RTL zeigt zur Primetime Rachepornografie

Vor fünf Jahren wurden der Dänin Emma Holten Nacktfotos aus ihrem E-Mail-Postfach gestohlen und im Internet verbreitet. Jahrelang kämpfte sie dagegen. Jetzt tauchten die Bilder in einer RTL-Show auf.
„Pikante Fotos mit und ohne Zustimmung – das ist eben ein Riesen-Unterschied“, sagt die Sprecherin zum Ende des Beitrags. Genauso sieht das auch die Dänin Emma Holten: 2011 wurden Nacktfotos von ihr von Unbekannten aus ihrem E-Mail-Postfach gestohlen und im Internet veröffentlicht – ohne ihre Zustimmung. Drei Jahre litt sie unter der systematischen Erniedrigung im Netz, die auf die Veröffentlichung folgte.
Anfangs habe sie noch gedacht, irgendwann würde das Interesse an den Bildern nachlassen. „Aber das war falsch. Mit der Zeit habe ich verstanden, dass es nicht um die Bilder geht, sondern um Macht“, erinnert sich Holten im Gespräch mit der „Welt“. Die Internetmeute genoss es, Macht über das Leben der fremden jungen Frau zu haben – sie zu quälen.
„Jetzt ist es wieder meine Geschichte“
2015 entschied sich Holten schließlich, sich zu wehren – und wieder zur Protagonistin ihres eigenen Lebens zu werden: Sie nahm zehn neue Aktfotos auf und veröffentlichte sie im Internet. Der Titel des Projekts: „Consent“ (Zustimmung). Auf der ganzen Welt wurde über ihren Mut berichtet. „'Consent' ist keine Lösung für mein Problem“, gab Holten damals zu. Aber: „Die Zustimmung ist der Schlüssel. Jetzt ist es wieder meine Geschichte und nicht mehr die eines Idioten, der meine E-Mails gehackt hat.“

Auch über das Leid, das die Veröffentlichung der Fotos gegen ihren Willen damals für die junge Frau bedeutet hat, wurde ausführlich geschrieben. Den Redakteuren des RTL-Formats „Die 10 pikantesten Geschichten der Welt“ sind diese Berichte bei der Recherche allerdings wohl nicht untergekommen: Sie präsentieren die Geschichte der heute 25-jährigen Studentin auf Platz eins der Show – mitsamt den gestohlenen Nacktfotos.
Ausführlich und unverpixelt zeigt RTL die Bilder zur Primetime und lässt deutsche Prominente die Geschichte kommentieren. Nur ein kleiner blauer Stern bedeckt auf manchen Bildern Holtens Brustwarzen. Sie sagt: „Ich habe den Beitrag gesehen, und es war extrem schmerzhaft für mich. Ich fühle mich missbraucht.“ Bekannte aus Deutschland hatten sie kontaktiert, als die Sendung am 15. Juni im deutschen Fernsehen ausgestrahlt worden war.
„Die digitale Welt vergisst und vergibt nichts“
„Auf vielen der Fotos, die RTL zeigt, bin ich definitiv nicht einmal 18 Jahre alt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das legal ist“, sagt Holten. Auf legalem Weg können die RTL-Redakteure die Fotos jedenfalls kaum bekommen haben. Denn sie sind nur in den Schmuddelecken des Internets zu finden.

Seit dem Tag des Diebstahls kämpft Holten gegen die Betreiber solcher einschlägigen Web-Seiten und versucht, sie zur Löschung der Fotos zu bewegen. Oft hat sie jedoch keinen Erfolg: Die Web-Seiten-Betreiber sitzen außerhalb Europas und der USA und müssen daher keine juristischen Folgen fürchten.
Oder, wie Sonja Zietlow in ihrer Anmoderation erklärt: „Die digitale Welt vergisst nichts, verliert nichts und vergibt nichts. Was die Datenkrake einmal gefressen hat, rülpst sie in Sekunden um die ganze Welt.“
Schadenersatzanspruch gegen den Sender
Holten hat nach der Einschätzung von Johannes Kreile, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Noerr, Recht: Legal sei das nicht. Die Veröffentlichung der Fotos verletze die Privatsphäre von Holten, da RTL keine Nutzungsrechte an den Bildern eingeräumt worden seien.
„Grundsätzlich gilt, dass die Privatsphäre eines Menschen geschützt ist. Und insbesondere bei Fotografien aus dem Bereich des Intimen liegt eine starke Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte vor“, erklärt Kreile. Die Dänin könne die weitere Verbreitung der Bilder untersagen und habe einen Schadenersatzanspruch gegen den Sender.
Doch um Schadenersatz geht es Holten nicht. „Ich bin schockiert, dass RTL nicht versucht hat, mich zu kontaktieren, und die Bilder nicht verpixelt hat. Ich kann nicht fassen, dass sie Rachepornografie im Fernsehen gezeigt haben“, sagt sie.
Nur 30 Sekunden für „Consent“
Ein Blick in den Beitrag zeigt seine Absurdität: Ein altes Interview von Holten, das sie dem freien Journalisten Martin Drohsel vor rund einem Jahr anlässlich der Veröffentlichung des „Consent“-Projekts gegeben hatte, wurde mit den, für das Format typischen, Kommentarfetzen deutscher Prominenter zusammengeschnitten.
So rekapituliert etwa „GZSZ“-Darstellerin Isabell Horn vor der Kamera: „Also, sie wollte nicht, dass diese Fotos online gestellt werden, und es wurde dennoch gemacht. Das ist so verletzend und entwürdigend und ganz, ganz schlimm.“ Zeitgleich lässt RTL genau diese verletzenden und entwürdigenden Fotos über den Bildschirm rotieren.
In dem vierminütigen Clip nutzt RTL die Bilder zur Untermalung der ersten dreieinhalb Minuten. Die Fotos, die Holten freiwillig veröffentlicht hat, zeigt der Sender nur kurz in den letzten 30 Sekunden.
RTL entschuldigt sich
Ein weiteres pikantes Detail: RTL beschuldigt Holtens Ex-Freund, die Nacktfotos aus gekränkter Eitelkeit nach der Trennung veröffentlicht zu haben. Holten sagt: „Das ist eine Lüge und eine Diffamierung. Mein Ex-Freund hatte damit nichts zu tun.“
Auf Anfrage der „Welt“ teilt ein RTL-Sprecher mit, Holten sei bereits im Februar 2015 in dem Magazin „Guten Morgen Deutschland“ live zu Gast gewesen, wo man sie als starke Frau gezeigt habe, die sich wehre.
„Sie über das erneute Aufgreifen ihrer Geschichte in ,Die 10 ...‘ im Juni 2016 nicht vorab informiert zu haben war eindeutig ein Fehler von uns! Dafür haben wir uns bei ihr entschuldigt. Auch die Bebilderung des Beitrags mit einigen der sogenannten Rachebilder war ein klarer Fehler.“ Holten plant jetzt, rechtliche Schritte gegen RTL einzuleiten.