gesagt. Denn von welchen und wie du es geh�rt hast, sollst du mir nicht einmal, wenn ich es von dir verlangen w�rde, sagen; das aber eben, was du sagst, sollst du tun! Anderes und Besseres und nicht weniger als das, was in dem Schriftchen steht, versprich mir zu sagen, dich jenes enthaltend, und ich verspreche dir, wie die neun Archonten, eine goldene lebensgro�e Bilds�ule nach Delphoi zu stiften, nicht nur von mir, sondern auch die deinige.
Sokrates: Du bist doch ein lieber und wahrhaft goldener Mann, o Phaidros, wenn du glaubst, ich sage, da� es Lysias in allem verfehlt habe, und da� es gar m�glich sei, noch neben dem allem ganz anderes zu sagen. Dieses aber, glaube ich, wird[421] auch dem heillosesten Schriftsteller nicht widerfahren. Um gleich zur Sache, von der die Rede handelt, zu kommen, – welcher Redner, glaubst du, der davon spricht, da� man einem Nichtverliebten eher sich gef�llig zeigen m�sse als einem Verliebten, wenn er dabei unterl��t, was sich doch notwendig von selbst darbietet, des einen Vern�nftigkeit zu r�hmen und des anderen Nichtvern�nftigkeit zu tadeln, werde da hernach wohl noch anderes zu sprechen wissen? Indessen glaube ich, da� man dergleichen dem Sprechenden �berlassen und nachsehen mu�. Auch hat man bei dergleichen Punkten nicht die Erfindung, sondern die Anordnung, bei denen dagegen, die nicht notwendig gegeben und darum schwer zu finden sind, neben der Anordnung auch die Erfindung zu loben.
Phaidros: Ich r�ume ein, was du sprichst; denn du scheinst mir billig geredet zu haben. Und ich will es nun ebenso halten. Da� der Verliebte in einem krankhafteren Zustand sei als der Nichtverliebte, das will ich dir als Voraussetzung zugeben; was aber das �brige anbelangt, – wenn du jetzt anderes, mehr und Bedeutenderes als das des Lysias sagst, sollst du neben dem Weihegeschenk der Kypseliden mit dem Hammer gearbeitet zu Olympia stehen!
Sokrates: Du wirst ja ganz ernsthaft, o Phaidros, weil ich deinen Liebling anger�hrt habe, um dich zu necken, und glaubst gar, da� ich in Wahrheit es versuchen werde, neben seiner Weisheit etwas anderes. Zierlicheres zu sagen!
Phaidros: Was dies betrifft, mein Freund, so bist du jetzt in die gleiche Enge geraten. Denn reden mu�t du schlechterdings so gut, als du es vermagst. Damit wir aber nicht gen�tigt sind, in der l�stigen Art der Kom�dienspieler zu verkehren, indem wir's einander gegenseitig immer wieder zuschieben, so nimm dich in acht, und wolle mich nicht n�tigen zu sagen jenes: �Ich m��te mich ja selbst vergessen haben, wenn ich, o Sokrates, den Sokrates nicht kennte,� und das, �da� er zwar zu reden Lust hatte, aber spr�de tat�; sondern �berlege, da� wir nicht von hier weggehen, bevor du sagst, was du in der Brust zu tragen versichert hast! Wir sind jetzt zu zweien allein hier und an einsamem Ort, ich aber bin der St�rkere und J�ngere! Aus dem allen merke dir, was ich sagen will, und wolle doch ja nicht lieber durch Gewalt gezwungen, als freiwillig reden!
[422] Sokrates: Aber, mein seliger Phaidros, ich werde mich l�cherlich machen, wenn neben einem Meister ich Laie aus dem Stegreife �ber den gleichen Gegenstand rede.
Phaidros: Wei�t du was? – H�re auf, dich gegen mich zu zieren; denn ich habe etwas in Bereitschaft, das, wenn ich es sage, dich n�tigen wird zu sprechen!
Sokrates: O sag' es doch ja nicht!
Phaidros: Nein, sondern ich spreche es jetzt erst aus. Das Wort aber soll mir ein Eidschwur sein! Ich schw�re dir n�mlich, – bei wem doch, bei welchem der G�tter? Oder willst du, bei der Platane da? – wahrlich, wenn du mir nicht angesichts eben dieser Platane da die Rede sagst, da� ich dir niemals mehr irgend eine andere Rede von irgend jemand weder zeigen noch etwas daraus mitteilen werde!
Sokrates: Wehe, du gottloser Mensch! Wie gut hast du das Zwangsmittel gefunden f�r einen redeliebenden Mann, zu tun, was du gebietest!
Phaidros: Was hast du denn, da� du dich noch str�ubst?
Sokrates: Nichts mehr freilich, nachdem du dieses geschworen hast! Denn wie w�re ich imstande, mich solchen Festessens zu enthalten?
Phaidros: So sprich denn!
Sokrates: Wei�t du nun, wie ich es halten werde?
Phaidros: Inwiefern?
Sokrates: Verh�llt will ich sprechen, damit ich die Rede so schnell als m�glich durchrenne und nicht vor Scham in Stocken gerate, wenn ich auf dich blicke!
Phaidros: So sprich nur: im �brigen mach's, wie du willst!
Sokrates: Wohlan denn, ihr Musen, sei es, da� ihr von des Gesanges Weise die silberstimmigen seid oder von dem tonreichen Geschlecht der ligyschen Silberschw�ne diesen Beinamen habt, – greift mit mir an der M�re Werk, die dieser Trefflichste mich zu sprechen n�tigt, damit sein Freund, der ihm auch Zuvor schon weise zu sein schien, es ihm jetzt noch mehr scheinen m�ge!
Also es war einmal ein Knabe, oder vielmehr ein J�ngelchen, der war sehr h�bsch und hatte gar viele Liebhaber. Einer von diesen aber war ein schlauer Kopf, der, obschon so gut als einer verliebt, doch dem Knaben einredete, er sei nicht verliebt.[423] Und als er ihm einst mit Bitten anlag, suchte er ihm gerne das glauben zu machen, da� man dem Nichtverliebten vor dem Verliebten sich gef�llig zeigen m�sse. Er sprach aber also:
In allem, mein Knabe, gibt es nur einen Anfang f�r die, welche sich auf die rechte Weise beraten wollen. Man mu� wissen, wor�ber die Beratung stattfinden soll, sonst verfehlt man notwendig das Ganze. Den meisten aber pflegt es zu entgehen, da� sie das Wesen des Gegenstandes nicht wissen. Als ob sie es nun w��ten, verst�ndigen sie sich nicht im Anfang der Untersuchung dar�ber, und indem sie weitergehen, bezahlen sie die geb�hrende Strafe. Denn weder mit sich selbst noch unter einander sind sie im Einverst�ndnis. Mir nun und dir m�ge ja nicht begegnen, was wir anderen zum Vorwurf machen: sondern da nun dir und mir die Frage vorliegt, ob man lieber mit einem Verliebten oder einem, der es nicht ist, ein Verh�ltnis der Freundschaft eingehen solle, so wollen wir zuvor �ber die Liebe, was sie sei und welche Kraft sie habe, zur Verst�ndigung eine Bestimmung festsetzen und im Hinblick hierauf und mit Beziehung hierauf die Untersuchung anstellen, ob sie Nutzen oder ob sie Schaden bringe.
Da� nun die Liebe eine Begierde sei, ist jedermann klar; wiederum da� auch Nichtverliebte der Sch�nen begehren, wissen wir. Woran nun werden wir den Verliebten und den, der es nicht ist, unterscheiden? Wiederum mu� man beachten, da� in jedem von uns zwei herrschende und leitende Kr�fte sind, denen wir folgen, wohin sie uns leiten: die eine, die von der Natur uns eingepflanzte Begierde nach Vergn�gungen, die andere eine erworbene, auf das Gute gerichtete Denkweise. Diese beiden nun sind in uns bald eintr�chtig, bald zwiesp�ltig, und das eine Mal �berwiegt diese, das andere Mal jene. Wenn nun die Denkweise durch Vernunft zu dem Guten leitet und �berwiegt, so hat diese �berwiegende Kraft den Namen Besonnenheit; wenn aber die Begierde vernunftlos zu Vergn�gungen hintreibt und in uns herrschend wird, so wird dieser herrschende Trieb Ausschweifung genannt. Die Ausschweifung aber ist nun etwas Vielnamiges; denn sie ist etwas Vielgliedriges und Vielartiges. Und welche von diesen Arten gerade sich besonders geltend macht, deren Name bestimmt die Benennung dessen, der sie an sich hat, ein Name, der weder sch�n[424] noch besitzenswert ist. Denn die Begierde, die auf den Genu� von Speisen gehend die bessere Vernunft und die anderen Begierden �berwiegt, wird als Schlemmerei bezeichnet und wird dem, der sie an sich hat, dieselbe Bezeichnung verleihen. Welches Beiwort ihr aber, wenn sie auf den Trunk gehend schaltet und waltet und den, der sie besitzt, in diese Bahn leitet, zuteil werden wird, ist klar, und so ist auch, was die �brigen mit diesen verschwisterten Namen verschwisterter Begierden betrifft, voraus klar, welchen man der jedesmal obwaltenden geb�hrenderweise zu geben hat. Um welcher willen aber alles Bisherige gesagt worden, das ist bereits ziemlich bekannt, wird aber ausgesprochen doch noch deutlicher werden, als nicht ausgesprochen: Die Begierde n�mlich, welche, der Vernunft bar, die nach dem Rechten strebende Denkweise �berwiegend, zur Lust an der Sch�nheit verleitet und sofort von den ihr verwandten Begierden zur Sch�nheit des Leibes mit lebendiger Kraft getrieben wird diese siegende Triebkraft hat eben von diesem lebenskr�ftigen Triebe den Namen und hei�t Liebe. – Aber, mein lieber Phaidros, kommt es dir nicht wie mir selber vor, als ob mich ein g�ttlicher Zustand angewandelt habe?
Phaidros: Allerdings, o Sokrates, hat dich eben ungewohnterweise ein gewisser Redeflu� ergriffen.
Sokrates: So h�re mir schweigend weiter zu! Denn wirklich g�ttlich scheint der Ort zu sein; so da� du also, wenn ich im Verlauf der Rede etwa manchmal ein Nymphenbesessener w�rde, dich nicht wundern darfst; denn jetzt schon bin ich nicht weit mehr von dithyrambischer Weise!
Phaidros: Sehr wahr sprichst du.
Sokrates: Ja, und daran bist du schuld. – Aber h�re das �brige! Vielleicht mag sich das, was mich angekommen, noch ablenken lassen! Nun, dies sei des Gottes Sorge �berlassen; wir aber wollen mit der Rede wieder an den Knaben kommen.
Wohl, mein Sch�tzbarster, was also der Gegenstand sei, wor�ber beraten werden soll, ist gesagt und bestimmt worden. Indem wir nun dieses im Auge behalten, wollen wir weiter besprechen, welcher Nutzen oder Schaden sich sowohl von dem Verliebten als von dem, der es nicht ist, wahrscheinlicherweise f�r den ergeben werde, der sich gef�llig erzeigt. Gewi� ist es[425] nun f�r den von der Begierde Beherrschten und der Lust Dienenden doch wohl eine Notwendigkeit, den Geliebten sich so angenehm als m�glich zuzubereiten. Angenehm aber ist einem Kranken alles, was ihm nicht widerstrebt. Besseres aber und Gleiches widerw�rtig. Weder besser also noch sich gleich wird der Liebhaber den Liebling gerne haben m�gen, wohl aber suchen, ihn immer geringer und mangelhafter zu machen. Geringer aber ist der Unwissende als der Weise, der Feige als der Mannhafte, der des Redens Unf�hige als der Redekundige, der Geistestr�ge als der Denkge�bte. An solchen und noch mehreren das Geistesleben ber�hrenden �beln mu� nun, wenn der Geliebte davon betroffen wird oder von Natur damit behaftet ist, der Liebhaber notwendig teils seine Freude haben, teils sie ihm selbst zu bereiten suchen, oder aber auf das Angenehme des Augenblicks verzichten. Er mu� also notwendig neidisch sein und ihm dadurch einen gro�en Schaden verursachen, da� er ihn von anderen und n�tzlichen Gesellschaften, durch die er am ehesten zum Manne gebildet w�rde - , den gr��ten aber dadurch, da� er ihn auch von derjenigen auszuschlie�en sucht, durch die er vielleicht zur h�chsten Erkenntnis gebracht w�rde. Dieses aber ist eben gerade die g�ttliche Philosophie, von der der Liebhaber den Liebling notwendig fern abschlie�en mu�, in der gro�en Besorgnis, Gegenstand seiner Verachtung zu werden, wie er �berhaupt auch in anderen Beziehungen es darauf anlegen mu�, da� jener, in allem unwissend und mit seinen Blicken auf den Liebhaber gerichtet, in einem Bildungsstand bleibe, der zwar diesem sehr angenehm, ihm selbst aber sehr verderblich sein d�rfte. In dem also, was das Geistesleben betrifft, ist ein Mann, der Liebe hegt, als Leiter wie als Gen�sse nimmermehr f�rderlich.
Wie aber nun und in welcher Richtung der, welcher der N�tigung unterliegt, dem Angenehmen statt dem Guten nachzujagen, das Befinden und die Pflege des K�rpers, dessen er Herr geworden, besorgen werde, dies m�ssen wir n�chstdem betrachten. Da wird man ihn nun sehen, wie er einem weichlichen Menschen nachl�uft, nicht einem kr�ftigen, nicht einem, der im hellen Sonnenschein, sondern der im dumpfen Schatten aufgewachsen ist, m�nnlicher M�hen und sauren Schwei�es unkundig, kundig aber z�rtlicher und unm�nnlicher Lebensweise,[426] gew�hnt in Ermangelung eigener mit fremder Farbe und Schminke sich zu schminken, �berhaupt eifrig bem�ht um alles das, was hiermit weiter zusammenh�ngt. Das ist bekannt, und es ist nicht der M�he wert, uns noch des weiteren darauf einzulassen, sondern wir k�nnen, es kurz in einem Satz zusammenfassend, zu anderem �bergehen: N�mlich wo der K�rper so beschaffen ist, da werden sowohl im Krieg als in anderen, wenn auch noch so gro�en Notf�llen die Feinde ebenso mutvoll, als die Freunde und die Liebhaber selbst furchtsam sein. Dieses also wollen wir nun als bekannt auf sich beruhen lassen.
Nach der Ordnung aber haben wir nun davon zu reden, welchen Nutzen oder welchen Schaden uns der Umgang und die Leitung eines Verliebten hinsichtlich des Besitzes bringen werde? Deutlich ist da nun jedem, am meisten dem Liebhaber, da� er vor allem w�nschen m�sse, der Geliebte m�chte von den teuersten und holdesten und g�ttlichsten Besitzt�mern entbl��t sein. Denn er mu� es wohl gerne sehen, wenn dieser Vater und Mutter und Anverwandte und Freunde verliert, da er sie als St�rer und Tadler des angenehmsten Verkehrs mit ihm betrachtet. Aber gar einen, der Verm�gen hat an Gold und sonst anderem Besitz, wird er gewi� weder ebenso leicht fesseln, noch wenn er gefesselt ist, ebenso leicht behandeln zu k�nnen glauben als einen, der nichts besitzt. Woraus ganz notwendig folgt, da� der Liebhaber mi�g�nstig zusieht, wenn sein Liebling Verm�gen besitzt, sich aber dar�ber freut, wenn es ihm zugrunde geht. �berdies mu� der Liebhaber demgem�� w�nschen, da� sein Liebling m�glichst lange Zeit ehelos, kinderlos, ohne eigenes Hauswesen bleibe, wenn er sein S��es m�glichst lange Zeit zu genie�en w�nscht.
Es gibt nun zwar auch noch andere �bel; aber den meisten hat irgend ein D�mon f�r Augenblicke eine Annehmlichkeit beigemischt. So dem Schmeichler, einem argen Untier und gro�en Verderben, hat doch die Natur eine nicht eben unfeine Annehmlichkeit beigemischt. Auch eine Het�re k�nnte einer als etwas Verderbliches tadeln, und von dem so gearteten Gez�cht und derlei Berufsweisen noch manches andere, das denn doch imstande ist, auf etliche Stunden sehr gro�en Genu� zu bereiten. Dagegen ein Liebhaber ist f�r den Liebling,[427] abgesehen von dem Verderblichen, zum st�ndlichen Zusammenleben auch etwas �beraus Unangenehmes. Denn gleich und gleich gesellt sich gern, wie der alte Spruch sagt, auch hinsichtlich des Alters. Denn die Gleichheit im Alter, glaube ich, indem sie zu gleichen Vergn�gungen leitet, bewirkt durch �hnlichkeit Freundschaft; und doch zieht auch der gesellige Verkehr solcher �berdru� nach sich. Vollends nun gar der Zwang ist, wie es hei�t, allen in allem etwas L�stiges; dieser aber findet ja neben jener Un�hnlichkeit am meisten im Verh�ltnis eines Liebhabers zum Liebling statt. Denn als Gesellschafter dem J�ngeren verbunden, verl��t der Altere ihn weder bei Tag noch bei Nacht gerne, sondern er wird durch einen inneren Zwang und Stachel getrieben, dessen Wirkung ihm zwar unausgesetzt Vergn�gen bereitet, indem er den Geliebten sieht, h�rt, ber�hrt und gleichsam mit ganzer Empfindungskraft ihn empfindet, so da� er, an seine Ferse geheftet, mit Lust ihm dienstbar ist. Aber was f�r eine Befriedigung oder welche Vergn�gungen kann er dem Geliebten bereiten, um zu bewirken, da� diesem seine Gesellschaft w�hrend der gleichen Zeit nicht Mi�vergn�gen im �u�ersten Grade einfl��e, wenn er das gealterte und nicht mehr in der Bl�te stehende Gesicht ansieht, womit aber noch anderes im Gefolge geht, was auch nur in Worten aussprechen zu h�ren nicht eben erquicklich ist, geschweige in Wirklichkeit fortw�hrend in gezwungener Ber�hrung damit zu sein; wenn er ferner von argw�hnischen Wachen sich auf jedem Schritt und Tritt und gegen jedermann bewacht sieht und unzeitige und �bertriebene Lobspr�che, wie aber im gleichen Ma�e �u�erungen des Tadels h�rt, die von einem N�chternen schon unertr�glich sind, aber nicht nur unertr�glich, sondern sch�ndlich von einem Berauschten, der dabei eine anwidernde und sich breit machende Freim�tigkeit an den Tag legt?
Und ist er nun, solange er verliebt ist, verderblich und unangenehm, so wird er, wenn er der Liebe los ist, f�r die folgende Zeit treulos, auf welche er durch viele und mit vielen Eiden und Bitten bekr�ftigte Versprechungen den Geliebten vertr�stete, um ihn m�hsam hinzuhalten, die ihm damals schon l�stige Gesellschaft in Hoffnung von Vorteilen zu ertragen. Denn nun er's bezahlen soll, hat er in seinem Innern einen anderen[428] Gebieter und Vorsteher, n�mlich die Vernunft und die Besonnenheit gegen die Liebe und den Wahnsinn �berkommen und ist dem Liebling unbemerkt ein anderer geworden. – Dieser zwar verlangt nun den Dank f�r das Damalige, indem er an das Getane und Gesprochene erinnert, als ob er noch mit dem n�mlichen Menschen redete. Jener aber wagt es aus Scham weder zu sagen, da� er ein anderer geworden, noch wei� er, wie er die Eidschw�re und Versprechungen aus der fr�heren Zeit der vernunftlosen Herrschaft, nachdem er jetzt seine Vernunft erlangt und zur Besinnung gekommen ist, durch die Tat erf�llen soll, um nicht, indem er seinem fr�heren Menschen entsprechend handelt, diesem �hnlich und wieder derselbe zu werden. Als Fl�chtling nun entzieht er sich dieser Lage, und nachdem das Blatt sich gewendet hat, rei�t er, der Liebhaber von ehemals, notgedrungen aus und begibt sich ver�nderten Sinnes auf die Flucht. Jener aber ist nun gen�tigt, ihn mit Unwillen und Verw�nschungen zu verfolgen, weil er im allgemeinen von Anfang an nicht erkannt hat, da� man einem verliebten und deshalb notgedrungen unvern�nftigen Menschen sich ja niemals gef�llig zeigen m�sse, sondern weit eher einem nicht verliebten und seine Vernunft besitzenden; wo nicht, trete die notwendige Folge ein, da� man sich einem Menschen hingebe, der treulos ist, gr�mlich, neidisch, unangenehm, verderblich f�r das Verm�gen, verderblich f�r das Befinden des K�rpers, aber weit am verderblichsten f�r die Bildung der Seele, die doch ein solches Gut ist, da� es f�r Menschen und G�tter in Wahrheit ein kostbareres weder gibt noch jemals geben wird. – Dieses also mu�t du, o Knabe, bedenken und wissen, die Freundschaft eines Liebhabers wurzelt nicht in guter Gesinnung; sondern nur wie einer Art Speise der S�ttigung wagen, tun
So, wie W�lfe dem Lamm, Verliebte freundlich dem Knaben.
Das ist es nun, o Phaidros, – und nicht weiter mehr sollst du mich reden h�ren, sondern hier schon soll dir meine Rede ein Ende nehmen.
Phaidros: Und doch glaubte ich, sie sei erst zur H�lfte fertig und werde nun in der gleichen Weise von dem Nichtverliebten reden, da� man diesem sich eher gef�llig zeigen soll, davon[429] sprechend, was f�r Gutes dagegen dieser an sich habe. Nun aber, o Sokrates, warum h�rst du denn jetzt auf?
Sokrates: Merktest du nicht, o Seliger, da� ich schon in epischen Versen rede und nicht mehr nur in Dithyramben, und doch bin ich noch am Tadeln? Wenn ich nun daran k�me, den anderen zu loben, was, glaubst du, w�rde ich dann erst machen? Wei�t du, da� ich von den Nymphen, denen du mich recht mit Vorbedacht preisgegeben hast, dann sicher werde begeistert werden? Ich sage es daher mit einem Wort, da� von allem dem, was wir dem einen zur Schm�hung vorgebracht haben, bei dem anderen gerade das gegenteilige Gute zutreffe. Wozu denn auch viele Worte machen? �ber beide ist genug gesagt; und so mag denn der M�re widerfahren, was ihr zu widerfahren geb�hrt; ich aber gehe nun durch diesen Flu� und wieder fort, bevor ich von dir zu etwas Gr��erem gezwungen werde.
Phaidros: Doch jetzt noch nicht, o Sokrates, ehe die Hitze vor�ber ist! Oder siehst du nicht, da� es eben Mittag, die Sonne, wie man sagt, zum Stehen gekommen ist? Wir wollen schon noch bleiben und �ber das Gesagte mit einander sprechen; wir gehen dann, sobald es k�hl geworden ist!
Sokrates: F�rwahr, g�ttlich bist du mit Reden, und geradezu bewundernswert! Denn ich glaube, niemand hat von den zu deinen Lebzeiten geborenen einer gr��eren Zahl zur Geburt verholfen als du, sei es da� du selbst gesprochen oder andere auf irgend welche Weise dazu gen�tigt hast. Den Thebaner Simmias nehme ich aus; unter den �brigen aber stehst du unbedingt oben an. Und bereits wieder scheinst du mir Anla� geworden zu sein, da� eine Rede gehalten werden mu�!
Phaidros: Nun, dar�ber bekommen wir keine H�ndel! Aber wie denn und was f�r eine Rede?
Sokrates: Als ich vorhin, mein Guter, durch den Flu� gehen wollte, hat sich mir das Daimonion und das Zeichen, das mir zu werden pflegt, gezeigt – es will mich aber jedesmal abhalten von etwas, was ich gerade tun will –, und es war mir, als ob ich eine Stimme von dort her h�rte, die mich nicht weggehen lassen will, bevor ich mich gereinigt haben werde, wie einer, der sich an dem G�ttlichen vers�ndigt hat. Nun bin ich immerhin[430] ein Wahrsager, nicht zwar einer vom Fach, aber doch so weit, da� ich, wie die, welche schlecht schreiben, mir selbst genug bin. Deutlich erkenne ich daher bereits die S�nde. Ja, mein Freund, auch die Seele ist doch wirklich etwas Wahrsagerisches! Denn auch zuvor schon, w�hrend ich die Rede sprach, beunruhigte mich etwas, und scheuen Blickes sah ich, mit Ibykos zu reden, ob ich nicht, gegen G�tter strauchelnd, Ruhm bei Menschen tausche. Nun aber habe ich die S�nde eingesehen.
Phaidros: Was willst du aber damit sagen?
Sokrates: Eine arge, o Phaidros, eine arge Rede hast du erst selbst hierhergebracht und dann auch mich gen�tigt zu sagen!
Phaidros: Wie denn?
Sokrates: Eine einf�ltige und mitunter gottlose; wie k�nnte es eine �rgere als diese geben?
Phaidros: Nimmermehr, wofern du Wahres sprichst.
Sokrates: Wie denn? Glaubst du nicht, da� Eros der Sohn der Aphrodite ist und ein Gott?
Phaidros: So wird wenigstens behauptet.
Sokrates: Aber von Lysias wenigstens nicht, noch von deiner Rede, die durch meinen von dir verzauberten Mund gesprochen worden ist. Wenn aber Eros ist, wie er es denn ist, ein Gott oder etwas G�ttliches, so kann er wohl nichts Schlechtes sein. Die beiden Reden aber vorhin redeten von ihm, als w�re er dieser Art. Und hierin also vers�ndigten sie sich gegen den Eros. Dazu nun die ihnen eigene gar h�bsche Einfalt, n�mlich, obgleich sie nichts Gesundes noch Wahres sagten, vornehm zu tun, als w�ren sie etwas, weil sie da ein Paar M�nnlein t�uschten und ihnen wohl gefielen. Mir also, mein Lieber, tut es not, gereinigt zu werden. Es gibt aber f�r die, welche hinsichtlich der G�tterlehre sich vers�ndigen, eine alte Reinigung, die zwar Homeros nicht kannte, wohl aber Stesichoros. Denn als er des Gesichts beraubt ward wegen seiner Schm�hrede gegen die Helena, blieb ihm nicht, wie dem Homeros, die Ursache unbekannt; sondern als ein Mann der Musen erkannte er sie und dichtete da gleich sein
Nein, nicht ist sie wahr, diese Rede,
Nie bestiegst du Schiffe mit gutem Bord,
Kamst nicht in die Pergama Troias![431]
Und kaum hatte er die sogenannte Palinodie ganz gedichtet, ward er alsbald wieder sehend. Ich nun will in diesem ganz gleichen Fall weiser als diese sein: Denn ehe mir etwas zust��t wegen der Schm�hrede gegen den Eros, will ich versuchen, ihm die Palinodie zu bezahlen, mit entbl��tem Haupt und nicht wie damals aus Scham mich verh�llend.
Phaidros: Es gibt nichts Angenehmeres, o Sokrates, was du mir sagen k�nntest, als dieses.
Sokrates: Denn du begreifst doch, mein guter Phaidros, wie schamlos die beiden Reden vorgetragen worden sind, die letzte sowohl als die aus dem Schriftchen vorgetragene? Denn wenn irgend ein adeliger und von Gem�tsart sanfter Mann, der einen anderen von derselben Art liebt oder auch fr�her einmal geliebt hat, uns zuf�llig sagen h�rte, da� Liebhaber �ber Kleines gro�e Feindschaften erheben und gegen ihre Lieblinge sich neidisch und verderblich verhalten: wie? meinst du nicht, da� er w�rde Leute zu h�ren glauben, die etwa unter Matrosen aufgewachsen seien und nie eine edle Liebe gesehen haben, und da� er weit entfernt sein w�rde, uns in dem, wor�ber wir den Eros tadelten, beizustimmen?
Phaidros: Wohl m�glich, beim Zeus, o Sokrates!
Sokrates: Weil ich mich also nun vor einem solchen sch�me und vor dem Eros selbst mich f�rchte, begehre ich durch eine genie�bare Rede gleichsam die salzige Ohrenspeise wegzusp�len. Zugleich rate ich aber auch dem Lysias, sobald als m�glich dar�ber zu schreiben, da� man einem Liebhaber eher als einem Nichtverliebten unter sonst gleichen Verh�ltnissen sich gef�llig zeigen m�sse.
Phaidros: Sei �berzeugt, da� es gewi� so kommen wird; denn nachdem du das Lob des Liebhabers gesagt hast, so ist es ganz notwendig, da� Lysias von mir gen�tigt werde, wiederum �ber das gleiche eine Rede zu schreiben. Sokrates: Das glaube ich auch, solange du der bist, der du bist.
Phaidros: So rede denn getrost!
Sokrates: Wo ist mir doch der Knabe geblichen, zu dem ich gesprochen habe? Damit er auch hiervon Kunde erhalte und nicht etwa unkundig sich �bereile, dem Nichtverliebten sich gef�llig zu zeigen.
[432] Phaidros: Der ist immer bei dir, und recht nahe, wenn du es willst.
Sokrates: Also denn merke, o sch�ner Knabe, da� die vorige Rede von Phaidros war, des Pythokles Sohn, dem Manne aus Myrrhinus, die ich aber jetzt sprechen werde, von Stesichoros ist, des Euphemos Sohn, aus Himera. Sie ist aber also zu sprechen: Nein, nicht ist sie wahr, diese Rede, welche sagt, da� auch, wenn ein Liebhaber da ist, man doch dem Nichtverliebten sich mehr gef�llig zeigen m�sse, weil ja jener im Wahnsinn, dieser bei Besinnung sei. Denn freilich, w�re es unbedingt richtig, da� der Wahnsinn ein �bel sei, so w�re das sch�n gesprochen. Nun aber werden uns die gr��ten der G�ter durch Wahnsinn zuteil, freilich nur einen Wahnsinn, der durch g�ttliche Gabe gegeben ist. Denn die Prophetin in Delphoi und die Priesterinnen zu Dodona haben ja vieles und Sch�nes in besonderen und �ffentlichen Angelegenheiten unserer Hellas im Stande des Wahnsinns geleistet, in dem der Besinnung aber noch weniges oder nichts. Und wollten wir noch von der Sibylla und den anderen sprechen, welche, g�ttlicher Wahrsagekunst m�chtig, f�rwahr vielen vieles vorausgesagt und f�r die Zukunft berichtigt haben, so w�rden wir, doch nur von Allbekanntem sprechend, allzu weitl�ufig werden. Das aber verdient als Zeugnis bemerkt zu werden, da� auch von den Alten die, die die Namen festgesetzt haben, den Wahnsinn weder f�r sch�ndlich noch f�r einen Schimpf hielten. Denn nicht w�rden sie dann die sch�nste Kunst, durch welche die Zukunft erkannt wird, gerade mit diesem Namen verflechtend Wahnsagekunst (maniken) genannt haben; sondern weil sie etwas Sch�nes ist, wenn sie durch g�ttliche Schickung entsteht, haben sie es so beliebt und festgesetzt. Die Neueren aber haben unsch�nerweise das N mit R vertauschend sie Wahrsagekunst (mantiken) gehei�en. Haben sie ja auch die Zukunftskunde der Besonnenen durch Vermittlung der V�gel und anderer Zeichen, sofern diese mittelst vern�nftiger �berlegung menschlichem Wissen (oiesei) die M�glichkeit gew�hren, voraus von etwas Kunde zu haben und vorher davon etwas zu sagen, Wissagekunst (oiono�stiken) genannt, welche nun die neueren mit dem Doppellaut vornehmtuend Weissagekunst (oionistiken) nennen. In demselben[433] Ma� nun, in welchem die Wahrsagekunst dieser Zeichenkunde, und zwar sowohl der Name dem Namen als die Sache der Sache an Weihe und W�rde vorgeht, ist nach dem Zeugnis der Alten auch der Wahnsinn edler als die Besonnenheit, der gottgewirkte als die menschlich bedingte. Aber auch von Krankheiten und den gr��ten M�hsalen,
Von dem, was etwa altem G�tterzorn entsprang
In einzelnen Geschlechtern,
hat ein in diesen auftretender und das Verborgene enth�llender Wahnsinn den Bed�rftigen Erl�sung erfunden, indem er, zu Gebeten und G�tterverehrungen seine Zuflucht nehmend und durch ihre Vermittlung in den Besitz von Reinigungen und heiligen Weihungen gekommen, den von ihm Ber�hrten sowohl das jetzige als das k�nftige Leben s�hnte und so f�r den in echter Weise Wahnsinnigen und Besessenen eine L�sung von seinen jetzigen Leiden erfand. Die dritte Art von Begeisterung und Wahnsinn ist die von den Musen, die, wenn sie eine zarte und unentweihte Seele ergreift und zu Festges�ngen und anderer Dichtung aufregt und entz�ckt, tausend Taten der Alten verherrlichend, die Nachkommen bildet. Wenn aber einer ohne diesen Musenwahnsinn zu den Pforten der Dichtkunst kommt, in der �berzeugung, er k�nne auch wohl durch Kunst ein guter Dichter werden, der wird teils selber als ein Ungeweihter erachtet, teils wird seine Dichtung als die des Besonnenen von der der Wahnsinnigen verdunkelt.
So vieles und mehr noch habe ich dir zu sagen von den edeln Taten eines von G�ttern kommenden Wahnsinns. Daher wollen wir uns gerade davor ja nicht f�rchten, noch soll uns eine gewisse Rede verwirren, die uns mit der Behauptung verbl�ffen will, da� man den besonnenen Freund dem Gottbewegten vorziehen m�sse; nein, dann erst soll sie den Siegespreis davon tragen, wenn sie zu jenem noch dieses erwiesen hat, da� nicht zum Heil dem Liebenden und dem Geliebten die Liebe von G�ttern gesendet werde. Hinwiederum aber haben wir das Gegenteil zu beweisen, da� zum gr��ten Segen solcher Wahnsinn von G�ttern verliehen werde. Der Beweis aber wird allerdings den starken Geistern unglaubhaft, den Weisen aber glaubhaft sein. Zuv�rderst nun mu� man �ber die Natur der[434] Seele, die g�ttliche sowohl als die menschliche, indem man teils ihre Leiden, teils ihr Tun ins Auge fa�t, das Wahre begreifen. Der Anfang des Beweises aber ist folgender:
Jede Seele ist unsterblich; denn das stets Bewegte ist unsterblich. Was aber ein anderes bewegt und von einem anderen bewegt wird, das hat, sofern es ein Aufh�ren der Bewegung hat, auch ein Aufh�ren des Lebens. Das sich selbst Bewegende allein also, sofern es nie sich selbst verl��t, h�rt nie auf, bewegt zu sein; aber auch f�r das andere, was bewegt wird, ist dieses Quelle und Anfang der Bewegung. Der Anfang aber ist ungeworden. Denn alles Werdende wird notwendig aus dem Anfang, er selbst aber schlechthin nicht aus einem Etwas; denn wenn der Anfang aus einem Etwas w�rde, so w�rde er ja nicht aus dem Anfang werden. Da er aber ungeworden ist, ist er auch notwendig unverg�nglich. Denn wenn der Anfang untergegangen w�re, so k�nnte ja weder er selbst jemals aus Etwas, noch anderes aus ihm werden, da ja alles aus dem Anfang werden mu�. So ist also der Bewegung Anfang das sich selbst Bewegende. Dieses aber kann weder untergehen noch erst werden; sonst w�rde der ganze Himmel und alles Werden zusammenfallen und stille stehen und nichts mehr vorhanden sein, woraus Bewegtes werden k�nnte. Hat man aber gesagt, da� das von sich selbst Bewegte unsterblich sei, so darf sich einer auch nicht sch�men, es auszusprechen, da� eben dieses das Wesen und der Begriff der Seele sei. Denn jeder K�rper, dem das Bewegtwerden von au�en zuteil wird, ist unbeseelt; der aber, dem es von innen aus sich selbst zuteil wird, ist beseelt, wie denn dieses die Natur der Seele ist. Wenn sich aber das also verh�lt, da� nichts anderes das sich selbst Bewegende ist als die Seele, so mu� die Seele notwendig sowohl ungeworden als unsterblich sein. Von ihrer Unsterblichkeit nun genug!
Von ihrer Idee aber ist das zu sagen, wie sie beschaffen, allerdings Gegenstand einer durchaus g�ttlichen und langwierigen, womit sie aber zu vergleichen, Gegenstand einer menschlichen und k�rzeren Er�rterung sei. In dieser Weise wollen wir nun sprechen: So gleiche sie denn der zusammengewachsenen Kraft eines gefiederten Gespanns und seines Wagenlenkers. Der G�tter Rosse und Wagenlenker nun sind alle sowohl selbst[435] gut als von guter Abkunft; die Art der anderen aber ist gemischt. Und zwar was uns betrifft, so lenkt der F�hrer erstens ein Doppelgespann; sodann ist ihm das eine der Rosse sowohl selbst edel und gut als von solcher Abkunft, das andere aber sowohl von gegenteiliger Abkunft als selbst das Gegenteil. Schwierig und unbeholfen ist da notwendig die Wagenlenkung bei uns.
Woher nun ferner f�r eine Lebensform die Benennung sterblich und unsterblich komme, mu� man zu sagen versuchen. Das All der Seelen versorgt das unbeseelte All, es umwandelt n�mlich den ganzen Himmel, jetzt in dieser, jetzt in anderer Gestalt erscheinend. Eine Seele nun, die noch in vollkommener Weihe und befiedert ist, wandelt in der H�he und durchwebt das Weltall; wenn sie aber das Gefieder gelassen, wird sie fortgetrieben, bis sie etwas Festes erfa�t, in dem sie nun, sich wohnhaft niederlassend und einen erdigen Leib annehmend, der durch ihre Kraft bewegt sich selbst zu bewegen scheint, als Ganzes genommen eine Lebensform genannt wird und, als aus Seele und Leib zusammengef�gt, den Beinamen sterblich erh�lt; die Bezeichnung unsterblich aber erh�lt sie nicht aus irgend einem Vernunftbegriff; sondern wir bilden, da wir einen Gott weder sehen noch zureichend begreifen, ihn uns eben in der Vorstellung ab als eine unsterbliche Lebensform, die teils Seele, teils K�rper ist, beides aber f�r ewige Zeit zusammengewachsen. Doch dies soll ja nun, wie es immer dem Gotte gef�llt, sich verhalten und so auch besprochen sein. Nun wollen wir aber die Ursache von dem Verlust des Gefieders, durch die es einer Seele entfalle, ins Auge fassen. Sie ist aber folgende:
Des Gefieders Kraft ist, das Schwere nach oben zu f�hren, es emporhebend dahin, wo das Geschlecht der G�tter wohnt. Von allem K�rperlichen hat es am meisten teil an dem G�ttlichen. Das G�ttliche aber ist das Sch�ne, das Weise, das Gute und was sonst derartig ist. Von diesen nun n�hrt und kr�ftigt sich der Seele Gefieder am meisten; vom H��lichen aber und B�sen und was sonst von jenem das Gegenteil ist, schwindet es und vergeht. Der gro�e Herrscher im Himmel nun, Zeus, zieht den gefl�gelten Wagen treibend als erster aus, anordnend alles und besorgend; ihm aber folgt ein Heer von G�ttern und[436] D�monen, in elf Scharen geordnet. Denn Hestia bleibt allein im G�tterhause; von den andern aber f�hren die, welche in die Zahl der Zw�lf als herrschende G�tter gereiht sind, ihre Schar in der Reihe, in der jeder gereiht ist.
Da gibt es nun viele und selige Schauspiele und Bewegungen innerhalb des Himmels, die der begl�ckten G�tter Geschlecht ausf�hrt, indem jeder das Seine verrichtet. Es folgt aber, wer jedesmal will und kann; denn der Neid steht drau�en vor dem g�ttlichen Reigen.
Wenn sie aber nun zum Schmaus und Gelage gehen, haben sie gegen die h�chste unterhimmlische W�lbung schon einen steilrechten Weg. Da fahren nun zwar die G�tterwagen, wohlgez�gelt das Gleichgewicht haltend, leicht hin, die anderen aber m�hsam. Denn das mit Schlechtigkeit behaftete Ro�, wenn es von einem der Wagenlenker nicht gut gen�hrt worden ist, beugt sich und dr�ckt schwerf�llig zur Erde hinab. Da ist nun wahrlich einer Seele die �u�erste M�he und Anstrengung bereitet. N�mlich diejenigen Seelen zwar, welche unsterbliche genannt werden, gehen, wenn sie oben sind, hinaus und stehen nun auf dem R�cken des Himmels; hier stehend aber f�hrt sie der Umschwung herum; sie aber schauen, was au�erhalb des Himmels ist.
Den �berhimmlischen Ort aber hat noch nie einer der Dichter hienieden besungen, noch wird ihn je einer nach W�rdigkeit besingen. Es verh�lt sich aber also damit: Denn wagen wenigstens mu� man, das Wahre zu sagen, zumal wer von der Wahrheit spricht. Das farblose und gestaltlose und unber�hrbare wesenhaft seiende Wesen n�mlich ist nur f�r den Lenker der Seele, den Geist, schaubar, jenes Wesen, in Beziehung auf das die Gattung der wahren Wissenschaft diesen Ort inne hat. Und nun, da ja das Geistesleben eines Gottes und einer jeden Seele, welche das ihr Angemessene aufzunehmen bestrebt ist, von Geist und lauterer Wissenschaft sich n�hrt, wird sie nach verflossener Zeit das Seiende zu sehen froh, und das Wahre schauend wird sie gen�hrt und erg�tzt, bis sie der Umschwung im Kreislauf wieder an den vorigen Ort herumf�hrt. Auf diesem Umzug aber erblickt sie die Gerechtigkeit selbst, erblickt die Besonnenheit, erblickt die Wissenschaft, nicht die, der ein Werden zukommt, nicht die, die immer eine andere ist, je[437] nachdem sie an einem anderen der Gegenst�nde haftet, die wir jetzt seiende nennen, – sondern die andern, was das wesenhafte Sein ist, haftende Wissenschaft; und nachdem sie das �brige ebenso wesenhaft Seiende geschaut und gekostet hat, sinkt sie wieder in das Innere des Himmels und kommt nach Hause zur�ck. Wenn sie aber angekommen, stellt der Wagenlenker die Rosse an die Krippe, wirft ihnen Ambrosia vor und tr�nkt sie dazu mit Nektar. Und dieses nun ist das Leben der G�tter!
Was aber die anderen Seelen betrifft, so erheben einige, die ihrem Gott am r�stigsten folgten und gleich kommen, ihres Wagenlenkers Haupt hinaus in den �u�eren Raum und werden durch den Umschwung mit herumgef�hrt, obgleich von den Rossen verwirrt und m�hsam das Seiende erblickend: andere aber erheben sich bald, bald sinken sie unter, und bei dem Ungest�m der Rosse sehen sie zwar einiges, anderes aber nicht. Die �brigen aber, nach dem Oberen strebend, folgen zwar alle; indessen, da ihnen die Kraft fehlt, werden sie in die Tiefe untersinkend zusammen umgetrieben, einander tretend und dr�ngend, indem eine der anderen voranzusein sich bem�ht. Da gibt es nun Verwirrung und Wetteifer und Kampfschwei� im h�chsten Ma�, wobei dann durch Schlechtigkeit der Wagenlenker viele gel�hmt werden, viele viel Gefieder einb��en, alle aber, nachdem sie viele M�hsal gehabt, als Ungeweihte, die nicht zum Schauen des Seienden gelangt sind, zur�ckkommen und zur�ckgekommen im Gebiet der Meinung ihre Nahrung finden.
Was nun die Quelle betrifft, woraus dieser gro�e Eifer entspringt, zu sehen, wo das Gefilde der Wahrheit ist, so ist einmal die dem besten Teile der Seele angemessene Weide auf der dortigen Wiese zu finden; sodann wird das Gefieder, wodurch die Seele der Schwere entledigt sich erhebt, seiner Natur gem�� auf ihr gen�hrt. Auch ist dieses eine Ordnung der Adrasteia: welche Seele als Gef�hrtin ihres Gottes von dem Wahren etwas sieht, die soll bis zum anderen Umlauf unverletzt sein, und wenn sie dieses immer vollbringen kann, soll sie immer unbesch�digt sein. Wenn sie aber, weil ihr die Kraft fehlt nachzufolgen, das Wahre nicht sieht und, durch irgend ein Mi�geschick, das sie betrifft, von Vergessenheit und Schlechtigkeit[438] erf�llt, niedergedr�ckt wird und niedergedr�ckt das Gefieder l��t und auf die Erde f�llt: dann ist es Gesetz, eine solche Seele bei der ersten Geburt noch in keine tierische Natur einzupflanzen, sondern die, welche noch am meisten gesehen, in den Lebenskeim eines Mannes, der ein Philosoph oder ein Sch�nheitsfreund oder ein dem Dienst der Musen und der Liebe Ergebener werden wird, die zweite aber in den eines gesetzm��igen K�niges oder eines kriegerischen und zum Herrschen bestimmten Mannes, die dritte in den eines Staatsbeamten, eines Wirtschafters oder eines Geldmannes, die vierte in den eines Mannes, der mit anstrengenden Leibes�bungen oder mit irgend einer Art �rztlicher K�rperpflege sich befassen wird; die f�nfte wird einen die Wahrsagekunst und die heiligen Weihen betreffenden Lebensstand haben; der sechsten wird ein dichterischer oder ein anderer mit Nachahmen sich abgebender Berufpassen, der siebenten der des Handwerkers oder des Landmanns, der achten der des Sophisten oder Volksschmeichlers, der neunten der des Tyrannen.
Unter allen diesen aber empf�ngt nun, wer sein Leben gerecht f�hrt, ein besseres Los, wer aber ungerecht, ein schlimmeres. Dahin n�mlich, von wo jede Seele herkommt, gelangt sie nicht wieder in der Zeit von 10000 Jahren; denn vor Ablauf eines solchen Zeitraums wird sie nicht wieder befiedert, die Seele desjenigen ausgenommen, der ohne Trug philosophiert oder mit Philosophie der Liebe lebt. Diese aber kehren im dritten tausendj�hrigen Umzug, wenn sie dreimal nach einander diesen Lebensstand w�hlen und dadurch befiedert worden sind, im dreitausendsten Jahre zur�ck. Die �brigen aber, wenn sie das erste Leben vollendet haben, kommen vor Gericht: wenn sie aber gerichtet worden sind, so kommen einige in die Strafpl�tze unter der Erde und b��en ihr Urteil; andere aber werden durch das Urteil an einen Ort des Himmels, der Schwere entledigt, erhoben und f�hren dort ein Leben dessen w�rdig, das sie in Menschengestalt gelebt haben. Im tausendsten Jahre aber gelangen beide Klassen zur Auslosung und Wahl des zweiten Lebensstandes, und jede w�hlt nun, welchen sie will. Da gelangt nun eine menschliche Seele auch wohl in den Lebensstand eines Tieres, und aus einem Tier einer, der ehedem ein Mensch gewesen, wieder in einen Menschen. Nur eine[439] solche Seele, die die Wahrheit freilich gar nie gesehen hat, wird nicht in diese Gestalt kommen. Denn der Mensch mu� sie begreifen in der Form der Idee, wie man es ausdr�ckt, die, aus einer Vielheit sinnlicher Wahrnehmungen sich ergebend, durch logisches Denken zur Einheit zusammengefa�t wird. Das aber ist eben Wiedererinnerung an jenes, was einst unsere Seele sah, als sie mit ihrem Gott wandelte, �ber das, was wir jetzt als Sein bezeichnen, hinwegsehend und sich nach dem wesenhaft Seienden emporrichtend. Daher wird denn auch gerechterweise allein des Philosophen Geist befiedert; denn er verweilt so viel als m�glich ununterbrochen im Erinnern bei jenem, bei dem sein Gott verweilt, um g�ttlich zu sein. Welcher Mann aber nun solche Erinnerungen sich aufrechte Weise zu Nutzen macht, der allein empf�ngt, als ununterbrochen mit vollkommenen Weihen geweiht, wahrhaft die Weihe der Vollkommenheit. Indem er aber der menschlichen Bestrebungen sich entschl�gt und bei dem G�ttlichen verweilt, wird er zwar von der Menge als ein Verr�ckter gescholten; da� er aber ein g�ttlich Begeisterter ist, bleibt der Menge verborgen.
Und hier ist nun der Ort, wo die ganze Rede von der vierten Art des Wahnsinns eintritt, da einer, wenn er beim Anblick der Sch�nheit hienieden, der wahrhaftigen sich wieder erinnernd, sich befiedert und neu sich befiedernd wieder aufzufliegen verlangt, aber die Kraft dazu nicht findet, einem Vogel gleich nach oben blickend und um das Untere sich nicht k�mmernd, – da ein solcher, sage ich, die Beschuldigung erf�hrt, da� er im Zustande des Wahnsinns sich befinde – die Rede also davon, da� unter allen Arten der Begeisterung gerade diese die beste und von der besten Abkunft sei sowohl f�r den, der sie selbst inne hat, als auch f�r den, der in Gemeinschaft mit ihr tritt, und da�, wer dieses Wahnsinns teilhaftig die Sch�nen liebt, ein Liebhaber genannt wird. – Wie n�mlich schon gesagt worden ist, jede Menschenseele hat zwar ihrer Natur gem�� das Seiende geschaut, sonst w�re sie nicht in diese Lebensform gekommen. Aber von dem Diesseitigen sich an jenes wieder zu erinnern, ist nicht leicht f�r jede: nicht f�r diejenigen, die damals das Jenseitige nur fl�chtig sahen, noch f�r diejenigen, die, hierher herabgefallen, Mi�geschick hatten, so da� sie, durch irgendwelche gesellschaftliche Verbindungen zum Unrecht[440] verleitet, das Heilige, das sie damals gesehen, vergessen haben. Wenige f�rwahr bleiben �brig, denen das Verm�gen des Erinnerns noch in gen�gendem Ma�e zu Gebot steht. Diese aber, wenn sie irgend ein Abbild des Jenseitigen sehen, werden gewaltig aufgeregt und sind ihrer selbst nicht mehr m�chtig; was aber dieser leidenschaftliche Zustand ist, wissen sie nicht, weil ihre Wahrnehmung ihn nicht gen�gend durchdringt. Von der Gerechtigkeit nun zwar und der Besonnenheit und dem, was sonst f�r Seelen wertvoll ist, wohnt kein Lichtglanz in ihren Abbildern hienieden; sondern durch tr�be Werkzeuge schauen wenige nur m�hsam, indem sie mit ihren Bildern in Ber�hrung kommen, die Gattung des Abgebildeten. Die Sch�nheit aber war damals leuchtend zu sehen, als mit dem begl�ckenden Reigen wir im Gefolge des Zeus, andere in dem eines anderen der G�tter eines seligen Anblicks und Schauens genossen, und als wir in diejenige der Weihen eingeweiht waren, welche die seligste zu nennen heilige Pflicht ist, und die wir feierten, selbst noch fehllos und unber�hrt von den �beln, die in sp�terer Zeit auf uns warteten, dabei aber fehllose und lautere und wandellose und begl�ckende Gesichte mit geweihtem und priesterlichem Auge in reinem Gl�nze schauend, als Reine selbst und nicht eingekerkert in diesen K�rper, wie wir das jetzt nennen, was wir mit uns, der Auster gleich angebunden, herumtragen. Dieses nun sei der Erinnerung gewidmet, um deren willen in Sehnsucht nach dem Damaligen jetzt ausf�hrlicher geredet worden ist!
Was aber die Sch�nheit betrifft, so stand sie, wie wir gesagt haben, unter jenen befindlich in lichtem Gl�nze; und auch hierher gekommen, fassen wir sie mit dem hellsten unserer Sinne auf, als am hellsten schimmernd. Das Auge n�mlich kommt uns als der sch�rfste der Sinne des K�rpers zu; doch wird die Weisheit nicht damit erblickt. Denn gar wunderbare Liebestriebe w�rde sie bereiten, wenn ein solch helles Bild von ihr in die Augen fallend bereitet w�re, und so auch das andere Liebensw�rdige. Der Sch�nheit allein aber ist nun dieses teilgeworden, so da� sie das Sichtbarste und das Liebreizendste ist.
Zwar nun wer nicht ein noch Neugeweihter ist, oder wer dem Verderben schon verfallen, den zieht es nicht mit scharfem Drange von hier nach dort zu der Sch�nheit selbst, wenn er[441] schaut, was hienieden ihre Benennung tr�gt. Sein Anblick stimmt ihn daher nicht zur Verehrung; sondern der Lust fr�hnend, sucht er nach tierischer Art den Trieb des Geschlechts und der Begattung zu befriedigen und f�rchtet und sch�mt sich nicht, der Lust in z�gelloser Ann�herung wider die Natur nachzujagen. Wer aber noch frisch geweiht ist und das Damalige vielf�ltig geschaut hat, der, wenn er ein gott�hnliches, die Sch�nheit wohl abbildendes Antlitz sieht oder eine solche K�rpergestalt, wird zuerst von Schauer ergriffen, und es �berkommt ihn etwas von den damaligen Be�ngstigungen; sodann aber, wenn er es anblickt, verehrt er es wie einen Gott, und f�rchtete er nicht den Schein eines �berm��igen Wahnsinns, er w�rde gar dem Liebling opfern wie einem G�tterbild und einem Gott. Nun er ihn aber gesehen, ergreift ihn, wie nach dem Fieberschauer, eine ver�nderte Stimmung, Schwei� und ungewohnte Hitze. Indem er n�mlich durch die Augen den Ausflu� der Sch�nheit in sich aufnimmt, wird er von einer Erw�rmung durchdrungen, in deren befeuchtendem Zug die Keimkraft des Gefieders sich l�st. Infolge dieser Erw�rmung aber schmilzt um den Keim desselben das, was vorl�ngst in H�rte sich zusammenschlie�end ihn zu sprossen verhindert hat. Indem aber nun Nahrung zustr�mt, schwillt und strebt aus der Wurzel hervorzukeimen des Gefieders Kiel um die ganze Gestalt der Seele; denn ehedem war sie ganz befiedert! Dabei nun pocht und g�rt ihr ganzes Wesen, und was das Leiden der Zahnenden mit den Z�hnen ist, wenn sie zuerst hervorbrechen, ein Jucken und Stechen im Zahnfleisch, dasselbe f�rwahr leidet die Seele dessen, dem das Gefieder zu keimen anf�ngt; es pocht und juckt und kitzelt sie, indem ihr das Gefieder keimt. Zwar nun, wenn sie auf die Sch�nheit des Lieblings blickt und die von dieser sich losrei�enden und zur Liebe reizenden Teile, welche ja deshalb Liebreiz genannt werden, wenn sie, sage ich, diesen Liebreiz in sich aufnehmend, von jenem l�senden W�rmezug durchstr�mt wird, so erholt sie sich vom Schmerz und f�hlt sich wohl. Wenn sie aber einsam ist und vertrocknet, so dorren die R�nder der �ffnungen da, wo das Gefieder hervorbricht, zusammen und sperren, sich verschlie�end, den sprossenden Trieb des Gefieders ab. Dieser aber, innen mit dem Liebreiz abgesperrt, h�pft[442] nun gleich dem Aderschlag und sticht gegen jedwede �ffnung, auf die er trifft, so da� die ganze Seele ringsum gestachelt rast und voll Schmerzen ist. Weil sie aber die Erinnerung des Sch�nen in sich tr�gt, f�hlt sie sich auch wieder wohl. Indem aber so die Eindr�cke von beidem sich mischen, wild ihr unheimlich �ber der Seltsamkeit dieses leidenschaftlichen Zustandes, und da sie sich nicht zu helfen wei�, ger�t sie in Wut, und wahnsinnig, wie sie ist, kann sie weder bei Nacht schlafen, noch bei Tag bleiben, wo sie auch sein mag, l�uft aber sehnsuchtsvoll �berall hin, wo sie den sehen zu k�nnen meint, der die Sch�nheit besitzt. Sobald sie ihn aber sieht und sich neuen Liebreiz zuleitet, l�st sie das vorhin Zusammengeschrumpfte auf, und wieder Atem sch�pfend, entledigt sie sich der Stacheln und Schmerzen und genie�t wieder im jetzigen Augenblick jene s��este Lust. Deswegen verl��t sie ihn auch freiwillig nicht, noch sch�tzt sie jemanden h�her als den Sch�nen: sondern Mutter und Br�der und alle Genossen vergi�t sie und schl�gt es f�r nichts an, wenn Hab und Gut fahrl�ssigerweise verloren geht; unbek�mmert aber um Bewahrung von Sitte und Anstand, womit sie sonst sich zierte, ist sie bereit, ein dienstbares Leben zu f�hren und, wo er es irgend gestattet, nur so nahe als m�glich bei dem Gegenstand ihrer Sehnsucht zu ruhen. Denn neben dem, da� sie von Verehrung erf�llt ist, findet sie auch in ihm, der die Sch�nheit besitzt, allein einen Arzt f�r die gr��ten M�hsale. Diesen leidenschaftlichen Zustand aber, o sch�ner Knabe, an den ja meine Rede gerichtet ist, hei�en die Menschen Eros; h�rst du aber, wie ihn die G�tter nennen, so wirst du mit Recht ob dem jugendlichen Mutwillen lachen. Es sagen n�mlich, meine ich, einige der Homeriden aus den geheimen Ges�ngen zwei Verse auf den Eros, von denen der zweite sehr ausgelassen und nicht eben wohllautend ist. Sie singen n�mlich:
Den nun nennen die Sterblichen zwar den gefl�gelten Eros,
Pteros aber die G�tter vom Sinnbet�renden Flattern.
Diesem nun kann man Glauben schenken oder auch nicht; jedenfalls aber verh�lt es sich wirklich in jener Weise mit dem leidenschaftlichen Zustand der Liebenden und der Ursache davon.[443]
Wer nun von den Gef�hrten des Zeus ergriffen wird, der vermag die Pein des Fl�gelnamigen standhafter zu tragen. Die aber, welche des Ares Diener waren und mit ihm umwandelten, sind, wenn sie vom Eros gefesselt werden und von dem Geliebten in etwas gekr�nkt zu sein meinen, mordlustig und bereit, sich selbst und den Liebling hinzuopfern. Und so, je nach der Art seines Gottes, zu dessen Reigen er geh�rte, lebt jeder, ihn ehrend und nach Kr�ften nachahmend, solange er noch unverdorben ist und das erste Dasein hienieden verlebt, und auf dieselbe Weise bestimmt er auch seinen Umgang sowohl mit den Geliebten als anderen Leuten und sein Betragen gegen sie. So nun w�hlt auch jeder unter den Sch�nen sich den Gegenstand seiner Liebe nach seiner Art aus, und als w�re ihm jener selbst ein Gott, r�stet er ihn sich zu und schm�ckt er ihn aus wie ein G�tterbild, es zu ehren und zu feiern. Die dem Zeus Angeh�rigen suchen also nun zu ihrem Geliebten eine Zeusseele. Sie sehen daher darauf, ob er nach seiner Natur ein Philosoph und zum Herrschen t�chtig sei, und wenn sie ihn gefunden und lieb gewonnen haben, tun sie alles, damit er es werde. Wenn sie sich nun fr�her nicht auf solche Bestrebung eingelassen haben, so versuchen sie es jetzt, indem sie teils lernen, woher sie irgend k�nnen, teils selbst der Sache nachgehen. Danach aber sp�rend, sind sie gar wohl imstande, von sich selbst die Natur ihres Gottes aufzufinden wegen der N�tigung, der sie unverr�ckt unterliegen, auf den Gott zu blicken; und indem sie ihn im Erinnern erfassen, nehmen sie, von Begeisterung erf�llt, seine Sitten und Bestrebungen an, soweit es einem Menschen m�glich ist, eines Gottes teilhaftig zu werden. Und indem sie hiervon denn den Geliebten als die Ursache betrachten, huldigen sie ihm noch mehr; und wenn sie aus dem Borne des Zeus sch�pfen, wie die Bakchantinnen, so lassen sie es auf des Geliebten Seele �berflie�en und machen ihn so viel als m�glich ihrem Gott �hnlich. Hinwiederum diejenigen, die im Gefolge der Hera waren, suchen einen K�niglichen, und wenn sie ihn gefunden, tun sie an ihm ganz dasselbe. Die aber, die dem Apollon oder welchem der G�tter sonst angeh�ren, suchen, dem Gotte nachgehend, sich einen Liebling, der also geartet ist, und wenn sie ihn gewonnen haben, leiten sie ihn, soweit es in eines jeden Macht liegt, zu des Gottes Bestrebung[444] und Idee hin, indem sie sowohl selbst ihn nachahmen, als den Liebling dazu �berreden und nach diesem Ma�e bilden; und, ohne weder Neid noch unedle Scheelsucht gegen den Liebling zu hegen, sondern weil sie �ber alles bem�ht sind, ihn so viel als m�glich zu allseitiger �hnlichkeit mit ihnen selbst und dem Gott zu leiten, den sie ehren, darum handeln sie so. Ein Eifer also von wahrhaft Liebenden, und wenn sie bezwecken, um was sie sich beeifern, eine heilige Weihe, wie ich sage, sch�n und begl�ckend, ist es, was so durch den von Liebe wahnsinnigen Freund dem Freunde zuteil wird, wenn er gewonnen ist. Gefesselt aber wird der Gewonnene auf folgende Weise:
Wie ich im Anfang dieses Mythos jede Seele dreifach geteilt habe, n�mlich in zwei rosse�hnliche Gestalten und eine dritte, den Wagenlenker darstellende, so soll es uns auch jetzt noch dabei bleiben. Von den Rossen aber ist ja, sagen wir, das eine gut, das andere nicht: worin aber die Tugend des guten und die Schlechtigkeit des schlechten bestehe, das haben wir nicht er�rtert, ist aber nun zu besprechen. Das nun von den beiden, welches von sch�nerer Beschaffenheit ist, ist seiner Gestalt nach aufrecht gebaut und gut gegliedert, hat hohen Nacken, gebogene Nase, wei�e Farbe, schwarze Augen, vereinigt Ehrliebe mit Besonnenheit und Schamhaftigkeit, und als ein Freund wahrer Denkweise wird es ohne Schl�ge nur durch Befehl und Wort gelenkt. Das andere dagegen ist gebeugt, plump und schlecht gebaut, von dickem Nacken, kurzem Hals, stumpfer Nase, schwarzer Farbe, blau�ugig mit Blut unterlaufen, ein Freund von Trotz und Anma�ung, um die Ohren zottig, taub, kaum der Peitsche und dem Stachel gehorsam. Wenn nun der Wagenlenker, indem er das geliebte Antlitz sieht, durch die ganze Seele bei der Wahrnehmung ergl�hend, von Kitzel und Sehnsucht gestachelt wird, so h�lt das dem Wagenlenker gern folgende Ro�, wie immer so auch jetzt von Scham bew�ltigt, selbst an sich, nicht auf den Geliebten loszurennen; das andere aber kehrt sich nicht mehr weder an Stachel noch Peitsche des Wagenlenkers, sondern springend treibt es mit Gewalt fort, und dem Mitgespann und dem Wagenlenker alle m�gliche Not bereitend, zwingt es sie, zu dem Liebling zu gehen und gegen ihn der Verg�nstigung aphrodisischer Gef�lligkeit Erw�hnung zu tun. Anfangs indessen leisten[445] beide voll Unwillen Widerstand, als sollten sie zu etwas Argem und Gesetzwidrigem gen�tigt werden; endlich aber, wenn des �bels kein Ende ist, gehen sie fortgezogen hin, nachgebend und versprechend, sie wollen das Verlangte tun. Nun sind sie bei ihm, nun sehen sie das strahlende Angesicht des Lieblings.
Indem es aber der Wagenlenker sieht, wird seine Erinnerung zu dem Wesen der Sch�nheit fortgef�hrt, und wieder sieht er sie mit der Besonnenheit vereint auf unentweihtem Grunde stehen. Bei diesem Anblick aber erbebt er und beugt sich, von Verehrung erf�llt, r�ckw�rts nieder, und zugleich wird er gen�tigt, die Z�gel so stark nach hinten anzuziehen, da� er beide Rosse auf die H�ften setzt, das eine gutwillig, weil es nicht Widerstand leistet, das trotzige aber h�chst widerwillig. Indem sie nun beide weiter zur�ckgehen, ger�t das eine so sehr in Besch�mung und Entsetzen, da� es die ganze Seele mit Schwei� benetzt; das andere aber, sobald es den Schmerz los ist, den es von dem Zaum und dem Sturz bekommen, hat kaum wieder Atem gesch�pft, so beginnt es voll Zorn zu schm�hen und den Wagenlenker und seinen Mitgespann auf alle Weise schlecht zu machen, als w�ren sie aus Feigheit und Unm�nnlichkeit von ihrer Stellung und ihrem Versprechen gewichen. Und wiederum sie dr�ngend, gegen ihren Willen hinzugehen, gibt es ihnen kaum nach, wenn sie bitten, es auf ein anderes Mal zu verschieben. Ist aber die verabredete Zeit gekommen, so erinnert es sie, die sich anstellen, als d�chten sie nicht mehr daran, wendet alle Gewalt an, wiehert, zieht sie fort und n�tigt sie, mit den n�mlichen Reden zu dem Liebling zu kommen; und wenn sie ihm nahe sind, so zieht es, sich vorw�rts beugend, den Schweif emporstr�ubend und in den Zaum bei�end, schamlos weiter. Der Wagenlenker aber, in noch st�rkerem Grade von dem vorigen Gem�tszustand ergriffen, wie einer, der von den Schranken auslaufend sich r�ckw�rts beugt, zerrt den Zaum des trotzigen Rosses mit noch st�rkerer Gewalt aus dem Gebi� nach hinten, strengt ihm die schm�hs�chtige Zunge und die Backen an bis aufs Blut und bereitet ihm Schmerzen, indem er ihm Schenkel und H�ften zur Erde niederzwingt. Wenn aber das schlimme Ro� dieselbe Behandlung �fters erf�hrt und von seiner trotzigen Wildheit l��t,[446] so folgt es gedem�tigt schon der vern�nftigen Leitung des Wagenlenkers, und wenn es den Sch�nen sieht, vergeht es vor Furcht. Und so kommt es, da� die Seele des Liebhabers nun dem Liebling versch�mt und versch�chtert folgt.
Dieser nun, da er sich ja fast einem Gott gleich alle Arten von Huldigung dargebracht sieht, dargebracht von einem, der sich nicht als ein Liebender nur anstellt, sondern in Wahrheit diese Leidenschaft hegt, wie er ja selbst schon durch den Zug der Natur befreundet gestimmt ist, schlie�t mit dem Huldigenden einen Freundschaftsbund. Und wenn er auch etwa vordem von seinen Gespielen oder irgend anderen Leuten, welche sagten, es sei eine Schande, einem Liebenden sich zu n�hern, aufgebracht worden w�re und er deshalb den Liebenden zur�ckgesto�en h�tte, so bringt ihn doch schon im Verlauf der Zeit seine Jugend und die Macht der Notwendigkeit dazu, jenem ein Verh�ltnis des Umgangs zu gestatten. Denn nimmer ja ist es vom Geschicke bestimmt, da� der Schlechte dem Schlechten freundlich noch da� der Gute dem Guten nicht freundlich sei. Indem er es aber nun gestattet und Gespr�ch und Umgang sich gefallen l��t, so regt das im unmittelbaren Verkehr sich �u�ernde Wohlwollen des Liebenden den Geliebten m�chtig auf, indem er es bald durchf�hlt, da� alle seine anderen Freunde und Angeh�rigen zusammengenommen verglichen mit dem gottbeseelten Freunde ihm so gut als keine Freundschaft gew�hren. Wenn er aber nun dieses Verh�ltnis l�ngere Zeit fortsetzt, in seiner N�he verweilt und dabei auf den Ringpl�tzen und bei anderen Anl�ssen des Umgangs in pers�nliche Ber�hrung mit ihm tritt, dann leitet sich der Quell jenes Stroms, den Zeus, als er den Ganymedes liebte, Liebreiz nannte, in F�lle dem Liebhaber zu, so da� er teils in diesen eindringt, teils von ihm, wenn er selbst erf�llt ist, wieder nach au�en str�mt; und wie der Wind oder Schall, von glatten und festen K�rpern abspringend, dahin zur�ckgetrieben wird, von wo er ausging, so kommt die Str�mung der Sch�nheit, durch das Auge, wo sie den nat�rlichen Gang zur Seele hat, sich fortleitend, wieder in den Sch�nen zur�ck mit neubefiedernder Kraft; und ihr feuchter Zug l�st die M�ndungen des Gefieders, weckt den Trieb der Befiederung und erf�llt nun auch wieder die Seele des Geliebten mit Liebe. Er liebt zwar nun,[447] aber wen, ist ihm unklar; und weder wei� er, wie ihm geschehen, noch kann er es sagen, sondern wie einer, der von einem anderen die Augenkrankheit geerbt hat, wei� er die Ursache nicht zu sagen; da� er aber in dem Liebenden wie in einem Spiegel sich selbst erblickt, ist ihm verborgen. Und zwar wenn dieser anwesend ist, wird er geradeso wie dieser von Schmerzfrei; wenn er aber abwesend ist, so sehnt er sich wieder geradeso, wie er ersehnt wird, der Liebe Abbild, die Gegenliebe, in sich tragend; er aber sagt und glaubt nicht, da� sie Liebe, sondern da� sie Freundschaft sei. Indessen sehnt er sich fast ebenso wie dieser, nur in schw�cherem Grade, ihn zu sehen, zu ber�hren, zu k�ssen, zu umarmen, und, wie es ja nat�rlich ist, tut er es auch in der Folge bald. Beim Umarmen nun hat das unb�ndige Ro� des Liebhabers mit dem Wagenlenker ein Wort zu sprechen und fordert f�r die vielen M�hsale ein bi�chen Genu�; das des Lieblings aber hat zwar nichts zu sagen, aber von Empfindung gesteigert, und ohne sich klar zu sein, umfa�t es den Liebhaber und k��t ihn, ihn als seinen wohlwollendsten Freund begr��end, und wenn sie sich umarmen, verm�chte er f�r seinen Teil sich nicht zu weigern, dem Liebenden zu willfahren, wenn er ihn darum b�te. Hiergegen aber leistet wieder der Mitgespann mit dem Wagenlenker Widerstand, von Schamgef�hl und Vernunft geleitet.
Und nun, wenn die besseren vern�nftigen Seelenkr�fte, von welchen die Richtung zu geregeltem Wandel und zur Philosophie ausgeht, obsiegen, so f�hren sie schon hienieden ein seliges und einhelliges Leben, indem sie, sich selbst beherrschend und geordnet, wie sie sind, dasjenige untert�nig erhalten, woran die Schlechtigkeit der Seele, das aber frei erhalten, woran ihre Tugend haftet. Sterben sie aber, so haben sie ja, befiedert und leicht geworden, von jenen drei Ringk�mpfen, diesen wahrhaft Olympischen Spielen, schon in einem den Sieg gewonnen, ein Gl�ck so gro�, da� weder eine Gabe menschlicher Besonnenheit noch g�ttlichen Wahnsinns seinen Wert f�r den Menschen �berbieten kann.
Wenn sie aber einen ungebildeteren und unphilosophischen, dabei aber doch ehrliebenden Wandel f�hren, so mag es wohl einmal geschehen, da� die beiden unb�ndigen Gespanne im Zustande der Berauschung oder einem anderen sorglosen Augenblick[448] die Seelen unbewacht �berraschen, sie zusammenf�hren und das, was die Menge als das seligste Teil betrachtet, erw�hlen und verwirklichen; und haben sie es einmal verwirklicht, so machen sie sich dessen schon auch fernerhin teilhaftig, doch sparsam, da ihr Tun ja etwas betrifft, das nicht eben des ganzen Geisteslebens Billigung hat. Als Freunde nun bringen zwar auch diese, doch weniger als jene, ihr Leben mit einander zu, sowohl solange die Liebe dauert, als wenn sie dar�ber hinaus sind, indem sie glauben, die h�chsten Gew�hrschaften gegenseitig teils gegeben, teils empfangen zu haben, so da� sie es f�r S�nde achten m��ten, diese wieder einzul�sen und jemals in Feindschaft zu geraten. Im Sterben aber gehen sie zwar noch unbefiedert, aber von dem Triebe, sich zu befiedern, durchdrungen, aus dem K�rper, so da� sie doch einen nicht geringen Preis von ihrem Liebeswahnsinn davontragen. Denn in die Finsternis und den Wandel unter der Erde zu kommen, ist gesetzlich denen nicht mehr bestimmt, welche schon den himmlischen Wandel begonnen haben, sondern ein lichtes Leben zu f�hren und gl�cklich zu sein, mit einander wandelnd und der Liebe wegen, wenn sie es werden, zu gleicher Zeit befiedert zu werden.
Dieses, o Knabe, so Gro�es und so G�ttliches wird dir die von einem Liebhaber gewidmete Freundschaft schenken. Die von dem Nichtverliebten ausgehende Vertraulichkeit aber, die, mit sterblicher Besonnenheit gemischt, auch nur Sterbliches und K�rgliches auszuteilen hat, wird, indem sie in der geliebten Seele eine von der Menge als Tugend gepriesene unedle Sinnesart erzeugt, ihr das Los bereiten, noch neuntausend Jahre auf der Erde umher unstet und unter der Erde vernunftlos zu weilen. Dieser Widerruf sei dir, geliebter Eros, gewidmet und als Schuld bezahlt, der sch�nste und beste nach unserem Verm�gen, und der notgedrungen des Phaidros wegen da und dort, zumal in der Ausdrucksweise, etwas dichterisch abgefa�t wurde. Mir aber f�r das Fr�here Verzeihung, f�r das Jetzige Gunst beweisend, wollest du g�tig und gn�dig die Liebeskunst, die du verliehen, im Zorne weder entziehen noch schw�chen; verleihe mir aber noch viel mehr als jetzt, den Sch�nen wert zu sein! Haben wir aber in der fr�heren Rede etwas dir Mi�liebiges gesagt, Phaidros und ich, so rechne es dem Vater[449] der Rede, dem Lysias zu, la� ihn mit derartigen Reden aufh�ren und lenke ihn, wie sein Bruder Polemarchos sich dahin gelenkt hat, zur Philosophie, damit auch dieser sein Liebhaber hier nicht mehr nach beiden Seiten h�nge, wie jetzt, sondern sein Leben ungeteilt dem Eros und philosophischen Reden widme!
Phaidros: Ich bete mit dir, o Sokrates, da� dieses, wofern es so besser f�r uns w�re, geschehen m�ge! – Deine Rede aber erf�llte mich schon lange mit Bewunderung, wie viel sch�ner sie dir gegen die fr�here geraten ist, so da� ich besorgt bin, ob Lysias mir nicht armselig vorkommen werde, wenn er allen/ falls auch Lust bek�me, dieser durch eine andere die Spitze zu bieten. Denn auch k�rzlich, o Bewundernsw�rdiger, hat von den Staatsm�nnern einer, der eine Schm�hrede gegen ihn hielt, ihm eben dieses zum Vorwurf gemacht und ihn durch die ganze Schm�hrede hindurch einen Redenschreiber genannt. M�glich nun, da� er aus Ehrgeiz sich des Schreibens f�r uns ganz enth�lt!
Sokrates: Einen gar l�cherlichen Glauben, o J�ngling, sprichst du da aus, und du irrst dich gewaltig in deinem Freunde, wenn du ihn f�r einen so Tadel scheuen h�ltst. Vielleicht aber glaubst du auch, da� sein Schm�hredner mit dem, was er sprach, seine wirkliche Meinung ausgesprochen habe?
Phaidros: Wenigstens kam er mir so vor, o Sokrates, und du selbst wei�t ja ebenso gut, da� die ein einflu�reichsten und vornehmsten M�nner in den St�dten sich sch�men. Reden zu schreiben und Schriftwerke von sich zu hinterlassen, aus Furcht vor dem Urteil der Folgezeit, da� man sie Sophisten nennen m�chte.
Sokrates: Ein Glykys Ankon, o Phaidros, wobei du nicht bedenkst, da� das Sprichwort von dem Makros Ankon des Nil seinen Namen hat. Und abgesehen von dem Ankon, bedenkst du nicht, da� gerade diejenigen unter den Staatsm�nnern, die am meisten von sich halten, das Redenschreiben und das Hinterlassen von Schriftwerken vorzugsweise lieben, wie sie ja auch, wenn sie eine Rede schreiben, den Lobern derselben derma�en huldigen, da� sie die, welche sie jedesmal loben, gleich obenan beischreiben.
Phaidros: Wie meinst du dies; Denn ich verstehe nicht.
[450] Sokrates: Du verstehst nicht, da� auf dem Schriftwerk eines Staatsmannes sein Lober im Eingang obenan geschrieben sei?
Phaidros: Wie?
Sokrates: �Es hat gefallen�, sagt er ja doch wohl, �dem Rat, oder dem Volk, oder beiden�, und dann redet, wer den Antrag stellte, n�mlich der Schriftverfasser, der hiermit sich selbst gar vornehm auff�hrt und verherrlicht, nach diesem nun weiter, indem er den Lobern seine Weisheit aufzeigt und manchmal ein recht langes Schriftwerk verfa�t. Oder scheint dir ein solches Werk etwas anderes zu sein als eine schriftlich abgefa�te Rede?
Phaidros: Mir gewi� nicht!
Sokrates: Und nicht wahr, wenn es nun bei demselben bleibt, so tritt der Verfasser frohlockend von der Schaub�hne ab; wenn es aber durchstrichen wird und es also f�r ihn mit dem Redeschreiben und der W�rde des Schriftverfassers nichts ist, so trauern sowohl er als seine Freunde.
Phaidros: Und gar sehr!
Sokrates: Sichtlich dann nicht als solche, die diese Neigung gering achten, sondern wie solche, die voll Bewunderung daf�r sind?
Phaidros: Sehr wohl!
Sokrates: Wie aber? Wenn ein Redner oder ein K�nig, dem die Macht eines Lykurgos oder Solon oder Dareios zu Gebot steht, zugleich der Mann ist, ein unsterblicher Redeschreiber in einem Staat zu werden, – achtet er sich da nicht selbst noch bei Lebzeiten einem Gott gleich, und die nach ihm Kommenden, haben sie nicht dieselbe Meinung von ihm, wenn sie auf seine Schriftwerke schauen?
Phaidros: Gar sehr.
Sokrates: Glaubst du nun, da� von diesen einer, wer er auch und wie abg�nstig er auch immer gegen den Lysias sein mag, ihm gerade das zum Vorwurf mache, da� er Schriftwerke verfasse?
Phaidros: Das ist nicht eben wahrscheinlich nach dem, was du sagst! Denn er w�rde ja, wie es scheint, aus seiner eigenen Leidenschaft einen Gegenstand des Vorwurfs machen.
Sokrates: Dieses also ist einmal jedem klar, da� es an und f�r sich wenigstens keine Schande ist, Reden zu schreiben.
[451] Phaidros: Wie sollte es auch?
Sokrates: Aber jenes, glaube ich, wird immerhin eine Schande sein, nicht sch�n zu sprechen oder auch zu schreiben, sondern sch�ndlich und schlecht?
Phaidros: Offenbar, ja!
Sokrates: Welches ist nun die Art und Weise, sch�n zu schreiben oder nicht? Sollen wir etwa, o Phaidros, den Lysias dar�ber zur Rede stellen, und den einen und anderen, der irgend einmal etwas geschrieben hat oder schreiben wird, sei es nun eine Staats- oder eine Privatschrift, in gebundener Rede als Dichter oder in ungebundener als Prosaiker?
Phaidros: Du fragst, ob wir sollen? Weshalb w�re man denn eigentlich sozusagen auf der Welt, wenn nicht eben gerade f�r die Vergn�gungen dieser Art? Denn sicher nicht f�r jene, bei denen man sich vorher recht abk�mmern mu�, wenn man nicht auf das Vergn�gen verzichten will, was ja so ziemlich bei allen sinnlichen Vergn�gungen der Fall ist; daher sie auch mit Recht sklavische genannt werden.
Sokrates: Mu�e haben wir ja, wie es scheint. Zugleich kommt es mir vor, als ob auch die Zikaden �ber unseren H�uptern bei der dr�ckenden Hitze singend und sich mit einander unterredend herunters�hen. Wenn sie nun auch uns beide wie die meisten anderen sehen w�rden, wie wir, statt uns zu unterreden, uns von ihnen aus geistiger Tr�gheit einschl�fern und einwiegen lassen, so w�rden sie wohl mit Recht lachen, in der Meinung, ein Paar Sklaven sei zu ihnen in die Herberge gekommen, um, wie Schafe an der Quelle, Mittag zu halten und zu schlafen. Wenn sie aber sehen, wie wir uns unterreden und uneingewiegt an ihnen, wie an den Sirenen, vor�berschiffen, dann d�rften sie vielleicht, entz�ckt dar�ber, uns geben, was sie zur Gabe f�r die Menschen von den G�ttern als ein Geschenk erhalten haben.
Phaidros: Was haben sie denn aber f�r eines erhalten? Denn zuf�llig bin ich, wie es scheint, dessen unkundig.
Sokrates: Nicht wohl steht es f�rwahr einem musenfreundlichen Manne an, solcher Dinge unkundig zu sein. Es geht aber die Sage, da� diese da einst Menschen, und zwar von denen gewesen seien, welche lebten, ehe noch die Musen geboren waren. Als aber die Musen geboren wurden und der Gesang[452] zum Vorschein kam, da wurden also etliche von den damals Lebenden dergestalt aufgeregt, da� sie singend Essen und Trinken verga�en und auch das Herannahen des Sterbens nicht inne wurden. Aus diesen entsteht hierauf das Geschlecht der Zikaden, welches von den Musen das als Geschenk empfing, von Geburt an keinerlei Nahrung zu bed�rfen, sondern ohne zu essen und ohne zu trinken sogleich zu singen, bis es stirbt, und hernach zu den Musen kommend ihnen zu melden, wer von denen hienieden jede von ihnen verehre. Der Terpsichore also melden sie die, welche sie mit den Ch�ren verehrt haben und machen sie ihr befreundeter, der Erato die mit den Liebesliedern, und so den �brigen je nach der besonderen Art der Verehrung. Der �ltesten aber, der Kalliope, und der nach ihr kommenden, der Urania, melden sie die, welche ihr Leben mit Philosophie hinbringen und die diesen eignende Musik ehren, wie ja sie unter den Musen vorzugsweise dem Himmel und g�ttlichen sowohl als menschlichen Reden obwaltend die sch�nste Stimme von sich geben. – Aus vielen Gr�nden also mu� man am Mittag ja etwas besprechen und nicht schlafen.
Phaidros: Gesprochen also mu� werden!
Sokrates: Nicht wahr, was wir uns eben vorgesetzt haben, zu untersuchen, wie man es zu halten habe, um eine Rede sch�n sowohl zu sprechen als zu schreiben und wie nicht, das soll untersucht werden?
Phaidros: Offenbar!
Sokrates: Mu� nun nicht f�r Reden, welche gut und sch�n vorgetragen werden wollen, als Bedingung gelten, da� der Geist des Sprechenden das Wahre von dem wisse, wor�ber er sprechen will?
Phaidros: Hiervon habe ich so viel geh�rt, mein lieber Sokrates, da� es f�r den, der ein Redner werden wolle, nicht n�tig sei, das wahrhaft Gerechte zu erkennen, sondern das, was der Menge, die zu richten habe, so erscheinen werde; denn aus diesem, nicht aber aus der Wahrheit, ergebe sich das �berreden.
Sokrates: Nimmer f�rwahr ein verwerfliches Wort soll das sein, o Phaidros, was da weise M�nner sagen; sondern ansehen mu� man es, ob damit nicht wirklich etwas gesagt sei; und auch das jetzt Gesagte darf also ja nicht beiseite gelassen werden!
[453] Phaidros: Richtig gesagt!
Sokrates: Folgenderma�en denn wollen wir es ansehen!
Phaidros: Wie?
Sokrates: Wenn ich dich bereden w�rde, ein Pferd zu erwerben, um gegen Feinde dich zu wehren, wir beide aber kein Pferd kennen w�rden, ich jedoch zuf�llig so viel von dir w��te, da� Phaidros unter den zahmen Tieren dasjenige, welches die l�ngsten Ohren hat, f�r ein Pferd h�lt –
Phaidros: So w�re das, o Sokrates, ja gar l�cherlich!
Sokrates: Noch nicht so gar; aber wenn ich dich nun im Ernst dazu bereden w�rde, indem ich eine Lobrede auf den Esel abfa�te, worin ich ihn Pferd nennen und davon sprechen w�rde, wie dieses Vieh alles wert sei zu Haus und im Feld, zum Herabfechten brauchbar und noch zum Tragen t�chtig f�r das Gep�ck und zu vielem anderen n�tzlich –
Phaidros: So w�re das denn doch schon �ber alle Ma�en l�cherlich!
Sokrates: Ist es nun nicht besser, ein l�cherlicher, als ein arger und feindseliger Freund zu sein?
Phaidros: Sichtbar!
Sokrates: Wenn nun der Redefertige, der Gutes und Schlechtes nicht kennt und eine geradeso beschaffene Gemeinde vor sich hat, diese beredet, nicht so, da� er �ber den Schatten des Esels eine Lobrede h�lt, als w�re es der eines Pferdes, sondern �ber etwas Schlechtes, als w�re es Gutes, – wenn er so die Menge, weil er ihre Ansichten wohl erwogen hat, zu bereden wei�. Schlechtes zu tun statt Gutes: was f�r eine Frucht, glaubst du, werde die Redekunst von der, welche sie da ges�t hat, in der Folge ernten?
Phaidros: Freilich keine gar anst�ndige!
Sokrates: Vielleicht haben wir aber, mein Guter, die Kunst der Reden derber geschm�ht, als sich geb�hrt? Diese m�chte vielleicht sagen: �Was faselt ihr doch da, ihr Wunderlichen? Denn ich n�tige ja niemanden, der das Wahre nicht kennt, sprechen zu lernen; sondern wenn ich etwas mitraten darf, so erwirbt er zuvor jenes, um dann erst mich aufzunehmen. Das aber spreche ich bestimmt aus, da� der, der auch das an und f�r sich Seiende wei�, ohne mich darum noch um nichts mehr imstande sein wird, kunstm��ig zu �berreden.�
[454] Phaidros: Wird sie nun, indem sie dieses sagt, nicht ganz Richtiges behaupten?
Sokrates: Ich bejahe es, wenn die in ihrem Gefolge gehenden Reden Zeugnis geben, da� sie eine Kunst sei! Denn es ist mir, als h�rte ich gewisse Reden herbeikommen und Zeugnis ablegen, da� sie l�ge und keine Kunst sei, sondern ein kunstloser Betrieb. Eine echte Kunst zu sprechen aber, sagt der Lakonier, ohne die Wahrheit ergriffen zu haben, gibt es weder jetzt noch wird es je sp�ter geben.
Phaidros: Diese Reden m�ssen herbei, o Sokrates! Bringe sie nur her und forsche sie aus, was und wie sie reden?
Sokrates: Herbei denn, ihr edeln Tierchen, �berzeuget den Phaidros, den mit den sch�nen Spr��lingen, da�, wenn er nicht t�chtig philosophiere, er auch niemals t�chtig sein werde, �ber irgend etwas zu reden! Der Phaidros also soll antworten!
Phaidros: Fraget nur!
Sokrates: Nun also, sollte nicht die Redekunst im allgemeinen eine gewisse Seelenleitung sein durch Reden, nicht nur bei den Gerichten und was es sonst noch f�r �ffentliche Versammlungen gibt, sondern auch in Privatkreisen, die immer sich gleich bleibt, sowohl wenn es um kleine als wenn es um gro�e Angelegenheiten sich handelt? Und ihre formgerechte �bung, hat sie nicht immer denselben Wert, sie zeige sich an ernsten Gegenst�nden oder an unbedeutenden? Oder wie hast du dieses geh�rt?
Phaidros: Nein, beim Zeus, ganz und gar nicht so! Sondern vorzugsweise wird in Rechtssachen kunstm��ig gesprochen und geschrieben, gesprochen auch in Volksreden; Weiteres aber habe ich nicht geh�rt.
Sokrates: Aber hast du denn nur von den Redekunstlehren des Nestor und Odysseus Kunde erlangt, die sie bei m��iger Weile vor Ilion geschrieben haben, der des Palamedes aber bist du unkundig geblieben?
Phaidros: Ja, beim Zeus, ich f�r meinen Teil auch der des Nestor, wenn du nicht etwa aus einem Gorgias einen Nestor herrichtest oder aus einem Thrasymachos und Theodoros einen Odysseus!
Sokrates: Vielleicht! Doch lassen wir diese! Du aber sage: Was tun denn bei den Gerichten die gegnerischen Parteien?[455] Nicht wahr, sie sprechen gegen einander? Oder was wollen wir sagen?
Phaidros: Eben das!
Sokrates: Und zwar vom Recht sowohl als vom Unrecht?
Phaidros: Ja!
Sokrates: Wird nun nicht der, der dies kunstm��ig tut, bewirken, da� dieselbe Sache denselben Leuten bald als Recht, wenn er aber will, als Unrecht erscheint?
Phaidros: Wie anders?
Sokrates: Und bei einer Volksrede, da� der Volksgemeinde dasselbe bald gut, bald wieder das Gegenteil zu sein d�nkt?
Phaidros: So ist's!
Sokrates: Wissen wir nun nicht vom Eleatischen Palamedes, da� er kunstm��ig spricht, so da� den H�renden dasselbe als gleich und ungleich, als eins und vieles, als bleibend ferner und als bewegt erscheint?
Phaidros: Gar wohl!
Sokrates: Nicht also nur f�r die Gerichte und f�r die Volksrede ist die Kunst des Gegeneinandersprechens, sondern, wie es scheint, f�r alles, was gesprochen wird, d�rfte die eine und dieselbe Kunst, wenn sie �berhaupt eine ist, die sein, durch welche einer in den Stand gesetzt wird, alles m�gliche allem m�glichen zu ver�hnlichen und, wenn ein anderer es ver�hnlicht und versteckt, es ans Licht zu ziehen.
Phaidros: Wie meinst du doch dieses?
Sokrates: Klar wird's also den Suchenden, d�nkt mich. – Entsteht T�uschung eher bei dem, was viel, oder bei dem, was wenig verschieden ist?
Phaidros: Bei dem, was wenig verschieden ist!
Sokrates: Nun aber wirst du, wenn du kleine �berg�nge machst, wohl eher unvermerkt zum Gegenteil kommen, als wenn du gro�e �berg�nge machst?
Phaidros: Wie sollte ich nicht?
Sokrates: Wer also einen anderen t�uschen, selbst aber nicht get�uscht werden will, der mu� die �hnlichkeit und Un�hnlichkeit der Gegenst�nde nach ihrer wirklichen Beschaffenheit gr�ndlich zu beurteilen wissen.
Phaidros: Notwendig wohl!
Sokrates: Und nun, wird er wohl imstande sein, wenn er[456] nicht jedesmal die wahre Beschaffenheit des Gegenstandes kennt, an den andern Gegenst�nden zu unterscheiden, wo sie mit dem Nichtgekannten eine kleine, wo eine gro�e �hnlichkeit haben?
Phaidros: Unm�glich!
Sokrates: Ist es also nicht klar, da� diejenigen, welche Meinungen hegen, die den Gegenst�nden nach ihrer wirklichen Beschaffenheit zuwider laufen, und sich t�uschen lassen, in diesen Zustand durch gewisse �hnlichkeiten hineingeraten sind?
Phaidros: Freilich wohl geht es so!
Sokrates: Ist es nun denkbar, da� einer die Kunstfertigkeit besitze, durch kleine �berg�nge, die er macht, an den �hnlichkeiten hin von dem Gegenstand nach seiner wirklichen Beschaffenheit jedesmal zum Gegenteil fortzuleiten oder aber selbst gegen dieses Verfahren sich zu sichern, wenn er nicht erkannt hat, was jedesmal der Gegenstand nach seiner wirklichen Beschaffenheit ist?
Phaidros: Mitnichten!
Sokrates: Wer also, mein Freund, die Wahrheit nicht wei�, sondern nur Meinungen nachjagt, der wird, wie mir d�nkt, eine gar l�cherliche und kunstlose Redekunstlehre zustande bringen.
Phaidros: Fast scheint es so!
Sokrates: Willst du nun an der Rede des Lysias, die du bei dir tr�gst, und an denen, die wir gehalten haben, etwas sehen von dem, was wir teils als kunstlos, teils als kunstm��ig bezeichnen?
Phaidros: Nichts lieber als das; denn wir reden jetzt nur eben ins Blaue hinein, wenn wir keine passenden Belege haben.
Sokrates: Und da ist es ja nun ein rechtes Gl�ck, wie es scheint, da� da jene zwei Reden gehalten worden sind, die in gewisser Art einen Beleg davon enthalten, wie einer, der die Wahrheit wei�, mit seinen Reden die H�renden spielend irre leiten k�nne. Und ich wenigstens, o Phaidros, schreibe hiervon die Ursache den hier zu Ort heimischen G�ttern zu; vielleicht aber auch, da� die Propheten der Musen, die S�nger �ber unseren H�uptern, es sind, durch deren Hauch uns dieses Geschenk zukam. Denn ich wenigstens bin der Kunst des Redens in keinerlei Weise teilhaftig.
[457] Phaidros: Es mag sein, wie du sprichst! Nur mach' es deutlich, was du sagen willst!
Sokrates: Wohlan denn, so lies mir den Anfang der Rede des Lysias!
Phaidros: �Meine Verh�ltnisse zwar kennst du nun, und wie ich glaube, da� es uns vorteilhaft sei, wenn dieses geschieht, hast du geh�rt. Indessen sollte ich, wie ich billig erachte, mit dem, was ich bitte, darum noch nicht ungl�cklich sein, weil ich zuf�llig nicht dein Liebhaber bin. Diese n�mlich reut alsbald –�
Sokrates: Es ist genug! Worin es also nun dieser verfehle und es kunstlos mache, das soll besprochen werden? Nicht wahr?
Phaidros: Ja.
Sokrates: Ist nun nicht jedermann so viel wenigstens klar, da� wir �ber etliches dieser Art einig sind, �ber etliches aber zwiesp�ltig?
Phaidros: Wie mir d�nkt, verstehe ich zwar, was du sprichst; allein sage es noch deutlicher!
Sokrates: Wenn jemand das Wort �Eisen� oder �Silber� sagt, denken wir uns dabei nicht alle dasselbe?
Phaidros: Jawohl.
Sokrates: Wie aber, wenn er sagt �gerecht� oder �gut�? Wird da nicht der eine dahin, der andere dorthin geraten? Und sind wir da nicht im Widerstreit sowohl unter einander, als auch mit uns selbst?
Phaidros: Gar sehr!
Sokrates: In einigem also stimmen wir zusammen, in anderem nicht. Phaidros: So ist's!
Sokrates: Nach welcher von beiden Seiten hin sind wir nun leichter zu t�uschen, und in welchem von beiden Gebieten vermag die Redekunst mehr?
Phaidros: Offenbar in dem, worin wir auseinandergehen!
Sokrates: Mu� nun nicht der, der mit Redekunst sich befassen will, vorerst dieses ordnungsm��ig trennen und ein gewisses Merkmal f�r jede der beiden Begriffsformen zu gewinnen suchen, sowohl f�r diejenige, worin die Menge notwendig auseinandergeht, als f�r diejenige, worin sie nicht auseinandergeht?
[458] Phaidros: Eine sch�ne Begriffsform, f�rwahr, o Sokrates, d�rfte derjenige erdacht haben, der dieses gew�nne!
Sokrates: Sodann darf er, glaube ich, in jedem einzelnen Fall nicht unbeachtet lassen, sondern mu� er scharf ins Auge fassen, welcher der beiden Arten nun gerade das, wor�ber er reden wolle, zugeh�re?
Phaidros: Wie anders?
Sokrates: Wie nun der Liebesgott? Wollen wir sagen, er geh�re zu den strittigen Gegenst�nden oder zu den anderen?
Phaidros: Sicherlich zu den strittigen! Oder glaubst du, er h�tte dir sonst zu sagen erlaubt, was du da eben �ber ihn sagtest, einmal, da� er ein Verderben sei sowohl f�r den Geliebten als f�r den Verliebten, und dann wieder, da� er gerade eines der gr��ten unter den G�tern sei?
Sokrates: Sehr gut gesprochen! Aber sage auch das, – denn wegen des begeisterten Zustandes, in dem ich war, kann ich mich nicht genau erinnern, – ob ich beim Beginn der Rede die Liebe begrifflich bestimmt habe?
Phaidros: Ja, beim Zeus, und unbeschreiblich genau!
Sokrates: Ha! Wieviel bessere K�nstlerinnen m�ssen nach dem, was du sagst, die Nymphen, die T�chter des Acheloos, und Pan, der Sohn des Hermes, in Reden sein als Lysias, der Sohn des Kephalos! Oder ist es nichts, was ich sage, sondern hat auch Lysias beim Beginn seiner erotischen Rede uns gen�tigt, den Eros als ein bestimmtes Wesen, als das, das er selbst wollte, aufzufassen, um dann diesem gem�� die ganze folgende Rede abzufassen und durchzuf�hren? Willst du, da� wir ihren Anfang noch einmal lesen?
Phaidros: Wenn es dir beliebt; indessen, was du suchst, steht nicht darin!
Sokrates: So lies, damit ich ihn selbst h�re!
Phaidros: �Meine Verh�ltnisse zwar kennst du nun, und wie ich glaube, da� es uns vorteilhaft sei, wenn dieses geschieht, hast du geh�rt. Indessen sollte ich, wie ich billig erachte, mit dem, was ich bitte, darum noch nicht ungl�cklich sein, weil ich zuf�llig nicht dein Liebhaber bin. Diese n�mlich reut alsbald, was sie Gutes erzeigt haben, sobald sie ihre Begierde befriedigt haben.�
Sokrates: Freilich, wie es scheint, fehlt viel dazu, da� er das[459] wirklich leiste, was wir suchen, er, der nicht einmal vom Anfang, sondern vorn Ende aus, r�cklings schwimmend, seine Rede von hinten herein durchzuf�hren versucht und mit dem anf�ngt, was der Liebhaber sonst, erst am Schlu� angekommen, zu dem Liebling zu sagen pflegt. Oder ist nichts an dem, was ich sage, Phaidros, geliebtes Haupt?
Phaidros: Es ist freilich, o Sokrates, wohl eigentlich das Ende, wor�ber er seine Rede h�lt!
Sokrates: Und dann wie? Die �brigen St�cke der Redescheinen sie nicht sto�weise hingeworfen zu sein? Oder ist irgend ein zwingender Grund ersichtlich, warum das als Zweites Vorgetragene gerade als Zweites gesetzt werden mu�te, und so auch das �brige des Vertrags? Denn mir, der freilich nichts davon versteht, kam es vor, als ob von dem Schreiber, in etwas vornehmer Weise eben, was ihm gerade in den Mund kam, vorgetragen worden sei. Du aber hast wohl einen solchen zwingenden, aus der Redeschreibekunst genommenen Grund, warum jener dieses so in der Reihe nach einander gesetzt hat?
Phaidros: Es ist gar gutherzig von dir zu glauben, ich sei der Mann, die Erzeugnisse von jenem so gr�ndlich zu durchschauen!
Sokrates: Aber das wirst du, glaube ich, doch wohl zugeben, da� jede Rede wie ein lebendes Wesen organisch zusammengef�gt sein, und da� sie gewisserma�en ihren Leib haben m�sse, so da� sie weder kopflos ist noch ohne F��e, sondern Mitten und Enden hat, so verfa�t, da� die Teile unter sich und mit dem Ganzen in rechtem Verh�ltnis stehen?
Phaidros: Wie sollte ich nicht?
Sokrates: So untersuche nun die Rede deines Freundes, ob es sich mit ihr so oder anders verhalte, und du wirst finden, da� sie in nichts sich unterscheidet von jener Inschrift, die, wie einige sagen, auf den Phryger Midas geschrieben worden ist.
Phaidros: Was f�r eine ist das, und was hat es mit ihr f�r eine Bewandtnis?
Sokrates: Es ist diese:
Jungfrau bin ich von Erz und lieg' auf dem Grabe des Midas,
Ob abflie�et das Wasser und gr�nt hochst�mmiger Baumwuchs,
Immer bleibend allhier auf vielbetr�netem H�gel,
Wanderern tue ich kund, da� hier liegt Midas begraben![460]
Da� es nun hier ganz einerlei ist, ob man etwas zuerst oder zuletzt liest, siehst du, denke ich, doch wohl ein?
Phaidros: Du treibst deinen Spott mit unserer Rede, o Sokrates!
Sokrates: So wollen wir sie, damit du nicht unwillig wirst, beiseite lassen, – obgleich sie mir recht viele Belege zu enthalten scheint, deren Betrachtung einem ersprie�lich sein k�nnte, nur da� er ja nicht versuchen darf, sie nachzuahmen, – und wir wollen nun an die anderen Reden gehen! Denn es war, wie mir vorkommt, etwas in diesen, das zu beachten denen wohl ansteht, die �ber Reden eine Untersuchung anstellen wollen!
Phaidros: Was meinst du da wohl?
Sokrates: Beide waren sich doch wohl entgegengesetzt; denn sie sprachen, die eine davon, da� man dem Verliebten, die andere davon, da� man dem, der es nicht ist, sich gef�llig zeigen m�sse?
Phaidros: Ja, und auf gar mannhafte Weise!
Sokrates: Ich glaubte, du w�rdest der Wahrheit gem�� sagen, auf gar wahnsinnige Weise! Wenigstens das, was ich suche, ist eben dieses! Denn wir behaupteten, da� die Liebe eine Art von Wahnsinn sei! Nicht wahr?
Phaidros: Ja!
Sokrates: Es gibt aber zwei Arten von Wahnsinn: den einen infolge von menschlichen Krankheiten, den anderen infolge einer g�ttlich bewirkten Ver�nderung der gew�hnlichen regelm��igen Zust�nde.
Phaidros: Sehr wohl!
Sokrates: Den g�ttlich bewirkten Wahnsinn aber haben wir dann nach vier G�ttern in vier Teile geteilt, indem wir die wahrsagerische Eingebung dem Apollon zueigneten, dem Dionysos aber die die Weihen betreffende, ferner den Musen die dichterische, die vierte aber der Aphrodite und dem Eros; sodann haben wir gesagt, der erotische Wahnsinn sei der beste, und, den erotischen Zustand ich wei� nicht womit vergleichend, vielleicht dabei etwas Wahres ber�hrend, m�glicherweise aber auch nach anderer Richtung hin falsch gef�hrt, haben wir eine ganz und gar nicht �berzeugungsunkr�ftige Rede zubereitet und einen mythischen Hymnos mit Anstand und in frommer[461] Weise spielend angestimmt deinem und meinem Gebieter, dem Eros, o Phaidros, dem Aufseher sch�ner Knaben!
Phaidros: Und mir wenigstens gar nicht unangenehm zu h�ren!
Sokrates: Das nun wollen wir daraus entnehmen, wie die Rede den �bergang fand vom Tadeln zum Loben.
Phaidros: Wie zeigst du also dieses?
Sokrates: Das �brige zwar scheint mir in der Tat nur zu freundlichem Spiele vorgebracht zu sein; was aber die folgenden zwei, den gehaltenen Vortr�gen gl�cklicherweise eigenen Redeformen betrifft, so w�re es nichts Undankbares, wenn jemand ihre Bedeutung kunstm��ig aufzufassen verm�chte.
Phaidros: Was f�r Formen denn?
Sokrates: Einmal indem er das vielseitig Zerstreute in der Anschauung zusammennehmend auf eine Idee zur�ckf�hrt, um, jedes begriffsm��ig bestimmend, klarzumachen, wor�ber er jedesmal belehren wolle, so wie ja eben von der Liebe, nachdem zuvor ihr Wesen begriffsm��ig bestimmt war, gesprochen worden ist, gleichviel ob gut oder schlecht, – sicherlich hat wenigstens die Rede daher den Ausdruck der Deutlichkeit und der �bereinstimmung mit sich selbst.
Phaidros: Was aber verstehst du unter der zweiten Redeform, o Sokrates?
Sokrates: Wenn man umgekehrt den Gegenstand formgerecht zerlegen kann, d.h. nach Gliedern, wie er naturgem�� sich bestimmt, ohne da� man versucht, nach der Art eines schlechten Kochs verfahrend, irgend ein St�ck zu zerbrechen, sondern so verf�hrt, wie vorhin die zwei Reden, indem sie zun�chst den nichtbesonnenen Zustand des Geisteslebens ungeschieden als eine Form auffa�ten. Dann aber, wie an dem einen K�rper ein gleichnamiges Doppeltes sich naturgem�� bestimmt, n�mlich eine sogenannte linke und rechte Seite, ebenso von der Betrachtung des Zustandes der Verr�ckung als einer in uns naturgem�� bestimmten einheitlichen Form ausgehend, haben die zwei Reden, die eine das Linke f�r sich ausscheidend, diese Seite selbst wieder zerlegt und nicht geruht, bis sie darin eine Liebe auffand, die sie die linke nannte und mit Recht sehr schm�hte, w�hrend die andere uns auf die rechte Seite des Wahnsinns f�hrte und eine zwar jener gleichnamige,[462] dagegen aber g�ttliche Liebe auffand und vor Augen stellte, die sie als die Quelle der gr��ten G�ter f�r uns r�hmte.
Phaidros: Sehr wahr gesprochen!
Sokrates: Hiervon nun bin ich selbst meinesteils ein Liebhaber, o Phaidros, von diesen Teilungen und Zusammenfassungen n�mlich, um sowohl reden als auch denken zu k�nnen: und wenn ich von irgend einem anderen der Ansieht bin, da� er das zur Einheit und zur Vielheit sich Bestimmende einzusehen verm�ge, dem gehe ich nach,
Auf dem Fu� ihm folgend als einem der G�tter.
Ob ich jedoch diejenigen, die es zu leisten verm�gen, richtig bezeichne oder nicht, das wei� ein Gott: ich nenne sie aber bis jetzt Dialektiker. Aber nun sage auch, wie man diejenigen, die bei dir und Lysias gelernt haben, nennen soll? Oder ist das eben die Redekunst, durch deren Anwendung Thra symachos und die anderen teils selbst Weise im Reden geworden sind, teils andere dazu machen, welche Lust haben, ihnen, K�nigen gleich, Geschenke zu bringen?
Phaidros: K�nigliche M�nner zwar, doch freilich verstehen sie das nicht, wonach du fragst! Indessen scheinst du wenigstens mir diese Art richtig zu benennen, wenn du sie die dialektische nennst; aber die rhetorische, scheint mir, ist uns bis jetzt entgangen.
Sokrates: Wie sagst du? Etwas Sch�nes mag das wohl sein, was nach Abzug von jenem doch noch kunstm��ig aufgefa�t werden will? Indessen mu� man es nicht ganz entwerten, weder du noch ich, sondern besprechen, was doch auch noch an diesem �berbleibsel der Rhetorik ist!
Phaidros: Gewi� noch gar mancherlei, o Sokrates, das ja in den �ber die Redekunst geschriebenen B�chern steht!
Sokrates: Und recht sch�n von dir, da� du mich daran erinnerst! Da� man, glaube ich, beim Beginn einer Rede als Erstes den Eingang sprechen m�sse, – dies meinst du, nicht wahr? Die Feinheiten der Kunst?
Phaidros: Ja!
Sokrates: Als Zweites die Darstellung des Falls, und in derselben die Zeugnisse, als Drittes die Beweise, als Viertes die Wahrscheinlichkeiten; auch von der Beglaubigung, meine ich,[463] und der Nachbeglaubigung spricht der trefflichste Redendaidalos, der Mann aus Byzanz?
Phaidros: Du meinst den biederen Theodoros?
Sokrates: Wen anders? Freilich auch die Widerlegung und die Nachwiderlegung m�sse man anbringen sowohl bei der Anklage als bei der Verteidigung! Den sch�nsten Parier aber, Buenos, sollten wir nicht auff�hren, der die Unteranzeige sowohl als das mehrf�ltige Nebenlob zuerst erfunden hat? Einige sagen, er habe auch den mehrf�ltigen Nebentadel in Verse gebracht, dem Ged�chtnis zuliebe; denn ein weiser Mann ist er! Den Teisias aber und den Gorgias sollten wir schlafen lassen? Welche ersahen, da� man das Wahrscheinliche h�her anschlagen m�sse als das Wahre, und welche das Kleine gro� und das Gro�e klein erscheinen lassen durch die St�rke der Rede, und das Neue alt, und das Gegenteil neu, und die sowohl die Gedr�ngtheit der Reden als die unbegrenzte L�nge f�r alle Gegenst�nde erfanden? Als aber dieses Prodikos von mir h�rte, lachte er und sagte, er allein habe gefunden, was f�r Reden man kunstm��ig brauche: man brauche n�mlich weder lange noch kurze, sondern mittelm��ige.
Phaidros: Freilich sehr weise, o Prodikos!
Sokrates: Von Hippias aber sprechen wir nicht? – Denn ich glaube, auch dieser Gast aus Elis stimmte mit jenem �berein.
Phaidros: Warum nicht?
Sokrates: Wie aber wollen wir ferner des Polos Redemuseen bezeichnen, als die Doppelsprache, und die Denkspruchsprache, und die Bildersprache, sowie des Likymnios W�rtersammlungen, womit dieser jenen beschenkte zu Bewirkung des Sch�nredens?
Phaidros: Die Leistungen des Protagoras aber, o Sokrates, waren sie nicht ebenfalls etwas der Art?
Sokrates: Ja, ein gewisses Richtigreden, o Knabe, und anderes Viele und Sch�ne! Dagegen in der Kunst kl�glich seufzender, auf Alter und Armut bez�glicher Reden scheint mir des Chalkedoniers Kraft das �bergewicht behauptet zu haben. Und ferner im Erbittern vieler zugleich war der Mann gewaltig, und wiederum im Besprechen und Einwiegen der Erbitterten, wie er sagte; sowie im Verleumden und Entkr�ften von Verleumdungen, woher immer kommend, war er �berwiegend stark.[464] �ber den Schlu� der Reden aber, scheint es, haben alle zusammen einerlei Meinung, wobei die einen den Namen Wiederholung brauchen, andere einen anderen.
Phaidros: Du meinst das Erinnern der Zuh�rer an alles einzelne Gesagte am Ende durch einen zusammenfassenden �berblick?
Sokrates: Dieses meine ich, und was du sonst noch etwa �ber die Redekunst zu sagen hast!
Phaidros: Nur Geringf�giges und nicht der Rede wert!
Sokrates: So lassen wir denn das Geringf�gige! Das aber wollen wir noch n�her beim Lichte besehen: welche Bedeutung f�r die Kunst dieses alles habe, und in welchem Fall?
Phaidros: Ja, eine gar m�chtige, o Sokrates, gewi� wenigstens in Versammlungen der Menge!
Sokrates: Da freilich! Aber nun, du D�monischer, siehe zu, ob wohl auch dir ihr Gewebe als ein eben so lockeres erscheint wie mir?
Phaidros: Zeige es nur!
Sokrates: So sage mir einmal: Wenn jemand zu deinem Freund Eryximachos k�me oder zu dessen Vater Akumenos und sagte: �Ich wei� dieses und jenes Mittel f�r den K�rper zu verordnen, so da� ich ihm Hitze, wenn es mir beliebt, und Abk�hlung, oder wenn es mir so gut d�nkt, Erbrechen, wenn anders. Abf�hren verursache, und gar manches andere der Art; und weil ich dieses wei�, behaupte ich, ein Arzt zu sein und jeden andern dazu zu machen, dem ich etwa die Wissenschaft davon mitteile�; – was, glaubst du, werden jene sagen, wenn sie dies h�ren?
Phaidros: Was anders denn, als da� sie ihn fragten, ob er auch das noch dazu wisse, bei wem und wann man jedes dieser Mittel anwenden m�sse, und bis zu welchem Grade?
Sokrates: Wenn er nun sagen w�rde: �Das keineswegs; aber ich behaupte, da� derjenige, der jenes bei mir gelernt hat, auch von sich selbst imstande sein wird, das, wonach du fragst, zu leisten?�
Phaidros: So w�rde er, glaube ich, sagen: �Der Mensch ist wahnsinnig: weil er irgendwoher aus einem Buch es erfahren oder einige Mittelchen �berkommen hat, glaubt er, ein Arzt zu sein, ohne doch etwas von der Kunst zu verstehen!�
[465] Sokrates: Ferner wie, wenn jemand zu Sophokles und Euripides k�me und spr�che, er wisse �ber eine kleine Sache sehr lange Vortr�ge zu halten und �ber eine gro�e sehr kleine, und wenn es ihm beliebe, kl�gliche und im Gegenteil wieder furchtbare und drohende und was sonst derart ist, und indem er hierin Unterricht erteile, glaube er die Abfassung der Trag�die zu lehren?
Phaidros: Auch diese, o Sokrates, glaube ich, w�rden eben lachen, wenn jemand glaubte, die Trag�die sei etwas anderes als eine organische Zusammenf�gung jener St�cke, welche sowohl den Teilen unter sich das rechte Verh�ltnis, als dem Ganzen den Charakter organischer Zusammenf�gung verleihe.
Sokrates: Aber nicht auf derbe Weise, glaube ich, w�rden sie ihn schm�hen, sondern wie ein Musiker, wenn er einem Manne begegnete, der glaubte, ein Harmoniek�nstler zu sein, weil er etwa eine Saite m�glichst hoch und m�glichst tief zu stimmen wei�, gewi� nicht auf herbe Weise sagen w�rde: �Du �rmlicher Mensch, du bist verr�ckt�, sondern, da er ja ein Musiker ist, in sanfterem Tone: �Mein Bester, zwar mu� der, welcher ein Harmoniek�nstler werden will, notwendig auch dieses wissen; dies hindert aber nicht, da� der, welcher deine Fertigkeit besitzt, darum noch nicht das mindeste von der Harmonie versteht; denn nur die notwendigen Vorkenntnisse der Harmonie wei�t du, aber nicht die harmonische Kunst.�
Phaidros: Gewi� sehr richtig!
Sokrates: Und w�rde nicht auch Sophokles von dem, der sich ihnen so zeigen wollte, sagen, er wisse die Vorkenntnisse der Trag�die, aber nicht die tragische Kunst, und Akumenos, er wisse die Vorkenntnisse der Heilkunde, aber nicht die Heilkunst?
Phaidros: Allerdings freilich!
Sokrates: Was aber, glauben wir, w�rde der honigstimmige Adrastos oder auch Perikles, wenn sie von den wundersch�nen Kunstst�cken h�rten, die wir jetzt eben durchgingen, von den verschiedenen Arten des Kurzsprechens und der Bildersprache, und was wir sonst durchmusterten und, wie wir sagten, n�her beim Lichte betrachten mu�ten, – w�rden sie wohl ungehalten wie ich und du mit Derbheit eine so unartige Rede sagen gegen die, welche diese Dinge geschrieben haben und als rhetorische[466] Kunst lehren, und nicht vielmehr, da sie ja weiser als wir sind, uns beide daf�r strafen und sagen: �O Phaidros und Sokrates, man mu� nicht ungehalten sein, sondern nachsichtig, wenn Leute, die dialektisch nicht gebildet, nicht imstande sind, begriffsm��ig zu bestimmen, was die Rhetorik eigentlich ist, bei diesem Bildungsstand aber, weil sie die notwendigen Vorkenntnisse der Kunst besitzen, glauben, sie haben die Rhetorik gefunden, und indem sie andere in jenen unterrichten, der Meinung sind, es sei von ihnen in der Rhetorik ein vollst�ndiger Unterricht gegeben worden: – jede einzelne dieser Kenntnisse aber �berzeugungskr�ftig in einer Rede anzuwenden und ein Ganzes organisch zusammenzuf�gen, das m�ssen die Sch�ler als etwas ohne Belang sich von sich selbst bei ihren Reden verschaffen.�
Phaidros: Allerdings, o Sokrates, droht es mit der Angelegenheit der Kunst, die diese M�nner als Rhetorik lehren und schriftlich darstellen, so beschaffen zu sein, und mir wenigstens scheinst du wahr geredet zu haben. Aber wie und woher nun wird sich jemand die Kunst des wirklichen und �berredungskr�ftigen Redners verschaffen k�nnen?
Sokrates: Was das K�nnen betrifft, o Phaidros, n�mlich da� er ein vollkommener Streitmann werde, so hat es damit wahrscheinlich, vielleicht aber auch notwendig dieselbe Bewandtnis wie mit anderem: Wenn du nat�rliche Anlage zum Redner hast, so wirst du, wenn du noch teils Wissenschaft, teils �bung admit verbindest, ein namhafter Redner sein; in dem Ma�e aber, in dem es dir an einem von diesen beiden fehlt, wirst du ein unvollkommener sein. Soweit aber Kunst dabei ins Spiel kommt, scheint mir der Weg, den Lysias und Thrasymachos einschlagen, nicht der rechte zu sein.
Phaidros: Aber welcher denn?
Sokrates: Perikles, mein Bester, ist doch, wie es fast scheint, wohl sicher unter allen in der Redekunst der Vollkommenste gewesen?
Phaidros: Wieso?
Sokrates: Alles, was irgend von K�nsten bedeutend ist. bedarf unter anderem �jenes m��igen und �berschw�nglichen Geredes �ber die Natur�. Denn eben daher scheint sich ihnen das Hochsinnige und allseitig Tatkr�ftige mitzuteilen, was[467] auch Perikles neben seiner guten Naturanlage sich angeeignet hatte. Indem er n�mlich, glaube ich, mit einem Manne dieser Art, dem Anaxagoras, in Ber�hrung kam und, dadurch �von jenen �berschwenglichen Reden� erf�llt, auf das Wesen sowohl der Vernunft als der Unvernunft geleitet wurde, �ber welche Gegenst�nde ja Anaxagoras so viele Worte machte, so zog er von daher in die Redekunst her�ber, was f�r diese ersprie�lich war.
Phaidros: Wie meinst du dies?
Sokrates: Es ist sicher mit der Redekunst dasselbe Verh�ltnis wie mit der Heilkunst?
Phaidros: Wieso?
Sokrates: In beiden mu�t du die Natur und zwar die des K�rpers in der einen, die der Seele in der anderen unterscheiden, wenn du nicht blo� nach Art der gemeinen �bung und gemeiner Erfahrung, sondern nach den Regeln der Kunst jenem mittelst Arzneien und Nahrungsmitteln Gesundheit und St�rke verschaffen, dieser aber mittelst gesetzm��iger Reden und Anweisungen jedwede beliebige �berzeugung und Tugend mitteilen willst.
Phaidros: Aller Wahrscheinlichkeit nach, o Sokrates, ist es so.
Sokrates: Glaubst du nun, da� es m�glich sei, die Natur der Seele vernunftgem�� zu begreifen ohne die Natur des Ganzen?
Phaidros: Nicht einmal den K�rper, ohne diesen Weg einzuschlagen, wenigstens wenn man dem Hippokrates, dem Abk�mmling der Asklepiaden, einigen Glauben schenken mu�!
Sokrates: Und mit Recht, o Freund, sagt er dies. Doch mu� man neben dem Hippokrates auch die Vernunft ausforschen und sehen, ob sie damit �bereinstimme.
Phaidros: Ich gebe es zu.
Sokrates: So sieh nun zu, was denn Hippokrates und die wahre Vernunft von der Natur sagt! Mu� man nicht die Natur eines jeden Dinges folgenderma�en zu begreifen suchen? Erstens, ob das, worin wir selbst K�nstler sein und f�hig sein wollen, einen anderen dazu zu bilden, einfach oder vielartig sei? Sodann, wenn es einfach ist, mu� man sehen, welche Kraft ihm naturgem�� zukomme, um auf was t�tig zu wirken, oder welche, um von was Einwirkungen zu erleiden? Wenn[468] es aber mehrere Arten hat, mu� man diese aufz�hlen und wie dort bei dem einen, so nun bei jeder einzelnen Art betrachten, was jeder auszurichten, und was jeder und von welcher Seite her zu leiden naturgem�� zukomme?
Phaidros: Fast scheint es so, o Sokrates.
Sokrates: Ohne dieses w�rde wenigstens der Gang der Untersuchung aussehen wie der Wandel eines Blinden. Gewi� aber darf der, der einen Gegenstand kunstm��ig zu behandeln wei�, weder mit einem Blinden noch mit einem Tauben verglichen werden: sondern offenbar mu� der, welcher einem andern auf kunstm��igem Wege Reden an die Hand geben will, ihm das Wesen der Natur desjenigen gr�ndlich zeigen, f�r das er seine Reden berechnen wird. Dieses aber ist gewi� die Seele.
Phaidros: Was anders?
Sokrates: Mu� nun nicht sein ganzer Eifer auf dieses von ihm gespannt sein? Denn in diesem sucht er �berzeugung zu bewirken. Nicht wahr?
Phaidros: Ja!
Sokrates: Offenbar ist also, da� Thrasymachos sowohl als wer sonst etwa im Ernst eine Redekunstlehre herausgeben will, zuerst mit aller Gr�ndlichkeit die Seele beschreiben und anschaulich machen mu�, ob sie ihrer Natur gem�� eins und dasselbe sei, oder ob sie nach der Gestalt des K�rpers vielartig sei? Denn dieses hei�t, sagen wir, ihre Natur zeigen.
Phaidros: Allerdings freilich!
Sokrates: Zweitens aber dann, was ihr naturgem�� zukomme, an welchem Gegenstand auszurichten, oder von welchem zu erleiden?
Phaidros: Was anders?
Sokrates: Drittens aber, wenn er die Gattungen der Reden und der Seele und ihre Bestimmtheiten er�rtert hat, wird er auch s�mtliche Ursachen durchgehen, jedes jedem anpassend, und lehrend, aus welcher Ursache was f�r eine Seele von welcherlei Reden entweder �berzeugt wird oder nicht �berzeugt wird.
Phaidros: Freilich w�rde es sich, wie es scheint, so am sch�nsten machen.
Sokrates: Mitnichten also, mein Lieber, wird das, was auf andere Weise gelehrt oder vorgetragen wird, jemals kunstm��ig[469] vorgetragen oder geschrieben sein, sei es �ber diesen oder einen anderen Gegenstand. Aber die jetzigen Schreiber von Redekunstlehren, die du geh�rst hast, sind Schlauk�pfe und verheimlichen es, da� sie �ber die Seele gar h�bsch unterrichtet sind. Bevor sie nun auf diese Art sowohl sprechen als schreiben, wollen wir uns ja nicht einreden, da� sie kunstm��ig schreiben.
Phaidros: Auf welche Art denn?
Sokrates: Es f�llt nicht so leicht, dies selbst in Worten auszudr�cken; indessen will ich davon sprechen, wie man schreiben m�sse, wenn es kunstm��ig geschehen soll, soweit es zul�ssig ist.
Phaidros: So sprich denn!
Sokrates: Da die Kraft der Rede eine Seelenleitung ist, so mu� derjenige, der ein Redner werden will, notwendig wissen, wie viele Arten die Seele hat. Deren gibt es also so und so viele und so und so beschaffene, daher auch die Menschen einige so, andere so beschaffen sind. Nachdem aber nun dieses eingeteilt worden ist, gibt es andererseits auch so und so viele Arten von Reden, und jede so oder so beschaffen. Die so beschaffenen Menschen sind nun durch die so beschaffenen Reden aus der so beschaffenen Ursache zu den so beschaffenen Zwecken leicht zu bereden, – die so beschaffenen aber sind aus diesen Gr�nden schwer zu bereden. Hat er nun dies geh�rig begriffen, so mu� er, wenn ihm in der Folge zur Anschauung kommt, wie eben dasselbe im wirklichen Leben ist und in Wirkung gesetzt wird, es mit scharfer Beobachtung verfolgen k�nnen; wo nicht, so wird er auch noch nicht mehr davon wissen als die Reden, die er einst als Sch�ler geh�rt hat. Wenn er aber geh�rig zu sagen wei�, was f�r ein Mensch durch was f�r Reden �berzeugt wird, auch imstande ist, sooft ihm ein solcher vorkommt, ihn genau zu erkennen und sich selbst deutlich zu machen, da� er dieser sei und da� dieselbe Natur, von welcher damals die Reden handelten, in der Tat ihm nun gegenw�rtig sei, jene n�mlich, bei welcher gerade diese Reden auf diese Art zur �berzeugung �ber diese Gegenst�nde angewendet werden m�ssen, – wenn er also dieses alles schon inne hat und damit nun noch die Erkenntnis der Zeit, wann geredet und wann inne gehalten werden m�sse, verbindet,[470] wenn er ferner f�r das Kurzreden und die Sprache des Mitleids und der Steigerung, �berhaupt f�r alle Redearten, die er etwa gelernt hat, die rechte Zeit und die Unzeit zu unterscheiden wei�, dann erst ist seine Kunst in sch�nem und vollkommenem Ma�e ausgebildet, eher aber nicht; sondern l��t er es in einem dieser St�cke beim Sprechen oder Lehren oder Schreiben an sich fehlen, behauptet aber doch, kunstm��ig zu sprechen, so hat der recht, der ihm keinen Glauben schenkt. �Und wie nun�, wird vielleicht der Schriftsteller sagen, �o Phaidros und Sokrates, – d�nkt euch die sogenannte Redekunstlehre so oder anders annehmbar zu sein?�
Phaidros: Unm�glich anders, o Sokrates, obgleich sie freilich als eine nicht geringe Arbeit erscheint!
Sokrates: Wahr sprichst du! Darum aber mu� man die s�mtlichen Reden zu oberst und zu unterst wenden, um nachzusehen, ob irgendwo ein leichterer und n�herer Weg zu ihr sich zeigt, um nicht unn�tigerweise in einen weiten und rauhen abzulenken, da doch ein kurzer und ebener frei steht. Hast du aber von Lysias oder irgend einem andern hier irgendwie eine Hilfe vernommen, so versuche dich zu erinnern und es anzugeben!
Phaidros: Des Versuchs halber m�chte ich schon etwas haben, aber gerade jetzt habe ich nichts in Bereitschaft!
Sokrates: Willst du also, da� ich etwa mitteile, was ich von einigen, die sich hiermit besch�ftigen, sagen geh�rt habe?
Phaidros: Was sonst?
Sokrates: Sagt man ja doch, o Phaidros,
Gerecht sein und vertreten auch des Wolfs Rechte.
Phaidros: So tue denn auch du so!
Sokrates: Sie sagen also: Man brauche mit jenem gar nicht so vornehm zu tun, noch es auf gro�en Umwegen weit von oben herabzuleiten; denn allerdings, was wir ja auch beim Beginne dieser Besprechung gesagt haben, – wer ein t�chtiger Redner werden wolle, brauche keineswegs im Besitze der Wahrheit zu sein weder hinsichtlich der Gegenst�nde, welche gerecht und gut, noch auch der durch Naturanlage oder Erziehung so beschaffenen Menschen. Denn bei den Gerichten bek�mmere man sich durchaus nichts um die Wahrheit[471] hierin, sondern nur um das �berredungskr�ftige. Dieses aber sei das Wahrscheinliche, worauf also der, welcher kunstm��ig reden wolle, seine Aufmerksamkeit richten m�sse. Denn im Gegenteil, manchmal d�rfe er das wirklich Geschehene gar nicht in seine Rede aufnehmen, wenn es n�mlich nicht zugleich auf wahrscheinliche Weise geschehen sei, sondern nur das Wahrscheinliche, sowohl bei einer Anklage als einer Verteidigung; und so m�sse der Sprechende durchaus nur die Spur des Wahrscheinlichen verfolgen, dem Wahren aber viel Gl�ck auf den Weg w�nschen. Denn da� jenes sich durch das Ganze der Rede hinziehe, das mache die ganze Kunst aus.
Phaidros: Was du da auseinandergesetzt hast, o Sokrates, ist ja dasselbe, was diejenigen sagen, die in den Reden f�r K�nstler gelten wollen; denn ich erinnere mich, da� wir etwas der Art fr�her ber�hrt haben; es d�nkt aber denen, die sich hiermit besch�ftigen, etwas Wundergro�es zu sein.
Sokrates: Nun f�rwahr, du hast ja den Teisias selbst t�chtig geritten. So soll uns nun Teisias auch das sagen: ob er mit dem Wahrscheinlichen etwas anderes bezeichne als das, was der Menge gut d�nkt?
Phaidros: Was anderes denn?
Sokrates: Nun, dieses hat er ja, wie es scheint, als einen weisen und zugleich k�nstlerischen Fund niedergeschrieben, n�mlich: Wenn ein Schwacher und zugleich Tapferer einen Starken und zugleich Feigen niedergeschlagen und ihm den Mantel oder sonst etwas genommen hat und nun vor Gericht gef�hrt wird, so darf ja keiner von beiden das Wahre sagen, sondern der Feige darf nicht angeben, da� er von dem Tapferen allein niedergeschlagen worden sei, dieser aber mu� zwar entgegen behaupten, da� sie beide allein gewesen, dabei aber das geltend machen: �Wie h�tte ich, wie ich bin, mit diesem, wie er ist, mich versuchen k�nnen?� Der aber wird gewi� seine Schlechtigkeit nicht eingestehen, sondern indem er irgend etwas anderes zu l�gen versucht, d�rfte er seinem Gegner wohl alsbald eine Gegenbehauptung an die Hand geben. Und dieser Art ungef�hr ist auch das, was in anderen F�llen kunstm��ig gesprochen wird. Nicht so, o Phaidros?
Phaidros: Was sonst?
Sokrates: Ha, eine gar wunderbar geheime Kunst hat,[472] scheint es, Teisias erfunden oder ein anderer, wer er immer sein mag, und woher er seinen Namen zu haben sich erfreuen mag! Aber, mein Freund, wollen wir's ihm sagen oder nicht?
Phaidros: Was denn?
Sokrates: �Da�, o Teisias, wir schon lange, ehe auch du hierhergekommen, zuf�llig davon sprachen, wie gerade dieses Wahrscheinliche der Menge aus der �hnlichkeit mit dem Wahren insgemein sich ergebe. Die �hnlichkeiten aber, haben wir sofort auseinandergesetzt, wei� �berall derjenige, welcher die Wahrheit erkannt hat, am sch�nsten zu finden. Wenn du daher etwas anderes �ber die Kunst der Reden zu reden hast, wollen wir h�ren: wo nicht, so werden wir dem, was wir jetzt eben auseinandergesetzt haben. Glauben schenken, da� n�mlich, wenn einer nicht die Naturen sowohl derjenigen, welche ihn h�ren werden, aufz�hlen kann, als auch die Gegenst�nde nach ihren Arten zu unterscheiden und alles einzelne in einen Begriff zusammenzufassen vermag, er niemals ein K�nstler im Reden sein wird, soweit dieses �berhaupt einem Menschen m�glich ist. Dies aber wird er sich niemals erwerben k�nnen ohne viele praktische �bung, der sich aber nun der Besonnene nicht um des Redens und Handelns mit Menschen willen unterziehen darf, sondern um den G�ttern Gef�lliges reden und in allem nach Verm�gen ihnen gef�llig handeln zu k�nnen. Denn ja nicht darf, o Teisias�, – so sagen die, welche weiser als wir sind, – �wer Vernunft hat, sich bestreben, seinen Mitknechten sich gef�llig zu zeigen, au�er in Nebendingen, sondern seinen guten und von Guten kommenden Gebietern. Wundere dich denn nicht, wenn es auch ein langer Umweg ist; denn gro�er Dinge wegen mu� man ihn machen, nicht wegen dessen, was du meinst. Wenn dann einer, wie man sagt, nur will, so wird sich ihm auch jenes (die Kunst zu reden) aus diesem im sch�nsten Ma� ergeben.�
Phaidros: Gar sch�n scheint mir wenigstens, o Sokrates, dann gesprochen zu werden, wenn es nur jemand zu leisten imstande w�re!
Sokrates: Aber, wer sich einmal an dem Sch�nen versucht, dem ist es auch ein Sch�nes, zu erleiden, was ihm zu erleiden zukommt.
Phaidros: Gar wohl!
[473] Sokrates: Dar�ber nun, was Kunst und Kunstlosigkeit in Reden ist, m�ge dieses gen�gen!
Phaidros: Wohl!
Sokrates: Was aber die Frage �ber Angemessenheit und Unangemessenheit der Schrift betrifft, inwiefern ihr Gebrauch etwas Sch�nes sein m�chte, und inwiefern etwas Unangemessenes, das ist noch �brig. Nicht wahr?
Phaidros: Ja!
Sokrates: Wei�t du nun, inwiefern du mit Reden teils selbstt�tig, teils davon redend einem Gott am meisten wohlgef�llig sein kannst?
Phaidros: Nein, aber du?
Sokrates: Eine Erz�hlung wenigstens, die ich vernommen, habe ich mitzuteilen von den Alten; sie wissen ja das Wahre! F�nden wir aber dieses selbst auf, w�rden wir uns da wohl noch etwas um menschliche Meinungen k�mmern?
Phaidros: L�cherliches fragst du! Aber teile es mit, was du vernommen zu haben behauptest!
Sokrates: Ich habe also vernommen, zu Naukratis in �gypten sei einer der dortigen alten G�tter gewesen, dem auch der heilige Vogel, den sie ja Ibis nennen, eignete; der D�mon selbst aber habe den Namen Theuth. Dieser habe zuerst Zahl und Rechnung erfunden, und Mathematik und Sternkunde, ferner Brettspiel und W�rfelspiel, ja sogar auch die Buchstaben. Weiter aber, da damals �ber ganz �gypten Thamus K�nig war in der gro�en Stadt des oberen Bezirks, welche die Hellenen das �gyptische Theben nennen, wie sie den dortigen Gott Ammon nennen, – so kam der Theuth zu diesem und zeigte ihm seine K�nste und sagte, man m�sse sie nun den anderen �gyptern mitteilen. Der aber fragte, was f�r einen Nutzen eine jede habe? Indem er's nun auseinandersetzte, so wu�te er, wie ihm jener etwas gut oder nicht gut zu sagen d�nkte, es bald zu tadeln, bald zu loben. Vieles nun soll da Thamus dem Theuth �ber jede Kunst in beiderlei Richtung frei heraus gesagt haben, was durchzugehen viele Worte fordern w�rde. Als er aber an den Buchstaben war, sagte der Theuth: � Diese Kenntnis, o K�nig, wird die �gypter weiser und erinnerungsf�higer machen; denn als ein Hilfsmittel f�r das Erinnern sowohl als f�r die Weisheit ist sie erfunden.� Er aber erwiderte: �O du sehr kunstreicher[474] Theuth! Ein anderer ist der, der das, was zur Kunst geh�rt, hervorzubringen, ein anderer aber der, der zu beurteilen vermag, welchen Teil Schaden sowohl als Nutzen sie denen bringe, die sie gebrauchen werden. So hast auch du jetzt, als Vater der Buchstaben, aus Vaterliebe das Gegenteil von dem gesagt, was ihre Wirkung ist. Denn Vergessenheit wird dieses in den Seelen derer, die es kennenlernen, herbeif�hren durch Vernachl�ssigung des Erinnerns, sofern sie nun im Vertrauen auf die Schrift von au�en her mittelst fremder Zeichen, nicht von innen her aus sich selbst, das Erinnern sch�pfen. Nicht also f�r das Erinnern, sondern f�r das Ged�chtnis hast du ein Hilfsmittel erfunden. Von der Weisheit aber bietest du den Sch�lern nur Schein, nicht Wahrheit dar. Denn Vielh�rer sind sie dir nun ohne Belehrung, und so werden sie Vielwisser zu sein meinen, da sie doch insgemein Nichtswisser sind und Leute, mit denen schwer umzugehen ist, indem sie Scheinweise geworden sind, nicht Weise.�
Phaidros: O Sokrates, leicht erdichtest du �gyptische und dir beliebig wo immer heimische Reden!
Sokrates: Es sagen ja gar welche, die ersten wahrsagerischen Reden seien die einer Eiche im Tempel des Zeus in Dodona gewesen. Den damals Lebenden also, die eben keine Weisen waren wie ihr J�ngeren, gen�gte es, in Einfalt den Baum und den Fels anzuh�ren, wenn sie nur Wahres redeten. Dir aber ist es vielleicht ein Unterschied, wer der Redende und wo er heimisch ist? Denn nicht auf jenes allein siehst du, ob es sich so, ob anders verh�lt.
Phaidros: Mit Recht hast du mich gescholten! Auch mir scheint es sich in betreff der Buchstaben zu verhalten, wie der Thebaier sagt.
Sokrates: Wer also glaubt, eine Kunst in Buchstaben zu hinterlassen, und wieder, wer sie annimmt, als ob aus Buchstaben etwas Deutliches und Zuverl�ssiges entstehen werde, der m�chte wohl gro�er Einfalt voll sein und in der Tat den Wahrspruch des Ammon nicht kennen, indem er glaubt, geschriebene Reden seien etwas mehr als eine Ged�chtnishilfe f�r den, der das schon wei�, wovon das Geschriebene handelt.
Phaidros: Sehr richtig!
Sokrates: Dieses Mi�liche n�mlich, o Phaidros, hat doch die[475] Schrift, und sie ist darin der Malerei gleich. Denn die Erzeugnisse auch dieser stehen wie lebendig da; wenn du sie aber etwas fragst, schweigen sie sehr vornehm. Geradeso auch die Reden: du k�nntest meinen, sie sprechen, als verst�nden sie etwas: wenn du aber in der Absicht, dich zu belehren, nach etwas von dem Gesprochenen fragst, zeigen sie immer nur eines und dasselbe an. Und wenn sie einmal geschrieben ist, so treibt sich jede Rede aller Orten umher gleicherweise bei den Verst�ndigen wie nicht minder bei denen, f�r die sie gar nicht pa�t, und wei� nicht, bei wem sie eigentlich reden und nicht reden soll; vernachl�ssigt aber und ungerecht geschm�ht, hat sie immer ihren Vater als Helfer n�tig; denn selbst vermag sie weder sich zu wehren noch sich zu helfen.
Phaidros: Auch dies ist sehr richtig von dir gesagt.
Sokrates: Wie aber? Wollen wir etwa eine andere Rede ins Auge fassen, die leibliche Schwester von dieser, auf welche Weise sie entsteht und wieviel besser und wirksamer als jene sie in ihrem W�chse ist?
Phaidros: Welche denn, und wie soll sie nach deiner Meinung entstehen?
Sokrates: Jene, die mit Wissenschaft in die Seele des Lernenden geschrieben wird, und die sich nicht nur selbst zu wehren vermag, sondern auch zu reden und zu schweigen, wei�, gegen wen es sein soll.
Phaidros: Du redest von der lebendigen und beseelten Rede des Wissenden, von der die geschriebene mit Recht ein Abbild genannt werden mag.
Sokrates: Nun freilich, allerdings! Sage mir denn dieses: Ein Landmann, der Verstand hat, – wird er den Samen, an dem ihm gelegen ist und von dem er gerne Frucht bekommen m�chte, ernstlich im Sommer in Adonisg�rtchen bauen und sich nun freuen, wenn er schaut, da� diese binnen acht Tagen sch�n stehen? Oder wird er dieses nicht des Spiels und des Festes wegen so machen, wenn er es �berhaupt tut, den aber, mit dem es ihm Ernst ist, nach den Regeln der Kunst des Landbaus dahin, wohin es sich geh�rt, s�en und vergn�gt sein, wenn das, was er s�ete, im achten Monat seine Zeitigung erlangt?
Phaidros: Sicher, o Sokrates, d�rfte er dieses im Ernst, jenes aber, wie du sagst, in ganz anderem Sinne tun.
[476] Sokrates: Wer aber die Wissenschaft des Gerechten und des Sch�nen und des Guten inne hat, – wollen wir sagen, da� der weniger Verstand habe hinsichtlich seines Samens als der Landmann?
Phaidros: Keineswegs.
Sokrates: Nicht also im Ernst wird er sie ins Wasser schreiben, – wollte sagen, mit Tinte durch die Feder in Reden auss�en, die unverm�gend sind, sich selber redend zu helfen, unverm�gend auch, das Wahre gen�gend zu lehren.
Phaidros: Nicht wohl, wie sich denken l��t!
Sokrates: Nein, sondern die Buchstabeng�rtchen wird er, wie mir scheint, des Spiels halber bes�en und beschreiben, so zwar, da� er, wenn er schreibt, einen Schatz von Denkw�rdigkeiten sammelt sowohl f�r sich selbst auf die Zeit, da er in das Alter des Vergessens kommt, als f�r jeden, der derselben Spur nachgeht, und wenn er sie in ihrem zarten W�chse schaut, wird er seine Lust daran haben; wenn aber andere andere Spiele treiben, bei Gastmahlen sich labend, oder was sonst damit verwandt ist, wird er statt dessen, wie mir scheint, an dem, wovon ich rede, seinen spielenden Zeitvertreib haben.
Phaidros: Ein gar sch�nes Spiel nennst du da neben einem unbedeutenden, o Sokrates, das Tun desjenigen, der in Reden zu spielen vermag, indem er in mythischer Dichtung redet von der Gerechtigkeit und anderem, wovon du sprichst.
Sokrates: Und es ist so, mein lieber Phaidros. Viel sch�ner aber, glaube ich, ist das ernstliche Bem�hen um diese Dinge, wenn einer, die dialektische Kunst anwendend, eine geeignete Seele nimmt und mit wissenschaftlichen Reden bepflanzt und bes�t, die sich selbst und dem Pflanzenden zu helfen geschickt und nicht unfruchtbar sind, sondern einen Samen enthalten, aus dem in andersgearteten Gem�tern wieder andere Reden erwachsen, die geschickt sind, denselben f�r immer unsterblich zu erhalten und den, der ihn inne hat, so gl�cklich zu machen, als es einem Menschen nur irgend m�glich ist.
Phaidros: Noch weit sch�ner ist das, was du da sagst.
Sokrates: Nun denn, o Phaidros, k�nnen wir erst jenes beurteilen, nachdem wir uns �ber dieses verst�ndigt haben.
Phaidros: Was denn?
Sokrates: Das, was wir eigentlich betrachten wollen, und[477] was uns ja eben hierher gef�hrt hat, da� wir n�mlich sowohl �ber den dem Lysias gemachten Vorwurf wegen des Redenschreibens eine Pr�fung anstellen wollten, als �ber die Reden selbst, welche wohl mit Kunst und ohne Kunst geschrieben w�rden. Und zwar scheint mir nun das, was kunstm��ig sei oder nicht, geb�hrend erkl�rt worden zu sein.
Phaidros: Wirklich schien es so. Indessen rufe mir's noch einmal ins Ged�chtnis zur�ck, wie?
Sokrates: Bevor einer das Wahre der einzelnen Gegenst�nde, �ber die er spricht und schreibt, sich zum Bewu�tsein gebracht, sodann sich in den Stand gesetzt hat, das Ganze begrifflich zu bestimmen, sofort, nachdem er es bestimmt hat, es wieder nach Arten bis zum Unteilbaren zu teilen versteht, ferner auf dieselbe Weise, die Natur der Seele durchschauend, die jeder Seele entsprechende Art auffindet und danach die Rede setzt und anordnet, also einer vielgestaltigen Seele vielgestaltige und tonreiche Reden darbietet, einer einfachen aber einfache, – eher, sagten wir, werde er nicht imstande sein, mit Kunst, soweit es die Natur des Gegenstandes fordert, das Geschlecht der Reden zu handhaben, weder zum Zweck der Belehrung noch zu dem der �berredung, wie die ganze bisherige Rede uns dargetan hat.
Phaidros: Allerdings nun hat sich dieses ungef�hr so herausgestellt.
Sokrates: Wie aber ferner hinsichtlich der Frage, ob es sch�n oder schimpflich sei. Reden zu sprechen und zu schreiben, und in welchem Falle man daraus mit Recht einen Vorwurf machen k�nne oder nicht, – hat dies nicht das eben erst Gesprochene klargemacht?
Phaidros: Welches denn?
Sokrates: Da�, wenn Lysias oder irgend ein anderer jemals geschrieben hat oder schreiben wird in besonderer Angelegenheit oder in �ffentlicher, indem er Gesetze vorschlagend ein staatliches Schriftwerk verfa�t und er nun der Ansicht ist, es sei irgend gro�e Zuverl�ssigkeit und Deutlichkeit darin, – da� in diesem Fall den Schreibenden ein Vorwurf treffe, m�ge es[478] ihm jemand sagen oder nicht. Denn vom Gerechten und Ungerechten und vom Schlechten und Guten wachend und schlafend nichts wissen, das kann man doch nicht umhin, f�r vorwurfsvoll zu halten, auch nicht, wenn es die ganze Volksmenge loben w�rde!
Phaidros: Und gewi� nicht!
Sokrates: Wenn er aber der Ansicht ist, da� in einer �ber einen beliebigen Gegenstand geschriebenen Rede notwendig vieles Spiel ist, und da� noch nie eine Rede weder im Versma� noch ohne Versma� als ernster Beachtung w�rdig geschrieben oder gesprochen worden, wenn es in der Art geschah, wie die von den Rhapsoden vorgetragenen gesprochen werden ohne Untersuchung und Belehrung, nur der �berredung halber, da� vielmehr die besten derselben in Wirklichkeit nur eine Ged�chtnishilfe f�r die schon Wissenden sind, da� aber in den zur Belehrung verfa�ten und zum Unterricht gesprochenen und in Wirklichkeit in die Seele geschriebenen �ber das Gerechte und Sch�ne und Gute, und zwar nur in diesen, etwas Einleuchtendes und Vollkommenes und ernster Beachtung W�rdiges sei; ferner da� solche Reden dann als sein eigen, die gleichsam seine leiblichen Kinder sind bezeichnet werden m�ssen, und zwar als Erstling die in ihm selbst geborene, wenn sie als Fund ihm angeh�rt, sodann als Spr��linge und Br�der von dieser die, welche etwa in den Seelen anderer in W�rdiger Gestalt erwachsen, w�hrend er die �brigen alle unbeachtet l��t, – dieser, o Phaidros, verspricht ein solcher Mann zu sein, wie ich und du w�nschen d�rften, da� du und ich w�rden.
Phaidros: Allerdings m�chte und w�nsche ich freilich, was du sagst.
Sokrates: Und nun m�ge das Ma� unseres Spielens �ber das, was Reden betrifft, voll sein! Und du gehe nun und berichte dem Lysias, da� wir zwei an den Bach der Nymphen und den Musensitz herab gekommen und Reden geh�rt haben, die uns beauftragten, dem Lysias und wenn sonst jemand Reden verfa�t, und dem Homeros und wenn sonst jemand eine Dichtung ohne oder mit Gesangbegleitung verfa�t hat, drittens dem[479] Solon und wer irgend in staatlichen Reden Schriftwerke unter dem Namen von Gesetzen schrieb, zu sagen, da�, wenn er diese verfa�te, wohl wissend, wie das Wahre sich verh�lt, und imstande Hilfe zu leisten, wenn er zum Beweis dessen, was er geschrieben, kommt, und so redend, da� er selbst das Geschriebene als nichtsw�rdig dagegen erscheinen zu lassen vermag, – da�, sage ich, er dann auch nicht von dem allem seinen Beinamen erhalten und ein solcher genannt werden soll, sondern von jenem, womit er sich im Ernste besch�ftigt hat.
Phaidros: Welche Beinamen teilst du ihm nun zu?
Sokrates: Zwar ihn einen Weisen zu nennen, d�nkt mit etwas zu Gro�es zu sein, o Phaidros, und nur einem Gott wohl anzustehen; aber einen Philosophen, einen Weisheitsfreund, oder etwas dergleichen, das m�chte wohl ihm selbst mehr passen und wohllautender sein.
Phaidros: Und auch nicht eben gegen den Gebrauch!
Sokrates: Dagegen wer nichts Wertvolleres hat, als was er verfa�t und geschrieben hat, es lange zu oberst und zu unterst wendend, bald aneinander leimend, bald trennend, – nennst du wohl den nicht mit Recht einen Dichter oder Redenschreiber oder Gesetzesschreiber?
Phaidros: Wie anders?
Sokrates: Das also berichte deinem Freund!
Phaidros: Was aber du? Wie wirst du's halten? Denn mitnichten ja d�rfen wir deinen Freund �bergehen.
Sokrates: Welchen denn?
Phaidros: Den sch�nen Isokrates! Was wirst du diesem melden, o Sokrates? Wer, werden wir sagen, da� dieser sei?
Sokrates: Jung noch, o Phaidros, ist Isokrates! Was ich jedoch von ihm weissage, will ich aussprechen.
Phaidros: Was denn nun?
Sokrates: Er d�nkt mir besser zu sein nach seinen Naturanlagen, um mit Lysias in Reden verglichen zu werden, auch von edlerem Ma� der Gem�tsart, so da� es kein Wunder w�re, wenn er mit vorr�ckendem Alter in denselben Reden, mit denen er sich jetzt befa�t, alle, die irgend einmal mit Reden sich abgegeben haben, weit wie Kinder und noch mehr �bertr�fe, ja wenn, sollte ihm dieses nicht mehr gen�gen, ein gewisser g�ttlicher Antrieb ihn zu Gr��erem hinleitete. Denn[480] von Natur, mein Lieber, ist etwas von Philosophie in dem Geistesleben des Mannes. Dieses denn nun will ich von den hier waltenden G�ttern dem Isokrates als meinem Lieblinge melden, du aber jenes dem deinigen, dem Lysias. Phaidros: Das soll geschehen! Aber la� uns gehen, da auch die Hitze milder geworden!
Sokrates: Ziemt es sich nicht, zu diesen hier zu beten, bevor wir gehen?
Phaidros: Wie anders?
Sokrates: O lieber Pan und all' ihr anderen G�tter hier! Verleihet mir, sch�n zu werden im Innern, was ich aber von au�en her habe, da� es dem Inneren befreundet sei! F�r reich aber m�ge ich den Weisen achten. Des Goldes F�lle aber m�ge mir werden in solchem Ma�e, in welchem es ein anderer weder f�hren noch tragen k�nnte als der Weise.
Bed�rfen wir noch weiter etwas, o Phaidros? Denn f�r mich ist damit das volle Ma� erbeten!
Phaidros: Auch f�r mich bete das mit! Denn Freunden ist das Ihrige gemeinschaftlich.
Sokrates: Gehen wir![481]
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