Jetzt rufen viele: Das kann doch nicht sein, dass zwei Nationalspieler im Nachhinein nicht gewusst haben wollen, dass sie den Wahlkampf eines Despoten unterstützen. Das kann doch nicht sein, dass die zwei die vielen Vorwürfe nicht kommen sehen konnten. Das kann doch nicht sein, dass sie nicht ahnten, dass manche sie nun aus der Nationalelf werfen wollen. All denen sei gesagt: Doch, das kann sein. So viel Weltfremdheit gibt es. Es handelt sich nämlich um Fußballer.

Mesut Özil und İlkay Gündoğan haben sich für ihren Trikottausch mit Erdoğan den Shitstorm redlich verdient. Aber der Ärger, der bis ins Kanzleramt reicht, beruht auch auf einem seltsamen Missverständnis. Einem Wunschdenken, dass Fußballer nicht nur Tore schießen und Pässe schlagen, sondern auch Vorbilder sind, Repräsentanten von Nationen und Werten. Auch wenn das komisch klingt, die beiden sind Opfer ihrer eigenen Überhöhung, zu der sie selbst am wenigsten beigetragen haben.

Das tun andere. Oliver Bierhoff verkündete einst, die Nationalmannschaft sei "die vierte Macht im Land". Bei Mercedes, dem Sponsor des DFB-Integrationspreises, sind Özil und Gündoğan nicht einfach bloß Werbeträger, sondern Markenbotschafter, sehr gut bezahlte natürlich. Das Sportfeuilleton (auch wir) feiert sie als Leitbilder des bunten Deutschlands. Millionen Fans schenken ihrem Mesut Tag für Tag für banalste Banalitäten Herzchen auf Instagram. Und viele Profis sind von einer Entourage aus Beratern und Satelliten umgeben, die ihnen jeden Tag versichern, dass sie Götter sind.

Naive Empörung über das Gaucho-Gate

Es gibt freilich viele Ausnahmen. Mertesacker und Petersen, der glaubt, im Fußball zu verblöden, wäre die Sache mit Erdoğan sicher nicht passiert, Emre Can hat sich gar verweigert, und Gündoğan hätte man diesen Fauxpas bislang auch nicht zugetraut. Doch Fußballer waren und sind nun mal keine "Expressionistensammler", wie ein Bundesligatrainer sagte. Der eine fährt jahrelang ohne Führerschein, der andere pinkelt in die Hotellobby, der dritte vergisst 70.000 Euro in bar im Taxi. Alles biodeutsche Nationalspieler.

Auch in politischen Fragen haben Blöd- und Blindheit unter Kickern auch ohne Migrationshintergrund Tradition. "Nein, belasten tut mich das nicht, dass dort gefoltert wird", sagte Manni Kaltz offenherzig, als er zur WM 1978 nach Argentinien fuhr, in der die Militärjunta mordete und anlässlich derer der DFB einen alten SS-Fliegerhelden ins Hotel einlud. Berti Vogts gab damals an, keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen zu haben, und nahm Franz Beckenbauer vorweg, dem das Gleiche mit den Sklaven in Katar widerfuhr. Beide verzeichnet die DFB-Chronik übrigens nicht nur als Kapitän, sondern auch als Trainer.

Und erinnert sich noch jemand an Gaucho-Gate, als siegestrunkene deutsche Weltmeister vor dem Brandenburger Tor die Argentinier verhöhnten und unter Leuten, die nicht wissen, was in Kabinen geredet wird, eine Empörung auslösten?