Menschen mit Schwerbehin­derung Einfach früher in Rente gehen

Datum:
  • Text: Katharina Henrich, Dr. Bernd Brück­mann
Menschen mit Schwerbehin­derung - Einfach früher in Rente gehen

Spezielle Alters­rente. Wer einen Grad der Behin­derung von mindestens 50 nach­weisen kann, darf früher aus dem Berufs­leben ausscheiden. © Getty Images / Portra

Menschen mit Schwerbehin­derung können früher in Rente gehen. Wir zeigen, ab wann und unter welchen Voraus­setzungen – und wie sich die frühe Rente finanziell auswirkt.

Sie sind alles andere als eine Rand­gruppe: Fast acht Millionen Menschen mit schwerer Behin­derung leben in Deutsch­land. Darauf weist das Statistische Bundes­amt hin. Bezogen auf die Gesamt­bevölkerung waren 9,3 Prozent der Menschen Ende 2023 schwerbehindert.

Erwerbs­tätig sind von ihnen aktuell gut 1,1 Millionen, so die Bundes­agentur für Arbeit. Sie können später eine besondere Rente beziehen: die Alters­rente für Menschen mit Schwerbehin­derung. Sie ermöglicht es, sich deutlich vor der allgemeinen Regel­alters­grenze zur Ruhe zu setzen. Nutzen können das Versicherte, wenn sie

  • die entsprechende Altersgrenze erreicht haben,
  • bei Renten­beginn einen Grad der Behin­derung von mindestens 50 nach­weisen und
  • auf insgesamt 35 Versicherungs­jahre kommen.

Bis zu fünf Jahre früher in Rente

Die Alters­rente für Schwerbehinderte ermöglicht es Versicherten, zwei Jahre früher in Rente zu gehen, ohne dass dabei Renten­abzüge – die sogenannten Abschläge – anfallen. Nehmen Schwerbehinderte Abschläge in Kauf, können sie bis zu fünf Jahre vor der allgemeinen Regel­alters­grenze ihre Alters­rente beziehen.

Beispiel: Renten­eintritt mit und ohne Abschlag

Ohne Abschläge. Ein Versicherter ist am 10. Januar 1964 geboren und erreicht im Alter von 60 Jahren 35 Versicherungs­jahre. Die allgemeine Alters­grenze liegt für ihn bei 67 Jahren. Da er schwerbehindert ist, kann er zwei Jahre früher abschlags­frei die Alters­rente beziehen – mit 65 Jahren. Seine abschlags­freie Rente startet im Februar 2029.

Mit Abschlägen. Der Versicherte kann bis zu weitere drei Jahre früher seine Rente erhalten, wenn er Abschläge bei der Rente in Kauf nimmt. Sein frühester Renten­start ist mit 62 Jahren. Seine Rentenzahlung beginnt im Februar 2026.

Während die Grenze für die allgemeine Alters­rente stufen­weise von 65 Jahren auf 67 Jahre ansteigt, erhöht sich das reguläre Renten­eintritts­alter bei der Alters­rente für Schwerbehinderte von 63 Jahren auf 65 Jahre (siehe Tabelle unten). Bei einem regulären Renten­eintritts­alter fallen keine Abschläge an.

Schwerbehinderte Versicherte des Jahr­gangs 1964 werden die Ersten sein, die erst mit 65 Jahren ihre Alters­rente abschlags­frei beziehen können. Wer noch bis zu drei weitere Jahre früher geht, muss mit kräftigen Rentenabzügen rechnen.

Alters­rente für Menschen mit Schwerbehin­derung

So erhöht sich der reguläre Renten­start ohne Abschläge für Menschen mit Schwerbehin­derung:

Jahr­gang

Alter (Jahre plus Monate)

Renten­start zwischen (Monat/Jahr)

1960

64 + 4

05/2024–05/2025

1961

64 + 6

07/2025–07/2026

1962

64 + 8

09/2026–09/2027

1963

64 + 10

11/2027–11/2028

Ab 1964

65

Ab 1/2029; immer nach Voll­endung des
65. Lebens­jahres

Tipp: Unser Renteneintrittsrechner zeigt Ihnen, wann Sie genau in Rente gehen können und wie hoch Ihre Abschläge ausfallen.

Grad der Behin­derung von mindestens 50

Als schwerbehindert gelten Menschen, die einen Grad der Behin­derung von mindestens 50 haben und zudem einen gültigen Ausweis, der das bestätigt. Ohne diesen können sie die frühere Alters­rente nicht bean­spruchen. Zuständig für das Zuerkennen und Aushändigen der Ausweise sind in der Regel die Versorgungs­ämter.

Der Grad der Behin­derung – kurz GdB – ist ein Maß, wie stark sich eine gesundheitliche Beein­trächtigung körperlich, geistig oder seelisch im Alltag auswirkt. Er kann zwischen 20 und 100 liegen und wird in Zehner­schritten gestaffelt. Mehr zum GdB und welch wichtige Rolle er beim frühen Renten­eintritt spielt, erfahren Sie in unserem Interview mit Daniel Overdiek, Leiter der Rechts­abteilung Bayern beim gemeinnützigen Sozial­verband VdK.

35 Versicherungs­jahre sind ein Muss

Neben dem Grad der Behin­derung gibt es noch eine zweite Voraus­setzung, die Versicherte erfüllen müssen, um Anspruch auf die Alters­rente für Schwerbehinderte zu haben. Sie müssen mindestens 35 Jahre renten­versichert gewesen sein.

Das hört sich nach einer langen Zeit an, verliert aber seinen Schre­cken ein wenig, wenn man sieht, dass nicht nur Zeiten aus sozial­versicherungs­pflichtiger Beschäftigung dazu gehören, sondern auch viele andere Zeiten. Deshalb seien die 35 Jahre auch für viele Menschen mit Schwerbehin­derung erreich­bar, sagt Over­diek.

Diese Zeiten zählen

Für die Alters­rente für Menschen mit Schwerbehin­derung zählen Zeiten, in denen sie

  • sozial­versicherungs­pflichtig ­beschäftigt waren,
  • selbst­ständig sozial­versicherungs­pflichtig tätig waren, etwa als Hand­werker, Lehrer oder Musiker,
  • ab dem 17. Lebens­jahr zur Schule gegangen sind oder studiert haben (insgesamt acht Jahre),
  • Kinder erzogen haben (bis zum zehnten Geburts­tag des jüngsten Kindes),
  • freiwil­lig Beiträge an die Rentenkasse gezahlt haben,
  • Angehörige gepflegt haben,
  • Krankengeld, Arbeits­losengeld 1 oder Über­gangs­geld bezogen haben,
  • im Zeitraum von Januar 2005 bis Dezember 2010 Arbeits­losengeld 2 bezogen haben,
  • in der DDR politisch verfolgt ­wurden,
  • Zeiten, die ihnen nach einer Scheidung im ­Rahmen des Versorgungs­ausgleichs aufs Konto über­tragen wurden.

Arbeit in Werk­stätten für Menschen mit Behin­derung

Knapp 91 Prozent der schweren Behin­derungen werden nach Angaben des Statistischen Bundes­amt durch eine Krankheit verursacht, rund 3 Prozent der Behin­derungen sind angeboren oder treten im ersten Lebens­jahr auf. Nur 1 Prozent sind auf einen Unfall oder eine Berufs­krankheit zurück­zuführen.

Die meisten der schwerbehinderten Menschen – 58 Prozent – haben eine körperliche Behin­derung, geistige oder seelische Behin­derungen liegen insgesamt bei 15 Prozent.

Menschen, die seit Geburt schwerbehindert sind oder es früh im Leben werden, arbeiten teils in speziellen Werk­stätten. Über 310 000 Menschen, die nicht oder noch nicht auf dem ersten Arbeits­markt arbeiten können, sind laut der Bundes­arbeits­gemeinschaft „Werk­stätten für behinderte Menschen“ so beschäftigt.

Für sie gelten die gleichen Voraus­setzungen für einen Anspruch auf Alters­rente, sie können aber vorher bereits eine Erwerbs­minderungs­rente beziehen. Sind 20 Jahre lang Beiträge an die gesetzliche Renten­versicherung gezahlt worden, haben sie in den meisten Fällen einen Renten­anspruch wegen voller Erwerbsminderung. Sie können eine volle Erwerbs­minderungs­rente erhalten, auch wenn sie weiterhin in einer Werk­statt arbeiten.

Die Erwerbs­minderungs­rente wandelt die gesetzliche Renten­versicherung in der Regel später auto­matisch in eine Alters­rente um, wenn die Beschäftigten die entsprechende Alters­grenze erreicht haben.

Die gesetzlichen Rentenbeiträge für Werk­statt­beschäftigte, die meist sehr wenig verdienen, über­nimmt der Staat zusammen mit dem Träger der Werk­statt.

Tipp: Wollen Sie konkrete Auskünfte über Ihre Ansprüche und die Höhe einer eventuellen Erwerbs­minderungs­rente oder späteren Alters­rente, können Sie einen persönlichen Beratungs­termin bei der Deutschen Rentenversicherung vereinbaren

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Kommentarliste

Nutzer­kommentare können sich auf einen früheren Stand oder einen älteren Test beziehen.

  • Profilbild Stiftung_Warentest am 15.07.2024 um 11:03 Uhr
    Menschen in Werkstätten für behinderte Menschen

    @Schrenk: Vielen Dank für Ihre Nachfrage, die wir gern als Anregung für eine ergänzende Berichterstattung entgegennehmen. Die rentenrechtlichen Besonderheiten von Menschen, die in Werkstätten für behinderte Menschen ihren Lohn beziehen, hat der Artikel nicht berücksichtigt.

  • Schrenk am 14.07.2024 um 07:24 Uhr
    Menschen in Werkstätten für behinderte Menschen

    Leider haben Sie die Konditionen für eine Rente für Menschen in WfbM vergessen. Sind das die gleichen wie die von Ihnen aufgeführten?
    Vielen Dank für Ihre Antwort

  • Profilbild Stiftung_Warentest am 01.07.2024 um 12:59 Uhr
    Rentenbescheid prüfen

    @alle: Vermuten Sie einen Fehler im Rentenbescheid, dann haben Sie nur einen Monat nach Erhalt des Bescheides Zeit, um einen Widerspruch gegen den Rentenbescheid einzulegen. Dafür genügt ein formloses Schreiben.
    Bei der Überprüfung des Rentenbescheides können Sie sich von Rentenexperten unterstützen lassen. Diese finden Sie über den Bundesverband der Rentenberater oder einen Sozialverband:
    www.rentenberater.de (gegen Honorar)
    www.sovd.org (Mitgliedschaft erforderlich)
    www.vdk.de (Mitgliedschaft erforderlich)

  • RL-Sigi am 29.06.2024 um 17:55 Uhr
    Rentenbeginn 01.03.2019 mit 60% Schwerbehinderung

    Ich bin am 28.02.1957 geboren und am 01.03.2019 startete meine Rente als Schwerbehinderte mit 60%. Mir wurden für 25 Monate Rentenpunkte abgezogen.
    Ich denke, das hier ein Berechnungsfehler vorliegt und man mir zuviel abgezogen hat. Wer kann mir bei diesem Problem helfen?

  • Profilbild Stiftung_Warentest am 27.07.2023 um 11:40 Uhr
    Teilrente

    @Fischiman: Eine Teilaltersrente ist auch mit einer Schwerbehinderung möglich, wenn die Voraussetzungen gegeben sind. Einschränkungen gibt es beim Hinzuverdienst lediglich beim Bezug einer Erwerbsminderungsrente. Bitte lassen Sie sich vorab bei der Rentenversicherung beraten. www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Muttertexte/service/beratung/beratungsstellen_in_ihrer_naehe.html