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O let those cities, that of plenty's cup
And her prosperities so largely taste,
With their superfluous riots hear these tears –
Shakespeare.
Wie mannigfaltig sind die Arten des menschlichen Elends! Wie unersch�pflich ist diese Fundgrube f�r den Dichter, der mehr durch sein Gewissen, als durch Eitelkeit und Eigennutz[620] sich gedrungen f�hlt, den vertaubten Nerven des Mitleids f�r hundert Elende, die unsere Modephilosophie mit grausamem L�cheln von sich weist, in seinen Mitb�rgern wieder aufzureizen! Wir leben in einem Jahrhundert, wo Menschenliebe und Empfindsamkeit nichts Seltenes mehr sind: woher kommt es denn, da� man so viel Ungl�ckliche unter uns antrifft? Sind das immer Unw�rdige, die uns unsere durch hellere Aussichten in die Moral bereicherten Verstandesf�higkeiten als solche darstellen? Ach! ich f�rchte, wir werden uns oft nicht Zeit zur Untersuchung lassen, und, weil wir unsere Ungerechtigkeiten desto sch�ner bem�nteln gelernt haben, aus allzu gro�er Menschenfreundschaft desto unbiegsamere Menschenfeinde werden, die zuletzt an keinem Dinge au�er sich mehr die geringste moralische Sch�nheit werden entdecken k�nnen, und folglich auch sich berechtigt glauben, an dem menschlichen Geschlecht nur die Gattung, nie die Individuen zu lieben.
Folgende Erz�hlung, die aus dem Nachla� eines Magisters der Philosophie in Leipzig gezogen ist, wird, hoffe ich, auf der gro�en Karte menschlicher Schicksale verschiedene neue Wege entdecken, f�r welche zu warnen noch keinem unserer Reisebeschreiber eingefallen ist, obschon unser Held nicht der erste Schiffbr�chige darauf gewesen.
Zerbin war ein junger Berliner, mit einer k�hnen, gl�henden Einbildungskraft, und einem Herzen, das alles aus sich zu machen verspricht, einem Herzen, das seinem Besitzer zum voraus zusagt, sich durch kein Schicksal, sei es auch von welcher Art es wolle, erniedrigen zu lassen. Er hielt es des Menschen f�r unw�rdig, den Umst�nden nachzugeben und diese edle Gesinnung (ich kenne bei einem Neuling im Leben keine edlere) war die Quelle aller seiner nachmaligen Ungl�cksf�lle. Er war der einzige Sohn eines Kaufmanns, der seine unerme�lichen Reicht�mer durch die unw�rdigsten Mittel zusammengescharrt hatte, und dessen ganze Sorge im Alter dahin ging, seinen Sohn zu ebendiesem Gewerbe abzurichten. Sein Handel bestand aus Geld, welches er auf mehr als j�dische Zinsen auslieh, wodurch er der Wurm des Verderbens so vieler Familien geworden war, deren S�hne sich, durch ihn gereizt, aufs Spiel gelegt hatten, oder zu andern unwiederbringlichen Unordnungen gebracht worden waren. Umsonst, da� er itzt sei nen Sohn in alle den Kunstgriffen unterrichtete, womit er die Ungl�cklichen in sein Netz zu ziehen gewohnt gewesen, umsonst, da� er ihm vorstellte, wie leicht und[621] bequem diese Art zu gewinnen sei, umsonst, da� er, wegen seines offenen Kopfs, und der an ihm sich zeigenden Talente, alle m�gliche Liebkosungen affenm��ig an ihn verschwendete: Zerbins Gradheit des Herzens (soll ich es lieber Stolz nennen?) drang durch, und weil er sahe, da� die Grunds�tze seines Vaters allen m�glichen Gegenvorstellungen des Kindes entwachsen waren, und er doch am Ende der Obermacht der v�terlichen Gewalt nicht w�rde widerstehen k�nnen, so wagte er einen herzhaften Sprung aus all diesen Zweideutigkeiten und, ganz sich auf sich selbst verlassend, entlief er seinem Vater, ohne au�er seinem Taschengelde einen Heller mitzunehmen.
Sich selbst alles zu danken zu haben, war nun sein Plan, sein gro�er Gedanke, das Luftschlo� aller seiner W�nsche. Und weil er von jeher au�erordentliche Handlungen in den Zeitungen mit einem Enthusiasmus gelesen, der alle andere Begierden in ihm zum Schweigen brachte, so war sein fester Gesichtspunkt, den ihm nichts auf der Welt verr�cken konnte, nun, unter einem fremden Namen, sich blo� durch seine eignen Kr�fte emporzubringen, sodann als ein gemachter Mann zu seinem Vater zur�ckzukehren, und ihn, zur Ersetzung des von ihm angerichteten Schadens, zu au�erordentlichen Handlungen der Wohlt�tigkeit zu bewegen, oder wenigstens nach seinem Tode seine Erbschaft dazu zu verwenden, um auch von sich in den Zeitungen reden zu machen. Meine Leser sehen, da� wir unsern Helden im geringsten nicht versch�nern. Die edelsten Gesinnungen unserer Seele zeigen sich oft mehr in der Art unsere Entw�rfe auszuf�hren, als in den Entw�rfen selbst, die auch bei dem vorz�glichsten Menschen eigenn�tzig sein m�ssen, wenn ich den Begriff dieses Worts so weit ausdehnen will, als er ausgedehnt werden kann. Vielleicht liegt die Ursache in der Natur der menschlichen Seele und ihrer Entschlie�ungen, die, wenn sie entstehen, immer auf den Baum der Eigenliebe gepfropft werden, und erst durch die Zeit und Anwendung der Umst�nde ihre Uneigenn�tzigkeit erhalten. Man lobpreise mir was man wolle von Tugend und Weisheit; Tugend ist nie Plan, sondern Ausf�hrung schwieriger Plane gewesen, m�gen sie auch von andern erfunden sein.
Er wandte sich in Leipzig zuerst an den Professor Gellert, den er, durch eine lebhafte Schilderung seiner d�rftigen Umst�nde, und durch alle m�gliche Zeichen eines guten Kopfs, leicht dahin bewegte, da� er ihn unentgeltlich in die Zahl seiner Zuh�rer aufnahm, und ihm zugleich eine Menge Informationen in der[622] Stadt verschaffte, mit denen er, so sparsam sie ihm auch bezahlt wurden, Kost und Wohnung bestreiten konnte. Gellerts Moral war, wie nat�rlich, sein Lieblingsstudium; er schrieb sie Wort f�r Wort nach, zeigte aber seine Hefte keinem Menschen, sondern, wenn er durch �ftere Lesung recht vertraut mit ihnen worden war, verbrannte er sie, um sie desto besser im Ged�chtnis zu behalten.
Er trieb nach und nach auch andere Wissenschaften, und es gl�ckte ihm, durch seinen offenen Kopf, geheimen, ungezierten Flei�, und best�ndigen Glauben an den guten Ausgang seiner Bem�hungen, da� er von dem Professor Gellert zum F�hrer und Mentor eines reichen jungen Grafen aus D�nemark empfohlen werden konnte. Er disputierte auch �ber eine sehr wohl ausgearbeitete gelehrte Abhandlung von der Unm�glichkeit, die Quadratur des Zirkels zu finden und erhielt dadurch die Erlaubnis, als Magister der Mathematik, ein Privatkollegium �ber die doppelte Baukunst, und ein anderes �ber die Algebra zu lesen, von der er ein gro�er Liebhaber war. �brigens gewann er dem Grafen, durch seine ihm nat�rliche Anh�nglichkeit an andere Leute, und Teilnehmen an ihre kleinsten Umst�nde, sein ganzes Vertrauen ab.
Wie schl�pfrig sind doch die Pfade durchs Leben! Wie nah sind wir oft, wenn wir den sichersten Gipfel unserer W�nsche erreicht zu haben meinen, unserm Untergange! O du, der du die Herzen der Menschen in H�nden hast, und ihnen nach ihrem innern Wert auf die Schale legst: sollten die besten Menschen nicht oft im Fall sein, deine Waage anzuklagen? Aber du w�gst in die Vergangenheit und in die Zukunft, wer darf rechten, wer kann bestehen vor dir? Gl�cklich das Herz, das, bei allen scheinbaren Ungerechtigkeiten seines Schicksals, noch immer die Hand segnen kann, die ihn schl�gt!
Unser Held war bis hieher seinem gro�en Zweck immer n�her ger�ckt, aber er hatte andere W�nsche, andere Begierden, die auch befriedigt sein wollten. Er hatte ein reizbares, f�r die Vorz�ge der Sch�nheit �u�erst empfindliches Herz. M��igkeit und Gesundheit des K�rpers und Geistes hatten sein Gef�hl f�rs bessere Geschlecht noch in seiner ganzen Schnellkraft erhalten, und seine moralischen Grunds�tze schienen Winde zu sein, dieses Feuer immer heftiger anzublasen. Er war oft ganz elend, so elend, da� er ersch�pfte Wollustdiener, unter denen sein Graf auch war, um ihre Gleichg�ltigkeit, und den Geist frei lassenden Kaltsinn[623] beneidete; sah er aber das ungeheure Leere, das alle ihre Stunden, selbst ihre Vergn�gen, belastete, sah er, wie j�mmerlich sie sich winden und zerren mu�ten, um wieder einmal einen Tropfen Freude an ihren Herzen zu f�hlen; so tr�stete ihn das wieder �ber seine innerlichen Leiden, und machte sie ihm un endlich sch�tzbar.
Der Graf Altheim war, bei seiner Ankunft in Leipzig, an einen der reichsten Bankiers empfohlen worden, der aus einem gewissen Eigensinn sich nie verheiraten wollte, sondern, mit seiner einzigen jungen und sehr sch�nen Schwester, eine der gl�nzendsten Haushaltungen in ganz Leipzig f�hrte. Die Bekanntschaft in dem Hause des Herrn Freundlach (so hie� der Bankier), vielleicht auch die �ftern Vorstellungen Zerbins, hatten ihn von seinen vorigen Ausschweifungen mit Frauenzimmern von verd�chtigem Rufe zur�ckgebracht; er war �brigens eine der w�chsernen Seelen, die sich gar zu gern von andern lenken lassen, weil sie zu bequem, und am Ende zu unverm�gend sind, ihren Verstand selber zu brauchen. Er wollte keinem Menschen �bels, au�er wenn er gegen ihn durch andere war aufgebracht worden, alsdann aber war sein Zorn auch unvers�hnlich, solange das Maschinenwerk des fremden Verstandes, der ihn in Bewegung setzte, fortwirkte. Er hatte Zerbinen auf zu viele Proben gesetzt, um ihm nicht uneingeschr�nkt zu trauen; solange der also das Regiment in seiner Seele f�hrte, ging alles nach Wunsch, und er hatte so viel Achtung f�r ihn, da� er ihm allemal seine Pension von seinen Wechseln vorausbezahlte, aus Furcht, er m�chte durch jugendliche Verschwendungen in die Notwendigkeit gesetzt werden, Zerbinens Finanzen in Verwirrung zu bringen.
Ganz anders ging es, als eine weibliche Gewalt sich des Zepters in diesem Herzen bem�chtigte. Freundlach hatte eine Schwester; die Grazien schienen bei ihrer Geburt in Beratschlagungen gesessen zu sein. Alles war auf ihrem Gesicht, auf ihrem K�rper vereinigt, was bezaubern konnte, gro�e schwarze Augen, die mehr sagten, als sie f�hlte, Mienen, welche ebensoviel Netze f�r die Freiheit der Herzen waren. Zu unserer Ritter Ungl�ck fing das unfreundliche zweiundzwanzigste Jahr leis an ihre T�r zu klopfen an, zu dem sich die grausenvolle Idee einer alten Jungfer in scheu�licher Riesengestalt gesellte, und den ersten ruhigen Augenblick abzuwarten schien, um sie mit all ihren Schrecknissen zu �berfallen. Sie hatte bis in ihr zwanzigstes Jahr kokettiert das hei�t, mit der sorgenfreiesten Seele von der Welt, nur an[624] den K�tzel gedacht, t�glich einige zwanzig wohlfrisierte Anbeter mit den untert�nigsten Reverenzen unten an ihrem Fenster vorbeikriechen zu sehen, jeder in Gedanken der Gl�ckliche, jeder der Betrogene. Diese Arten von Wallfahrten waren das einzige Mittel, das ihre Reize, ihren guten Humor, ihre ganze Wohlh�bigkeit erhalten konnte, so da� jeder regnige Herbst- oder Wintertag ein wahrer Leidenstag f�r sie war. Sodann sanken all ihre sch�nen Gesichtsz�ge; sie kroch in einen Winkel; schlug einen Roman auf, der ihr nicht schmeckte, und in dem sie kaum zwei Zeilen gelesen hatte, wo nicht gleich ihre Gedanken sich an andere Gegenst�nde hefteten, und so ineinander verwirrten, da� ihr das Buch aus der Hand fiel, und sie wie aus einem tiefen Traum erwachte. So schlich ihr Leben, vom vierzehnten, bis zum zwanzigsten Jahr, in einem ewigen Dakapo unbedeutender Eroberungen hin, die, wie die Seifenblasen, womit Kinder spielen, oft aneinander zerplatzten. Sehr oft hatte ihr ihre kleine scheckige Phantasei ihre Liebhaber und deren Handlungen auch in einem falschen Licht vorgespielt, so da� sie bisweilen ganz irre an ihnen ward, und ihre ungereimtesten, zuf�lligsten Handlungen in einen Roman zu bringen sich zermarterte, �ber den sie sich oft zu ihrem gr��ten Verdru� sehr sp�t die Augen mu�te �ffnen lassen.
Wie gesagt, dieser Zustand konnte nicht immer fortw�hren; sie mu�te auf eine Versorgung denken. Sch�nen, die M�nner haben wollen, sind wie eine Flamme im Walde, die desto heftiger um sich fri�t, je mehr Widerstand sie antrifft. Nichts, nichts wird verschont, alle m�gliche Kunstgriffe werden angewandt, was sich ihnen in Weg stellt, mu� brennen. Unser unerfahrne Zerbin war das erste Schlachtopfer dieses weiblichen Alexandergeistes. Nicht da� ihre Bem�hungen auf ihn selbst abgerichtet waren, sondern er sollte das Instrument in ihrer Hand sein, auf ein anderes Herz Jagd zu machen.
Hohendorf, ein s�chsischer Offizier, der in Leipzig bei unserm Zerbin die Kriegsbaukunst erlernte, hatte gleichfalls ein Empfehlungsschreiben, und durch dasselbe, einen freien Zutritt bei Freundlach. Er war ein junger wohlgewachsener Mensch; Mademoiselle Freundlach hatte ihn durch hundert kleine Streiche, die bei ihr freilich unbedeutend waren, an sich gezogen; ihr gefielen seine leidenschaftlichen Stellungen, seine oft bis zum Erhabnen beredte, oft bis zum Kindischen l�ppische Sprache, seine Aufmerksamkeiten, seine Serenaden, seine Ausgaben ohne �berlegung,[625] die sich alle aus Fehlschl�ssen herschrieben, und mit Fehlschl�ssen endigten. Das einzige wunderte sie, konnte sie mit ihrem gesamten Verstande nicht kleinkriegen, da� er ihr nie etwas vom Heiraten vorsagte, da er doch sonst hundert Albernheiten zu ihren F��en beging. Die wahre Ursache davon aber war, da� er schon eine Frau hatte, zwar nur von der linken Seite, der er aber ein besiegeltes Versprechen, sie gleich nach seines Vaters Tode zu heiraten, in den H�nden eines k�niglichen Notars hinterlassen hatte, und die mit ihren zwei Kindern gewi� nicht ermangelt haben w�rde, sobald sie von einer neuen Verbindung geh�rt h�tte, der Braut ihren untert�nigen Gl�ckwunsch abzustatten. Ob Mademoiselle Freundlach was davon gemerkt, wei� ich nicht, genug sie fing an seit einiger Zeit in alle Beteurungen und Feierlichkeiten Hohendorfs ein Mi�trauen zu setzen.
Altheim war ganz ein anderer Mensch; geradezu, ohne Arges, nicht so hinterm Berge haltend, nicht so unerkl�rbar, als Hohendorf. Das war ein Mann f�r Renatchen (so hie� Mademoiselle Freundlach) der ihr wenigstens ihr kleines K�pfchen nicht zerbrach. Es kam nur darauf an, ihn in dem Grad verliebt zu machen, als Hohendorf war; das fand aber anfangs ein wenig Schwierigkeit. Er hatte zu viel Wasser in seinem Blut, zu dickh�utige Nerven; das Feuer ihrer Augen konnte den Thermometer so geschwind nicht steigen machen. Das erste, das ihr bei dieser Verlegenheit in den Wurf kam, war Zerbin; die K�lte des Grafen schien ihr nicht die Frucht einer ohnm�chtigen Natur, sondern einer durch lange Verschanzungen bebollwerkten �berlegung. Sie machte also einen Plan, diese Festung zu unterminieren, den unser scharfsinniger Kriegsbaumeister einzusehen zu unwissend war, ein Triumph, der ihrer aufgebrachten Einbildung mehr schmeichelte, als Alexander die Eroberung von Babylon; und ihr erster Angriff war auf Zerbinen gerichtet, den sie f�r den Kommendanten dieses Platzes hielt.
Zerbin! Dieser unerfahrne, ungewahrsame, mit allen R�nken weiblicher List so g�nzlich unbekannte Hauptmann: wie h�tte der einem Angriff von der Art lange widerstehen k�nnen? Es hatte sich noch, nie ein Frauenzimmer die M�he genommen, seine Unschuld zu ersch�ttern, da er nicht reich, und noch weniger angenehm war, obgleich seine �u�ere Gestalt ziemlich gut ins Auge fiel. Er wu�te keine einzige, ich sage keine einzige von den Millionen artiger Kleinigkeiten, mit denen Frauenzimmer von gutem Ton heutzutage unterhalten werden; er stand wie[626] Saul unter den Propheten, sobald er in eine Gesellschaft von Damen trat. Er sah lauter �berirdische Wesen au�er seiner Sph�re an ihnen, f�r die er, weil er kein einziges ihrer Worte und Handlungen begriff, noch einsah, eine so tiefe innerliche Ehrfurcht f�hlte, da� er bei jeder Antwort, die er ihnen geben mu�te, lieber auf sein Angesicht gefallen w�re, und angebetet h�tte. Mit einem solchen Gegner war freilich der Sieg nicht halsbrechend; den ersten Abend, als er nach Hause kam, a� er keinen Bissen; die Nacht brachte er schlaflos auf stechenden Federn zu; den Morgen verungl�ckten alle seine algebraischen Rechnungen, und er sah sich gen�tigt eine Kur vorzusch�tzen, und seine Zuh�rer einen Monat lang zu entfernen, um sich vor ihnen nicht l�cherlich zu machen. Hohendorf blieb demungeachtet sein vertrautester Freund, und er war so �berm��ig treuherzig gegen ihn, ihm im geringsten nicht den Vorzug merken zu lassen, den er in Renatchens Herzen zu haben schien, sondern alles das mit seiner Sch�chternheit so wohl zu bem�nteln, da� er ihm sein ganzes Vertrauen abgewann. Indessen betrog ihn diese Sch�chternheit wohl zuweilen selber und es fing sich ein Gespenst in seinem Herzen an zu regen, das er vorher kaum dem Namen nach kannte, die unb�ndigste Eifersucht, die jemals an der Leber eines Sterblichen genagt hat. Diese, weil er sie des Tags �ber unter dr�ckte, machte sich in der Nacht Luft, und machte ihn bisweilen in ein lautes St�hnen und Weinen ausbrechen, das Altheim, der in einem Zimmer mit ihm schlief, nicht unaufmerksam lassen konnte.
Eine der originellsten Szenen war es, Zerbin mit Renatchen, Hohendorfen und Altheim Triset spielen zu sehen. Jede Karte hatte in des armen Liebessiechen Ideen eine Bedeutung, deren geheimer mystischer Sinn nur ihm, und seinem Abgott anschaulich war, und sie dachte gerade bei jeder Karte nichts. Er spielte erb�rmlich, und machte sie eine Partie nach der andern verlieren, und wenn sie im Ernst b�se auf ihn ward, hielt er das f�r die feinste Einkleidung ihrer unendlichen Leidenschaft f�r ihn, die kein anderes Mittel w��te, sich ihm, ohne von den andern bemerkt zu werden, verst�ndlich zu machen. Sie, die au�er dem Interesse ihrer gro�en Passion, kein anderes kannte als das elende Interesse des kleinen Kartenspiels, konnte, wenn er ihr mit allen zehn Karten in der Hand, das Herzas anspielte, in Feuer und Flammen geraten, das er alles sehr wohl zurechtzulegen wu�te, und in ihren heftigen, oft unbescheidenen Verweisen[627] allemal verstohlne Winke der Z�rtlichkeit, oder wohl gar das Signal zu einem Rendezvous zu entdecken glaubte, nach dem er sich den andern Tag die Beine ablief, ohne jemals ihr Angesicht zu sehen. Der w�rde ihm einen �blen Dienst geleistet haben, der ihn auch nur von fernher auf die Spur geholfen h�tte, was der wahre Bewegungsgrund ihrer ganzen Maskerade gegen ihn sei. Er soll einmal wirklich die ganze Nacht unter ihrem Fenster gestanden haben, weil sie ihm auf seine Invite in Cœur das Neapolitain in Karo gebracht hat, das er, wegen seiner viereckigen Rautenfigur, f�r ein unfehlbares Zeichen eines Rendezvous unter dem Fenster hielt.
Es dauerte nicht lange, so drang Altheim in seinen Kummer; das hei�t, Zerbin gestand ihm, da� die Reize Renatchens nicht die Reize eines Menschen, sondern der Gottheit selber w�ren, die sich unter ihrer Gestalt auf Erden sichtbar zeigen wollen. Altheim ward mitleidig mit seinen n�chtlichen Seufzern, er ward neugierig – l�stern, verliebt. Der Stolz, Zerbinen selbst, und auch Hohendorfen, ihre vermeinte Eroberung streitig zu machen, beschleunigte seine verliebte Bekehrung. Zerbin merkte dies, denn was merkt das Auge eines Liebhabers nicht, er fing an, die Verzweiflung, die bisher auf seinem Gesicht gewatet hatte, in sich hineinzufahren, und unter einer lachen den Miene zu verbergen. Er ward gewitzigt, gescheut, ertr�glich in Frauenzimmergesellschaften, und darum nur desto ungl�cklicher, da er seinem Herzen nie Luft lassen durfte und der verborgene Gram desto giftiger mit Skorpionenklauen dran zwickte. Er sah nun deutlich aus der pl�tzlichen Verwandlung Renatchens gegen ihn, da� alle ihre Anlockungen nur ein blinder Angriff gewesen waren, der eigentlich seinem Herrn gegolten hatte. Die Wunde war geschlagen, er blutete – und niemand hatte Mitleiden mit ihm. Sie tat kalt, spr�de, bisweilen gar ver�chtlich gegen ihn, um ihn v�llig aus seinem Irrtum n�chtern zu machen, nur, wenn sie merkte, da� sein Stolz zu tief gekr�mmt worden war, bekam er einen aufmerksamen Blick, um nicht, wie Petrarch sagt, die Demut, die zu tief hinabgedruckt wird, zur Wut zu entflammen. Wer war ungl�cklicher, wer war erleuchteter, als er itzt, �ber die gro�e Triebfeder weiblicher Seelen? Er sah, da� kein andrer Weg f�r ihn �brig war, noch bei vollem Verstande zu bleiben, als das Haus auf immer zu meiden, und seinen Wohlt�ter in dem Besitz der sch�nen Beute zu lassen. Er setzte sich's fest vor, brach es ein paarmal, setzte sich's wieder vor, schwur sich's, bis er endlich[628] Meister �ber sich ward, und nun von Altheimen im Namen seiner Geliebten gro�e Vorw�rfe dar�ber erwartete; aber leider! man vermi�te ihn nicht einmal.
Itzt nahm sein Schicksal eine tragischere Wendung. Da� des Menschen Herz ein trotzig und verzagtes Ding sei, ist ein Gemeinspruch, der auch den Allereinf�ltigsten auf den Lippen schwebet, den aber, wenn er sich an uns selbst wahr macht, kein menschlicher Scharfsinn, w�r es auch des gr��tm�glichen universellsten Genies, da� ich so sagen mag, auf der Tat ertappen, und ihm mit geh�rig zubereiteter Brust begegnen kann. Wir schwanken immer, m�ssen zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwanken; die am k�hnsten befl�gelte Seele schwankt desto f�rchterlicher. Gl�cklich, wessen stark gewordene Vernunft in dieses Schwanken selbst ein gewisses Gleichgewicht zu bringen wei�!
Zerbin verzagte nun an sich und an der M�glichkeit geliebt zu werden, das gew�hnliche Schicksal der edelsten Seelen, die ihr Ungl�ck nicht zuf�lligen Umst�nden, sondern ihrer eigenen Unw�rdigkeit zuzuschreiben so geneigt sind. Der Geck wei� sich aus einer solchen Verschiebung sehr geschwind herauszufinden, bei dem edlen Mann aber fri�t sie, wie ein Wurm, an der innern Harmonie seiner Kr�fte. Alle seine langgehegten und gewarteten Vorstellungen, Empfindungen und Entw�rfe liegen nun auf einmal, wie auf der Folter ausgespannt, verzerrt und zerrissen da; der ganze Mensch ist seiner Vernichtung im Angesicht. Er erholte sich zwar wieder, seine Seele nahm ihre vorige Schnellkraft wieder, aber nur um desto empfindlicher und untr�stbarer zu leiden.
Unterdessen nahmen die Negoziationen zwischen Altheim und Renatchen ihren erw�nschten Fortgang, und Hohendorf, der dieses nur zu bald inne ward, verzweifelte dar�ber. Er kam oft zu Zerbinen, der, hinter zugezogenen Fenstergardinen, in mathematischen B�chern vergraben sa�, in denen er leider! oft den ganzen Tag emsig las, ohne doch zwei Zeilen zu verstehen, auch an die erste Seite immer wie gebannet blieb, so sehr hatten seine Gedanken, wie ausgerissene unb�ndige Hengste, einen andern Weg genommen. Das Studium lag; alle seine Sch�ler verlie�en ihn; Hohendorf allein blieb ihm, doch mehr um ihm seine Not zu klagen, als Festungen erobern zu lernen. Zerbin h�rte alle seine Klagen, Verw�nschungen, Schm�h- und L�sterungen �ber Altheim und Renatchen mit gro�er Geduld an, und hatte nie das Herz, die seinigen dazuzuf�gen, sondern akkompagnierte[629] ihn aufs h�chste mit einigen halberstickten Seufzern, oder einem frostigen Lachen und einer so sokratischen Miene, da� er den Scharfsichtigsten selber betrogen haben w�rde, weil er fest entschlossen war, und einen gewissen Reiz drin fand, sich mit dieser erk�nstelten Gleichg�ltigkeit das Herz abzusto�en. – �u�ere Umst�nde kamen dazu; Altheim blieb der warme, sorgsame Freund nicht mehr f�r ihn; zwei Passionen k�nnen das Herz eines gew�hnlichen Menschen nie zu gleicher Zeit besch�ftigen; dazu kam eine gewisse Art von Zur�ckhaltsamkeit gegen ihn, weil er ihn selbst in Renatchen verliebt gewu�t hatte. Ihr Umgang ward kalt, trocken, m�rrisch; er ging des Morgens fr�h aus dem Hause, und kam des Nachts sp�t heim; sie wurden sich so fremd, da� sie sich f�reinander zu f�rchten anfingen. Der Tod der Freundschaft ist Mi�trauen: seine Wechsel kamen an; er verga� Zerbinen die Pension auszuzahlen; Zerbin war zu stolz, ihn zu mahnen; er wollte sich im geringsten nicht blo�geben, da� er die Ver�nderung seines Herzens gegen ihn merkte. Das Gef�hl der Freundschaft ist so zart, da� der geringste rauhe Wind es absterben mache, und oft in t�dlichen Ha� verwandele; die Liebe zanke und s�hnt sich wieder aus; die Freundschaft verbirgt ihren Verdru�, und stirbt auf ewig. Zwei Freunde sehen nur ein anders gestaltetes Selbst aneinander; sobald diese T�uschung aufh�re, mu� ein Freund vor dem andern erblassen und zittern.
Zerbin, der au�er Wohnung und Tisch nichts frei hatte, fing an, die Notwendigkeit einzusehen, seinem Schmerz, dessen Gegenstand nicht edel genug war, ihn auf die L�nge bei sich selbst zu rechtfertigen, einige Zerstreuung zu geben. Er wollte das Schauspielhaus, die Kaffeeh�user besuchen, um nicht von dem Alp Hypochonder erdr�cke zu werden, der sich so gern zu einem Kummer gesellt, der durch keine Leidenschaft mehr veredelt wird. Alle seine Gelehrsamkeit hatte aus seinem Kopf Abschied genommen; er mu�te wie ein Schulknabe wieder von vorn anfangen, und, was das schlimmste war, stellte sich ihm Renatchen, und alle mit ihr sich eingebildete Freuden, wie eine feindselige Muse, bei jedem Schritt im Wege, und ri�, wie jenes Ungewitter vor Jerusalem, in der n�chsten Stunde alles wieder ein, was er in der vorigen mit M�he gebaut hatte. Meine Leserinnen werden vielleicht bei dem ersten wahren Gem�lde einer M�nnerseele erstaunen, vielleicht aber auch bei ernsthafterem Nachdenken den Ungl�cklichen bedauren, der das Opfer einer so unredlichen Politik ward. Wie gesagt, seine Sch�ler verlie�en ihn;[630] der Mangel nagte und pre�te; er geriet in Schulden – und das weil er zu versch�mt, zu stolz – vielleicht auch zu tr�ge war, jemand anders anzusprechen, bei seiner Aufw�rterin, die er, sobald er sich das Herz genommen haben w�rde, Altheimen zu mahnen, mit Interessen zu bezahlen hoffte, sich also dadurch die Erniedrigung ersparte, andern Leuten Verbindlichkeiten zu haben.
Altheim wu�te indessen allen Wendungen Renatchens zu einem f�rmlichen Heiratsverspruch so geschickt auszuweichen, da� sie es endlich m�de ward, auf neue Kunstgriffe zu sinnen, und sich lieber der angenehmen Sicherheit �berlie�, die die gr��ten Helden des Altertums so oft vor dem Ziel aller ihrer Unternehmungen �bereilte. Sie suchte nun aus seiner Leidenschaft alle nur m�gliche Vorteile f�r den gegenw�rtigen Augenblick zu ziehen, und, da der Graf nichts weniger als geizig war, verschwendete er unerme�liche Summen, ihr tausend Abwechslungen von Vergn�gen zu verschaffen. Beide dachten an Vermeidung des Argwohns und an die Zukunft nicht; b�se Zungen sagten sogar schon in der Stadt sich ins Ohr, ihre Bekanntschaft sei von sichtbaren Folgen gewesen. Ein Teil dieser Nachreden mochte sich auch wohl von Hohendorf herschreiben; sie bekamen sie selber zu Ohren, ohne sich dar�ber sehr zu kr�nken, oder ihre Auff�hrung behutsamer einzurichten, so da� man am Ende Renatchen �berall nur die Gr�fin nannte.
Zerbin h�rte diese Benennung und viel �rgerliche Anekd�tchen in allen Gesellschaften, die er noch besuchte; seine G�ttin so von ihrer W�rde herabsteigen, so tief erniedrigt zu sehen, konnte nicht anders, als den letzten Keim der Tugend in seinem Herzen vergiften. Er suchte sich eine bessere Meinung vom Frauenzimmer zu verschaffen, er suchte sein Herz anderswo anzuh�ngen; es war vergeblich. Der Herr des Hauses, das er und der Graf zusammen bewohnten, hatte eine Tochter, die dem B�cherlesen ungemein ergeben war, und sich zu dem Ende ganze Wochen lang in ihr Kabinett verschlo�, ohne sich anders als beim Essen sehen zu lassen. Er beredete den Grafen, ihm bei seinem Hausherrn die Kost auszudingen, welches der mit Freuden tat, weil dieser Tisch wohlfeiler, als der im Gasthofe, war, und er zu seinen verliebten Verschwendungen jetzt mehr als gew�hnlich zu sparen anfing. Zerbin suchte bei Hortensien (so hie� die Tochter seines Wirts) wenigstens den Trost einer gesellschaftlichen Unterhaltung – aber leider! mu�te er auch hier die gew�hnliche Leier[631] wieder spielen sehen. Sie legte alles, was er redte und tat, als Anstalten zu einer n�hern Verbindung mit ihr aus, zu der sie denn auch nach der gew�hnlichen Taktweise einen Schritt nach dem andern ihm entgegen tat. Es ist ein Mann, sagten alle ihre Blicke, alle ihre Mienen, alle ihre dahin abgerichteten, ausgesuchten, in ihrem Kabinett ausstudierten Reden; er will dich heiraten! Du wirst Brot bei ihm finden; es ist doch besser Frau Magistern hei�en, als ledig bleiben, und er denkt honett. Er dachte aber nicht honett; er wollte diese steifen, abgezirkelten, ausgerechneten Schritte in den Stand der heiligen Ehe nicht tun, so sehr Algebraist er auch war – er wollte lieben. Er wollte Anheften, Anschlie�en eines Herzens an das andere ohne �konomische Absichten – er wollte keine Haush�lterin, er wollte ein Weib, die Freude, das Gl�ck, die Gespielin seines Lebens; ihre Absichten gingen himmelweit auseinander; er steuerte nach S�den, sie steuerte nach Norden; sie verstunden sich kein einzig Wort Doch glaubte sie ihn zu verstehen; alle seine Gef�lligkeiten, alle seine Liebkosungen (denn was liebkost nicht ein Mensch in der Verzweiflung?) beantwortete sie mit einer stumpfen, kalten Spr�digkeit, die ihn immer entweder mit Blicken, oder wohl gar mit Worten, auf den Ehestand hinauswies, als ob bis dahin keine Verschwisterung der Herzen m�glich, oder vielmehr, als ob sie von keiner andern, als die hinter den Gardinen geschieht, einige Begriffe h�tte. Der arme Mensch ging drauf, verzehrte sich in sich selber. Er mu�te etwas lieben – Hier fing das Schreckliche seiner Geschichte an.
Seine Aufw�rterin war ein junges, schlankes, rehf��iges, immer heitres und lustiges M�dchen. Ihre Gutherzigkeit war ohne Grenzen, ihr Wuchs so sch�n als er sein konnte, ihr Gesicht nicht fein, aber die ganze Seele malte sich darin. Diese Ehrlichkeit, dieses Sorgenfreie, unendlich Aufmunternde in ihrem Auge verbreitete Trost und Freude auf allen Gesichtern, die sie ansahen; lesen mochte sie nicht, aber desto lieber tanzen, welches ihre Lebensgeister in der ihr so unnachahmbaren Munterkeit erhielt. In der Tat war ihr gew�hnlicher Gang fast ein best�ndiger Tanz, und wenn sie sprach, jauchzte sie, nicht um damit zu gefallen, sondern, weil das herzliche innerliche Vergn�gen mit sich selbst und ihrem Zustande keinen andern Ausweg wu�te. In ihrem Anzug war sie immer sehr reinlich, und an dieser Tugend sowohl, als selbst im Geschmack, lie� sie ihre Gebieterin unendlich weit hinter sich. – Wie vieles kommt auf den Augenblick an,[632] zu wie vielen schrecklichen Katastrophen war nur die Zeit, die Verbindung kleiner, oft unwichtig scheinender Umst�nde die Lunte! Ach, da� unsere Richter, vielleicht in sp�tern bessern Zeiten, der g�ttlichen Gerechtigkeit nachahmend, auch dies auf die Waagschale legten, nicht die Handlung selbst, wie sie ins Auge f�llt, sondern sie mit allen ihren Veranlassungen und zwingenden Ursachen richteten, eh sie sie zu bestrafen das Herz h�tten! In einem der Augenblicke, wo die menschliche Seele an all ihrem Gl�ck verzagt, brachte Marie (so hie� die Aufw�rterin) Zerbinen den Kaffee aufs Zimmer. Der Herr des Hauses war eben mit seiner ganzen Familie zu einem Landfestin zwei Stunden vor der Stadt herausgefahren, von dem er vor Abend nicht wiederkam. Zerbin hatte den Morgen einem B�rger, der ihm zu einem Spazierritt schon vor einer Woche das Pferd geliehen, den letzten Groschen aus dem Beutel gegeben; es fiel ihm, als er sie tanzend hereintreten sah, ein, indem die Empfindung des Mangels kalt und grauenvoll �ber ihm schwebte, dieses gutartige holde Gesch�pf k�nne wohl in dem Augenblick ebenso bed�rftig sein, und aus Gr��e der Seele, oder aus jungfr�ulicher Sch�chternheit, ihren Verdru� �ber das lange Au�enbleiben seiner Bezahlung verbei�en: er fragte sie also mit einem ziemlich verwilderten Gesicht: �Jungfer! ich bin Ihr ja auch noch schuldig; wieviel betr�gt's denn?�
Ob sie nun aus seiner Miene geschlossen, da� ihm die Bezahlung itzt wohl schwerfallen d�rfte, oder ob etwas in ihrem Herzen f�r ihn sprach, das nur w�nschte durch eine Handlung der Aufopferung sich ihm weisen zu k�nnen – genug sie wu�te mit einer so eigenen Naivet�t ein erstauntes Gesicht anzunehmen, die H�nde so bescheiden zu falten, so beklemmt zur�ckzutreten, da� Zerbin selber dr�ber irre ward. �Sie mir schuldig, mein Herr? seit wann denn? – Woher denn?� – �Hat Sie mir nicht f�nf Gulden von Ihrem Lohn geliehen – und nachher noch f�nfe von Ihrer guten Freundin verschafft?� – �Sie tr�umen. Ich glaube, die gelehrten Herren haben zuweilen Erscheinungen.� – �Ich mu� es Ihr bezahlen, Jungfer. Ich will meine Uhr versetzen.� – Um meinen Leserinnen und Lesern dieses Betragen unserer artigen B�uerin in ein besseres Licht zu setzen, m�ssen wir hier erinnern, da� sie Tochter eines der reichsten Schulzen aus einem benachbarten Dorf war, und nicht sowohl wegen des Lohns, als wegen alter Verbindlichkeiten, die ihr Vater dem Herrn vom Hause hatte, bei ihm diente.[633]
Sie setzte sich hierauf in eine noch feierlichere Stellung, und tat die schrecklichsten Schw�re, da� er ihr nichts schuldig w�re; er sprang auf, weinte f�r Scham, Wut und Dankbarkeit; sie fing mit an zu weinen, sagte, wenn er wieder was n�tig h�tte, sollte er sich nur an sie wenden, sie h�tte einen reichen Vaterbruder in der Vorstadt, sie w�rde schon Mittel finden, etwas von ihm zu bekommen; er schlo� sie in seine Arme; ihre bebenden Lippen begegneten sich – Einsamkeit, Stille, Heimlichkeit, tausend angsthafte, freudenschaurige Gef�hle �berraschten sie; sie verstummten – sie gleiteten – sie fielen.
Diese Trunkenheit des Gl�cks war die erste und einzige, die Zerbinen f�r seine Lebenszeit zugemessen war, um ihn in desto tieferes Elend hinabzust�rzen. Zwar wu�ten beide auch nachmals noch Gelegenheit zu finden, ihre Z�rtlichkeiten zu wieder holen; aber wie der erste Schritt zum Laster, so mit Rosen bestreut er auch sein mag, immer andere nach sich zieht, so ging es auch hier. Zerbins hohe Begriffe von der Heiligkeit, aufgesparten Gl�ckseligkeit, von dem Himmel des Ehestandes verschwanden. Die Augen fingen ihm, wie unsern ersten Eltern, an aufzugehen, er sah alle Dinge in ihrem rechten Verh�ltnis, sah bei der Ehe nichts mehr, als einen Kontrakt zwischen zwei Parteien aus politischen Absichten. Hortensia und ihr steifes Betragen hatte nun in seinen Augen gar nichts Widriges mehr, da der Vater eine ansehnliche Stelle im Magistrat bekleidete, und zehntausend Taler mitgeben konnte: er ward vern�nftig. Er hatte die Liebe seiner Marie zum voraus eingeerntet; Liebe schien ihm nun ein Ingrediens, das gar nicht in den Heiratsverspruch geh�rte; die gro�e Weisheit unserer heurigen Philosophen ging ihm auf, da� Ehe eine wechselseitige H�lfleistung, Liebe eine vor�bereilende Grille sei; eine Mi�heirat schien seinem aufgekl�rten Verstande nun ein ebenso unverzeihbares Verbrechen, als es ihm ehemals der Ehebruch und die Verf�hrung der Unschuld geschienen hatten. In ein D�rfchen zu gehen, und mit seinem freundlichen Ma riechen Bauer zu werden – oder dem Vorurteil aller honetten Leute in Leipzig Trotz zu bieten und seine sch�ne B�uerin im Angesicht all seiner galanten Bekanntschaften zu heiraten – welch ein unf�rmlicher Gedanke f�r einen Philosophen, dem itzt erst die Fackel der Wahrheit zu leuchten anfing, der itzt erst die Beziehungen der Menschen, die Abweichungen der St�nde, die Torheiten phantastischer junger Leute, die Irrt�mer der Phantasei, und das unerme�liche Gebiet der Wahrheit im echtesten[634] Licht �bersah! Von dieser Zeit an fa�te er den Entschlu�, Professor der �konomischen Wissenschaften, nebenan des Naturrechts, des V�lkerrechts, der Politik und der Moral, zu werden. Saubere Moral, die mit dem Verderben eines unschuldigen M�dchens anfing! Er r�sonierte nun ungef�hr also:
Der Trieb ist allen Menschen gemein; er ist ein Naturgesetz. Die Gesellschaft kann mich von den Pflichten des Naturgesetzes nicht lossagen, als wenn diese den gesellschaftlichen Pflichten entgegenstehen. Solange sie sich damit vereinigen lassen, sind sie erlaubt – was sage ich? sie sind Pflicht. Ich darf also die Achtung, die ich der Gesellschaft schuldig bin, nicht aus den Augen setzen. Folglich, wenn ich Marien dahin bringen kann, da� sie um einige Zeit eine Reise zu ihren Verwandten vorsch�tzt, so sie insgeheim nach Berlin f�hre, wo ich gleichfalls meinen Vater zu besuchen habe, ihr dort ein Zimmer miete, das Kind auf die Rechnung meiner k�nftigen Erbschaft von dem und dem alten Bekannten meines Vaters in der Stille erziehen lasse – unterdessen wiederkomme und eine reiche Partie – Marie bleibt immer mein, und je verstohlner wir nachher zusammenkommen, desto s��er – Liebe hat ihre eigene Sph�re, ihre eigene Zwecke, ihre eigene Pflichten, die von denen der Ehe himmelweit unterschieden sind.
Er setzte sich sogleich hin, an seinen Vater zu schreiben, ihm durch die unvermutete Entdeckung, da� er noch lebte, eine Freude zu machen, und sich zugleich f�r seine bedr�ngten Umst�nde, und zu einer Reise nach Berlin, eine H�lfe von hundert Friedrichdor auszubitten. In diesem Augenblick trat Marie ins Zimmer. Er kleidete ihr sein Projekt in solche l�gen- und schmeichelhafte Farben ein, da� sie mit Tr�nen in alles willigte. Wiewohl sie ihm die Freuden eines eingezogenen, schuldlosen Lebens, in einem Dorf, wo ihr Vater ihn mit beiden H�nden w�rde aufgenommen haben, mit Worten vormalte, die Steine erweicht haben w�rden; aber seine Politik drang diesmal durch. Sie wollten sich in Berlin so lange aufhalten, bis sein Vater tot w�re, und er f�rmliche Anstalten zu einer �ffentlichen Verheiratung mit ihr machen k�nnte. Sie ergab sich endlich in seine h�heren Einsichten, warf sich in seine Arme, dr�ckte ihm ihre Liebe nochmals auf die Lippen, und erhielt von ihm die Versiegelung seiner noch immer ebenso heftigen Leidenschaft.
Alles ging gut: er fing hierauf an, statt der verdr��lichen Lehre von Potenzen und Exponenten, ein Kollegium �ber die Moral und eins �ber das Jus Naturae zu lesen, das ihm gar kein[635] Kopfbrechen kostete, und ungemein gut von der Lunge ging. Er bekam einen Zulauf, der unerh�rt war, und es w�hrte kein halbes Jahr, so lie� er f�r seine Lesestunden ein neues Kompendium der philosophischen Moral, gepfropft aufs Natur- und V�lkerrecht, drucken, das in allen gelehrten Zeitungen bis an den Himmel erhoben ward. Unterdessen blieb das arme Mariechen, die Veranlassung aller dieser Revolutionen, ein ungl�ckliches Mittelding zwischen Frau und Jungfer; ihre gl�ckliche Lustigkeit verlor sich; die Rosen auf ihren Wangen starben; die Zeit ihrer Entbindung nahte heran; Zerbin fing an verlegen zu werden, wenn sie auf sein Zimmer trat. Ein unangenehmer Vorfall kam noch dazwischen.
Dem Hause des Herrn Freundlach gegen�ber lag ein Kaffeehaus, das Hohendorf sowohl, als Altheim, in der Zeit ihrer ersten Bekanntschaft mit Renatchen, gleich nach dem Essen gew�hnlich zu besuchen pflegten. In der Zeit des Noviziats, da es bei beiden noch immer hie�:
Ich aber steh, und stampf, und gl�he,
Und flieg im Geiste hin zu ihr ,
Und bleib, indem ich zu ihr fliehe,
Stets unstet, aber immer hier,
Weil, bis mich Gl�ck und Freundschaft retten,
Die oft ein langer Schlaf bef�llt,
Mich hier, mit Diamanten Ketten,
Das Schicksal angefesselt h�lt.
Uz
Obzwar Hohendorf itzt fast gar keinen Zutritt in dem Hause mehr hatte, oder doch wenigstens von dem Idol seiner W�nsche allemal sehr frostig empfangen ward: so blieb doch ein gewisser Zauber um dieses Kaffeehaus schweben; er f�hlte allemal nach dem Essen einen geheimen Zug hinzugehen, von dem er sich selbst nicht Rechenschaft zu geben wu�te. Da sah er denn sein geliebtes Renatchen sehr oft mit Altheimen am Fenster, und r�chte sich, oder glaubte sich mit verachtungsvollen Blicken recht herzlich an ihnen zu r�chen. Altheim selbst kam auch noch bisweilen dahin, wenn Renatchen etwa sich nicht sprechen lie�, oder einen Besuch bei einer Verwandtin machte, die er nicht wohl leiden konnte, weil sie beiden immer so spitzf�ndige Reden gab.
An einem dieser Nachmittage kam Hohendorf mit Altheim in einem Billardspiel, wo mehrere Personen um den Einsatz spielen,[636] in einer sogenannten Guerre zusammen, und es traf sich ungl�cklicherweise, da� die beiden Nebenbuhler grade aufeinanderfolgen mu�ten. Hohendorf, der schon lang eine Gelegenheit an Altheim suchte, machte, ohne da� es ihm selbst Vorteil brachte, seinen Ballen, welches wider die Regel vom Spiel ist. Altheim zeigte seinen Verdru� dar�ber; Hohendorf sch�ttelte l�chelnd den Kopf; als die Reihe wieder an ihn kam, machte er, nun wirklich unversehens und wider Willen, den Ballen des Altheim zum andernmal. Altheim, fest versichert, da� dies in der Absicht geschehe, ihn zu beleidigen, warf ihm den Billardstock ins Gesicht; sie griffen nach den Degen; man trennte sie; den andern Morgen ritten sie vor der Stadt hinaus ins Rosental, sich auf Pistolen zu schlagen, wo Altheim so gl�cklich oder so ungl�cklich war, seinen Gegner zu erlegen, und sich unges�umt aus dem Staube machte, ohne nachher, weder seiner Geliebten, noch unserm Zerbin, seinem Mentor, jemals mit einer Silbe Nachricht von sich zu geben.
Zerbin wu�te also auch die anderweitigen Schulden, die er, auf die Rechnung der vom Grafen zu bekommenden r�ckst�ndigen Pension, gemacht hatte, nicht zu bezahlen; er mu�te eine ganz andre Haushaltung anfangen. Um seinen Hausherrn in guter Laune zu erhalten, redete er nun, bisweilen r�tselhaft, bisweilen ziemlich deutlich, von gewissen Absichten, die er auf seine Tochter h�tte, deren Jugend und Sch�ne sehr stark zu sinken anfing. Sobald Marie bei ihren geheimen Zusammenk�nften sich unruhig dar�ber bezeigte, wu�te er sie mit der Notwendigkeit dieser Maskerade zufrieden zu sprechen, damit ihn der Herr des Hauses nicht wegen Hausmiete und Kostgeld mahnte, welches in der Tat auch nicht erfolgte, und seine Sicherheit und stillschweigende Verbindlichkeit gegen Hortensien immer gr��er machte. Seine ganze Hoffnung, der letzte Anker, den er ausgeworfen, stand nun auf die Antwort von seinem Vater. Man stelle sich Mariens Entz�cken vor, als sie ihm selbst den Brief aus Berlin von dem Posthause brachte, und den �bergang zu ihrer Verzweiflung, als sie nun aus seinem Munde h�rte, da� auch hier der Tau zerrissen sei. Sein Vater war, durch einen der k�hnsten Diebst�hle, da man ihn selbst und seine alte Magd geknebelt hatte, rein ausgepl�ndert worden, und itzt im allerk�mmerlichsten Mangel, da er, wegen seines bekannten Wuchers, bei niemand einmal Mitleiden fand. Er bat seinen Sohn, ihn, wo m�glich, mit Geld zu unterst�tzen, oder zu sich nach Leipzig[637] kommen zu lassen. Es blieb Marien nichts �brig, als Weinen und Schluchzen; sie warf sich ihm zu F��en; er sollte mit ihr in ihr Dorf gehen, um ihr bei ihrem Vater Vergebung zu verschaffen. Alles war umsonst; er stellte ihr vor, da� eine Geschichte von der Art, wenn sie bekannt w�rde, ihn unfehlbar um seine Stelle bei der Universit�t bringen w�rde, da� er sich durch sein Ansehen, durch seinen Kredit, durch seine Gelehrsamkeit wohl noch so weit bringen w�rde, sein berlinisches Projekt mit ihr auch hier in Leipzig auszuf�hren, da� er ein Werk unter der Presse h�tte, f�r welches ihm der Buchh�ndler dreihundert Taler geboten, da� er die zur Erziehung des Kindes verwenden wolle, da� sie ihm versprechen solle, sich an ihre Freundin in der Vorstadt zu wenden, ihr ihren Zustand zu gestehen, eine schleunige Krankheit bei ihr vorzusch�tzen, unter dem Vorwand in ihrem Hause zu bleiben, bis die Entbindung vor�ber w�re, und unter der Zeit eine andere Magd in ihre Stelle zu mieten usw. Sie versprach alles aus Liebe zu ihm; sie ging von ihm, fest entschlossen, allen m�glichen St�rmen des Schicksals Trotz zu bieten, um ihm seine Ehre und guten Namen in der Stadt zu erhalten; an den ihrigen dachte sie nicht einmal. Ihre H�nde noch na� von den Tr�nen, mit denen er sie beschworen hatte, die Sache geheimzuhalten, dachte, sah, begriff sie keine Schwierigkeiten bei dieser Sache, fing sogleich an den Anfang ihrer Rolle zu spielen, und sich bei ihrer Jungfer �ber Kopfweh und Fieberschauer zu beklagen. Den Nachmittag hatte sie den Plan gemacht, ihrer Freundin einen Besuch zu geben, und da, gleich als ob sie unvermutet von einem hitzigen Fieber �berfallen w�re, sich zu Bette zu legen.
Aber wie wenig wu�te das gute M�dchen, was sie versprochen hatte! Als sie zu ihrer Freundin kam, fand sie sie eben im Ausr�umen begriffen, weil sie ihre Miete aufgesagt hatte, und ein anderes Haus beziehen wollte. Mann und Frau hatten, wie es bei dergleichen Gelegenheit zu gehen pflegt, H�ndel zusammen bekommen, und maulten itzt miteinander. Sie ward mit einem bew�lkten Gesicht empfangen; die Furcht, ihr zur ungelegenen Stunde zu kommen, verschlo� ihr den Mund. Das Herz entfiel ihr; all ihre Anschl�ge verwirrten sich, sie wu�te nicht aus noch ein. Sie sagte ihrer Freundin, da� ihr nicht wohl w�re; sie ward kaltsinnig bedauert. Ach, ein Ton der Stimme, eine trockene Miene ist, in dergleichen Gelegenheiten, sch�chternen und zarten Seelen ein Donnerschlag! Sie kam halb ohnm�chtig wieder nach Hause, und doch liebte sie Zerbinen zu sehr, um ihn durch[638] Erz�hlung dieses ersten mi�lungenen Versuchs in Bek�mmernis zu setzen. Sie sah nun ihr Schicksal als eine Strafe Gottes f�r ihren Leichtsinn an, der h�chste Grad der Melancholei, und fand ihren Trost, ihre Wollust in verborgenen Tr�nen. Sie wagte es dennoch, nach ein paar Tagen zum andernmal hinzugehen, nachdem sie Zerbinen eingebildet hatte, es sei alles schon in Richtigkeit: sie fand ihre Freundin nicht zu Hause. Auch dies sah sie als etwas �bernat�rliches an; ihr Herz entfiel ihr immer mehr; es war, als ob ihr jemand zuriefe: Du sollst dich deiner Freundin nicht entdecken! – O Richter, Richter, habt ihr die Gef�hle eines jungen M�dchens je zu Rat gezogen, wenn ihr �ber ihre Tat zu sprechen hattet! Ahndet ihr, was das hei�t, seine Schande einer andern entdecken, was f�r Oberwindung das kostet, was f�r ein Kampf zwischen Tod und Leben in einer weiblichen Seele, die noch nicht schamlos geworden ist, da entstehen mu�? Sie fa�te nun den Vorsatz, in die H�nde Gottes, nicht in die H�nde der Menschen zu fallen, wie sie nachher ihrem Beichtvater selber gestanden hat. Sie wollte sich ihrem Schicksal �berlassen, und das Schlimmste abwarten, ohne Zerbin oder irgendeinem Menschen ein Wort davon zu sagen. – Die Taschen, die damals auch Personen geringen Standes durchg�ngig trugen, verhehlten ihren Zustand; kurz die Frucht ihrer verbotenen Vertraulichkeit kam, nach ihrem letzten Gest�ndnis, tot auf die Welt.
Nach den Gesetzen ist eine verhehlte Schwangerschaft allein hinl�nglich, einer Weibsperson das Leben abzusprechen, wenn man auch keine Spur einer Gewaltt�tigkeit an dem Kinde gewahr wird. Marie hatte das ihrige in der Geschwindigkeit ins Heu verbergen wollen, da eben das Haus, wegen eines Schmauses in der Vakantzeit, voller G�ste war, und sie alle Augenblicke gebraucht wurde. Der Kutscher war in ihrer Abwesenheit auf den Heuboden gestiegen, den Pferden etwas Futter zu langen, und er war der erste Angeber dieses ungl�cklichen M�dchens.
Sie ward gef�nglich eingezogen: Zerbin lie� sich nichts merken. Man stelle sich die Entschlossenheit, die Gro�mut, die Liebe dieses ungl�cklichen Schlachtopfers vor: sie war durch keine Mittel dahin zu bringen, den Vater ihres Kindes herauszugeben. Alle Klugheit, alle Strenge der Obrigkeit war umsonst; nichts als unzusammenh�ngende Erdichtungen konnten sie aus ihr bringen. Das war eine Szene, als ihr Vater, der Schulz aus dem Reichsdorf, zu ihr ins Gef�ngnis trat.[639]
�Du Alleweltsh –� war sein Willkomm, �was machst du hier? Hab ich dich so gelehrt, Gottes Gebot aus den Augen setzen?�
Sie weinte.
�Durch Henkershand dich verlieren – Wer ist der Vater dazu gewesen, sag mir's! Gottes Gericht soll mich verfolgen, wo ich es nicht so weit bringe, da� der Kerl –� hier kniff er die Daumen ein, sah in die H�he, bi� die Z�hne zusammen, und der Schaum trat ihm vor den Mund.
Sie weinte immer fort.
�O du Gottsvergessene – – nenn mir den Kerl nur!� – Er setzte sich bei ihr auf eine zerbrochene Tonne nieder.
�Ich wei� ihn nicht, Vater, ich kenn ihn nicht.�
�Du kennst ihn nicht – so wird Gott ihn finden, Gottes Gericht ihn finden! Du kennst ihn nicht? Du wirst dir doch nicht im Schlaf so was haben anr�sonieren lassen. – Meine einzige Tochter auf dem Schafott – Nenn mir ihn, sag mir ihn, ich will ihm nichts zuleide tun!� – �Freilich war's so gut als im Schlaf, Vater, im Rausch, Vater! als wir von einer Hochzeit kamen. Es war ein Schuhmachersgesell, den Mainzer nennten sie ihn.�
�Gott wird ihn finden, den Schuhmachersgesellen – O mein Kind, mein Kind!� Hier umarmte er sie heulend, und dr�ckte sie, unter erschrecklichem Schluchsen, zu wiederholten Malen an sein Herz. �Wenn ich mich hier in deine Stelle setzte, du bist jung; du kannst noch lange leben-�
�Ich �berlebte es nicht – –�
�Ich hatte dir mein neues Haus zugedacht; es ist unter Dach; du solltst mir den Nagler Rein heiraten; es ist ein junges frisches Blut, und hat dich jederzeit so liebgehabt. Alle Abend bin ich mit meinem alten Weibe hinspaziert, und haben nach dem Bau gesehen und von dir geredt, wie wir im Winter so vergn�gt miteinander leben, und flei�ig zueinander zu Licht gehen wollten. ›Ich habe noch f�nf Pfund von dem sch�nen wei�en Flachs; die soll sie mir abspinnen helfen‹, sagte sie. ›Sie wird doch itzt in der Stadt nicht so galant geworden sein, da� sie das Spinnrad nicht mehr in die Hand nehmen darf‹ – ach, du gottloses Kind! es war, als ob sie das im prophetischen Geist gesagt h�tte.�
Sie, auf seine Hand weinend: �K�nnt Ihr mir denn nicht verzeihen, Vater.�
�Er, der Nagler Rein, stund denn so dabei und l�chelte, und die Tr�nen quollen ihm in die Augen. Sag ich doch, es war, als ob's uns allen geahndt h�tte.�[640]
�Gr��t den guten Rein, sagt, ich werde noch in der Ewigkeit f�r ihn beten, da� er eine bessere Frau bekomme, als ich ihm gewesen w�re. Sagt ihm, es soll ihm nicht leid sein um mich.�
�Wem sollt es nicht leid sein um dich.� Hier heulte er wieder an ihrem Halse. �Darf deine Mutter auch kommen, dich zu sehen?�
�Meine Mutter- wo ist sie – wo ist meine gute Mutter? Geschwind la�t sie hereinkommen! Ich habe nicht lange mehr hier zu bleiben.�
Walter (so hie� der Alte) schlug in die H�nde. �Ist denn keine Gnade, kein Pardon nicht m�glich? Ich will mich dem Gerichtsherrn zu F��en werfen –�
�Meine Mutter, Walter! – Ich schw�r Euch, es stirbt kein Mensch so gern als ich –� sie flog an die T�r: �Meine Mutter! La�t meine Mutter hereinkommen!�
Hier traten die Mutter und einige Verwandtinnen herein; es ging ein allgemeines Geheul an, das den Kerkermeister selber aus seiner Fassung brachte, da� er das Zimmer verlassen mu�te. Die grausame Stunde r�ckte heran. Man sprach noch immer in der Stadt davon, sie w�rde Gnade bekommen; bis zum letzten Augenblick, noch da ihr die Augen verbunden wurden, stand das Volk in dieser Erwartung; man konnte es nicht begreifen, nicht fassen, da� eine so liebensw�rdige Gestalt unter Henkersh�nden umkommen sollte; der Prediger war nicht imstande, ihr ein einziges Trostwort zuzusprechen – – vergeblich! Die Gesetze waren zu streng, der Fall zu deutlich; sie ward enthauptet.
Sie hat bis an den letzten Augenblick die liebensw�rdige, milde Heiterkeit in ihren Mienen, sogar in ihrer ganzen Stellung, in dem nachl�ssigen Herabsinken ihrer Arme und des Haupts, noch beibehalten, die ihren Charakter so vorz�glich auszeichnete. Sie stand da, etwa wie eine von den ersten Bekennerinnen des Christentums, die f�r ihren Glauben Schmach und Martern getrost entgegensahen. Sie wandte sich noch oft sehnsuchtsvoll herum, gleich als ob ihre Augen unter dem gedr�ngten Haufen Volks jemanden mit Unruhe suchten. Jedermann sagte, sie suche ihren Liebhaber, und die nah bei ihr gestanden, versichern, sie haben sie noch in den letzten Augenblicken einen Namen sehr undeutlich aussprechen h�ren, der von einem heftigen Tr�nenausbruch begleitet wurde. Sie hielt sich sodann eine Minute die Hand vor die Augen, welche sie hierauf, wie au�er sich, halb ohnm�chtig dem Scharfrichter reichte, weil sie sich nicht mehr[641] auf den F��en erhalten konnte. Er band ihr die Augen zu – und die sch�ne Seele flog gen Himmel.
Zwei, drei Tage war alles in der Stadt in Best�rzung; man sprach in allen Gesellschaften von nichts, als der sch�nen Kinderm�rderin. Man schrieb Gedichte und Abhandlungen �ber diesen Vorfall: Zerbin ging bei alledem wie bet�ubt umher, das gew�hnliche Schicksal abgew�rdigter Seelen, wenn sie in au�er ordentliche Umst�nde kommen. Wenn ich einen Roman schriebe, so w�rde ich es nimmer wagen, meine Geschichte mit einem Selbstmorde zu schlie�en, um den Verdacht der Nachahmung zu vermeiden, da diese Saite nun einmal von einer Meisterhand ist abgegriffen worden. So aber darf ich mich von meiner Urkunde nicht entfernen, und welch ein Unterschied ist es nicht mit alledem unter einem Selbstmorde, der, durch die Zaubereien einer raffaelischen Einbildungskraft, zu einer sch�nen Tat ward, und das h�chste Gl�ck des Liebhabers bef�rderte, und unter einem, der nichts, als die gerechte Folge einer sch�ndlichen Tat, und mehr wie eine Strafe des Himmels, als wie ein Fehltritt einer verirrten Leidenschaft anzusehen war! Er kroch, unter der Last seiner Schuld, und der ihm allein empfindbaren Vorw�rfe aller seiner Zeitverwandten, stumm und sinnenlos zu der ihn erwartenden Schlachtbank. Folgende Papiere, die man in seinem Schreibpult gefunden, k�nnen dennoch einiges Mitleiden f�r ihn rege machen. Wir wollen sie, unter den Zeichen A und B, nach Mutma�ung der Zeit, in der sie geschrieben sein k�nnen, hier einr�cken.
�A. Ich komme zu dir, meine Marie – ich komme, mich mit dir vor denselben Richterstuhl zu stellen, und von dir mein Urteil zu erwarten. Die Welt verdammet mich, es ist mir gleichg�ltig, aber du – solltest du keine Verzeihung f�r mich haben, Heilige! – So soll es mir s�� sein, wenigstens von dir meine Strafe zu erhalten. Du allein hast das Recht dazu.
B. Ich schreibe dieses, sie vor den Augen der ganzen Welt zu rechtfertigen. Unsere Ehe war kein Verbrechen; zwar war sie von keiner Priesterhand eingeweiht, aber durch unverstellt brennende K�sse versiegelt, durch f�rchterliche Schw�re best�tigt. Dieser Lehnstuhl, an dem wir beide auf den Knieen gelegen, dieses Bette, auf dem ich mich noch heulend herumw�lze, sind Zeugen davon. Ich war die einzige Ursache, da� unsere Verbindung nicht �ffentlich best�tigt ward – meine eingebildete Gelehrsamkeit, mein Hochmut waren die einzigen Hindernisse. Ich schmeichelte[642] ihr, ich w�rde sie nach Berlin bringen, und meinem Vater vorstellen, blo� um ihre W�nsche, ihre Bitten in die L�nge zu ziehen. Ich kann nicht trauren �ber alles dieses; mein Herz ist zu hart. Aber da� sie mich nicht verraten hat, da� sie f�r mich gestorben ist, war zu gro�m�tig; das verdiente ich nicht! Ich eile ihr das zu sagen – ich warne alles Frauenzimmer vor einer so grenzenlosen Liebe gegen unw�rdige Gegenst�nde. Ich wollte ihr nichts aufopfern; sie opferte mir alles auf. Ich kann mich nicht hassen, aber ich verachte mich!�
Er schlich, ohne einem Menschen ein Wort zu sagen, in tr�bsinniger Schwermut einige Tage hin, sprach selbst von dieser Geschichte mit Hortensien und andern, wiewohl allemal sehr kurz. Am dritten Tage abends kam er nicht zu Hause; den vierten Tag ward am Morgen seine Leiche in dem zu der Zeit mit Wasser angef�llten Stadtgraben gefunden, in den er sich vom Wall herabgest�rzt hatte. Jedermann erschrak; bis endlich, bei Durchsuchung seiner hinterlassenen Papiere, den Leuten die Augen aufgingen. Hortensia ward schwerm�tig, und Renatchen soll nach der Zeit die Religion ver�ndert haben, und in ein Kloster gegangen sein.
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Romantik! Das ist auch � aber eben nicht nur � eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gef�hlswelt gegen die von der Aufkl�rung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erz�hlungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder m�rchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten B�nden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererz�hlungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
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